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ARBEIT/471: ILO verankert Arbeitsrechte von Hausangestellten (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

Hausarbeit ist Arbeit!
ILO verankert Arbeitsrechte von Hausangestellten

Von Kathrin Pelzer


Nach langjährigem Einsatz zahlreicher Frauenorganisationen und sozialer Bewegungen für die Anerkennung des Haushalts als Arbeitsplatz verabschiedete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO - International Labour Organization) am 16. Juni 2011 in ihrer 100. Tagung die Arbeitsnorm "Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte (C 189)". Laut offiziellen Statistiken können 53 Mio. Hausangestellte weltweit - davon 85% Frauen und Mädchen - ihre Arbeitsrechte mit dieser Konvention geltend machen. Inoffiziellen Schätzungen zufolge sind sogar etwa 100 Mio. Menschen in Haushalten erwerbstätig. Im Juli 2011 sprach die Vorsitzende des Dachverbandes der brasilianischen Hausangestellten (FENATRAD), Creuza M. de Oliveira(1), mit der Frauensolidarität über die Herausforderungen der Gewerkschaftsarbeit in diesem Arbeitssektor und über die Bestrebungen, diesen Bereich rechtlich zu verankern.


Mächtig im Kollektiv

Weltweit wird der Privathaushalt zu einem der am schnellsten wachsenden Arbeitsmärkte für Frauen und dabei insbesondere für Migrantinnen. In Lateinamerika und der Karibik, Asien und Afrika arbeiten zwischen 10% und 18% der erwerbstätigen Frauen in privaten Haushalten. In arabischen Ländern sind es teilweise über 40%. In Brasilien arbeiten laut Schätzungen acht Mio. Menschen in den Privathaushalten, dies entspricht 10% der Bevölkerung. Nur 2,5 Mio. der brasilianischen Hausangestellten sind registriert.

Für die Hausangestellten ist eines der größten Probleme, dass sie keinen Arbeitsvertrag besitzen. Folglich sind sie auch von jeglicher Teilhabe an sozialem und arbeitsrechtlichem Schutz ausgeschlossen, sofern dieser überhaupt besteht. 70 Jahre hat es in Brasilien gedauert, bis grundsätzliche Arbeitsrechte wie Mutterschutz, Mindestlohn, geregelte Arbeitszeiten und das Anrecht auf Pensionszahlungen durchgesetzt wurden. Die Kontrolle der Einhaltung der Rechte bleibt dabei weiterhin die große Herausforderung für Frauenorganisationen und Gewerkschaften.

Neben den rechtlichen Mängeln ist ein wesentliches gesamtgesellschaftliches Problem die geringe Wertschätzung der im Haushalt geleisteten Arbeit und damit der gesamten Branche. Diese Abwertung der Arbeit im Haushalt führt auch zu einem niedrigen Selbstwertgefühl der Hausangestellten, die zusätzlich in einem hochgradig isolierenden Arbeitsumfeld tätig sind. Diese beiden Komponenten erschweren die Organisierung von Hausangestellten und steigert die Abhängigkeit gegenüber den DienstgeberInnen. Für Gewerkschafterinnen wie die Brasilianerin Creuza M. de Oliveira ist es daher wesentlich, speziell mit den feministischen Bewegungen in Kontakt zu sein, um Frauen allgemein in ihrem Selbstverständnis und ihren rechtlichen Möglichkeiten zu stärken.

Creuza Oliveira ist seit mehr als 30 Jahren Gewerkschafterin und war selbst Hausangestellte. Sie kennt die Diskriminierungen gegenüber Frauen und die Abwertung ihrer Leistung. Sie ist Vorsitzende des Dachverbandes der nationalen Hausangestelltengewerkschaft FENATRAD, deren Mitglieder zu 97% Frauen sind. "In unserer Arbeit herrscht als oberstes Prinzip die Selbstermächtigung der Frauen und ihre politische Partizipation. Wo Entscheidungen getroffen werden, gilt es für uns, selbst beteiligt zu sein und nicht vertreten zu werden."

Die Kooperation mit der Bewegung der AfrobrasilianerInnen ist ein zentraler Punkt der Arbeit von FENATRAD, da mit 96% überwiegend schwarze Frauen in den brasilianischen Haushalten angestellt und mit Rassismus konfrontiert sind.


Eine Konvention für uns!

"Endlich wurde eine Konvention auch für uns verabschiedet! Nur wir fehlten noch, alle anderen ArbeitnehmerInnen hatten ein für sie spezifisches Übereinkommen. Diese Verabschiedung war nicht nur für uns ein Erfolg, sondern auch für die ILO als Sprachrohr für alle ArbeitnehmerInnen weltweit", erklärt die Gewerkschafterin bezüglich des weitreichenden Ausmaßes der Konvention C 189, an der de Oliveira selbst mitgearbeitet hat. Klare Regelungen wie das Recht auf Kollektivverhandlungen, begrenzte Arbeitszeiten und Entlohnung, die nicht auf Sachbezügen beruht, sind u. a. darin behandelt und verankert.

Diese Konvention ist ein Durchbruch für die erstmalige Anerkennung eines Bereichs der informellen Wirtschaft als wesentlicher ökonomischer Faktor. Die ILO hat erkannt, dass es essentiell ist, diesen rasant wachsenden Sektor mit adäquaten Rechten auszustatten. Aktuell hat die Mehrheit der globalen Erwerbsbevölkerung keinen Zugang zu arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen und sozialen Leistungen, wie sie von ArbeitnehmerInnen in der formellen Wirtschaft erkämpft wurden.

Prognosen der OECD(2) zufolge wird die Zahl informell Beschäftigter bis 2020 auf zwei Drittel der globalen Erwerbsbevölkerung ansteigen. Die Hausarbeit ist ein Teil dieser zunehmenden informellen Arbeitsverhältnisse. Die Leistung im Haushalt wurde und wird seitens der Mehrheitsgesellschaft nicht als produktive Arbeit betrachtet, weil sie nach den aktuell herrschenden wirtschaftlichen Kriterien keinen "Profit" erwirtschaftet. Dabei wird gänzlich ausgeklammert, welche Grundbedürfnisse über die Leistungen im Haushalt aufrechterhalten und erfüllt werden. Speziell ausgeklammert wird gerne, dass gerade die wachsende Nachfrage nach Hausangestellten und ihren Tätigkeiten im Privathaushalt erst die Voraussetzungen schafft, die formelle oder "produktive" Wirtschaft zu stützen.


Hindernisse auf der Zielgeraden

Der Weg zur Umsetzung von globalen Arbeitsstandards für Hausangestellte ist mit der Verabschiedung der Konvention C 189 erst am Anfang. Im Vorfeld gab es heftige Diskussionen und bestehende Vorbehalte dagegen. Creuza M. de Oliveira ist Mitglied der ILO-Kommission zur Erarbeitung der Konvention "Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte". Besonders die RepräsentantInnen der Regierungen und ArbeitgeberInnen der Europäischen Union waren gegen die Konvention, so die Gewerkschafterin. Mehrmals kam von europäischer Seite der Wunsch, die Konvention in eine - schwächere - Recommendation (Empfehlung) umzuwandeln, die weniger weitreichende Auswirkungen und Verbindlichkeiten beinhaltet hätte.

Neben dieser grundsätzlichen Debatte zur Form der Verankerung gab es auf rechtlicher Ebene heftigste Widerstände im Bereich der Migration und der Legalisierung der Arbeitnehmerinnen. Auch die Regulierung der Arbeitszeiten wurde laut Creuza M. de Oliveira seitens der Europäischen Union blockiert. Diese Abänderungsversuche wurden nicht angenommen, und mit einer überwiegenden Mehrheit von 396 Stimmen (16 Gegenstimmen und 63 Enthaltungen) wurde die Konvention verabschiedet.

Allerdings ist die Konvention noch nicht ratifiziert und damit zum aktuellen Zeitpunkt völkerrechtlich nicht bindend. Zwei ILO-Mitgliedsstaaten sind hierfür notwendig, wobei Brasiliens Präsidentin - Dilma Rousseff - bereits ihre Unterstützung zugesagt und betont hat, der erste Staat sein zu wollen, der dieses wichtige Dokument ratifiziert. Auch die Regierungsvertretungen Argentiniens und Boliviens zeigten in der 100. Sitzung der ILO starkes Interesse an der Ratifizierung, so Creuza M. de Oliveira. Der Aufruf ergeht nun an die EntscheidungsträgerInnen der ILO-Mitgliedsstaaten, diese Konvention zu unterzeichnen, damit sie Teil der jeweiligen nationalen Legislative wird. Auch wenn manche der ILO-Mitgliedsstaaten das Übereinkommen nicht ratifizieren, ist dieses doch ein wesentlicher Bezugspunkt und ein Referenzsystem, dessen Inhalte für die Verteidigung von Hausangestellten und deren Rechte genutzt werden kann.

Die im Vorfeld der Entstehung dieses Dokuments geleistete Mobilisierung durch ein breites Bündnis von Frauenaktivistinnen, Verbänden und Gewerkschaften der Hausangestellten und weiteren sozialen Bewegungen wird diese Konvention und ihre Ziele weitertragen. Ein Schritt hin zur gesellschaftlichen Neubewertung von Arbeit wurde gemacht, und es gilt diesen Weg weiterzuverfolgen. "Gemeinsam mit unseren weltweiten Bündnissen wird diese Konvention ein Teil unseres normalen Arbeitsalltags werden", wie es Creuza M. de Oliveira treffend formuliert.


Anmerkungen:

(1) Creuza Maria de Oliveira ist Mitglied der Kommission, die innerhalb der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) an der Ausarbeitung der Konvention für die würdige Arbeit der Hausangestellten teilnahm. Sie ist auch Gründerin der Hausangestelltengewerkschaft Sindoméstico im brasilianischen Bundesstaat Bahia.

(2) Die OECD - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - ist eine internationale Organisation mit 34 Mitgliedsstaaten mit eher hohem Pro-Kopf-Einkommen. Ihr Sitz ist in Paris.


Lesetipps:

toolkit: Globale Arbeitswelten aus Genderperspektive.
Herausgeberin: Frauensolidarität (Wien 2011).
Bestellbar unter: kampagne@frauensolidaritaet.org.

Neuhauser, J.: Zwischen Anpassung und Widerstand.
Hausarbeiterinnen im Zentrum und an der Peripherie. (Wien / 2011)

Hörtipp:
Das vollständige Interview von Kathrin Pelzer mit Creuza M. de Oliveira vom 19. Juli im Rahmen der Globalen Dialoge können Sie hier downloaden: http://noso.at/?m=201107


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
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andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2011