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FAMILIE/237: Betreuungsgeld - die Mär von der Wahlfreiheit (spw)


spw - Ausgabe 7/2009 - Heft 175
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Betreuungsgeld - die Mär von der Wahlfreiheit

Von Katharina Oerder


Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP sieht vor, Eltern, die ihre Kinder nicht in staatlich geförderte Kindereinrichtungen geben und somit die öffentlichen Kassen schonen, ein Betreuungsgeld von 150 Euro monatlich auszuzahlen.

Kritik hagelt es dabei nicht nur von SPD, Grünen und Teilen der Linkspartei, sondern auch aus den eigenen Reihen. Die Berliner CDU zum Beispiel warnt vor einer pauschalen Einführung des Betreuungsgeldes. Die Situation von großen Städten sei mit der auf dem Lande nicht zu vergleichen, lässt sich Fraktionssprecher Michael Thiedemann im Berliner Tagesspiegel zitieren. Letztlich solle es Ländersache sein, auf welche Form der Unterstützung man sich einigt. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Cornelia Pieper nannte das Betreuungsgeld sogar einen "bildungspolitischen Rückschritt". Auch Familienministerin Ursula von der Leyen hält die so genannte "Herdprämie" noch nicht für rund. Kein Wunder, konterkariert das Betreuungsgeld doch zahlreiche ihrer bisher recht fortschrittlichen eingeführten Maßnahmen innerhalb der Familienpolitik.

Aber nicht nur heute, bereits 2007, als das Thema "Betreuungsgeld" erstmals aufkam, waren CDU und CSU nicht gleich einer Meinung. Zunächst waren es vor allem Männer in der CSU, die das Betreuungsgeld auch gegen den Willen des eigenen Frauenverbandes durchsetzen wollten. Erst nach kontroverser Debatte nahm die CDU das Betreuungsgeld Ende 2007 in ihr Grundsatzprogramm auf.

"Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro [...] eingeführt werden." heißt es auf Seite 68 des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und FDP, der passenderweise "Wachstum - Bildung-Zusammenhalt" heißt. Von einer bildungspolitischen Maßnahme ist das umstrittene Betreuungsgeld jedoch weit entfernt. "Wahlfreiheit" ist auch hier wieder das Stichwort. Die "Wahlfreiheit", Kinder zu Hause zu erziehen oder arbeiten zu gehen.

Wer hierbei jedoch von Wahlfreiheit spricht, übersieht zwei gewichtige Punkte, die für das Erreichen von echter Wahlfreiheit entscheidend sind.

Erstens ist von echter Wahlfreiheit nur zu sprechen, wenn beide Alternativen auch in gleichem Maße zur Verfügung stehen. Das ist im Falle von externer versus häuslicher Betreuung mit Nichten der Fall. Nur für jedes fünfte Kind steht ein Betreuungsplatz zur Verfügung, im Westen Deutschlands sind es im Durchschnitt sogar noch weniger. Eltern können sich auf lange Wartelisten einrichten und selbst wenn der für 2013 geplante Ausbau der "Unter Drei Betreuung" auf 35 Prozent abgeschlossen werden konnte, wird nur für jedes Dritte Kind ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. Eine echte Alternative steht für junge Väter oder Mütter jedoch erst zur Verfügung, wenn die Betreuungsmöglichkeiten eines Kindes unter drei Jahren weder von der Region, noch vom Geldbeutel der Eltern oder von Hilfe durch Verwandte abhängen.

Als zweiter wichtiger Punkt ist die Gleichheit der beiden zu wählenden Alternativen zu nennen. Von Wahlfreiheit zwischen zwei Möglichkeiten kann erst dann gesprochen werden, wenn die Folgen beider zur Verfügung stehender Möglichkeiten weitestgehend gleich sind. Im Falle des Betreuungsgeldes lassen sich für Väter, Mütter und Kinder jedoch sehr unterschiedliche Auswirkungen benennen.

Frauen bietet das gebotene Betreuungsgeld einen (kleinen) Anreiz, die häusliche Pflege ihrer Kinder zu übernehmen, und nicht auf Kita oder Tagesmütter zurück zu greifen. Damit unterstützt das Elterngeld tradierte Rollenbilder und das Alleinverdienermodell. Vor den Folgen einer solchen Entscheidung, nicht ins Erwerbsleben zurückzukehren, warnen Experten seit Jahren. Sie führen zu geringeren finanziellen Möglichkeiten, Abhängigkeit von der Unterhaltszahlung des Vaters sowie drohender Armut im Alter. Die Erwerbstätigkeit von Frauen, gerade den gut ausgebildeten jungen Frauen, zu erhöhen, ist jedoch ein Ziel, dass sich auch die Kanzlerin auf die Fahnen geschrieben hat. International lassen sich überall dieselben Effekte feststellen: sobald vermehrt Kindertagesstätten und Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen, lässt sich auch eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen verzeichnen.

Die Entscheidung für eine Erwerbstätigkeit bringt für die Mütter eine eigene, bessere finanzielle Absicherung und eine Chance zur Selbstverwirklichung (Stiegler & Oerder, 2007). Denn nicht nur die üblichen Risiken wie Altersarmut und Abhängigkeit vom Partner stehen Frauen bevor, die sich von der Erwerbsarbeit verabschieden. Die große Koalition hat mittels der Veränderungen im Unterhaltsrecht ein weiteres, schwerwiegendes Argument für die Erwerbstätigkeit von Frauen hinzugefügt. Die durch Brigitte Zypris angestoßenen Veränderungen sehen vor, dass nach einer Scheidung jeder Partner für sich selbst zu sorgen hat. Nur Kinder werden weiterhin mit Unterhaltszahlungen bedacht. Der geschiedene Partner, der bislang zu Hause blieb, in den meisten Fällen die Frau, kann nicht mehr mit Unterstützung rechnen, sondern soll wieder einen Beruf ausüben.

Wer nun gerade unter diesen Veränderten Bedingungen von einer freien Wahl zwischen zwei völlig gleichwertigen Alternativen spricht, verhöhnt die Realität und mindert die Zukunftschancen von Frauen und Kindern.

Auch für Väter eines kleinen Kindes ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten. Sie können das Kind in eine Krippe geben, es selbst zu Hause betreuen oder von der Mutter des Kindes betreuen lassen. Die Betreuung eines Kindes selbst zu übernehmen und die eigene Erwerbsbiographie zu unterbrechen ist für Männer nur in den seltensten Fällen eine Option, da Männer heutzutage immer noch im Schnitt 23 Prozent mehr verdienen als Frauen. Ein Kind jedoch von seiner Partnerin zu Hause betreuen zu lassen hat für einen Mann durchaus Vorteile. Die Hausfrau und Mutter wird ganz selbstverständlich die notwendigen "Reproduktionsarbeiten" wie einkaufen und Wäsche waschen nicht nur für sich und das Kind sondern für ihren Partner mit erledigen. Die "patriarchale Dividende", nach Connell der Vorteil, den Männer alleine aufgrund der Tatsache, dass sie Männer sind haben, erhöht sich dadurch. Des Weiteren ist zu bedenken, dass Männer mit Hilfe des Betreuungsgeldes die Unterhaltspflicht für Mutter und Kind staatlich verringern können.

Für die Kinder selbst ergeben sich ebenfalls unterschiedlichste Auswirkungen,je nach dem, ob sie zu Hause, oder mit anderen Kindern in einer Tageseinrichtung betreut werden. In Kinderkrippen können Kleinkinder optimal gefördert werden. Bildungsangebote in der Vorschulzeit entscheiden weitgehend über den späteren Schulabschluss eines jungen Menschen (Büchel, 1997). Förderung ist besonders für Kinder aus bildungsfernen Schichten und für Kinder mit Migrationshintergrund wichtig. Bei ihnen gibt es den größten Zusammenhang zwischen Frühförderung und späterer Schullaufbahn (Becker, 2006). Bereits mit wenigen Monaten zeigen Kinder das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, das in einer Kita erfüllt werden kann. Auch die finanzielle Lage von Kindern ist von Bedeutung. Kinderarmut ist immer wieder und vor allem in größeren Städten ein wichtiges Thema. Kinder sind jedoch vor allem dann arm, wenn ihre Eltern es sind. Das Betreuungsgeld erhöht zwar kurzfristig den finanziellen Spielraum einer Familie, langfristig wird dieser jedoch durch fehlende Erwerbstätigkeit und fehlende Förderung immer geringer. Die finanzielle Lage wirkt sich jedoch auch in einem weiteren Sinne auf die Kinder aus. Ist eine Familie materiell abgesichert, ist auch eine emotionale Stabilität aller Familienangehörigen leichter zu erreichen. Die Bindung zwischen Kind und Eltern wird vor allem über ihre Stabilität, nicht über die Länge der im gleichen Raum verbrachten Zeit definiert.

Das Betreuungsgeld soll die Attraktivität der privaten Fürsorge- und Pflegearbeit erhöhen und diese Leistungen wertschätzen und würdigen. Dabei ist dies keine wirkliche Bezahlung der Arbeit, denn diese wird weder geregelt noch gemessen. Diese vermeintliche Aufwertung der privaten Betreuungsarbeit durch ein "Taschengeld" von 150 Euro monatlich für einen "Arbeitstag" von nicht selten 20 Stunden käme also eher einer Abwertung der geleisteten Arbeit nahe. Anstatt eines dürftigen Taschengeldes um tradierte Rollenverhältnisse festzuzurren, ist das Primat der Erwerbsarbeit für Frauen wie für Männer entscheidend, um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dabei ist es wichtig klar zu stellen, dass bestimmte Teile der Hausarbeit immer in privater Hand bleiben werden (müssen). Diese sind jedoch weder geschlechtsspezifisch zuzuweisen noch als solche zu bezahlen.

Bei dem Versuch "Elternarbeit" zu würdigen wird des Weiteren übersehen, dass der Staat die familiäre Erziehungsarbeit mit Instrumenten wie dem Ehegattensplitting oder kostenloser Mitversicherung von Ehegatten längst in Milliardenhöhe jährlich finanziert.

Die Einführung eines Betreuungsgeldes alimentiert tradierte Rollen- und Geschlechterverhältnisse, anstatt sie zu überwinden. Diese tradierten Rollenverhältnisse müssen aufgebrochen werden. Objektförderung statt Subjektförderung ist hier das Stichwort. Nur eine entsprechende soziale Infrastruktur kann allen Beteiligten gerecht werden. Den Müttern, den Vätern und den Kindern.


Dr. Katharina Oerder ist Psychologin und arbeitet an der Universität Bonn sowie in einer Betriebsräte-Beratung. Sie ist Vorsitzende der Jusos Bonn und Mitglied des Juso-Landesvorstandes NRW.


LITERATUR:
Stiegler, B., Oerder, K. (2007): Taschengeld für Mutter oder Krippenplatz fürs Kind? Eine Genderanalyse zum Betreuungsgeld. WISO direkt, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Verfügbar unter:
http://library.fes.de/pdf-files/wiso/05040.pdf
Dassler, S. (27.10.2009): Scharfe Kritik am Betreuungsgeld. Berliner Tagesspiegel. Verfügbar unter:
http://www.tagesspiegel.de/berlin/Landespolitik-Betreuungsgeld;art124,2933731
Büchel, F., Spieß, K. & Wagner, G. (1997): Bildungseffekte Vorschulischer Kinderbetreuung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49,3, 528-539.
Becker, R., Trempel, P. (2006): Auswirkungen vorschulischer Kinderbetreuung auf die Bildungschancen von Migrantenkindern. Soziale Welt, 57, 4, 397-418.
Connell, R. (1999): Der gemachte Mann. Opladen: Leske und Buderich.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/2009, Heft 175, Seite 48-50
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010