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ARBEIT/472: Gift- und Schadstoffe verkürzen produktive Lebenszeit um mehr als zehn Jahre (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. November 2011

Umwelt: Gift- und Schadstoffe verkürzen produktive Lebenszeit um mehr als zehn Jahre

von Stephen Leahy


Uxbridge, Kanada, 15. November (IPS) - Gift- und Schadstoffe wie Blei, Quecksilber, Chrom, Pestizide und Radionuklide verringern die produktive Lebenszeit von mehr als 100 Millionen Menschen um durchschnittlich 12,7 Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt das 'Blacksmith Institute' in seinem neuen Jahresbericht 'The World's Top Ten Toxic Pollution Problems 2011'.

Das ganze Ausmaß des Problems hat die internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in New York nach eigenen Angaben selbst überrascht. Die Studie berücksichtigt Menschen, die im Umfeld von 2.000 Giftabladeplätzen oder stillgelegten Industrieplätzen in 47 Staaten leben. "Da draußen gibt es aber noch viel mehr solcher verseuchter Orte", versicherte Bret Ericson, der an dem Report mitgewirkt hatte.

Um der Vergiftungsgefahr entgegenzuwirken, suchen Blacksmith und die auf Umweltgesundheit spezialisierte Partnerorganisation 'Green Cross Schweiz' die Zusammenarbeit mit bedrohten Ländern wie Vietnam. Dort basiert ein großer Teil der Wirtschaft auf sogenannten 'Handwerksdörfern' ('craft villages'). Doch anders als der Name vermuten lässt, sind in diesen Ortschaften informelle Industrien wie Aluminiumschmelzen angesiedelt.

"Diese Dörfer haben furchtbare Emissionsprobleme, die sich wiederum negativ auf die Gesundheit der dort lebenden Menschen auswirken", sagte Ericson. "Wir arbeiten mit der Regierung an Lösungen, die den Ausstoß giftiger Rückstände verringern und die Gesundheit der Menschen schützen sollen." So stellt Blacksmith etwa Messgeräte zur Spurenanalyse von flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) bereit.


Eigene Inventarliste verseuchter Gebiete

2008 hatten Blacksmith und Green Cross Schweiz eine eigene Inventarliste mit weltweiten verseuchten Arealen erstellt, bei denen es sich meist um verlassene Produktionsstätten in Entwicklungsländern handelte. Industrieanlagen, die noch in Betrieb sind, und die Produktionsstätten der petrochemischen Industrie wurden nicht mitgezählt.

Beide Organisationen haben in den letzten Jahren etliche verseuchte Gebiete gereinigt. Dazu gehören auch Dörfer im nordwestnigerianischen Bundesstaat Zamfara, wo in der Vergangenheit mehr als 400 Kinder an Bleivergiftungen gestorben sind. Tausende erlitten Gehirnschäden. Die Dorfbewohner hatten Gold aus Gesteinsbrocken gelöst, ohne zu wissen, dass das Erzgestein hochgradig bleihaltig war. Die Kinder inhalierten den in den Weilern latent vorhandenen bleihaltigen Staub.

Beim informellen Goldbergbau kommt es auch zum Einsatz von Quecksilber. "Ein Drittel dieses in der Umwelt befindlichen Schwermetalls stammt vermutlich aus dem Goldbergbau", meinte Stephan Robinson von Green Cross und fügte hinzu, dass bei der Herstellung von einem Gramm Gold zwei Gramm Quecksilber in die Umwelt gelangten.


Wachsende Gefahr durch steigende Nachfrage

So wie Blei ist auch Quecksilber ein nicht abbaubares Element. Die hohen Goldpreise, die nicht zuletzt auf die wachsende Nachfrage nach Schmuck zurückzuführen sind, verlocken viele Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika dazu, trotz der durch die Anwendung von Quecksilber verursachten Gesundheitsschäden Gold abzubauen.

Derzeit laufen Verhandlungen, um die weltweite Produktion und den Einsatz von Quecksilber weltweit zu verbieten. Ein globales Abkommen soll 2013 verabschiedet werden. Allerdings dürfte es schwierig werden, die Umsetzung der Übereinkunft in den ländlichen Gebieten zu gewährleisten. Blacksmith und Green Cross schätzen, dass das im Goldbergbau verwendete Quecksilber negative Auswirkungen auf die Gesundheit von zehn bis 20 Millionen Menschen hat.

Erwartet wird, dass die wachsende Nachfrage nach Metallen dazu führt, dass immer mehr Menschen unter miserablen Bedingungen im Bergbau tätig werden. Dem Blacksmith-Bericht zufolge gehören Bergbau und Metallverarbeitungsindustrie zu den weltgrößten Quellen gesundheitsschädlicher Gift- und Schadstoffe.

Da die Verseuchung gemeinhin als Umwelt- und weniger als Gesundheitsproblem betrachtet wird, gestaltet sich die Beschaffung der finanziellen Mittel zur Reinigung der verseuchten Gebiete als besonders schwierig. Das ist ein Grund, warum Blacksmith und Green Cross seit vielen Jahren die gesundheitlichen Folgen der bei Industrieprozessen anfallenden Rückstände untersuchen.

Die durch den Kontakt mit Schwermetallen und Giftstoffen entstehenden Krankheiten und Behinderungen stellen eine Last da, die Blacksmith und Green Cross mit Hilfe des Prinzips des Behinderungsbereinigten Lebensjahres ('Disability Adjusted Life Years - DALY) in Jahre umgerechnet haben. Demnach verkürzt sich die produktive Lebenszeit von Menschen, die in der Nähe von Gift- und Schadstoffquellen leben, um durchschnittlich 12,7 Jahre.

Gift- und Schadstoffe stellen somit eine ähnlich große Krankheitslast wie Malaria dar, wie Ericson betonte. "Wir haben es hier mit einem größeren öffentlichen Gesundheitsproblem zu tun, dass jedoch weithin im Verborgenen bleibt." (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.worstpolluted.org/files/FileUpload/files/2011/Worlds-Worst-Toxic-Pollution-Problems-2011-Report.pdf
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105833

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2011