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FRAUEN/294: Bangladesch - Brennende Wunden (welt der frau)


welt der frau 11/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Brennende Wunden

Von Michaela Herzog


Frauen, die in Bangladesch von Attentätern mit Säure übergossen werden, sind gezeichnet für ihr ganzes Leben. Terror und Gewalt innerhalb von Familien spiegeln sich auf brutale Weise im Gesicht und am Körper von Frauen und Kindern.


Es war ein früher Morgen wie jeder andere in einem kleinen Dorf in Bangladesch. Die Tür des kleinen Hauses, in dem die 13-jährige Asma schlief, stand offen. Der Vater war zum Morgengebet in die Moschee gegangen. Asadullah, ein 27-jähriger Mann aus der Nachbarschaft, hatte nur auf diese Gelegenheit gewartet. Er trat ein und schüttete Säure auf die schlafende Asma, weil sein Heiratsantrag abgelehnt worden war. Wenn er das hübsche Mädchen nicht heiraten durfte, sollte auch kein anderer etwas von ihrer Schönheit haben. Asma erwachte von den brennenden Schmerzen und sah ihn davonrennen. Dann begann der Kampf um ihr Leben.

Kein Arzt im Umkreis hatte damals - im August 1999 - Ahnung davon, wie die Säureverätzte behandelt werden sollte. Schmerzstillende Injektionen wirkten nicht. Auch im Bezirkskrankenhaus war man ratlos. Erst nach zwei Wochen wurde das Mädchen mit dem verkohlten Gesicht ins Dhaka Medical College Hospital überstellt, wo endlich eine angemessene Behandlung möglich war. Die neu gegründete Hilfsorganisation Acid Survivors Foundation (ASF) trat auf den Plan und finanzierte die bestmögliche Behandlung. Doch für Asmas linkes Auge war das zu spät. Die Säure hatte das Lid innerhalb weniger Stunden irreparabel geschädigt, das Auge war ausgetrocknet und schließlich erblindet. Chirurgische Eingriffe im Ausland folgten, um zu retten, was noch möglich war.

Asmas Eltern erhoben Anklage gegen den Täter. Doch die mächtige Familie Asadullahs konterte mit Drohungen. Ihr gelang es, die Verurteilung jahrelang hinauszuzögern. Acid Survivors Foundation (ASF) unterstützte die KlägerInnen schließlich auch vor Gericht. Mittlerweile verbüßt der Säureattentäter eine Freiheitsstrafe von 33 Jahren, doch die Familie des Täters terrorisiert nach wie vor die Familie von Asma.


Brutale Form von Gewalt

"Es brennt! Es brennt!" Da in Bangladesch aufgrund der weiten Wege zur nächsten Wasserstelle Feuer zuerst oft mit sandiger Erde gelöscht wird, bekommen die vor Schmerzen schreienden Säureopfer fallweise Sand statt Wasser in ihre Verbrennungswunden gestreut. Die Fahrt mit dem Bus oder per Rikscha-Van - das sind Fahrräder mit relativ großer Ladefläche hinten dran - in ein Krankenhaus der Hauptstadt kann Tage dauern. Auf Gesicht und Körper geschüttete Säure zerfrisst Haut und Gewebe in kürzester Zeit bis auf die Knochen. Schneller und aggressiver als Flammen. Lebenslange Entstellungen und dauerhafte Behinderungen sind die Folge.

1998 begegnete Monira Rahman erstmals einem Mädchen, das ein Säureattentat überlebt hatte. Die Hälfte des Gesichtes war weggeschmolzen, die Augen auf Nasenhöhe gesunken. Statt der Nase hatte sie nur ein schwarzes Loch. Ihr Anblick hat Monira Rahman "schockiert und wütend" gemacht. Ein Jahr später gründete die Bengalin die Stiftung für Überlebende von Säureattentaten. 1996 wurde sie für ihre Organisation mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International ausgezeichnet.


Nicht töten, sondern bestrafen

"Aus dem seltsamen Drang, diese Frauen kennenzulernen und ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken", nahm die Fotografin Alexandra Grill mit Monira Rahman und der ASF Kontakt auf. Nach einer detaillierten schriftlichen Begründung erhielt die 35-Jährige die Genehmigung zum Fotografieren.

"Die Motive für solche grauenhaften Taten sind sehr verschieden", erfuhr die Österreicherin Alexandra Grill während ihres dreimonatigen Aufenthalts in Bangladesch. Besitzstreitigkeiten, Familienfehden, Mitgiftforderungen, die Ablehnung eines sexuellen Annäherungsversuches oder eines Heiratsantrages können Gründe für Säureattacken sein. Da Schönheit oft das einzige Kapital vieler Frauen ist, kann die Zerstörung ihrer Attraktivität zugleich die Zerschlagung möglicher Heiratschancen bedeuten. "Das äußere Erscheinungsbild einer Frau für immer zu zerstören, ist die schlimmste Waffe männlicher Macht." Während gewöhnliche Wunden verheilen können, bleiben Säurenarben für immer bestehen - körperlich, seelisch und sozial. Sehr komplexe soziale Dynamiken schützen oftmals die Täter und nicht selten wird das Opfer als schuldig betrachtet und stigmatisiert. Nicht immer sind diese verunstalteten Frauen, deren Anblick schwer zu ertragen ist, in ihren Herkunftsfamilien willkommen. Häufig begleiten Sozialarbeiterinnen der ASF die Frauen zurück in ihr Dorf und versuchen zu erklären, was passiert ist, und dass die betroffenen Frauen keine Schuld trifft.


Wer lässt sich fotografieren?

Sieben Tage verbrachte Alexandra Grill in Jibon Tara, der Betreuungseinrichtung der ASF in Dhaka. "Für mich war die Begegnung mit den Säureopfern beeindruckend und schockierend zugleich." Neugierig und mit einigen wenigen Englischvokabeln gingen die Bengalinnen auf die Europäerin zu. "Die Frauen fühlten sich geehrt, dass ich mich für sie interessiere." Denn ihre Alltagserfahrungen lauten, ins gesellschaftliche Abseits gedrängt zu sein, gemieden oder verstoßen zu werden. "Körperliche Berührungen kennen die Frauen außerhalb von Therapiesitzungen kaum." Tief bewegt vom Lebensmut und dem mühevoll wiedererlernten Selbstbewusstsein, begann Alexandra Grill, "mit großem Respekt" Aufnahmen von den Frauen zu machen, die sich freiwillig dazu bereit erklärten.

Unter ihnen auch Asma. Die junge Frau, die als 13-Jährige von einem verschmähten Mann mit Säure übergossen worden war. Auch sie hat eine neue Heimat in Jibon Tara gefunden. Mit der Hilfe der ASF gelang es, für Asma eine Schule zu finden, wo sie ihre Ausbildung fortsetzen konnte. "Sie hat gelernt, Druckverbände herzustellen, und arbeitet so ganz direkt für andere Säureopfer", sagt Alexandra Grill, beeindruckt von der Kraft der jungen Frau, trotz allem an das Gute zu glauben. Asma, die auf den Rückhalt durch ihre Familie bauen konnte, sieht sich heute - dank der ASF, wie sie sagt - als zuversichtliche, unabhängige, physisch halbwegs gesunde Frau. Sie schätzt sich glücklich, von einem guten Ehemann akzeptiert zu werden. Die kleine Tochter und ihr Traum, irgendwann Lehrerin zu werden, geben ihr Bestätigung und Lebenssinn.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Fotografien von Alexanra Grill in der Printausgabe:

Nila ist heute 18 Jahre alt. Vor vier Jahren wurde sie gegen ihren Willen an Akber verheiratet. Dieser Mann wusste, dass Nila ihn nicht leiden konnte. Viele Streitereien in ihrer Ehe waren die Folge. Während eines Aufenthaltes bei ihren Eltern tauchten Schwiegervater und Ehemann auf und holten sie zurück. Am 19.2.2008 wurde sie im Schlaf von ihrem Ehemann Akber im Gesicht und am Körper mit Säure übergossen.
Die ASF hat für sie bereits mehrere Operationen ermöglicht. Die heute 18-Jährige wird therapeutisch unterstützt. Der Ehemann ist noch nicht verurteilt.

Dipali, 28 Jahre - Der Säureanschlag auf Dipali war motiviert durch Mitgiftstreitereien zwischen der Familie ihres Ehemannes und ihrer eigenen. Manche Frauen, so wie sie, schaffen es kaum, über den Hergang des Attentats zu sprechen.

Rone, 22 Jahre - Der Grund für das Verbrechen gegen sie war eine typische "Ablehnungsrache" eines Verehrers, als sie sich mit 15 Jahren noch zu jung zum Heiraten fühlte. Rone konnte nach ihren Operationen nicht zurück in ihr Heimatdorf.
Nun lebt sie in Dhaka in einem Wohnblock, der ausschließlich Frauen-Wohngemeinschaften beherbergt. Das "Women Hostel" wäre ein sicherer Ort, sagt sie. Eine Beschäftigung hat sie in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bei der ASF gefunden. Um negative Reaktionen zu vermeiden, verhüllt sie sich für den Weg vom ASF-Zentrum zum "Women Hostel", setzt eine große, dunkle Sonnenbrille auf, damit auch die letzten sichtbaren Stellen ihres Gesichtes verdeckt sind.

Asma, heute 23 Jahre, wurde vor zehn Jahren von einem verschmähten Verehrer mit Säure übergossen. Niemand wusste damals, wie die Verätzte behandelt werden sollte. Erst nach zwei Wochen wurde das Mädchen mit dem verkohlten Gesicht nach Dhaka gebracht.
Heute arbeitet Asma in der Schneiderei der ASF, in der sterile, elastische Druckverbände hergestellt werden. Sie hat einen guten Ehemann gefunden und ist Mutter einer kleinen Tochter.

Hasina, 22 Jahre, wurde vor fünf Jahren von einem Mann, der für Hasinas angesehenen Vater arbeitete, mit Säure attackiert. Wegen seines abgelehnten Annäherungsversuches und eines lächerlichen Streits um einen Krug Wasser, den der Bedienstete für einen anderen Zweck ins Haus getragen hatte und den Hasina zum Waschen benutzte. Am nächsten Tag attackierte er sie mit Säure, die er in der Stadt gekauft hatte.
Nachdem Hasina monatelang bei der ASF gepflegt und mehrmals operiert worden war, wollte sie zurück zu ihrer Familie. Der Täter wurde mithilfe der Rechtsabteilung der ASF auf freiem Fuß angezeigt und befand sich auf der Flucht. Die Familie gab Hasina bald unmissverständlich zu verstehen, dass sie nur noch eine Last sei. In der Hauptstadt Dhaka fand sie Unterkunft und eine leichte Hilfsarbeit bei der ASF. Hasina bedauert sehr, dass sie keine gute Schulbildung hat, und möchte diese gern nachholen.
Der Täter blieb drei Jahre lang ein freier Mann, tauchte anscheinend auch immer wieder in dem Dorf auf. Erst als ein Journalist einen Artikel über Hasinas Fall in einer großen bengalischen Zeitung veröffentlichte und somit der Druck auf die Politik stieg, wurde der Säureattentäter ernsthaft gesucht, sofort gefunden und verhaftet. Er verbüßt nun eine lebenslange Gefängnisstrafe.


Der Brite Dr. Hiles ist Facharzt für plastische Chirurgie und seit den Anfängen der ASF ein wichtiger Partner. Mindestens einmal im Jahr kommt er für mehrere Wochen nach Bangladesch, um kostenlos zu operieren und um sein umfassendes Wissen an die bengalischen KollegInnen weiterzugeben. Dutzende Säureopfer reisen in jenen Wochen aus ganz Bangladesch an, um von ihm behandelt zu werden. "Die ASF ist eine der wenigen Nichtregierungsorganisationen, die effizient arbeiten." Er hofft, sie werde "durch ihre Aufklärungskampagnen und die Unterstützung bei der Täterverurteilung ihre Existenz eines Tages überflüssig machen".


Hilfsorganisation für Säureopfer

Die Acid Survivors Foundation (ASF) in Dhaka bietet den Opfern medizinische Versorgung, psychische und soziale Rehabilitation an. Die Rechtsabteilung tritt vor Gericht an der Seite der Opfer auf. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit schult das gesellschaftliche Bewusstsein für die Folgen von Säureattentaten und die nötige Erstversorgung. An der Reintegration der Betroffenen beteiligt sich die ASF ebenso, sei es in den Dörfern oder bei der Arbeitssuche in der Hauptstadt.

Während die Zahl der Säureattentate im Jahr 2002 mit 490 verätzten Personen ihren bitteren Höchststand erreichte, stagniert sie seit 2003 - vielleicht auch aufgrund der massiven Aufklärungsarbeit durch die ASF. Im Jahr 2008 musste die ASF "nur" noch 179 Säureopfer aufnehmen. In fast allen Fällen sind die Täter männlich. 85 Prozent der Attentate werden in ländlichen Regionen verübt. Bis 2001 war die überwiegende Mehrzahl der Opfer weiblich, mittlerweile sind jedoch 39 Prozent der Opfer auch Männer und Buben.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
November 2009, Seite 36-40
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2009