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INTERVIEW/449: Trumps Amerika - Rüstung und Kriege ...    William Hartung im Gespräch (SB)


Interview mit William Hartung am 9. August 2019 in New York


William Hartung, Leiter des Arms and Security Project am Center for International Policy (CIP) und ehemaliger Leiter des Arms Trade Resource Center am World Policy Institute, gehört zu den kenntnisreichsten Rüstungsexperten und Gegnern des Militarismus der USA. Er hat Bücher über korrupte Machenschaften bei der Rüstungsbeschaffung im Pentagon, die Entstehung des militärisch-industriellen Komplexes am Beispiel Lockheed Martin und den Irakkrieg verfaßt. Seine Artikel und Gastkommentare erscheinen unter anderem bei der New York Times, der Washington Post, dem Bulletin of Atomic Scientists und The Nation. Am 9. August führte der Schattenblick ein Interview mit Hartung im Szenecafé Wu & Nussbaum an der Upper Westside von Manhattan.


William Hartung im Porträt - Foto: © 2019 by Schattenblick

William Hartung
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Hartung, inwieweit hat in den USA die Deindustralisierung und die Verlagerung von Produktionsstätten in die Volksrepublik China und andere Billiglohnländer zu einer Stärkung des politischen Einflusses des ohnehin mächtigen Rüstungssektors geführt?

William Hartung: Zweifelsohne stärkt der Rückgang der Arbeitsplätze in den anderen Industriesektoren die Position der Waffenhersteller gegenüber Kongreß und Weißem Haus. In den Rüstungsbetrieben findet man in der Regel gut bezahlte Arbeitsplätze vor, deren Inhaber auch meistens gewerkschaftlich organisiert sind. Das Wohlergehen dieser Firmen und der Erhalt jener Arbeitsplätze sind für die US-Politik als ganzes wie auch für die jeweiligen Kongreßabgeordneten und Senatoren in den Bezirken und Bundesstaaten, wo die Firmen ihren Sitz und/oder ihre Produktionsstätten haben, enorm wichtig. Nicht zufällig hat Donald Trump in letzter Zeit Reden in einer Panzerfabrik in Ohio und in einer Kampfjetfabrik in South Carolina gehalten, wie er auch bei jeder Gelegenheit die von ihm eingefädelten Waffendeals mit Saudi-Arabien anpreist. Offenbar gilt dem amtierenden US-Präsidenten die Sicherung von Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie als wichtiges Argument in seiner Kampagne um die Wiederwahl 2020. Des weiteren hat Trump einer beträchtlichen Anzahl von Rüstungslobbyisten wichtige Posten in seiner Regierung anvertraut - bestes Beispiel der neue Verteidigungsminister Mark Esper, der bis vor kurzem beim Raketenhersteller Raytheon Vizepräsident für Regierungsbeziehungen war.

Um Ihre Eingangsfrage zu beantworten, kann ich der These nur zustimmen, daß der Mangel bzw. der Rückgang an sonstigen Industriearbeitsplätzen in der US-Volkswirtschaft in der Tat das politische Gewicht des Rüstungssektors vergrößert hat. Dieser bereits vorhandene Effekt wird zudem durch Trumps demonstrative Umarmung der Rüstungslobby in den letzten zweieinhalb Jahren extrem verstärkt. Der ehemalige Immobilienhai aus New York spielt sich auf noch aggressivere Weise als alle vorherigen Präsidenten als Freund und Interessenvertreter des militärisch-industriellen Komplexes auf.

SB: Auf der einen Seite strebt das Pentagon unter dem Stichwort "Third Offset Strategy" offiziell die Anschaffung hochmoderner High-Tech-Waffen an, die jeden Gegner, metaphorisch gesprochen, in Schockstarre versetzen sollen, auf der anderen hat vor einiger Zeit das Office of Industrial Policy im Verteidigungsministerium eine Studie herausgegeben, die gewaltige Lücken und schwere Unzulänglichkeiten in den bereits existierenden Produktionsketten im Rüstungssektor der USA offenbart. Wie kann man sich diesen Widerspruch erklären? Müßte man den Verantwortlichen im Pentagon nicht vorwerfen, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen?


Luftaufnahme des Pentagons mit dem Fluß Potomac und Washington D. C. im Hintergrund - Foto: © 1998 by Master Sgt. Ken Hammond, U.S. Air Force, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Das Pentagon-Gebäude in Arlington, Virginia Foto: © 1998 by Master Sgt. Ken Hammond, U.S. Air Force, gemeinfrei via Wikimedia Commons

WH: Ich denke, im Pentagon herrschen zwei Grundprinzipien vor. Erstens möchte man dort niemals auf irgendwelche Programme verzichten. Deswegen werden ältere Waffensysteme wie Flugzeugträger, Kampfjets und Bomber munter weiter gebaut. Zweitens will man in Sachen künstliche Intelligenz, Cyberkriegtechnologie und High-Tech-Waffen wie Hyperschallraketen ganz vorne an sein. Das Ganze erinnert an die Stadtlandschaft von Rom, wo oben immer neue Schichten darübergebaut werden, während die archäologischen Fundamente darunter stets erhalten bleiben. Der Drang, Bestehendes zu erhalten und gleichzeitig alles Neue zu bekommen, führt innerhalb des Militärapparats unter den verschiedenen Waffengattungen - Heer, Luftwaffe, Marine, Marineinfanterie und nun auch dem vor kurzem kreierten Weltraumkommando - zu Spannungen und Streit um Vergabe und Zuteilung von Mitteln.

Des weiteren hängen die Rüstungslieferanten des Pentagons sehr an den existierenden Waffenprogrammen, denn die Gelder fließen, die Fertigung läuft und man muß kein System neu entwickeln. Ich denke, die Interessen der Industrie an den vorhandenen Projekten machen die Debatte darum kompliziert, welche Technologien in militärischer Hinsicht für die Zukunft gefördert werden sollen. Hinzu kommt, daß die großen Rüstungskonzerne stets sehr schnell dabei sind, die kleinen Firmen, welche sich die modernsten Waffensysteme ausdenken und Prototypen entwickeln, aufzukaufen, um unliebsame Konkurrenz aus dem Feld zu räumen und selbst die Kontrolle über die technologische Entwicklung zu behalten. Doch gerade diese Firmenpolitik der großen Unternehmen führt meines Erachtens zu mehr Bürokratie und weniger Innovation. Die Großkonzerne sind Weltspitze wenn es um Lobbyarbeit in Washington geht. Bei der Entwicklung neuer Produkte mit einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis sind sie weit weniger gut.

SB: Die Mängel, die in der bereits erwähnten INDPOL-Studie hervorgehoben wurden, beziehen sich nicht allein darauf, daß die USA nur noch über eine Panzerfabrik und eine einzige Werft verfügen, in der Atom-U-Boote gebaut werden. Vielmehr wurde auch auf die zunehmende Überalterung jenes technischen Personals hingewiesen, das die im Einsatz befindlichen Waffensysteme herstellt und betreut. Offenbar entstehen allmählich Wissenslücken, die nicht mehr kompensiert oder gefüllt werden können. Was meinen Sie dazu?


Der X-35-Kampfjet beim Testflug über der Edwards Air Force Base in Kalifornien - Foto: © 2006 by United States Airforce (USAF), gemeinfrei via Wikimedia Commons

Der Joint Strike Fighter F-35 in seiner früheren Testversion X-35
Foto: © 2006 by United States Air Force (USAF), gemeinfrei via Wikimedia Commons

WH: Die Probleme sind schon länger bekannt. Für die jüngere Generation gilt die Rüstungsindustrie als verstaubt, deswegen sind die Arbeitsplätze dort für viele junge hochqualifizierte Menschen nicht sonderlich attraktiv. In letzter Zeit hat es zudem bei Google und anderen IT-Unternehmen Proteste von Teilen der Belegschaft gegen die Annahme und Durchführung umstrittener Rüstungsaufträge im Bereich der künstlichen Intelligenz, der Programmierung von Drohnen, zur Überwachung des Internets und der sozialen Medien et cetera gegeben. Aus meiner Sicht sind die Abneigung und die Skepsis seitens der jüngeren Generation gegenüber dem militärisch-industriellen Komplex nur zu begrüßen, denn er ist meines Erachtens viel zu groß und gehört radikal geschrumpft. Die große Nachfrage des Rüstungssektors nach hochgebildeten Ingenieuren und Programmierern ist das unmittelbare Ergebnis eines Wehretats, der schon länger alle vernünftigen Grenzen gesprengt hat. Bekämen Kongreß und Weißes Haus den Verteidigungshaushalt in den Griff, löste sich das Problem des fehlenden Nachwuchses im Rüstungsbereich von selbst.

SB: Steht der Militärkoloß USA nicht auf tönernen Füßen? Welche Lehren zieht man nach achtzehn Jahren sinnlosen Krieges in Afghanistan außer vielleicht der naheliegenden, daß das US-Militär besser den berühmten Rat Douglas McArthurs nach dem Desaster in Korea 1950-1953, sich auf keinem Fall auf einen Landkrieg in Asien einzulassen, gefolgt wäre?

WH: Ich denke, die USA verfügen schon über ein starkes Militär, das jedoch ungeeignet für die Kriege ist, welche Washington in den letzten Jahren geführt hat. Im Irak haben die US-Streitkräfte das "Regime" Saddam Husseins in wenigen Wochen gestürzt, waren jedoch durch den danach aufgekommenen Aufstand sunnitischer und schiitischer Milizen völlig überfordert. Eine Besatzungsmacht hat es immer schwer, denn die Aufständischen sind weit stärker motiviert. Sie kämpfen um ihr Land und betrachten die ausländischen Soldaten als Besatzer. Letztere sind in einem fremden Land mit fremder Sprache und fremden Sitten, fühlen sich von Feinden umgeben und überreagieren ständig. Man kann kein Land zur Kapitulation bombardieren, solange dort der Wille zum Widerstand ungebrochen bleibt. Ich denke, daß im Irak, in Afghanistan und in vielen Ländern, wo US-Truppen in den letzten Jahren eingesetzt werden, politische Probleme vorherrschen, für die militärische Mittel keine Lösung bieten.

Wenn man die Menge der Waffensysteme, Kriegschiffe, Kampfjets, Panzer, Raketen et cetera aufzählt, verfügen die USA tatsächlich über eine sehr große und schlagkräftige Streitmacht. Setzt man diese Schlagkraft in schwierigen Situationen wie denen im Irak und in Afghanistan ein, löst man, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, keine Probleme, sondern verursacht Leid und Zerstörung in einem ungeheuren Ausmaß.

SB: Liegt man richtig in der Annahme, daß Rußlands Hyperschallraketen, sollten sie so existieren und funktionieren, wie von Wladimir Putin behauptet, das Raketenabwehrsystem der USA bzw. der NATO in Osteuropa obsolet gemacht haben?

WH: Unabhängig vom tatsächlichen Stand der Entwicklung russischer Hyperschallraketen ist das Raketenabwehrsystem der USA in mehrerlei Hinsicht problematisch und potentiell unzuverlässig. Erstens kennt die Bedienungsmannschaft der Radar- und Raketensilos bis zum letzten Moment nicht den genauen Abschußort der feindlichen Rakete und kann erst dann mit der Berechnung ihrer Bahn beginnen. Zweitens gibt es zahlreiche Mittel - Stichwort Attrappen - mittels derer der Angreifer den Abschuß des Sprengkopfs im mittleren oder letzten Teil seines Flugs praktisch unmöglich machen kann. Setzt der Angreifer mehrere Raketen auf einmal ein, was auch das wahrscheinlichste Szenario wäre, ist das Raketenabwehrsystem schnell überfordert. Einen Treffer zu erzielen wäre reine Glücksache. Meiner Meinung nach haben Befürworter und Hersteller des Raketenabwehrsystems stets mehr versprochen als es leisten konnte. Hyperschallraketen verschärfen lediglich das ohnehin bestehende Problem der Funktionsuntüchtigkeit.


Senkrecht startende, schimmernde PAC-3-Rakete vor blauem Abendhimmel - Foto: © 2008 by Missile Defense Agency der USA, gemeinfrei via Wikimedia Commons

Start einer Abfangrakete vom Typ PAC-3 Foto: © 2008 by Missile Defense Agency der USA, gemeinfrei via Wikimedia Commons

SB: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, den der MIT-Physiker Theodore Postol vor einigen Monaten in einem aufsehenerregenden Beitrag für das Bulletin of Atomic Scientists erhoben hat, wonach die in Osteuropa installierten Raketen im Handumdrehen von Defensiv- in Offensivwaffen verwandelt werden können und somit das Aegis-on-Land-System der USA in Rumänien - und demnächst auch in Polen - von vornherein einen Verstoß gegen den INF-Vertrag darstellte, wie von Moskau stets behauptet?

WH: Ich kann dazu keine endgültige Aussage treffen, denn ich kenne mich im Text des INF-Vertrag nicht hundertprozentig aus. Gleichwohl scheint es der Fall zu sein, daß das in Osteuropa in Betrieb genommene Raketenabwehrsystem Aegis tatsächlich mit wenigen Handgriffen oder Umprogrammierungen zu einem Offensivsystem umfunktioniert werden kann. Was mir noch größere Sorge bereitet ist die drohende Gefahr der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Asien - gegen die Volksrepublik China und Nordkorea gerichtet - nach dem Auslaufen des INF-Vertrags letzte Woche. Ein solcher Schritt wäre enorm destabilisierend. Wobei derzeit nicht klar ist, wo diese neuen Mittelstreckenraketen stationiert werden sollen. Es sieht nicht so aus, als würden sich die US-Verbündeten in der Region wie Südkorea oder Japan darum reißen, diese Raketen auf ihrem Territorium stationiert zu bekommen.

SB: In Anbetracht der zahlreichen Entwicklungsprobleme des Kampfjets F-35, des teuersten Rüstungsprojekts der US-Militärgeschichte, über das Sie viel geschrieben haben, stellt sich die Frage, ob nicht der Drang, in den modernsten Waffensystemen wie Drohnen künstliche Intelligenz einzusetzen, ein hochgefährliches und inakzeptables Risiko darstellt.

WH: Die bislang miserablen Erfahrungen mit der Einführung moderner High-Tech-Waffen in das Arsenal der US-Streitkräfte liefern jedenfalls keinen Grund zum Optimismus. Das Gegenteil ist der Fall. Je komplizierter die Technologie, um so weniger ihre Zuverlässigkeit - so in etwa könnte man das Dilemma charakterisieren. Aktuell wird die künstliche Intelligenz als das ganz große Ding verkauft. Ich sehe aber nur die Probleme, die sie mit sich bringt, vor allem im Bereich der Kontrolle und der Gewährleistung, daß die Systeme am Ende so funktionieren, wie sie es sollen, und sich nicht plötzlich auf einmal selbständig machen. Die zu erwartenden Schwierigkeiten hat man nicht einmal ansatzweise erörtert geschweige denn ausdiskutiert. Statt dessen lassen sich alle von einem blinden Technologieenthusiasmus mitreißen.


Eine Predator-Drohne kurz vor dem Start im Irak - Foto: © 2008 by Technical Sergeant Sabrina Johnson von der US-Luftwaffe, gemeinfrei viaWikimedia Commons

Eine bewaffnete Predator-Drohne vom Typ MQ-1B Foto: © 2008 by Technical Sergeant Sabrina Johnson von der US-Luftwaffe, gemeinfrei viaWikimedia Commons

SB: Im Juni hat die New York Times enthüllt, daß die Trump-Regierung dem US-Militär die heimliche Installierung elektronischer Trojaner im staatlichen Stromnetz Rußlands genehmigt hat. Im selben Monat enthüllte die renommierte Federation of American Scientists die jüngste Atomkriegsplanung der USA, die sogenannte Joint Publication 3-72, welche die Entscheidung über den taktischen Einsatz von Kernwaffen den im Kampf stehenden Feldkommandeuren überläßt. Wäre es vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, der politischen Führung in Washington vorzuwerfen, sie drücke sich in der Frage von Krieg und Frieden bzw. der Handhabung der gefährlichsten Waffen der Welt, vor ihrer Verantwortung?

WH: Nach meinem Dafürhalten handelt die amtierende US-Regierung fahrlässig in sicherheitspolitischen Belangen im allgemeinen und auf dem Feld der Atomwaffen im besonderen. Die aggressive Rhetorik, derer sich Präsident Trump bedient, Washingtons Mißachtung bestehender internationaler Verträge wie das Atomabkommen mit dem Iran und die ablehnende Haltung der USA gegenüber dem Prinzip der multilateralen Zusammenarbeit - alle diese Dinge machen einen Krieg unter Einsatz von Kernwaffen wahrscheinlicher, sei es durch Absicht oder Zufall. Gestandene Mitglieder der sicherheitspolitischen Elite in Washington wie Ex-Verteidigungsminister William Perry haben die Gefahr erkannt und machen sich deshalb seit einiger Zeit für neue Abrüstungsverträge sowie die Stärkung der noch bestehenden wie dem Nicht-Verbreitungsabkommen stark.

SB: Kürzlich hat die Trump-Administration die JASON Defense Advisory Group, die seit den 60er Jahren unabhängige wissenschaftlichen Studien für das Pentagon erstellt hatte, abgeschafft. Ist dieser Schritt nicht symptomatisch für einen generellen Trend seitens der US-Politik, schwierige Entscheidungen über Sinn, Zweck und Form der diversen Kriegseinsätze der amerikanischen Streitkräfte im Ausland der militärischen Führung zu überlassen?


Vier nukleare B-61-Fliegerbomben im gelben Metallträger - Foto: © 1986 by United States Department of Defense (SSGT Phil Schmitten), gemeinfrei via Wikimedia Commons

Vier Wasserstoffbomben vom Typ B-61 Foto: © 1986 by United States Department of Defense (SSGT Phil Schmitten), gemeinfrei via Wikimedia Commons

WH: Ich denke, die JASON-Gruppe hat sich durch ihr jahrelanges Bemühen um alternative Perspektiven in wichtigen militärisch-wissenschaftlichen Belangen als absolut sinnvolle Einrichtung erwiesen. Sie hat sich zum Beispiel gegen die Behauptung ausgesprochen, das US-Atomwaffenarsenal verfalle allmählich und müsse dringend und für sehr viel Geld modernisiert werden. Statt dessen haben die JASON-Experten nachgewiesen, daß die vorhandenen Sprengköpfe dank laufender Wartung und regelmäßigen Austausches alternder Teile voll funktionsfähig sind und es auf Jahrzehnte hinaus bleiben werden. Doch da sich Kongreß und Weißes Haus unter Barack Obama auf eine Generalüberholung des Atomwaffenkomplexes geeinigt hatten, war die gegenteilige Expertise der JASON-Leute offenbar politisch nicht willkommen.

Ich halte die Einholung unabhängiger Meinungen und Einschätzungen für dringend geboten, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. So gesehen ist das Aus für die JASON-Gruppe nach mehr als fünfzig Jahren ausgezeichneter Arbeit ein weiterer Aspekt des Erstarkens des Militärs in den USA zuungunsten der Politik. Das ist im höchsten Maße bedenklich, denn in der amerikanischen Verfassung sind die Generäle der politischen Führung untergeordnet und nicht umgekehrt.

SB: Machen nicht das Pochen der USA auf ihren Supermachtstatus und ihre Absage an eine multipolare Weltordnung einen Atomkrieg entweder mit Rußland oder China oder beiden unvermeidlich? Wie müßte politische Veränderung in den USA aussehen, um diese schreckliche Gefahr zu reduzieren?

WH: Ich weiß nicht, ob ich den Atomkrieg als unvermeidlich bezeichnen würde. Man kann jedoch sagen, daß Washingtons Rückzug aus den wichtigsten strategischen Rüstungsverträgen die Möglichkeit des Ausbruchs eines nuklearen Infernos um ein Vielfaches erhöht. Es gibt noch verschiedene Handlungsoptionen, um das neu ausgebrochene nukleare Wettrüsten vielleicht wieder in den Griff zu bekommen. Erstens kommt es immer wieder zu Aktionen des zivilen Ungehorsams seitens radikaler Friedensgruppen wie der "Schwerter-zu-Pflugscharen"-Bewegung. Gerade die Mitglieder solcher Gruppen nehmen schwere Repressionen des Staates gegen sich im Kauf, um mit ihren Blockaden und Besetzungen von Rüstungsbetrieben und Militäreinrichtungen die Öffentlichkeit auf die ungeheuren Gefahren hinzuweisen, die für die Menschheit von Atomwaffen ausgehen. Daneben sind in Washington und den anderen Hauptstädten verschiedene Denkfabriken im Bereich der Rüstungskontrolle tätig, machen sich für den Erhalt und Ausbau der verschiedenen Abkommen stark, erstellen Studien et cetera.

Leider scheinen die Zeiten vorbei zu sein, als eine Million Menschen im New Yorker Central Park zur Demonstration gegen Atomwaffen zu mobilisieren waren. Dies geschah 1982 und zwar gegen die aggressiven Aufrüstungspläne Ronald Reagans. Nichtsdestotrotz muß es denjenigen Menschen in den USA, die am internationalen Frieden interessiert sind, gelingen, stärker für ihr Anliegen zu werben. Ein Teil des Desinteresses in der Öffentlichkeit für das Thema Atomwaffen und Rüstungskontrolle geht auf die Person Donald Trump zurück. Der amtierende US-Präsident ist ohnehin ein wandelndes Nationaldesaster, aber mit seinen ständigen Twitter-Meldungen besetzt er die Aufmerksamkeit der Medien und der einfachen Nachrichtenkonsumenten. Daß alle ständig auf die jüngste Stellungnahme des Präsidenten zu Gott und der Welt reagieren, erlaubt es ihm, Inhalt und Kurs der öffentlichen Debatte zu bestimmen. Viele Kommentatoren und Experten befinden deshalb stets in der Reaktion. Statt dessen sollten sie besser Fragen aufzuwerfen, die stärker zukunftsgerichtet sind und Themen behandeln, die bereits relevant waren, bevor Trump die politische Bühne betreten hat.

SB: Wir bedanken uns, William Hartung, für dieses Gespräch.


Das Bagel- und Nudelrestaurant Wu & Nussbaum - Foto: © 2019 by Schattenblick

Wu & Nussbaum, Broadway / Ecke 113. Straße
Foto: © 2019 by Schattenblick


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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11. September 2019


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