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DISKURS/025: Freiwilligendienste in den globalen Süden - Wer profitiert hier von wem? (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 138, 4/16

Wer profitiert hier von wem?

Freiwilligendienste in den globalen Süden

von Rosa Liebe


Freiwilligendienste gelten als Möglichkeit, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und gleichzeitig Menschen im globalen Süden zu "helfen". Nach der Schule ein freiwilliges Sozialjahr zu absolvieren wird immer populärer. Aber wer kann solche Erfahrungen machen? Das Quix-Kollektiv beschäftigt sich in ihrer Bildungsarbeit mit queer-feministischen, postkolonialen Ansätzen, um koloniale Denkmuster zu reflektieren und zu verändern.


Kritische Bildungsarbeit im Bereich der Freiwilligendienste ist ein zentrales Thema, mit dem sich das Quix-Kollektiv [1] auseinandersetzt. Alle drei Gründer_innen haben selbst einen Freiwilligendienst absolviert und eine kritische Perspektive dabei vermisst. "Was ist eigentlich die Logik dahinter zu glauben, es sei kein Problem, als europäische Person in ein Land des globalen Südens zu gehen und dort vermeintlich zu helfen?", fragt Jana-Lou im Interview.

Dem Kollektiv erscheint eine intersektionale Perspektive in diesem Kontext wichtig. Sie haben in ihrer Arbeit immer wieder beobachtet, dass viele Organisationen und Träger_innen Begriffe wie Rassismus, Kolonialismus und Sexismus vermeiden. Stattdessen wird von "interkulturellem Lernen" gesprochen und mit Kulturkonzepten operiert, die eher von statischen Kulturen ausgehen, dabei aber Macht- und Herrschaftsverhältnisse unberücksichtigt lassen.


Koloniale Denkmuster ändern

Welche kolonialen Bilder werden durch Freiwilligenarbeit reproduziert und verstärkt? Wer wird wie von den entsendenden Organisationen abgebildet? Welche Machtverhältnisse stecken dahinter? Das sind Fragen, die das Quix-Kollektiv stellt: "Oft werden mehrere schwarze Personen, Kinder mit großen Augen und eine weiße Person in der Mitte abgebildet. Hegemoniale europäische Denkmuster bleiben durch solche Bilder präsent und werden damit weitergegeben." Die Kolonialgeschichte Europas gerät in Vergessenheit und wird ausgeblendet.

Gerade bei Freiwilligendiensten, die jungen Menschen die Möglichkeit bieten, sich im globalen Süden in einem Projekt oder in einer Organisation zu engagieren, ist es besonders wichtig, kritische Bildungsarbeit anzubieten. Diese Art der Freiwilligendienste findet in einem Setting statt, das ohne koloniale Denkmuster gar nicht existieren würde. "Die Idee, dass Weiße, europäische Freiwillige in den globalen Süden gehen, ist einfach sehr eng verwoben mit Kolonialismus.", so Jana-Lou.

Missionar_innen halfen den vermeintlich ungebildeten, unterentwickelten Gesellschaften dabei, sich zu "entwickeln" und sich so an europäische Kulturen anzupassen. Dieses Tun legte den Grundstein der Legitimation für kolonialistische Ausbeutung und brachte europäisches Verständnis von Schulbildung, aber auch hegemoniale Strukturen, religiöse Vorstellungen und gesellschaftliche Normen mit sich. Die Folge davon war die Zerstörung ganzer Gesellschaften und ein Machtungleichgewicht zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden.

In fast allen Fällen sind es weiße junge Menschen aus der europäischen Mittelschicht, die an Freiwilligenarbeit teilnehmen. Privilegiert sind die Freiwilligen in vielerlei Hinsicht - auch wenn man von Reisekrankenversicherung, finanzieller Absicherung und Visumausstellung absieht. Umgekehrt gibt es kaum Menschen aus dem globalen Süden, die die Möglichkeit haben, sich ein halbes Jahr Zeit zu nehmen, um Europa kennen zu lernen oder hier zu helfen.

Überdies fehlt auch im Auswahlprozess der Freiwilligendienste eine Südperspektive: Wer entscheidet, welche Projekte unterstützt werden? Werden die Menschen vor Ort in den Auswahlprozess miteinbezogen? Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre die kritische Reflexion von eigenen Privilegien und wie diese entstanden und reproduziert werden.


Groß träumen

Die Idee, Quix ins Leben zu rufen, ist ungefähr drei Jahre alt. Jana-Lou, Lena und Aljoscha* lernten sich während des Studiums der internationalen Entwicklung kennen, in dem sie sich intensiv mit entwicklungs- und rassismuskritischen wie auch mit queer-feministischen Perspektiven auseinandersetzten. Neben ihrem eigenen aktivistischen Hintergrund und ihrer politischen Arbeit führte vor allem ihre Beobachtung, dass bestimmte Themen und Perspektiven in diesem Arbeitsfeld nicht oder zu wenig besprochen werden, zur Gründung des Kollektivs. "Wir haben alle eine Passion für informelle Bildungsarbeit, und darum war es uns wichtig, diese Inhalte aus der Universität in andere Lernräume zu tragen", so Aljoscha* im Interview.

Gesellschaftliche Machtverhältnisse und deren Strukturen zu hinterfragen, für Diskriminierungen zu sensibilisieren und diese sichtbar zu machen ist die Motivation von Quix. Sich gegenseitig zu unterstützen, um nicht vereinzelt gegen Institutionen kämpfen zu müssen, ist eine der Visionen. "Im deutschsprachigen Raum gibt es einige andere rassismuskritische Kollektive und Gruppen. Was wir aber, vor allem in der Bildungsarbeit, wenig sehen, sind queere und feministische Perspektiven, die zusammen mit rassimuskritischen Perspektiven intersektional gedacht werden."


"Es gibt nicht nur die eine Perspektive ..."

Intersektionalität beschreibt Verflechtungen unterschiedlicher sozialer Kategorien wie Klasse, Geschlecht, Ethnizität oder Religion. "Vereinfacht heruntergebrochen, bedeutet das für uns, nicht zu vergessen, dass Menschen unterschiedliche Diskriminierungsverhältnisse erfahren. Intersektionalität hört sich sehr wissenschaftlich und theoretisch an. Im Grunde geht es aber um tatsächliche Verletzungserfahrungen, die Menschen im Alltag wegen ihrer unterschiedlichen Zugehörigkeiten machen. Eine Schwarze Frau im Rollstuhl macht eben nicht dieselbe Erfahrung wie eine Weiße Frau im Rollstuhl", erläutert Jana-Lou.

Intersektionale Verkreuzungen sind in gegenwärtigen Diskursen präsent. So meint Aljoscha* im Hinblick auf die Silvesternacht in Köln: "Welche Debatten werden darüber in der Öffentlichkeit geführt? Und welche konkreten Konsequenzen hat das für Menschen? Welche Zuschreibung erfahren sie als anders wahrgenommene Menschen?". Die intersektionale Perspektive bedeutet für Quix im Bereich der Bildungsarbeit, immer mitzudenken, dass Menschen unterschiedlich positioniert sind, dass sie unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen gemacht haben bzw. machen.


Wie geht es weiter mit Quix?

Bis Ende des Jahres dürfen wir uns auf eine neue Website und eine Broschüre freuen. Die Publikation, die eine kritische Perspektive auf Freiwilligendienste wirft, beinhaltet unterschiedliche Textformen, wie Erfahrungsberichte, kurze wissenschaftliche Texte, aber auch Gedichte, Illustrationen und vieles mehr.

Das Quix-Kollektiv erläutert, was wir uns erwarten können: "Es geht einerseits darum, gewisse Begrifflichkeiten niederschwellig zu klären: Was heißt Heteronormativität, und was hat das mit Entwicklung zu tun? Wie kann Disability und Entwicklung zusammengedacht werden? Uns ist es außerdem ein großes Anliegen, unterschiedlich positionierte Menschen abzubilden, sodass wir nicht nur heterosexuelle, cis und able-bodied Menschen haben, die hier schreiben. Gleichzeitig geht es auch um Südperspektiven, die im Kontext der Freiwilligenarbeit leider allzu oft keinen Platz bekommen."


Anmerkung: [1] "Quix ist ein Kollektiv von unterschiedlichen Menschen, die als Trainerinnen in der machtkritischen Bildungsarbeit tätig sind", so beschreibt sich das dreiköpfige Team selbst. Quixotic könnte versuchsweise übersetzt werden mit schwärmerisch, idealistisch, phantastisch oder auch "gegen Windmühlen ankämpfend". Der Name ist für das Kollektiv eine Mischung aus Mutwort und "weit denken und groß träumen, aber sich gleichzeitig auch manchmal klein fühlen bei all dem Mist, gegen den es anzukämpfen gilt". Warum Quix und nicht Quixotic? Damit wollte das Team vermeiden, an den Begriff der Exotik zu erinnern, der rassistische Assoziationsketten auslösen kann.

Webtipp: https://quixkollektiv.wordpress.com

Hörtipp: Das Interview zum Artikel wurde von Greta Egle im Rahmen der Globalen Dialoge auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt und ist nachzuhören unter: www.noso.at

Zur Autorin: Rosa Liebe studiert Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zu Intersektionalität sowie genderspezifischen Themen mit Fokus auf dem afrikanischen Kontinent.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 138, 4/2016, S. 7-8
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2017

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