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INTERVIEW/395: G20-Proteste - öffentliches Interesse ...    Dieter Magsam im Gespräch (SB)


Gespräch am 11. Januar 2018 im Hamburger Gängeviertel


Der Hamburger Rechtsanwalt Dieter Magsam hat in der Vergangenheit unter anderem Atomkraftgegnerinnen und -gegnern im Wendland und bei Castortransporten juristisch zur Seite gestanden. Er war als Justizberater in Ruanda tätig und hat Überlebende des Völkermordes vor europäischen Gerichten vertreten. Als 1. Vorsitzender des Kultwerks West ist er Rechtsanwalt und Berater für den Justizaufbau in Staaten südlich der Sahara.

Am 11. Januar fand auf Einladung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. (RAV) und von Attac Deutschland e.V. in der im Hamburger Gängeviertel gelegenen Fabrique eine Pressekonferenz zum Thema "Verfassungsbruch durch Hamburger Senat und Polizei beim G20-Gipfel" statt. [1] Dabei wurden mehrere beim Verwaltungsgericht eingereichte Klagen erläutert, mit deren Hilfe juristisch geklärt werden soll, daß diverse Versammlungsverbote und Polizeieinsätze rechtswidrig waren.

Die Klage im Zusammenhang mit einer Blockadeaktion des Roten Fingers der Demonstrierenden an der Außenalster am 7. Juli führt Dieter Magsam für drei Mitglieder der globalisierungskritischen Organisation Attac, darunter Sabine Lassauer, die ebenfalls auf der Pressekonferenz anwesend war. Wie sie berichtete, habe die Polizei die friedliche Demonstration nicht ordnungsgemäß aufgelöst, sondern unvermittelt unter Einsatz von Pfefferspray, Schlagstöcken, Schlägen und Tritten gewaltsam beendet. Nach Angaben der 26jährigen war sie aus Angst vor den anrückenden Kräften bereits weggelaufen, als sie durch einen Schlagstockeinsatz eine Platzwunde am Hinterkopf davongetragen habe.

Im Anschluß an die Pressekonferenz beantwortete Dieter Magsam dem Schattenblick einige Fragen.


Beim Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Dieter Magsam
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Sie haben in Ihren Ausführungen bei der Pressekonferenz auf die historische Entwicklung verwiesen. Wie erklären Sie sich, daß die Polizei in der Nachbearbeitung der G20-Proteste geradezu immun gegen Anwürfe erscheint und sich selbstherrlich durchsetzen kann? Liegen dem eher rechtliche Voraussetzungen zugrunde oder handelt es sich vielmehr um Verschiebungen der politischen Landschaft, mit der man es da zu tun hat?

Dieter Magsam (DM). Ich denke letzteres. Es ist eine Frage der politischen Landschaft. Und das ist genau das, was wir durchbrechen wollen. Nachdem die Polizeieinsätze mit körperlichen Verletzungen und Grundrechtsverletzungen stattgefunden haben, geht es nun darum, diese Vorfälle im Nachhinein noch einmal einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, um für die Zukunft Schranken zu setzen. Andernfalls dreht sich diese Spirale immer weiter.

SB: Wenn man beispielsweise die Verschärfung des Polizeirechts beim Widerstand gegen Vollzugsbeamte untersucht, findet sich kein Äquivalent, welches die Stärkung der Rechte und Sicherheit von DemonstrantInnen betrifft.

DM: Genauso ist es.

SB: Wir haben es demnach mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen in Deutschland zu tun, das mit einer weltweiten Militarisierung der Polizeiapparate und einer Stärkung der Exekutive korrespondiert. Ab welcher Grenze könnte man davon sprechen, daß hierzulande türkische Verhältnisse Einzug halten?

DM: Na ja, da will ich mich gar nicht aus der Deckung wagen. Das ist eine Prognose, die man sozialwissenschaftlich absichern müßte. Ich weiß nur, daß unsere Initiative ein Schritt ist, das zu verhindern und die Diskussion offenzuhalten wie auch eine freie Bürgergesellschaft aufrechtzuerhalten, in der solche öffentlichen Debatten und Kontroversen möglich sind. Darum geht es uns.

SB: Am 25. August wurde indymedia linksunten verboten. Das war eine gravierende Zäsur und ein Eingriff in die Diskussions- und Diskursfreiheit. Es hat jedoch seither so gut wie keine Debatte über dieses Verbot stattgefunden, das kurz nach dem G20-Gipfel verhängt wurde, als sehr lebhafte Diskussionen über den Ablauf der Proteste hier in Hamburg auf dieser Plattform geführt wurden. Wie würden Sie diesen Zusammenhang einordnen?

DM: Das gehört auf jeden Fall zusammen. Wie der Kollege Klingner gerade gesagt hat, verpuffen die Klagen für sich genommen, wenn sie nicht von der Öffentlichkeit wohlwollend-kritisch begleitet werden. Jedenfalls braucht man eine freie Medienlandschaft, um diese Probleme zu diskutieren. Und wenn da einzelne Medien verboten werden, schränkt das natürlich auch die Demokratie ein. Das ist völlig klar.

SB: Der RAV ist eine der inzwischen nicht mehr so vielen Organisationen in Deutschland, die sich für demokratische Grundrechte einsetzen. Wie sehen Sie die Entwicklung, gibt es angesichts der zunehmenden staatlichen Gewalt wieder ein wachsendes Interesse, dem auch organisatorisch und institutionell etwas entgegenzusetzen?

DM: Wir stellen fest, daß sehr viele junge Mitglieder zu uns kommen, weil sie einfach merken, daß man auch professionell einen guten Background braucht, um sich hier noch zu behaupten. Sie haben ein gutes Gespür für das Verhältnis von juristischem und zivilgesellschaftlichem Kampf und wollen das bei uns verbinden.

SB: Man hat oft den Eindruck, daß das Bewußtsein von der Relevanz demokratischer Grundrechte schwindet oder sogar regelrecht in Vergessenheit geraten ist. Wie beurteilen Sie aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung die Frage der historischen Kontinuität? Könnte es noch einmal zu einer Renaissance in der Form kommen, daß auch die theoretische Auseinandersetzung mit dieser Thematik wieder an Bedeutung gewinnt?

DM: Ich sehe das gar nicht so negativ. Ich denke, es gibt mittlerweile sehr viele Möglichkeiten, sehr viele Initiativen, die versuchen, Recht von unten nach oben einzusetzen. Und das verbreitert sich, das nimmt an Formen zu. Ich bin da nicht so pessimistisch.

SB: Herr Magsam, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] Siehe dazu:
BERICHT/300: G20-Proteste - es fordert ein Grundsatzurteil ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0300.html

15. Januar 2018


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