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FAMILIE/245: Sorge um den Vater (DJI)


DJI Bulletin 1/2010, Heft 89
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Sorge um den Vater

Von Maria Burschel


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt von Deutschland eine Änderung des Sorgerechts, da er unverheiratete Väter diskriminiert sieht. Auf Basis von Untersuchungen des DJI will die Bundesregierung die aktuelle Gesetzeslage prüfen.


Das deutsche Sorgerecht unterscheidet zwischen nicht-ehelichen und ehelichen Kindern: Bei letzteren ist das gemeinsame Sorgerecht mit der Kindschaftsrechtsreform im Jahr 1998 zum Regelfall geworden. Es steht mit der Geburt beiden Elternteilen zu und bleibt zumeist auch nach einer Scheidung bestehen. Bei den nicht-ehelichen Kindern darf der Vater das Sorgerecht dagegen nur dann ausüben, wenn die Mutter einverstanden ist. Diese unterschiedliche Behandlung von verheirateten und ledigen Vätern hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 3. Dezember 2009 als Diskriminierung gerügt, nachdem ein Vater geklagt hatte. Da dessen Beschwerde in den vergangenen Jahren von deutschen Gerichten mehrfach mit Verweis auf ein Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29. Januar 2003 abgewiesen worden war, hatte er sich an den EGMR gewandt. Der Beschwerdeführer berief sich dort vor allem auf das Diskriminierungsverbot (Artikel 14) und das Recht auf Achtung des Familienlebens (Artikel 8) der Europäischen Menschenrechtskonvention - und hatte Erfolg.


Zum Wohl des Kindes

Der deutsche Gesetzgeber setzte bei seiner Formulierung des Sorgerechts bisher allerdings andere Akzente: Er ging davon aus, dass die Entscheidung über das gemeinsame Sorgerecht so weitreichend ist, dass sie mit Einigkeit getroffen werden sollte. Dissens würde dem Kindeswohl schaden und sei daher möglichst per Gesetz auszuschließen. Der Gesetzgeber handelte also nach dem Motto: Lieber ein klar definierter Sorgeberechtigter als zwei Eltern, die sich ständig streiten und jede Entscheidung vor den Richter bringen (Kostka 2004).

Die Richter des EGMR kommen jedoch zu einem anderen Urteil: »Der Gerichtshof teilte die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts nicht, dass ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter grundsätzlich dem Kindeswohl zuwiderlaufe«, teilten sie nach ihrem Urteil im Dezember mit. Zwar könnten Gerichtsverfahren zur Regelung der elterlichen Sorge auf ein Kind verstörend wirken. Allerdings seien keine hinreichenden Gründe zu erkennen, warum der klagende Vater im Vergleich zu verheirateten Männern weniger Möglichkeiten zu einer gerichtlichen Überprüfung der Sorgerechtsregelung haben sollte (Kammerurteil 03.12.2009). Ledige Väter müssten also zumindest das Recht erhalten, dass Familiengerichte ihren Einzelfall gegebenenfalls prüfen.

Väterverbände und Väter, die zum Teil schon seit vielen Jahren für das gemeinsame Sorgerecht kämpfen, hoffen seit dem EGMR-Urteil auf eine Stärkung ihrer Rechte. Aber es gibt auch kritische Stimmen. Der endgültige Verfall der Institution Ehe wird befürchtet zugunsten eines Lebens, das auf Mobilität und ständige Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ausgerichtet sei (Rutz 2009). Kinder würden nur noch hin- und hergeschoben, niemand sei mehr zuständig. Zudem wenden Kritikerinnen und Kritiker ein, dass auch jene Väter ohne Sorgerecht ein Umgangsrecht hätten, dessen Ausgestaltung in der Verantwortung beider Eltern liege.


Vergebliche Suche nach Vorbildern

Die deutsche Regelung der Rechte unverheirateter Väter ist in Europa kein Einzelfall, wie die bisher unveröffentlichten Recherchen des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) ergeben. So gilt auch in Norwegen und Dänemark, dass ledigen Müttern zunächst die alleinige Sorge zusteht, diese aber zur gemeinsamen Sorge wird, sobald beide Elternteile übereinstimmende Sorgeerklärungen unterschreiben. Anders lauten die Gesetze dagegen in Schweden, Finnland, Österreich und der Schweiz. Zwar steht in diesen Ländern die Sorge zunächst ebenfalls den Müttern alleine zu. Um das gemeinsame Sorgerecht ausüben zu können, ist dort allerdings ein Antrag beider Eltern nötig, der von der zuständigen Behörde genehmigt und hinsichtlich der Wahrung des Kindeswohls geprüft werden muss. In allen genannten Ländern ist ein Konsens der Eltern notwendig, aber einige räumen den Vätern das Recht ein, die gemeinsame Sorge einzuklagen. Diese Möglichkeit besteht in Deutschland, Norwegen, Österreich und der Schweiz nicht.

Insgesamt betrachtet, ist die Vielfalt der konkreten Gesetzesregelungen groß: Mal wird - wie in Italien - das Zusammenleben der Eltern zum entscheidenden Kriterium, mal der Zeitpunkt der Anerkennung der Vaterschaft. In Frankreich zum Beispiel bekommt ein Mann das Sorgerecht nur zugesprochen, wenn er seine Vaterschaft innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes freiwillig erklärt. Wird die Vaterschaft gerichtlich festgestellt, so erhält er kein Sorgerecht. Ähnlich wird es in Polen und Griechenland gehandhabt. In vielen Ländern unterscheidet das Gesetz allerdings überhaupt nicht zwischen ehelich und nicht-ehelich geborenen Kindern. Dort haben beide Eltern das Sorgerecht, sofern die Elternschaft festgestellt ist. Dies gilt in den meisten Staaten der USA, aber auch in Russland, Spanien, Albanien, Belgien und etlichen anderen Ländern weltweit.


Trennung auf Augenhöhe

Ein Patentrezept lässt sich also auch beim Blick über die Grenzen nicht finden. Die vielen Wenn und Aber in der Gesetzgebung deuten vielmehr darauf hin, dass sehr viele Faktoren berücksichtigt werden müssen, um im Falle einer Trennung mit gesetzlichen Mitteln Belastungen für Kinder möglichst zu vermeiden. Das Bundesjustizministerium hat daher das Deutsche Jugendinstitut (DJI), die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) damit beauftragt, die Situation der nicht miteinander verheirateten Eltern in Deutschland umfassend zu untersuchen. Geklärt werden sollen zunächst beispielsweise folgende zentrale Fragen: Wie viele nicht miteinander verheiratete Eltern leben in Deutschland längerfristig als Familie zusammen? Aus welchen Gründen haben sie keine Ehe geschlossen? Wie haben diese Eltern im Einzelfall die Sorgerechtsfrage gelöst, und wie wird die Sorge für den Nachwuchs tatsächlich wahrgenommen?

Bislang lassen sich nur wenige aussagekräftige Forschungsdaten zu diesem Thema finden. Zwar führte der Nürnberger Rechtsprofessor Roland Proksch anlässlich der Reform des Kindschaftsrechts eine repräsentative Studie zum gemeinsamen Sorgerecht durch, allerdings befragte er ausschließlich geschiedene Eltern (Proksch 2002). Proksch kam zu dem Ergebnis, dass die gemeinsame elterliche Sorge in mehrfacher Hinsicht Vorteile biete. »Der Kontaktabbruch der Kinder zum umgangsberechtigten Elternteil ist bei Eltern mit alleiniger elterlicher Sorge erheblich«, heißt es in seinem Fazit. Die gemeinsame Sorge für den Nachwuchs beeinflusse die befriedigende Gestaltung der nachehelichen Verantwortung der Eltern dagegen positiv. Je besser es den Eltern gelinge, die »Kommunikation und Kooperation diskursiv« zu halten, desto weniger belastend seien Trennungskonflikte für Kinder. Gemeinsam sorgende Eltern begegneten sich im Gegensatz zu den anderen auf Augenhöhe. Dass diese Ergebnisse aber gleichermaßen für nicht- verheiratete Eltern gelten, kann nicht vorausgesetzt werden. In den vergangenen Jahren sind auch Befragungen von betroffenen Eltern durchgeführt worden, wie etwa die Online-Umfrage des Vereins »Väteraufbruch für Kinder« (Sonnenberger 2008). Da diese allerdings nicht repräsentativ sind, besitzen sie wenig Aussagekraft.

Deshalb war es nur folgerichtig, dass Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nach der Kritik des EGMR ankündigte, das Kindschaftsrecht erst auf Basis der Ergebnisse der laufenden bundesweiten Untersuchung zu prüfen. Fest steht aber auch, dass die juristische Lösung - unabhängig davon, wie sie ausfällt - nicht alle Probleme beseitigen wird. Die kindliche Entwicklung und das Gelingen der Eltern-Kind-Beziehung nach einer Trennung oder Scheidung wird von vielen äußeren Einflussgrößen weit mehr beeinflusst als von der Sorgerechtsregelung (Kindler 2009; Proksch 2002). Hier sind beispielsweise der Bildungsgrad, die Konfliktfähigkeit und die ökonomische Situation der Eltern zu nennen, aber auch die Kinderfreundlichkeit der Heimatstadt, die Toleranz der Nachbarschaft und vieles mehr.


Die im März 2009 begonnene bundesweite Untersuchung »Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern« erforscht die Situation von Paaren mit nicht-ehelichen Kindern, die sich für oder gegen die gemeinsame Sorge entscheiden. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) führt die Studie gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und dem Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) im Auftrag des Bundesjustizministeriums (BMJ) durch. Insbesondere sollen durch das Projekt die gesetzlichen Regelungen und die Prämissen, die der Gesetzgeber der Kindschaftsrechtsreform 1998 zu Grunde gelegt hat, im Hinblick auf die Rechtswirklichkeit (u. a. soziale, gesellschaftliche und rechtspolitische Wirkungen) evaluiert werden. Die Studie gliedert sich in quantitative und qualitative Befragungen, in die Auswertung amtlicher und bereits vorhandener Datensätze sowie in eine juristische Expertise. Die Autorin Maria Burschel leitet für das DJI die qualitative Untersuchung, in der Eltern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jugendämtern und Beratungsstellen interviewt werden.



Literatur:

Amendt, Gerhard (2006): Scheidungsväter. Wie Männer die Trennung von ihren Kindern erleben. Frankfurt/New York, S. 9-33

Kindler, Heinz (2009): Umgang und Kindeswohl. Empirische Befundlage und Folgerungen. In: Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, Heft 3/2009, S. 110-114

Kostka, Kermina (2004): Im Interesse des Kindes? Elterntrennung und Sorgerechtsmodelle in Deutschland, Großbritannien und den USA. Frankfurt am Main, S. 3-21 und 525-531

Proksch, Roland (2002): Begleitforschung zur Umsetzung der Neuregelung zur Reform des Kindschaftsrechts, Schlussbericht 2002

Rutz, Michael (2009): Zuerst das Kindeswohl. Rheinischer Merkur, Nr. 50, 10. Dezember 2009

Sonnenberger, Reiner / Winter, Andre / Woelk, Jürgen / Bade, Christian (2008): Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern. Ergebnisse der bundesweiten Internet-Befragung des Väteraufbruch für Kinder e. V. Berlin


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 1/2010, Heft 89, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2010