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INTERVIEW/309: Migrationskonferenz Kampnagel - ein Veteran der Fluchtgeschichte ...    Ali Ahmet im Gespräch (SB)


Afrikaner müssen ihre Rechte in Europa regelrecht erkämpfen

Interview mit Ali Ahmet von Lampedusa in Hamburg am 27. Februar 2016 auf Kampnagel in Hamburg


Der Erfolg der ersten International Conference of Refugees and Migrants, die Ende Februar in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel stattfand und weltweit mediale Aufmerksamkeit auf sich zog, ist der Verdienst zahlreicher Gruppen und Einzelpersonen, deren freiwilliger Einsatz die Veranstaltung erst möglich machte. Eine führende Rolle bei der Entstehung und Durchführung der Konferenz spielten die Mitglieder von Lampedusa in Hamburg, die an Deutschlands "Tor zur Welt" seit 2013 wie keine zweite Flüchtlingsruppe das Thema Migration und deren Folgen auf die politische Tagesordnung geholt haben. Am Abend des zweiten Tages der Konferenz auf Kampnagel sprach der Schattenblick mit Ali Ahmet, einem prominenten Vertreter von Lampedusa in Hamburg.


Ali Ahmet spricht auf der Pressekonferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ali Ahmet
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Ahmet, Sie stammen ursprünglich aus dem Sudan. Bevor Sie Libyen 2011 aufgrund der von der NATO unterstützten Erhebung islamistischer Milizionäre gegen Muammar Gaddhafi verlassen mußten, waren Sie von dort aus als Mitglied der militanten sudanesischen Opposition gegen die Regierung von Präsident Omar Al Baschir in Khartum aktiv. Bitte erzählen Sie uns von Ihrer Rolle als Mitglied dieser sudanesischen Exilantengruppe.

Ali Ahmet (AA): 2001 wurde in Darfur die Sudanesische Befreiungsarmee/Bewegung [Sudanese Liberation Army/Movement (SLA/M) - Anm. d. SB-Red.] gegründet. Es gab dafür drei Gründe: die Vernachlässigung der Darfur-Region durch die Zentralregierung in Khartum, die fehlende Demokratie und die Mißachtung der Menschenrechte im Staat Sudan. Im Westen des Sudans sind die meisten Menschen Afrikaner und fühlen sich von der Bevölkerungsmehrheit im Osten, die weitgehend arabischer Herkunft ist, diskriminiert und unterdrückt. In der sudanesischen Regierung gibt es keine Afrikaner, sondern nur Araber. Darfur und der Westen des Sudans werden im Vergleich zum restlichen Land von Khartum systematisch benachteiligt, was die Infrastruktur, Investitionen und die staatliche Ressourcenverteilung betrifft.

Wir griffen also zu den Waffen und überfielen zunächst drei Stützpunkte der sudanesischen Streitkräfte im westlichen Sudan, genauer gesagt in der Region Darfur. Das war sozusagen der Auftakt unseres Befreiungskampfes. Aufgrund der massiven Vergeltungsmaßnahmen der sudanesischen Streitkräfte sahen wir uns nach einer Weile gezwungen, unsere Basislager vom westlichen Sudan in das benachbarte Libyen zu verlegen. Das war möglich, weil der eher säkular ausgerichtete Gaddhafi mit dem Islamisten Al Baschir verfeindet war und unser Anliegen unterstützte.

SB: Stammen Sie selbst aus dem Westen des Sudans?

AA: Ja, aus der Provinz Darfur.

SB: Und welcher Volksgruppe gehören Sie an, wenn man fragen darf?

AA: Ich bin Afrikaner und zugleich Angehöriger der Daju, die neben den Fur, Zaghawa und Masalit zu den wichtigsten Volksgruppen in Darfur zählen.

Nachdem der Aufstand gegen die Marginalisierung Westsudans ausgebrochen war, hat die Regierung in Khartum nicht nur reguläre Truppen, sondern auch arabische Milizionäre, die sogenannten Dschandschawid, gegen uns eingesetzt. Es kam zu Massakern und anderen Greueltaten gegen die afrikanische Bevölkerung. Angesichts der militärischen Überlegenheit dieses Gegners blieb der Sudanesischen Befreiungsarmee keine andere Wahl, als den Rückzug anzutreten und sich nach Libyen abzusetzen, um von dort aus den Kampf gegen das Regime Al Baschir fortsetzen zu können. Die Menschen, die vor den Kämpfen aus Darfur nach Libyen flohen, wurden als politische Flüchtlinge aufgenommen. Viele von ihnen lebten in Flüchtlingslagern und erhielten Hilfe vom UNHCR.

SB: Haben Sie während Ihrer Zeit in Libyen Ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können?

AA: Ja, ich habe in einem Restaurant gearbeitet.

SB: Bis der Aufstand gegen Gaddhafi losging.

AA: Genau. Als die NATO-Bombardements begannen und die staatliche Macht immer mehr zerfiel, kam es seitens islamistischer Rebellen zu Massakern an Schwarzafrikanern, die Gaddhafi als Gastarbeiter ins Land geholt hatte beziehungsweise die als Flüchtlinge dort gestrandet waren. Sie fielen unter den Generalverdacht, Gaddhafi-Anhänger zu sein, was wiederum chauvinistische Araber veranlaßte, ihre rassistischen Vorurteile gegenüber Schwarzafrikanern auszuleben.


Ali Ahmet und SB-Redakteur sitzen einander gegenüber - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ali Ahmet und SB-Redakteur
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Waren diese Vorfälle nur rassistisch begründet oder gab es vielleicht auch eine religiöse Komponente wie gegenseitige Vorurteile zwischen Christen und Muslimen?

AA: In Libyen findet man keine Christen, also gibt es keine Feindschaft ihnen gegenüber. Von daher sind diese Greueltaten einfach auf den Haß libyscher Araber auf Schwarzafrikaner zurückzuführen.

Nach der Flucht von Libyen nach Lampedusa habe ich einige Zeit in Italien verbracht. Ich war rund fünf Monate in einem Flüchtlingslager in der Provinz Catania auf Sizilien. Danach lebte ich rund zwei Jahre lang auf dem italienischen Festland. Meines Erachtens haben die Italiener mich und die anderen Mittelmeerflüchtlinge großzügig behandelt. Die meisten von ihnen verhielten sich uns gegenüber freundlich und hatten Verständnis für unsere Lage. Doch Italien steckte damals wie heute in einer wirtschaftlichen Krise. Deshalb haben die italienischen Behörden uns Mittelmeerflüchtlingen, die 2011 aus Libyen gekommen waren, Ausreisedokumente ausgestellt und uns dazu ermutigt, in einen der nördlicheren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu ziehen. So kam ich mit einer Gruppe Flüchtlinge nach Hamburg.

SB: Weshalb ausgerechnet in die Elbmetropole?

AA: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Irgendwelche Leute meinten, als wirtschaftlich florierende Stadt wäre es ein guter Ort für uns. Wir kamen im Januar 2013 hierher, um unser Glück zu suchen. Doch am Anfang war es sehr schwer. Wir hatten zunächst keine Unterkunft. Zum Glück gab es das Winternotprogramm, im Rahmen dessen die Stadt Hamburg Obdachlosen während der kalten Jahreszeit kostenlose Schlafplätze zur Verfügung stellt. Doch das Programm lief Ende März aus. Ab dem 1. April standen wir auf der Straße und waren obdachlos. Für Essen wandten wir uns an die Caritas oder eine der kirchlichen Einrichtungen.

SB: Wie viele waren Sie zu dem Zeitpunkt?

AA: Rund 400 Menschen. Innerhalb der Gruppe kamen einige auf die Idee, daß wir eine politische Kampagne starten sollten, um auf unsere Lage aufmerksam zu machen und unsere Menschenrechte als Flüchtlinge und Schutzbedürftige einzufordern. Daraus ist Lampedusa in Hamburg entstanden. Die Mobilisierung hat auch funktioniert. Viele einfache Bürger und gesellschaftliche Gruppen in Hamburg haben unseren Kampf als berechtigt erkannt und sich mit uns solidarisiert. Wir haben Unterstützung unter anderem von den Aktivisten der Karawanegruppe Hamburg, den Anhängern des Fußballvereins St. Pauli und den Mitgliedern der Fraktion der Linkspartei im Senat erfahren. Die NATO hat unser Leben in Libyen zerstört. Deutschland ist NATO-Mitglied. Von daher halten wir es für konsequent zu versuchen, unsere Ansprüche hier in Deutschland, speziell in Hamburg, geltend zu machen.

SB: Lampedusa in Hamburg hat großen Anteil am Zustandekommen der ersten internationalen Flüchtlingskonferenz. Könnte man vielleicht sagen, daß die Gruppe mit der Veranstaltung hier auf Kampnagel quasi den eigenen Kampf um Gerechtigkeit auf die nächsthöhere Ebene gehoben hat?


Ali Ahmet mit Mikrophon an einem Stehtisch auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ali Ahmet in seiner Rolle als Mitinitiator der Konferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

AA: Die Idee, eine große Konferenz für die Flüchtlinge und Migranten in der EU zu veranstalten, stammt von mir, Ali Alassem und Abimbola Odugbesan, die alle aktive Mitgieder von Lampedusa in Hamburg sind. Ich ging damit zu Amelie Deufelhard, der künstlerischen Leiterin von Kampnagel, die sich bereits in der Vergangenheit für die Flüchtlinge in Hamburg eingesetzt hatte. Als ich sie fragte, ob es vielleicht möglich wäre, die Konferenz auf Kampnagel abzuhalten, sagte sie sofort zu. Daraufhin haben wir unsere Freunde und Mitstreiter zu einem ersten Treffen am 15. November eingeladen, auf dem wir unser Vorhaben vorstellten und um Hilfe und Anregungen baten. Es kamen mehr als 100 Menschen zu dem Treffen. Zwei Wochen später trafen sich rund 30 Aktivisten in der B5, die einen konkreten Plan erstellten und Arbeitsgruppen bildeten, die sich jeweils mit der Bewältigung einzelner Herausforderungen wie der Bereitstellung eines Dolmetscherdienstes, Essen und Trinken für die Besucher sowie provisorische Unterbringungsmöglichkeiten für Leute, die von außerhalb Hamburgs anreisen, befaßten. Ohne die großzügige Arbeit zahlreicher Aktivisten hätten wir das Ganze in diesem Ausmaß und so gut durchstrukturiert nicht geschafft.

SB: Waren die Beteiligten hauptsächlich Flüchtlinge und Migranten oder Hamburger?

AA: Grob geschätzt würde ich sagen, daß die rund 120 Personen, welche die Konferenz auf die Beine gestellt haben, zu 60 Prozent aus Hamburgern und zu 40 Prozent aus Flüchtlingen bestanden. Wobei ich zu den Hamburgern auch Menschen aus anderen europäischen Staaten wie Frankreich und Dänemark zähle, die schon länger in der Hansestadt leben.

SB: Wie zufrieden sind Sie mit dem bisherigen Verlauf der Konferenz?

AA: Ich denke, es läuft ganz gut. Nichts ist perfekt. Zu erwarten, daß alles wie geplant funktionieren würde, wäre unrealistisch gewesen. Von daher bin ich im großen und ganzen sehr zufrieden.

SB: Und was denken Sie über den spontanen Protest, der von Konferenzteilnehmerinnen heute nachmittag initiiert wurde? Man könnte die Aktion positiv als Befreiungsschlag der Frauen betrachten.

AA: Ich unterstütze den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung, egal in welchen Land oder auf welchem Kontinent er ausgetragen wird, voll und ganz. Frauenrechte sind Menschenrechte. Doch die Art, wie die Protestaktion der Konferenzteilnehmerinnen heute vonstatten ging, hat mich etwas irritiert. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie die Hauptbühne für 20 Minuten oder eine halbe Stunde besetzt, ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck gebracht und die Gründe dafür erläutert hätten. Aber die große Halle für mehr als eine Stunde einfach zu kapern, eine laufende Diskussion zu torpedieren und die Zeitplanung für den restlichen Nachmittag und Abend durcheinanderzubringen, ging mir persönlich zu weit. Zwei geplante Diskussionsrunden mußten gestrichen werden. Die erste wird nun nicht mehr stattfinden können, die zweite hat man auf Sonntag, also den letzten Veranstaltungstag, verlegt.

Ich finde, daß bei dieser Aktion keine Rücksicht auf andere genommen und das Organisationsteam in Schwierigkeiten gebracht wurde. Gleichwohl habe ich Verständnis für die Frauen und ihre Lage. Sie werden häufig genug in anderen Zusammenhängen unserer männerdominierten Gesellschaft bevormundet. Wenn sie also hier die Gelegenheit ergreifen, sich gegen die Männer durchzusetzen, ist das nicht so schlimm. Das gestehe ich ihnen zu. Ich werde nicht behaupten, daß ich über die Aktion glücklich bin, aber ich kann damit leben.

SB: Wir bedanken uns bei Ihnen, Ali Ahmet, für das Interview.


Ali Ahmet und SB-Redakteur sitzen einander auf einfachen Stühlen ohne Tisch gegenüber - Foto: © 2016 by Schattenblick

Entspannter Ideenaustausch
Foto: © 2016 by Schattenblick


Bisherige Beiträge zur Hamburger Flüchtlingskonferenz im Schattenblick unter
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22. März 2016


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