Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/300: Migrationskonferenz Kampnagel - Historische Pflicht und humane Selbstverständlichkeit ...    Beate Gleiser im Gespräch (SB)


Lampedusa-Aktivistin erklärt Motivation ihres Einsatzes

Interview mit Beate Gleiser am 26. Februar 2016 auf Kampnagel in Hamburg


Die International Conference of Refugees and Migrants, die vom 26. bis zum 28. Februar 2016 in der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg stattfand, war das Ergebnis einer Initiative der verschiedenen Flüchtlingsgruppen in Deutschland und dem benachbarten Ausland. Gleichwohl wäre die Veranstaltung ohne die großzügige Hilfe der zahlreichen einheimischen Aktivisten, die an diesem Wochenende die verschiedensten Tätigkeiten - vom Kochen über Dolmetschen bis hin zur Rechtsberatung - verrichteten, nicht möglich gewesen. Zu den Mitorganisatoren der Konferenz gehörte die Hamburger Pensionärin Beate Gleiser, mit der zum Auftakt der Veranstaltung der Schattenblick folgendes Interview führte.


Beate Gleiser im Porträt - Foto: © 2016 by Schattenblick

Beate Gleiser
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Gleiser, wo kommt Ihr Interesse an der Flüchtlingsproblematik her?

Beate Gleiser (BG): Seit meiner Jugend habe ich immer internationalistisch gedacht. Die ersten Flüchtlinge in Deutschland, die ich als Studentin erlebt habe, kamen aus Vietnam infolge des Krieges dort. Nach dem Putsch der Generäle 1967 in Athen flüchteten viele Griechen ins europäische Ausland. Nach dem Sturz der Regierung Salvador Allendes und der Machtergreifung Augusto Pinochets 1973 in Santiago kamen dann viele Chilenen nach Deutschland. Als politisch denkender Mensch war ich damals wie heute der Ansicht, daß unsere Welt nur eine ist und daß man sich mit Leuten, die vor Krieg fliehen, solidarisch zeigen muß.

SB: Aber wie kamen Sie dazu, sich an der Organisation dieser Konferenz zu beteiligen?

BG: Das resultierte aus meinem Engagement für die Kriegsflüchtlinge aus Libyen bzw. die Gruppe Lampedusa in Hamburg. 2011 waren sie vor den Kriegswirren in Libyen nach Italien geflohen, wo sie zwei Jahre in verschiedenen Lagern verbrachten. 2013 wurden sie aus Italien weggeschickt, weil es dort für sie keine Arbeit gab, und landeten hier in Hamburg. 2013 fand der Evangelische Kirchentag in Hamburg statt und mittendrin tauchten dort plötzlich 300 libysche Kriegsflüchtlinge aus Afrika auf und baten um Hilfe. Sie waren aus verschiedenen Teilen Italiens nach Deutschland gekommen.

Da sie in Italien als Asylberechtigte anerkannt worden waren und von den Behörden dort entsprechende Dokumente ausgestellt bekommen hatten, dachten sie, daß sie sich damit überall im Schengen-Raum der Europäischen Union frei bewegen konnten. Sie hatten italienische Arbeitserlaubnisse und glaubten damit, in Deutschland ihr Glück versuchen zu können. Ich bin zu der Gruppe gestoßen, als ich ihr Infozelt in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofes sah. Da hing ein großes Transparent, auf dem stand, "We are the victims of the NATO war in Libya". Sie warben um Unterschriften. Also habe ich sofort meine Solidarität schriftlich bekundet. Dadurch, daß ich auf der Unterschriftenliste auch meine Adresse hinterlassen hatte, bekam ich nach etwa zwei Wochen eine Einladung zu einem ersten Solidaritätstreffen mit diesen Leuten.

SB: Und Sie sind der Einladung gefolgt.

BG: Natürlich, denn ich war und bin heute noch der Meinung, daß das, was ihnen geschieht, eine große Schweinerei ist. Wir haben in der EU seit 2003 die sogenannte Dublin-II-Verordnung, die vorschreibt, daß alle Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, wo sie zuerst in Europa hinkommen. Sie dürfen jenes Land vorerst nicht verlassen. Ihre Perspektiven sind dadurch sehr stark eingeschränkt. Sie genießen weder Reisefreiheit noch Niederlassungsrecht, sondern werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Das widerspricht meines Erachtens den europäischen Werten.

SB: Vorhin sagten Sie, Sie hätten auch Deutschunterricht für Flüchtlinge gemacht. War das vorher oder nachher?

BG: Das war früher, in den 1990er Jahren. Also ich bin dann zu diesem ersten Treffen gegangen. Da saßen die Lampedusa-Leute vorne auf dem Podium und der Saal war knallvoll. Am Ende des Diskussionsabends stellte sich die Frage, wer dazu bereit war, in Solidarität diese Menschen zu unterstützen.

SB: Und Sie gehören zu denjenigen, die sich zur Mitarbeit bereit erklärten.

BG: So ist es.

SB: Wie viele Unterstützer aus Hamburg machen da mit?

BG: Damals waren es wesentlich mehr als heute. Am Anfang dachten wir, daß es vielleicht ein halbes Jahr dauern würde, bis man die Forderung der Lampedusa-Flüchtlinge, nach Paragraph 23 des deutschen Aufenthaltsgesetzes in Hamburg sich niederlassen und arbeiten zu dürfen, durchgesetzt bekäme. Aber die politische Führung in Hamburg weigert sich bis heute hartnäckig, den Paragraphen 23 auf diese Gruppe anzuwenden. Und so sind wir aus dem Kampf nicht mehr herausgekommen. Ich habe damals niemals daran gedacht, daß sich das Ganze zu einer so langwierigen Angelegenheit entwickeln würde.

SB: Also hat sich die Zahl der Unterstützer mit der Zeit reduziert?

BG: Leider, ja. Am Anfang waren wir ein Kreis von ungefähr achtzig Solidarischen. Bei Demonstrationen kamen ganz viele, manchmal Tausende, aus den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusätzlich hinzu. Inzwischen ist der engere Lampedusa-Unterstützerkreis auf ungefähr zehn Menschen zusammengeschrumpft.

SB: Und aus wie vielen Menschen besteht noch die Gruppe Lampedusa in Hamburg?

BG: Ursprünglich waren es etwa 300. Die Anzahl hat sich inzwischen aber etwas reduziert, denn einige Leute sind nach Italien abgeschoben worden oder sind woanders in Deutschland hingegangen. Die Gebliebenen kämpfen nach wie vor um ihre Rechte.

SB: Bis hin, daß die Lampedusa-Gruppe eine führende Rolle bei der Organisation dieser Konferenz gespielt haben soll. Stimmt das?

BG: Auf jeden Fall. Bereits im August letztes Jahr gab es eine vernetzte Konferenz in Hannover. Das fand zwar im kleineren Rahmen als hier auf Kampnagel statt, aber dort fing es im Grunde genommen an, daß die Flüchtlinge gesagt haben: "Die europäische Politik tut hier nichts für uns, sondern im Gegenteil arbeitet gegen uns; also müssen wir uns organisieren." Das Treffen in Hannover war schon als Anfang sehr gut. Doch bereits damals hat man beschlossen, 2016 in Hamburg eine große, internationale Konferenz zu veranstalten.

SB: Wie man anhand des Pressetermins sehen konnte, ist das Medieninteresse an dem Ereignis hier auf Kampnagel ziemlich groß. Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit der Konferenz?

BG: Wenn ich von Hoffnung spreche, dann spreche ich aus dem Herzen. Doch was die Erfolgsaussichten betrifft, so bin ich etwas skeptisch angesichts dessen, was aktuell in der europäischen Flüchtlingspolitik geschieht. Was sich dieser Tage an der Staatsgrenze zwischen Mazedonien und Griechenland abspielt, ist absolut menschenunwürdig. Von einer Europäischen Union, die diesen Namen verdient, kann man nicht sprechen. Jeder Mitgliedsstaat macht, was er will. Alle arbeiten gegeneinander. Es werden rasch Mauern und Zäune hochgezogen, um die Flüchtlinge draußen zu halten. Insofern erwarte ich von dieser Konferenz vor allem, daß wir weiter machen, denn wir dürfen nicht aufgeben. Persönlich werde ich weiter kämpfen sowohl als Unterstützerin auf der Seite der Flüchtlinge als auch für mich selbst, denn in einer Festung Europa möchte ich nicht leben.

SB: Wie sehen Sie die Chancen, daß die Konferenz auch zu einer größeren Verständigung nicht nur zwischen den Flüchtlingen untereinander, sondern auch zwischen ihnen und der europäischen Urbevölkerung, wenn man sie so benennen darf, führen könnte?

BG: Die Chancen bestehen, zweifelsohne. Wie groß sie sind, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall sehe ich Chancen, denn wir sind nicht gewillt aufzugeben, was immer dabei rauskommt. Nach meinem Dafürhalten hat die Lampedusa-Gruppe die Stadt Hamburg durch den beherzten Einsatz für ihre Rechte bereits verändert, denn so eine Kampagne hat es in der Geschichte der Hansestadt noch niemals gegeben. Es gab noch keine afrikanische Flüchtlingsgruppe, die sich politisch selbst organisiert hat. 2013 hat die Kampagne eine riesige Solidaritätswelle in Hamburg ausgelöst. Viele junge Leute, aber auch ältere haben gesagt: "So geht es nicht. Das sind Flüchtlinge wie zugleich Menschen, die in verschiedenen Berufen qualifiziert sind und eine Bereicherung für unser Land sein könnten." In Hamburg fehlen 60.000 Facharbeiter. Das ist ein dringendes Problem, zu deren Lösung die Flüchtlinge beitragen könnten.

Insofern denke ich, daß die Konferenz hier auf Kampnagel ein Anfangspunkt im großen Stil ist. Unsere Aufgabe besteht darin, der deutschen Bevölkerung das Anliegen der Flüchtlinge zu vermitteln. Denn was hier in diesem Land derzeit passiert, wo doch fast jeden Tag ein Flüchtlingsheim brennt, zeigt deutlich, daß in der deutschen Bevölkerung viel Unwissen bis hin zu offenem Rassismus herrscht. Dieses Unwissen müssen wir unbedingt beseitigen.

SB: Wir bedanken uns bei Ihnen, Beate Gleiser, für das Gespräch.


Dialog in voller Fahrt - Foto: © 2016 by Schattenblick

SB-Redakteur und Beate Gleiser
Foto: © 2016 by Schattenblick


Bisherige Beiträge zur Hamburger Flüchtlingskonferenz im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/231: Migrationskonferenz Kampnagel - Teilen und Verweilen (SB)


8. März 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang