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ARBEIT/489: Chile - 'Sklaven des 21. Jahrhunderts', Leiharbeiter in Kupferminen kämpfen für Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Mai 2012

Chile: 'Sklaven des 21. Jahrhunderts' - Leiharbeiter in Kupferminen kämpfen für Rechte

von Marianela Jarroud



Santiago de Chile, 29. Mai (IPS) - Mehr als 80.000 Beschäftigte im chilenischen Kupferbergbau werden von privaten Firmen an Industrieunternehmen vermittelt. Sie arbeiten dort zu wesentlich schlechteren Konditionen als die reguläre Belegschaft. Gewerkschafter drohen nach ersten Protesten mit einem Generalstreik, sollten die Behörden nicht auf ihre Forderungen nach einer gerechteren Bezahlung eingehen.

"Zeit- und Leiharbeiter in der Kupferindustrie sind die Arbeitssklaven des 21. Jahrhunderts", sagt Cristián Cuevas von der Vereinigung der Leiharbeiter in Kupferminen (CTC). "Sie haben keine Rechte und soziale Absicherung und sind somit ohne Schutz."

Die meisten Leiharbeiter wehrten sich gegen Zustände, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zu Protesten geführt hätten, erklärt Cuevas. "Hundert Jahre später ist diese Arbeitsordnung eine tragende Säule des neoliberalen Wirtschaftsmodells." Die Leiharbeiter machen laut dem CTC-Vorsitzenden inzwischen zwei Drittel der Beschäftigten in der Kupferbranche aus.

Am 17. Mai brachte ein von der Gewerkschaft organisierter Streik den Betrieb in den von der staatlichen Kupfergesellschaft 'Codelco' verwalteten Minen vorübergehend zum Stillstand. Auch Leiharbeiter privater Bergbaufirmen unterstützten den Protest.

CTC wirft den Behörden vor, die nach den Streiks 2007 und 2008 erzielten Zugeständnisse bislang nicht umgesetzt zu haben. Sollte die Regierung nicht einlenken, werde die Gewerkschaft zu einem Generalstreik aufrufen, um eine angemessene Bezahlung der Leiharbeiter zu erreichen. Die Unternehmen werden zudem aufgefordert, von willkürlichen Entlassungen und Lohnkürzungen für diese Beschäftigten abzusehen.


Kupfer ist wichtigste Einnahmequelle des Staates

Kupferverkäufe bescheren dem Staat die höchsten Einnahmen. Codelco gilt international als Branchenführer und verfügt über die neuesten Technologien sowie hochspezialisiertes Personal. Die Gesellschaft wurde 1971 durch die damalige sozialistische Regierung von Präsident Salvador Allende verstaatlicht und verfügt über rund 20 Prozent der weltweiten Kupfervorkommen. In den vergangenen Jahren erzielte Kupfer an der Londoner Metallbörse Rekordpreise von mehr als vier US-Dollar das Pfund.

Die Gewinne von Codelco vor Abzug der Steuern stiegen 2011 um 21,2 Prozent und damit um 1,2 Milliarden Dollar. Das war der drittbeste Jahresabschluss in der Geschichte des Unternehmens, das im vergangenen Jahr rund 1,7 Millionen Tonnen Feinkupfer produzierte. Nach Angaben von Codelco stiegen die Einnahmen des Staates aus den Kupfergeschäften auf mehr als sieben Milliarden Dollar.

Von dem Boom können die Beschäftigtem bisher nicht profitieren. Laut Cuevas verdienen die meisten Arbeiter nicht mehr als umgerechnet 300 Dollar im Monat. "Es ist nicht hinnehmbar, dass ein so profitabler Industriezweig Tausende Menschen zu prekären Bedingungen arbeiten lässt", kritisiert er. Die Leiharbeiter seien sozial ungeschützt und könnten aufgrund kurzfristiger Verträge ihre Zukunft nicht planen.

Der Gewerkschaftschef kritisiert die riesige Kluft zwischen den regulär Beschäftigten und den Leiharbeitern. Die Ungleichheit werde bei den Löhnen, der Arbeitssicherheit und der Gesundheitsversorgung deutlich. "Die erworbenen Rechte der ständigen Beschäftigten sollen nicht in Frage gestellt werden. Wir wollen lediglich bessere Bedingungen für die Zeit- und Leiharbeiter erreichen."

In der weltgrößten privaten Kupfermine 'La Escondida', die von dem britisch-australischen Konzern 'BHP Billiton' betrieben wird, gebe es für 200 Arbeiter nur vier Duschen, prangert Cuevas an. Außerdem müssten sich mehrere Menschen ein Bett teilen.

Auch José Mardones, der Leiter der Gewerkschaft CUT in der Bergbaustadt Calama 1.670 Kilometer nördlich der Hauptstadt Santiago, bestätigt, dass die Leiharbeiter unter elenden Bedingungen schufteten. Das neoliberale System habe dazu geführt, dass es Arbeiter erster, zweiter und dritter Klasse gebe.


Straßenblockaden

Bei dem Ausstand am 17. Mai wurden mehrere Zufahrtsstraßen zu den Minen Chuquicamata, Gaby, Radomiro Tomic, El Abra, Hales und Andina blockiert. Demonstrationen fanden in Ventanas, La Escondida, Las Cenizas, El Soldado, Cerro Negro, Santa Bárbara und El Teniente statt.

Codelco spielte die Proteste herunter und erklärte, es sei nur zu "kleineren" Straßenblockaden gekommen. Cuevas bezeichnet die Aktionen jedoch als "Warnung" und ersten Schritt vor einem umfassenden Streik. "Wir haben deutlich gesagt, dass wir während eines Generalstreiks auch den regulär Beschäftigten den Zutritt auf die Werksgelände versperren werden", sagt er. "Wir rufen sie zur Solidarität mit uns auf. Denn wenn wir für unsere Rechte streiken, erledigen sie unsere Arbeit mit und verdienen viel zusätzliches Geld durch Überstunden und Doppelschichten, auch wenn dies die Arbeitsgesetze verletzt."

Cuevas hofft, dass Codelco und die privaten Firmen zu einem konstruktiven Dialog bereit sind. Andernfalls würde der Ausstand kurzfristig anberaumt. Er hält den Moment derzeit für günstig, da die Studentenproteste 2011 bereits ein Klima der sozialen Unruhe in dem südamerikanischen Land geschaffen haben. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2012