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FAMILIE/222: Regenbogenfamilien - Die etwas "andere" Familienform (pro familia)


pro familia magazin 2/2008
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.

Regenbogenfamilien
Oder: die etwas "andere" Familienform

Von Elke Jansen


Regenbogenfamilien werden Familien genannt, bei denen Kinder bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern als eine Familie leben. Die beiden männlichen bzw. die beiden weiblichen Elternteile können, soweit dies gesetzlich zulässig ist, miteinander in gleichgeschlechtlicher Ehe verheiratet sein oder sie sind durch eingetragene Partnerschaften und formlose Verbindungen von Lebensgefährten eine elterliche Verbindung eingegangen.


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Nicht nur in den Medien, sondern auch im "wirklichen Leben" werden lesbische Mütter, schwule Väter und ihre Kinder zunehmend sichtbar. Sie erobern einen eigenen Platz in der Familienlandschaft. Alleine in Deutschland wachsen derzeit Tausende Kinder in so genannten Regenbogenfamilien auf. Die Mehrheit dieser Kinder stammt heute noch aus vorangegangenen heterosexuellen Beziehungen. Zunehmend verwirklichen Lesben und Schwule ihren Kinderwunsch auch nach ihrem Coming-Out. Kinder werden in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geboren und finden hier als Adoptiv- oder Pflegekinder ein neues Zuhause.

"Regenbogenfamilie" bezeichnet somit eine Fülle familiärer Konstellationen und Lebenswirklichkeiten - gemeinsam sind allen die homosexuelle Orientierung der Eltern bzw. des allein erziehenden Elternteils und die Herausforderungen, die der "etwas anderen Familienstruktur" entspringen oder aus der rechtlichen und gesellschaftlichen Ungleichbehandlung von homo- und heterosexuellen (Eltern)Paaren erwachsen.


Auch von Rechts wegen eine Familie?

"Familie ist, wo Kinder sind" - lautete der Titel der Regierungserklärung zur Familienpolitik, die 2002 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag abgab. In den meisten Köpfen und Bilderbüchern wie im deutschen Recht herrscht jedoch nach wie vor ein heteronormatives Familienverständnis vor, in dem nicht nur zwei Generationen (Eltern und Kinder), sondern auch zwei Geschlechter (Mann und Frau) als Bezugsgröße des familialen Zusammenlebens betrachtet und gewertet werden.

Wenn Lesben oder Schwule sich in Deutschland das Ja-Wort geben, gehen sie eine Eingetragene Lebenspartnerschaft ein, sie gelten nicht als verheiratet - anders als in Großbritannien, Belgien, den Niederlanden oder Spanien. Die Pflichten, die mit diesem Bund fürs Leben einhergehen, sind mit den Verpflichtungen einer Ehe gleichgestellt. Viele Rechte, die für Familien, in denen die Eltern verheiratet sind, selbstverständlich sind, sind für Eingetragene Lebenspartner/ innen jedoch immer noch ein frommer Wunsch. Besonders im Finanz- und Steuerrecht und in vielfältigen Facetten der Familienplanung besteht eine eklatante Ungleichbehandlung von homo- und heterosexuellen Familien, die speziell zu Lasten der Versorgung und Absicherung der Kinder geht. Ein einfaches Beispiel: Eine Regenbogenfamilie mit einem monatlichen Brutto-Einkommen von 3.000 Euro hat etwa 300 Euro weniger pro Monat zur Verfügung für Kleidung, Nachhilfeunterricht, Klassenfahrten oder Weihnachtsgeschenke.

Lebt das Elternpaar in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, gilt der soziale-Elternteil - auch wenn die Kinderbetreuung und -erziehung gleichberechtigt aufgeteilt werden - in allen gesellschaftlich und finanziell relevanten Kontexten (zum Beispiel im Gesundheits- oder Rentenwesen) als kinderlos. Für die Kinder öffnete diese Konstellation eine große Schutzlücke zum Beispiel hinsichtlich des Unterhalt- und Erbrechts sowie im Falle des Todes des rechtlichen Elternteils oder bei Trennung der Eltern.

Für eine kleine Gruppe von Regenbogenfamilien eröffnet die Möglichkeit zur Stiefkindadoption einen Ausweg: Seit dem 1. Januar 2005 können lesbische Co-Mütter und schwule Co-Väter die leiblichen Kinder ihrer/ihres eingetragenen Lebenspartnerin/-partners als Stiefkind adoptieren. Das Stiefelternteil erhält so auch juristisch die gleiche Stellung wie ein leiblicher Elternteil mit allen Rechten und Pflichten. Von der Möglichkeit zur Stiefkindadoption machen bislang vornehmlich Frauenpaare Gebrauch, deren Kinder aufgrund eines gemeinsamen Kinderwunsches in der Partnerschaft geboren wurden. Denn - anders als in einer Ehe - gilt ein Kind, das in einer Lebenspartnerschaft durch künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Dritten gezeugt wird, nicht automatisch und ungeachtet seiner biologischen Verwandtschaft auch rechtlich als Kind dieses Paares. Hier muss durch eine Stiefkindadoption die gemeinsame Wunschelternschaft rechtlich nachgerüstet und so das Kind doppelt abgesichert werden. Dem Kindswohl dienlicher wäre sicher eine entsprechende Veränderung des Abstammungsrechtes, denn dieser Umweg kann, je nachdem, wo die Eltern in Deutschland leben, zwischen sechs und 24 Monaten in Anspruch nehmen: In dieser Zeit würde das gemeinsame Wunschkind im Fall des Todes des leiblichen Elternteils juristisch zum Waisen.

Dessen ungeachtet führte die Möglichkeit zur Stiefkindadoption in Eingetragenen Lebenspartnerschaften zu einem absoluten Novum in der deutschen Rechtslandschaft: Kinder hatten erstmals auch rechtlich zwei Mütter oder zwei Väter.


Herausforderung im schwul-lesbischen Familienalltag

"Regenbogenfamilien" stellen eine eigenständige Familienform dar - wie Einelternfamilien oder Patchworkfamilien. Regenbogenfamilien mangelt es jedoch aufgrund ihrer bislang geringeren gesellschaftlichen Präsenz noch weitgehend an (Rollen)Modellen.

Das hat durchaus Vorteile: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Familien erleben eine größere Freiheit, individuelle Beziehungsstrukturen zu erproben und zu etablieren und ihre Kinder lernen so häufiger einen partnerschaftlichen Erziehungsstil und egalitäre Rollenverteilungen kennen als Kinder aus klassischen Familienformen. Psychosoziale Studien zeigen, dass die Aufteilung von Erziehungs- und Versorgungsaufgaben in lesbischen Partnerschaften ohne Kinder aber auch mit Kindern gleichberechtigter, flexibler und demokratischer erfolgt als in heterosexuellen Partnerschaften.

Es hat aber auch Nachteile: Für Familienmodelle, die dem Vater-Mutter-Kind(er)-Konzept nicht entsprechen, gehört es zum Alltag, immer wieder mit klassischen Familien- und Rollenkonzepten verglichen zu werden. Problematisch wird das Abweichen von klassischen Familienstrukturen immer dort, wo die Nicht-Anwesenheit eines Elternteils als Defizit bewertet und vermittelt wird. Gerade Regenbogenfamilien sehen sich hier mit etlichen Vorurteilen und Klischees gegenüber ihrer Familienform konfrontiert und erleben einen Rechtfertigungs- oder zumindest Erklärungsdruck. So kann z. B. die Suche nach einer Wohnung erheblich erschwert werden, wenn zwei Väter und ihre Kinder dort einziehen wollen, oder die Liebe zum Fußball kann auf eine harte Probe gestellt werden, wenn der jugendliche Spross Angst vor der Reaktion seiner Mitkicker hat, wenn sie erfahren, dass ihr Stürmer zwei lesbische Mütter hat.

Alle Vorurteile gegenüber schwul-lesbischer Elternschaft sind durch die psychosoziale Forschung der letzten 30 Jahre hinlänglich widerlegt worden: Die Befunde attestieren lesbischen Müttern und schwulen Vätern eine adäquate Erziehungsfähigkeit und ihren Kindern eine gelungene emotionale, soziale und sexuelle Entwicklung. Sie belegen zweifelsfrei, dass das Wohl des Kindes nicht abhängt von der sexuellen Orientierung der Eltern oder der Familienstruktur. Vielmehr sind es die Prozesse innerhalb der Familien, die über das Wohlergehen der Kinder entscheiden, wie zum Beispiel die Nähe und Stabilität der Beziehungen oder die Beziehungszufriedenheit. Diese Prozesse gelingen umso besser, je mehr die Menschen in ihrer Familie sein dürfen, wie und was sie sind.


Kinder will das Land - auch in Regenbogenfamilien?

Umfragen zufolge will heute jede zweite junge lesbische Frau und jeder dritte schwule Mann in Deutschland gerne mit Kindern zusammen leben: Doch das wird ihnen gesellschaftlich und rechtlich nicht leicht gemacht.

In den vergangenen Jahren wurde die rechtliche Situation von Kindern, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, Schritt für Schritt verbessert. Jede politische Initiative zur Erleichterung der Genese von Regenbogenfamilien war hingegen zum Scheitern verurteilt oder wurde bereits im Vorfeld aufgegeben: Das gemeinsame Adoptionsrecht bleibt weiterhin verheirateten Paaren vorbehalten ebenso wie der freie Zugang zu den Dienstleistungen deutscher Samenbanken.

Deutschland ist hinsichtlich der Möglichkeiten zur Familiengenese für gleichgeschlechtliche Paare und Alleinstehende in Europa eher ein Schlusslicht: Seit 2007 ermöglicht Belgien allen Interessentinnen - auch alleinstehenden Frauen - die künstliche Befruchtung. Auch in Dänemark, Finnland, den Niederlanden und Schweden haben lesbische Paare Zugang zu den Dienstleistungen von Samenbanken. Das gemeinsame Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare findet sich in Europa bereits in einigen Ländern wie in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und Schweden und dem sehr katholischen Spanien.


BRD: Ärztinnen sollen Unterstützung verweigern

2005 öffneten deutsche Samenbanken und Kinderwunschzentren lesbischen Lebenspartnerinnen zunehmend - und durchaus freudig - ihre Pforten. Warum gerade jetzt? Das etwas unglückliche deutsche Unterhaltsrecht lässt es - zumindest theoretisch - zu, dass Samenbanken bzw. GynäkologInnen als Verursacher einer Schwangerschaft mit Unterhalts- bzw. Regressansprüchen konfrontiert würden. Durch die Möglichkeit zur Stiefkindadoption sahen sie sich erstmals vor solchen Ansprüchen sicher. Es wurden Verträge abgeschlossen, Absichtsbekundungen abgegeben und lesbische Wunschmütter, die bereit waren eine Eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen, mussten erstmals nicht mehr ins Ausland reisen.

Die Reaktion der Bundesärztekammer ließ nicht lange auf sich warten: 2006 untersagte sie in einer Novelle der "Richtlinien zur assistierten Reproduktion" ihren GynäkologInnen standesrechtlich nachdrücklich eine solche Unterstützung. Obwohl es in Deutschland gesetzlich nicht strafbar ist, eine lesbische Frau bei einer heterologen Insemination zu unterstützen, verstoßen ÄrztInnen mithin gegen ihr Berufsrecht. Der Leiter einer großen Reproklinik in Deutschland bewertet ein solches "Standesrecht" als gesetzeswidrig und unterstützt lesbische Paare frohen Herzens weiter. Andere Samenbanken und GynäkologInnen sind hier leider nicht oder nicht mehr so mutig - es braucht eine gute Portion zivilen Ungehorsams, um sich hiervon nicht beirren zu lassen, und eine breite Unterstützung durch Organisationen und Interessensverbände.

Auch wenn es ihnen schwer gemacht wird: Lesben und Schwule geben seit langem Pflegekindern und meist ausländischen Adoptivkindern ein neues Zuhause und lesbische Frauen verwirklichen ihren Kinderwunsch durch heterologe Insemination, sei es mithilfe einer in- oder ausländischen Samenbank oder privaten Samenspendern, zunehmend auch gemeinsam mit schwulen Männern als so genannte "Queerfamily". Jede dieser Möglichkeit beinhaltete ein Spektrum an Vor- und Nachteilen. Sie reichen von finanziellen Aspekten über rechtliche Unsicherheiten bis hin zu einem Regelbedarf hinsichtlich Erziehungsvorstellungen und -beteiligungen. Entscheidend ist es, das persönlich stimmige Modell zu finden, hinter dem alle Beteiligten von ganzem Herzen stehen können.


Und wenn's ein bisschen mehr sein darf ...

Nicht nur Lesben und Schwule, die eine Regenbogenfamilie gründen, betreten persönliches und gesellschaftliches Neuland. Auch familienbezogenes Fachpersonal kann in der Regel weder auf diesbezügliche Informationen in der Aus- und Fortbildung noch auf vielfältige berufliche Erfahrungen mit diesem Familientyp zurückgreifen(2).

Seit 2002 gibt es beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e.V. das Projekt "Regenbogenfamilien". Seitdem fanden annähernd 2.000 Beratungen statt, davon etwa jede Zehnte mit Fachleuten, wie zum Beispiel MitarbeiterInnen von Familienberatungsstellen, Jugendämtern oder pädagogischem Personal. Das Projekt "Regenbogenfamilien" im LSVD (www.family.lsvd.de)(1) hat auf der Grundlage langjähriger Beratungstätigkeit rund um die Familiengenese und den Familienalltag lesbischer Mütter, schwuler Väter und ihrer Kinder Sachinformationen, Erfahrungsberichte und Empfehlungen zusammengestellt. Dank der Unterstützung des BMFSFJ ist dieses Wissen jetzt in Form eines Beratungsführers erhältlich, via E-Mail zu bestellen bei: lsvd@lsvd.de:

Familien- und Sozialverein des LSVD, Hrsg. 2007. Regenbogenfamilien - alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogenes Fachpersonal, Köln.


(1) Da Regenbogenfamilien nicht ganz so alltäglich anzutreffen sind, liegt dem Projekt speziell die Vernetzung und der Erfahrungsaustausch zwischen den familienbezogenen "Akteuren" am Herzen. Netzwerk ILSE ("Initiative lesbischer und schwuler Eltern" im LSVD, www.ilse.lsvd. de) unterstützt zum Beispiel Regenbogenfamilien und Lesben und Schwule mit Kinderwunsch bundesweit. Kinder und Jugendliche in Regenbogenfamilien tauschen sich im Kids-Chat und Kids-Forum des LSVD aus (www.kids.lsvd.de).

(2) Eine Literatur- und Medienliste zu Regenbogenfamilien kann beim pro familia-Bundesverband angefordert werden.


Dr. Elke Jansen, Jahrgang 1962, ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin. Seit 2002 ist sie Leiterin des Projektes "Regenbogenfamilien" beim Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V (LSVD).
E-Mail: Elke.Jansen@lsvd.de


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 02/2008, Seite 25-27
Herausgeber: pro familia -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2009