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ARBEIT/585: Bangladesch - Rechte von Textilarbeitern weiterhin mit Füßen getreten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015

Bangladesch: Rechte von Textilarbeitern zwei Jahre nach Rana Plaza weiterhin mit Füßen getreten

von Naimul Haq und Kanya D'Almeida


Bild: © Obaidul Arif/IPS

Die meisten Beschäftigten der Textilindustrie in Bangladesch sind weiblich
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Dhaka/New York, 24. April (IPS) - Manche von ihnen wurden mit Eisenstangen verprügelt. Andere mussten mitansehen, wie ihre Familien mit dem Tode bedroht wurden. Eine schwangere Frau berichtete, mit Gardinenstangen attackiert worden zu sein.

Für die Beschäftigten in den etwa 4.500 Textilfabriken in Bangladesch gehören Übergriffe dieser Art längst zum Arbeitsalltag. Diejenigen, die nicht tätlich angegriffen werden, müssen andere Formen des Missbrauchs über sich ergehen lassen: unbezahlte Überstunden, sexuelle oder verbale Attacken sowie ein unsicheres und unhygienisches Arbeitsumfeld.

Vor zwei Jahren, als sich die Augen der Welt auf das südasiatische Land mit rund 156 Millionen Einwohnern richteten, hatten die Beschäftigten des riesigen Textilsektors noch gehofft, das die Zeit der systematischen Verstöße gegen das Arbeitsrecht vorbei seien. Der Einsturz der Fabrik Rana Plaza, bei dem am Morgen des 24. April 2013 etwa 1.100 Menschen starben und weitere 2.500 verletzt wurden, löste international Empörung aus. Es handelte sich um einen der schlimmsten Industrieunfälle in der jüngeren Geschichte.


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Bangladesch exportiert jedes Jahr Textilien im Wert von etwa 24 Milliarden US-Dollar
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Regierungsvertreter, einflussreiche Handelsorgane und große internationale Einkäufer von in Bangladesch gefertigter Kleidung versprachen, die eklatanten Missstände an den Produktionsstätten zu beheben. Der Textilsektor, der jedes Jahr Waren im Wert von ungefähr 24 Milliarden US-Dollar exportiert, gibt rund vier Millionen Menschen in dem Land Arbeit.


Arbeitsbedingungen nach wie vor eine Zumutung

Aus einem zum zweiten Jahrestag des Unglücks veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) geht allerdings hervor, dass trotz aller Zusicherungen das Dasein der rund 20 Millionen Menschen, die direkt oder indirekt von der Textilindustrie leben, nach wie vor ein Albtraum ist.

Der Report stützt sich auf Befragungen von etwa 160 Arbeitern in 44 Fabriken, die vorwiegend Handelsketten in Europa, Australien und Nordamerika beliefern. Demnach sind die Sicherheitsstandards immer noch niedrig, und Übergriffe gegen die Beschäftigten bleiben weiter an der Tagesordnung. Die Bildung von Gewerkschaften wird nach wie vor unterdrückt. Führende Aktivisten werden zum Ziel brutaler Angriffe und Einschüchterungen.

Im vergangenen Dezember beschloss die Regierung von Bangladesch eine Erhöhung des Mindestlohnes für Fabrikarbeiter von monatlich umgerechnet 39 auf 68 Dollar. Die Beschäftigten hatten hingegen mindestens 100 Dollar gefordert. Die Umsetzung der Neuregelung ging zudem schleppend vonstatten.

Laut Mushrefa Mishu, Vorsitzende einer Gewerkschaft, die etwa 80.000 Textilarbeiter vertritt, haben nur 40 Prozent der Arbeitgeber den Mindestlohn nach den gesetzlichen Vorgaben erhöht. Der größte Teil der Beschäftigten des Sektors, der 80 Prozent der Exporteinnahmen von Bangladesch erwirtschaftet und zehn Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, sind Frauen.


Internationale Handelsketten drücken Preise

Wie die Gewerkschaftschefin berichtet, werden die Arbeiterinnen finanziell ausgebeutet, da die Abnehmer die Preise drücken. Viele Fabrikbesitzer räumen ein, dass der Druck der Handelsketten, die Großaufträge erteilen, enorm sei. Die Markenproduzenten kalkulieren bei ihrer Preisgestaltung selten die Kosten für Sicherheit und geregelte Arbeitszeiten mit ein. "Für die Fabrikbesitzer sind diese Kosten eine schwere Bürde", erklärt Meenakshi Ganguly, Regionaldirektorin von Human Rights Watch für Südasien.

Die verheerenden Folgen für die Beschäftigten liegen auf der Hand. Eine im April 2014 verbreitete Untersuchung der Organisation 'Democracy International' kam zu dem Schluss, dass 37 Prozent der Arbeiter keinen Lohn bekamen, wenn sie krank wurden. In 29 Prozent der Fälle konnten Frauen keinen bezahlten Mutterschutz beanspruchen. Arbeiter, die das Produktionssoll nicht erfüllten, mussten Lohnabzüge hinnehmen.


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Nicht einmal die Hälfte der Textilfabrikanten zahlt den gesetzlichen Mindestlohn
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Laut HRW klagten die Beschäftigten in fast allen Fabriken darüber, Lohn und Sozialbeiträge weder in vollem Umfang und noch pünktlich zu erhalten. In der Regel sind sie zu Überstunden verpflichtet. Ihnen stehen keine angemessen ausgestatteten Sanitäranlagen und kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung.

Viele Textilarbeiter sehen den Abschluss von Tarifverträgen als größte Chance für humanere Arbeitsbedingungen. Doch fast überall in der Branche wird die Bildung von Gewerkschaften verhindert und Druck auf Aktivisten ausgeübt.


Hartes Vorgehen gegen Gewerkschaften

Obwohl Bangladesch die Konventionen 87 und 98 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifiziert hat, die den Zusammenschluss in Gewerkschaften und Tarifverhandlungen garantieren, müssen sich diejenigen, die in dem Land diese Rechte in Anspruch nehmen, auf harte Repressalien einstellen. "Ich selbst bin sieben Mal inhaftiert worden", sagt Mishu. "Später kam ich immer frei, weil keine Beweise gegen mich vorlagen. Mir konnte nur vorgehalten werden, meine Stimme zugunsten der Arbeiter erhoben zu haben. In solchen Fällen wird nicht verhandelt, sondern nur versucht, uns mit Gewalt zum Schweigen zu bringen."

HRW hat von ähnlichen Fällen erfahren. In dem Bericht wird ein Angriff auf vier Aktivisten der Gewerkschaft BFWS im Februar vergangenen Jahres erwähnt. Eines der Opfer wurde so schwer verletzt, dass es drei Monate im Krankenhaus behandelt werden musste. Die Aktivisten hatten Beschäftigten der mit koreanischem Kapital geführten Fabrik 'Chunji Knit Ltd.' lediglich beim Ausfüllen von Anträgen zur Aufnahme in die Gewerkschaft geholfen.

Eine Frau kam ins Krankenhaus, nachdem Männer sie mit Scheren attackiert hatten. Andere Aktivisten oder ihre Familien wurden mit dem Tod bedroht. "Wir haben herausgefunden, dass Fabrikbesitzer Kriminelle anheuern, um Gewerkschaftsfunktionäre einzuschüchtern und anzugreifen, oftmals außerhalb des Fabrikgeländes", sagt Ganguly. "Die Fabrikbetreiber streiten dann jegliche Verantwortung ab."


Aktivist entführt und ermordet

Eines der gravierendsten Beispiele für Menschenrechtsverletzungen ist der Fall des Aktivisten Aminul Islam, der nach Erkenntnissen von HRW "im April 2012 entführt, gefoltert und ermordet wurde". Bis heute sind die Täter nicht gefasst worden.

Auch wenn hart erkämpfte Reformen dazu geführt haben, dass die Zahl der Gewerkschaften, die beim Arbeitsministerium registriert sind, von zwei im Zeitraum 2011/2012 auf 416 in 2015 gestiegen ist, sind Textilarbeiter insgesamt betrachtet weiterhin schwach vertreten. Lediglich in zehn Prozent aller Textilfabriken im Land sind Gewerkschaften aktiv. Laut Ganguly können viele Fabrikbesitzer Vorschriften umgehen, da der Sektor in einem rasanten Tempo wächst.

1983/1984 arbeiteten etwa 120.000 Beschäftigte in 384 Produktionsstätten. Inzwischen sind es rund vier Millionen Menschen, die in 4.536 Fabriken schuften. Manche davon liegen versteckt in kleinen Hinterhöfen. Die unkontrollierte Expansion in den 1980er Jahren hat dazu geführt, dass zahlreiche Gebäude ebenso baufällig sind wie vor zwei Jahren Rana Plaza. Im Jahr 2012 hatte ein Brand in der Tazreen-Fabrik mit 112 Toten international für Schlagzeilen gesorgt.


Weitere Katastrophen programmiert

Solche Unglücke hat es in Bangladesch bereits vorher gegeben, und weitere Tragödien sind absehbar. Immerhin ist seit dem Einsturz der Fabrik Rana Plaza die Zahl der Inspektoren von 56 auf mehr als 800 erhöht worden. Die Kontrolleure, die Tausende Fabriken zu überwachen haben, werden von der ILO ausgebildet.

Die Überlebenden und die Hinterbliebenen der Todesopfer der beiden großen Fabrikunglücke warten indes weiter auf eine angemessene Entschädigung. ILO hat die benötigte Summe mit insgesamt rund 30 Millionen US-Dollar angegeben. Bisher haben Unternehmen und Organisationen jedoch nur 21 Millionen Dollar in den Fonds eingezahlt. Laut HRW haben 15 Firmen, deren Etiketten in den Trümmern von Rana Plaza gefunden wurden, bisher überhaupt keine Zahlungen geleistet. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/two-years-after-rana-plaza-tragedy-rights-abuses-still-rampant-in-bangladeshs-garment-sector/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2015

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