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INTERVIEW/280: Amerikas Machenschaften - Demokratie längst umgekippt ...    Ray McGovern & Elizabeth Murray im Gespräch (SB)


Ehemalige CIA-Analysten beziehen gegen Washington Stellung

Interview mit Ray McGovern & Elizabeth Murray am 14. September 2015 in Hamburg


Anläßlich der Veranstaltung "Die Rolle von Geheimdiensten in der Außenpolitik" am 14. September an der Universität Hamburg [1] hatte der Schattenblick die Gelegenheit, mit den beiden früheren, ranghohen CIA-Mitarbeitern Ray McGovern und Elizabeth Murray ein Interview zu führen. Der ehemalige Sowjetanalyst McGovern, der einst die tägliche Nachrichtenpräsentation für mehrere US-Präsidenten beaufsichtigte, und die Nahost-Expertin Murray gehören beide der regierungskritischen Organisation Veterans for Intelligence Professional for Sanity (VIPS) an.


McGovern & Murray auf dem Podium beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ray McGovern & Elizabeth Murray
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick: Herr McGovern, Frau Murray, Sie beide haben lange Jahre bei der CIA gearbeitet, bis Sie Kritiker der US-Außenpolitik wurden. Wie und wann hat der Prozeß der Entfremdung bei Ihnen begonnen - als Sie noch bei der CIA waren oder erst nachdem Sie den Dienst quittiert hatten?

Elizabeth Murray: Bei mir setzte die Desillusionierung in der Vorbereitungsphase des Irakkriegs ein. 2002 wurde es mir anhand des Informationsmaterials, das ich laufend erhielt, darunter sämtliche arabische Medien sowie die Reden des irakischen Präsidenten Saddam Hussein, klar, daß es in Wirklichkeit keine Basis für die Behauptungen von Präsident George W. Bush und seinen Kabinettsmitgliedern gab, daß sich der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen befand und sie einzusetzen plante. Also habe ich bereits vor dem Kriegsausbruch an der einen oder anderen Friedensdemonstration in Washington teilgenommen. Gleichzeitig stand ich bei der Arbeit unter politischem Druck, nachrichtendienstliche Analysen zu erstellen, die Saddam Hussein als Gefahr und Bedrohung erscheinen lassen sollten. Früher haben ich und meine Mitarbeiter in der Nahost-Abteilung regelmäßig darüber diskutiert und gemeinsam entschieden, welche Personen und Ereignisse im arabischsprachigen Raum in nächster Zeit relevant seien und worauf wir uns bei der Informationsbeschaffung und -auswertung konzentrieren sollten. Einige Monate vor dem Kriegsausbruch kam es bei uns plötzlich zu einer radikalen Veränderung der Vorgehensweise, derzufolge die CIA-Leitung uns die Entscheidung nicht mehr überließ, sondern uns vorgab, womit wir uns befassen und worüber wir Analysen erstellen sollten. Das war eine schwerwiegender Eingriff in unsere Arbeit als Analysten. Erst später wurde mir klar, daß die Umstellung mit dem Irak und der Notwendigkeit, eine Begründung für den Krieg zu konstruieren, zusammenhing.

Wie Herr McGovern vorhin im Vortrag erzählte, machte die Arbeit bei der CIA früher sehr viel Spaß. Die Aufgaben waren sehr interessant, die Kollegen motiviert und man konnte seine Eigeninitiative voll entfalten. Meine Arbeit bestand darin, die arabischen Medien - Print und Rundfunk - zu verfolgen und Analysen der Entwicklungen, die ich für relevant hielt, zu erstellen. Ich konnte beispielsweise die Reden wichtiger Politiker übersetzen und die wichtigsten Punkte hervorheben, oder den Kurs verschiedener Zeitungen miteinander vergleichen und eruieren, was das über die politische und gesellschaftliche Situation in dem jeweiligen Land aussagte. Die Maßgabe bestand stets darin, die politischen Entscheidungsträger in den USA in den optimalsten Informationsstand zu versetzen. Als dann dieser politische Druck einsetzte, fing ich an, mich zu fragen, ob die CIA noch der richtige Ort für mich sei.

Ich habe nicht die ganze Zeit über in Langley gearbeitet, sondern wurde hin und wieder in der einen oder anderen US-Botschaft im Nahen Osten eingesetzt, wo ich als Redakteurin die Arbeit unsere Arabisch-Übersetzer beaufsichtigte. Während meiner Aufenthalte im Nahen Osten bin ich viel herumgereist und habe die negativen Folgen der US-Außenpolitik in der Region - beispielsweise im palästinensischen Gazastreifen - mit eigenen Augen gesehen.

SB: Haben Sie die CIA aus Protest gegen den Einmarsch in den Irak 2003 verlassen?

EM: Nein, habe ich nicht. Ich hatte mir das überlegt und bin aus mehreren Gründen noch eine ganze Weile danach bei der CIA geblieben. Ich brauchte nur noch wenige Jahre, um mit vollen Rentenansprüchen aus dem aktiven Dienst ausscheiden zu können. Als ich mich 2003 schriftlich um Positionen bei verschiedenen Friedensorganisationen bewarb, mußte ich leider feststellen, daß diese nicht besonders gut bezahlt wurden. Da ich noch eine Hypothek bei der Bank abzutragen hatte, habe ich meinen Ausstieg um einige Jahre hinausgezögert, bis ich Anspruch auf die volle staatliche Rente hatte. Mit dieser finanziellen Absicherung im Rücken konnte ich mich einer anderen, weniger gut entlohnten Tätigkeit zuwenden. Als ich mich entschied, vorerst bei der CIA zu bleiben, habe ich gleichwohl den Beschluß gefaßt, später über meine Erlebnisse in der Agency zu schreiben und sie publik zu machen.


SB-Redakteur, Murry und McGovern sitzen gemeinsam am Tisch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Elizabeth Murray geht auf eine Frage des Schattenblicks ein
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Und wie sah es bei Ihnen aus, Herr McGovern? Sie sind 1990 ausgeschieden. Waren Sie zu dem Zeitpunkt immer noch ein treuer Regierungssoldat?

Ray McGovern: Ich werde immer wieder gefragt, wann ich mich verändert habe und zum Systemkritiker geworden bin. Die Antwort lautet: ich bin derselbe geblieben; die CIA ist es, die sich im Laufe meiner 27jährigen Dienstzeit und danach verändert hat. Früher war das ein Ort, wo man ehrliche Arbeit verrichtete. Ich fand die Beschäftigung dort wahnsinnig spannend. Und dennoch bin ich gleich nach Erreichen des Rentanalters ausgeschieden. In den achtziger Jahren, während der Präsidentschaft von Ronald Reagan, setzte der Niedergang ein. Die Personen, die Reagans CIA-Direktor William Casey förderte, griffen aus übergeordneten politischen Gründen zu Manipulationen und damit zur Verfälschung der Nachrichtenerkenntnisse zurück. Leute wie der spätere CIA-Chef Robert Gates, der für mich früher als junger Analyst in der Sowjetunion-Abteilung gearbeitet hatte, waren unehrlich und legten die Nachrichtenlage so aus, wie ihre politischen Taktgeber sie haben wollten. Aus diesem Grund haben sie den Untergang der Sowjetunion auch nicht kommen sehen. Bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 bauschten sie die sowjetische Bedrohung auf, um den US-Rüstungsetat hochzuhalten. Sie gaben sich felsenfest davon überzeugt, daß die kommunistische Partei in Moskau ihre Macht niemals freiwillig abgeben würde. Im Gegensatz zu einer großen Mehrheit in der CIA haben ich und noch einige andere Sowjetanalytiker den Reformansatz Mikhail Gorbatschows für keine Täuschung gehalten und am Ende Recht behalten. 1990, als ich 50 wurde, bin ich bei der CIA ausgestiegen, um mich in einem karitativen Umfeld zu betätigen. Ich habe damals eine Stelle bei einer kirchlichen Einrichtung gefunden, die armen Leuten in der Innenstadt von Washington hilft. Dort bin ich bis heute aktiv.

Irgendwann 2002 bekam ich mit, wie ehemalige Kollegen von mir nachrichtendienstliche Erkenntnisse manipulierten, um einen Angriffskrieg gegen den Irak vom Zaun brechen zu können. Als ich davon erfuhr, konnte ich es kaum glauben. Ich wollte etwas dazu veröffentlichen, ohne Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney gleich als Lügner zu bezeichnen. Was auch immer ich dazu schrieb, sollte fundiert und stichhaltig sein. Also setzte ich mich mit einigen Ex-Kollegen vom Geheimdienst zusammen, um mich mit ihnen darüber zu beraten und unsere Einschätzungen auszutauschen. Durch diese Gespräche ist die VIPS-Gruppe entstanden. Wir unterzogen unsere Ideen sogenannten "sanity checks", nach dem Motto, "Ist diese oder jene Schlußfolgerung, Vermutung, Idee et cetera völlig versponnen oder läßt sie sich mit den vorliegenden Informationen irgendwie in Deckung bringen?". Der Begriff der "sanity checks", der sich in Geheimdienstkreisen auf die Überprüfung der eigenen Ideen durch die Kollegen bezieht, gab uns den Namen für unsere Gruppe. Als dann das Jahr 2003 anbrach und die USA bereits eine mehr als 100.000 Mann starke Landstreitmacht an der Grenze zum Irak zusammenzogen hatten, war klar, daß der Krieg bald losgehen würde.

Am 5. Februar sollte Außenminister Colin Powell die Beweise für die Gefährlichkeit des Iraks und Saddam Husseins illegales Aufrüsten vorlegen. Also beschlossen wir, eine Analyse seiner Präsentation zu veröffentlichen, ähnlich der Arbeiten, die wir früher bei der CIA in Bezug auf die Reden Leonid Breschnews, Nikita Cruschtschows oder Mao Zedongs gemacht haben. Bei dieser Aufgabe übernahm ich die redaktionelle Führung. Ich habe den Auftritt Colin Powells im Fernsehen live mitverfolgt und nebenbei Notizen gemacht. Bis 15 Uhr hatte ich einen ersten Entwurf fertig, den ich per E-Mail an die anderen Mitglieder der Gruppe schickte. Nach einigen Korrekturen und Ergänzungen war unser erster Brief gegen 17.30 Uhr fertig und ging sofort an die Nachrichtenagentur Associated Press, die ihn gleich als Meldung veröffentlichte. Bis zum Einmarsch am 19. März haben wir zwei weitere Memoranden an den Präsidenten veröffentlicht, in denen wir ihn vor den schwerwiegenden Folgen seines Kriegskurses warnten. Nun gut, auf den Verlauf der Geschichte haben wir keinen Einfluß gehabt. Wir haben den Krieg nicht verhindert. Dennoch sind wir uns selbst treu geblieben und haben Schaden von unserem Land und von der Welt fernzuhalten versucht. Diese Arbeit setzen wir bis heute fort, unabhängig davon, ob wir Erfolg damit haben oder nicht.

SB: Immerhin kam es am 15. Februar, rund einen Monat vor der angloamerikanischen Irakinvasion, weltweit zu den größten Friedensdemonstrationen in der Geschichte der Menschheit. Ihr erster VIPS-Brief dürfte sicherlich einen Teil dazu beigetragen haben.

RMcG: Das stimmt schon. Jene Friedenmärsche, die deutlich machten, daß Millionen von Menschen, insbesondere in den USA und in Großbritannien, die Kriegspropaganda aus Washington und London nicht glaubten, waren sehr ermutigend. Entmutigend dagegen war die Tatsache, daß der Krieg dennoch stattfand und seine absehbaren, verheerenden Folgen zeitigte. Menschlich war es für mich auch enttäuschend mitansehen zu müssen, wie ehemalige Kollegen, CIA-Analysten, die ich persönlich ausgebildet hatte, aus opportunistischen Gründen der Karriereförderung den verlogenen Kriegskurs der Bush-Regierung mittrugen, ohne mit der Wimper zu zucken. Es dauert eine ganze Generation, bis man eine Behörde korrumpiert und politisiert hat. Bei der CIA hatte der Verfall der Standards in den achtziger Jahren begonnen. Als CIA-Chef George Tenet 2002 vom Weißen Haus mit der Erstellung einer National Intelligence Estimate (NIE) beauftragt wurde, welche die irakische Bedrohung in grellen Farben darstellen sollte, gab es innerhalb der Agency niemanden mehr, der bereit war, Einspruch einzulegen und sich für eine objektive Bewertung der Sachlage stark zu machen.

Tenet verlangte innerhalb von zwei Wochen eine NIE zum Irak, die sich mit dem Inhalt der sehr aggressiven Rede deckte, die Cheney am 22. September 2002 auf der Jahrestagung des Verbands der US-Kriegsveteranen gehalten hatte. Seine Leute haben das abgenickt und ihm den Wunsch erfüllt. Wären das Analysten vom Schlage meiner damaligen Crew gewesen, die etwas auf sich hielten und der Wahrheit verpflichtet fühlten, hätten sie Tenet ausgelacht und ihm zu verstehen gegeben, daß die Aufgabe so nicht zu bewältigen wäre. Er wäre mit einer Revolte in den eigenen Reihen konfrontiert gewesen. Aber in diesem Fall hatte Tenet es nur noch mit Ja-Sagern zu tun, die sich nicht an dem, was wie wußten, sondern daran, wie schnell sie salutieren konnten, messen ließen. Wenig überraschend, haben diese "formbaren Manager", wie ich sie nenne, die handwerklich miserabelste NIE in der Geschichte der CIA abgeliefert.

SB: In zahlreichen Fällen wie zum Beispiel bei dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1990, den indischen und pakistanischen Atomtests 1998, den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 und Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen sind die Analysten der CIA hinterher beschuldigt worden, absehbare Entwicklungen oder Ereignisse nicht rechtzeitig erkannt bzw. verschlafen zu haben - zu Unrecht, denn die Politiker in Washington haben die zahlreichen Warnsignale, die es zweifellos gab, nicht hören wollen. Aktuell findet eine Untersuchung beim US-Militär statt, inwieweit die Nachrichtendienstler des für den Nahen Osten zuständigen Zentralkommandos, CENTCOM, unter Druck gesetzt werden, in ihren Berichten die multinationale Militäroperation gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak als Erfolg darzustellen. Daher die Frage: wenn die Politiker in Washington keine Rücksicht auf die Erkenntnisse der Geheimdienste nehmen, sondern sich im Grunde darüber einfach hinwegsetzen, wie wird die Außen- und Sicherheitspolitik der USA formuliert und von wem?


Tischrunde aus der Nahperspektive - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ray McGovern erläutert
Foto: © 2015 by Schattenblick

RMcG: Nun, in den USA legt der Präsident den politischen Kurs fest. Ist er skrupellos oder einfach eine Marionette anderer Kräfte wie des militärisch-industriellen Komplexes, können die Analysten beim Geheimdienst nichts anderes machen, als die besten Lageberichte zu erstellen, die sie können. Der Präsident kann die Ergebnisse einfach ignorieren, wenn er will. Dazu kommt es auch immer wieder. Ich habe vorhin bei meinen Ausführungen ein Beispiel aus dem Vietnamkrieg erwähnt, als die US-Militärs meinten, allein durch massivste Bombardierung des Ho-Chi-Minh-Pfads den Krieg gewinnen zu können, obwohl wir von der CIA die Idee für völlig illusorisch hielten und unsere Überzeugung auch kundtaten. Dennoch hat Lyndon Johnson die Generäle gewähren lassen aus Angst, in den Geschichtsbüchern als der erste Präsident der USA erwähnt zu werden, der einen Krieg verloren hat. Und weil er nicht auf den Rat der eigenen Geheimdienstanalysten hören wollte, ist er genau das geworden, was er vermeiden wollte.

SB: Wie sehr hat die Privatisierung [2] und die Auslagerung wichtiger geheimdienstlicher Aufgabenbereiche an große Konzerne wie SAIC und Booz Allen Hamilton das Phänomen der Politisierung und der Manipulation nachrichtendienstlicher Erkenntnisse verstärkt, oder hat die Privatwirtschaft bei der CIA immer eine bedeutende Rolle gespielt? Schließlich war CIA-Gründer Allen Dulles Gesellschafter der einflußreichen Wall-Street-Anwaltskanzlei Sullivan & Cromwell.

EM: Der Drehtür-Effekt, der Wechsel ausgedienter Militärs und Geheimdienstler in die Vorstandsetagen befreundeter US-Großkonzerne, ist seit langem traurige Wirklichkeit. Menschen, die hohe Positionen im Pentagon oder bei der CIA bekleiden, können sich nach Erreichen des staatlichen Rentenalters einer Stelle in der Rüstungsindustrie oder bei einem der zahlreichen privaten Sicherheitsunternehmen, die sich um Washington herum niedergelassen haben, sicher sein. Die Privatisierung ist für mich noch problematischer, denn auf diese Weise beauftragt der Staat Privatfirmen mit Aufgaben, die besser in den Händen von Beamten aufgehoben wären. Angestellte von Privatunternehmen fühlen sich dem Staat gegenüber nicht annähernd so verpflichtet wie jemand, der eine Beamtenlaufbahn verfolgt. Manchmal hat die Firma nur einen Jahresvertrag. Also besteht ihr Hauptinteresse darin, daß der Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert wird. Die Angestellten wiederum sind am Wohlergehen ihres Arbeitgebers und am Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes interessiert. Für sie ist das öffentliche Wohl zweitrangig. Anders sieht es beim Staatsbeamten aus. Er oder sie haben eine Abmachung mit dem Staat geschlossen. Man bekommt eine langfristige Perspektive mit Arbeitsplatzgarantie, Rentenansprüchen, günstige Krankenversicherung et cetera. Dafür verpflichtet man sich dazu, dem Staat so gut wie man kann zu dienen. Daher der Begriff "civil servant". Der ständige Erfolgsdruck der durch die befristeten Verträge mit dem Staat auf private Firmen und deren Mitarbeiter lastet, führt leicht dazu, daß Analyseergebnisse abgegeben werden in denen es an nötiger Objektivität fehlt, weil sie den politischen Auftraggebern gefallen sollen.

Aus Sicht der Rüstungsindustrie und der privaten Sicherheitsdienstunternehmen ist Krieg gut fürs Geschäft; also haben sie ein handfestes Interesse an der Beteiligung der USA an Konflikten im Ausland und deren Fortsetzung. Von daher bin ich der Meinung, daß die Privatisierung im militärisch-geheimdienstlichen Sektor die Außen- und Sicherheitspolitik der USA in eine schwere Schlagseite gebracht hat. Das Gewinnstreben steht an oberster Stelle und läßt alle anderen Überlegungen, seien es diplomatische oder strategische, zu kurz kommen.

SB: Wie war es bei Ihnen, Herr McGovern; haben Sie während Ihrer Zeit bei der CIA jemals Rücksicht auf die Interessen irgendwelcher privatwirtschaftlicher Akteure nehmen müssen?

RMcG: Ich denke, man muß das Ganze etwas differenzierter sehen. Auf der technischen Seite der Nachrichtengewinnung gibt es Fähigkeiten, zum Beispiel im Satellitenbereich, über die der Staat nicht verfügt und von daher auf die Hilfe von Privatfirmen und deren Erfindungen angewiesen ist. Gleichwohl muß auch man sich auf staatlicher Seite vor dem Streben der Unternehmen, Aufträge zu bekommen bzw. bestehende Verträge verlängern zu lassen, in Acht nehmen. Ich teile jedoch die Bedenken von Frau Murray. Ich gebe Ihnen ein gutes Beispiel für den negativen Einfluß der Privatisierung auf die US-Außenpolitik. Bei SAIC, einem der größten Sicherheitsdienstunternehmen der USA, das viele Aufgaben für die Geheimdienste und das Militär erledigt, gibt es eine eigene "Iran Study Group". Man muß kein Genie sein, um zu erkennen, daß die Mitarbeiter jener Gruppe direkt oder indirekt unter dem Druck stehen, in ihren Analysen die Politik Teherans als aggressiv und diejenige Washingtons diametral entgegengesetzt darzustellen. Solche bösartigen Auswüchse sind das konkrete Ergebnis der gigantischen Erhöhung der staatlichen Ausgaben im Militär- und Geheimdienstbereich seit 9/11. Viele ehemalige Kollegen von mir, die später in die Privatwirtschaft gegangen sind, haben irgendwann den Kontakt zu mir abgebrochen. Später erfuhr ich, daß sie Angst davor hatten, ihre Firmen könnten staatliche Aufträge verlieren, wenn sie sich nicht von mir fernhielten.

SB: 2010 haben Dana Priest und William Arkin in der Washington Post unter dem Titel "Top Secret America: The Rise of the New American Security State" eine aufsehenerregende, dreiteilige Artikelreihe über den drastischen Ausbau der privaten Geheimdienstindustrie seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September veröffentlicht. Darin haben Priest und Arkin offen von der Existenz einer "hochgeheimen Parallelregierung" in den USA gesprochen. Der ehemalige kanadische Diplomat und Geheimdienstexperte Peter Dale Scott sowie Ihr eigener VIPS-Kollege, Ex-CIA-Agent Philip Giraldi, verwenden in ihren Schriften inzwischen den Begriff des "tiefen Staates". Sind solche Formulierungen überzogen oder beschreiben sie adäquat die aktuelle Situation?

RMcG: Der "tiefe Staat" ist schon ein interessanter Begriff. Er bezieht sich zunächst auf illegale staatliche Machenschaften wie den Sturz ausländischer Regierungen. Das sind Operationen, mit denen der Präsident der USA die CIA beauftragt und deren Teilnehmer praktisch nur ihm gegenüber verantwortlich sind. Von daher ist der "tiefe Staat" etwas, womit jeder amerikanische Präsident beim Einzug ins Weiße Haus konfrontiert wird. Nach dem 11. September 2001 hat sich der Etat aller 17 US-Geheimdienste auf rund 75 Milliarden Dollar nahezu verdreifacht. Die Zahl der Personen, die im Geheimdienstsektor beschäftigt sind, ist enorm angestiegen. Bei vielen von ihnen handelt es sich um Mitarbeiter privater Sicherheitsdienstunternehmen, deren ausschließliches Interesse darin besteht, einen Teil vom großen Kuchen abzubekommen. Die Artikelreihe von Priest und Arkin hat der Öffentlichkeit wichtige Einblicke in den "tiefen Staat" Amerikas gewährt und dafür den Pulitzerpreis bekommen.

Nach einem Konzert in Washington bin ich auf der Herrentoilette einmal zufällig meinem Nachfolger bei der CIA, der das Daily Presidential Briefing erstellt, über den Weg gelaufen. Da wir allein waren, hat er mich ganz herzlich begrüßt, mich ermutigt meine Kritik an der Washingtoner Außenpolitik fortzusetzen und mir berichtet, daß meine Artikel in der Agency herumgereicht und von allen gelesen würden. Vor einiger Zeit war ich auf der Trauerfeier eines verstorbenen CIA-Kollegen. Die meisten Anwesenden sind auf Distanz zu mir geblieben. Eine Frau, die mit einem ehemaligen Kollegen von mir verheiratet ist, kam zu mir, als ihr Ehemann mit jemanden anderen sprach, und flüsterte mir zu "Weiter so, Ray!" und streckte mir zustimmend den Daumen in die Höhe. Später, als ich ging, begegnete ich ihren Ehemann, den ich seit mindestens fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er sagte: "Hi, Ray. Nett Sie wiederzusehen. Unsere Begegnung hier werde ich dem Sicherheitsdienst aber melden müssen." Ich sagte: "Wie, bitte?". Er erwiderte: "Nun ja, Sie sind jetzt bei der Presse und jedes Gespräch mit deren Vertretern muß offiziell gemeldet werden." Ich: "Sie nehmen mich auf den Arm". Er: "Nein. So lauten die neuen Vorschriften." Das ist eine ganz traurige Entwicklung, denn wie Frau Murray schon sagte, war die CIA früher ein toller Platz zum Arbeiten. Die Atmosphäre war unheimlich kollegial und ich habe dort wirklich sehr viel gelernt.

SB: Skeptiker argumentieren, es gebe keine Chance, den polizeistaatlichen Ausbau seit dem 11. September 2001 in den USA rückgängig zu machen, da die Hintergründe der Flugzeuganschläge niemals aufgeklärt werden. Was ist Ihre Meinung dazu?

RMcG: Ich wäre da nicht so pessimistich. Ich denke schon, daß wir herausfinden werden, was am 11. September geschah, nur wird es noch einige Jahre brauchen. Was den Polizeistaat betrifft, so gibt es bereits Versuche, ihn zurückzudrängen. Dafür ist die aktuelle Diskussion um die allzu häufige Tötung schwarzer Jugendlicher durch die Polizei ein Beleg. Inzwischen sind in mehreren US-Bundesstaaten Initiativen im Gange, die Polizei abzurüsten und sie nicht mehr so martialisch auftreten zu lassen. Ich glaube nicht, daß Amerikas Polizisten generell brutal sind. Ihre Ausbildung ist jedoch viel zu sehr auf den Selbstschutz ausgerichtet. Sie müssen mehr dazu trainiert werden, den Bürgern zu helfen und bei Konfliktsituationen deeskalierend zu wirken.


Alle drei Personen ins Gespräch vertieft - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Was sagen Sie zur jüngsten Enthüllung Robert Parrys am 10. September bei Consortiumnews.com, wonach Obama hinter den Kulissen Wladimir Putin zu einem stärkeren Engagement Rußlands gegen den Islamischen Staat in Syrien "ermutigt" haben soll?

RMcG: Robert Parry ist meines Erachtens derzeit der beste Investigativjournalist der USA. Wenn ich mich richtig entsinne, hat er im fraglichen Artikel ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Obama-Administration als Quelle dieser Information angegeben. Von daher messe ich den Angaben eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ein solches Rapprochement zwischen den USA und Rußland in der Syrien-Frage macht Sinn. Denn was wäre die Alternative: daß der IS in Syrien die Macht übernimmt und in Damaskus eine Schreckensherrschaft errichtet? An einer solchen Entwicklung können weder Washington noch Moskau auch nur das geringste Interesse haben. Daher denke ich, daß die Anti-IS-Koalition aus USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Saudi-Arabien und Jordanien mit den Russen und den Iranern zusammenarbeiten muß, um sich des IS zu entledigen. Erst danach können sich alle Beteiligten - die Syrer, die Nachbarstaaten und die Großmächte - darüber verständigen, wie ein Syrien ohne Baschar Al Assad an der Staatsspitze aussehen könnte.

SB: Von der Syrien-Problematik einmal abgesehen, stehen die USA in der Ukraine mit Rußland und in Ostasien mit China - siehe den Streit um die Territorialansprüche im Südchinesischen Meer - in Konfrontation. Wie könnte man die Politiker in Washington dazu bringen, auf das Streben nach absoluter militärischer Überlegenheit der USA - Stichwort "full spectrum dominance" - zugunsten einer multilateralen Zusammenarbeit mit China, der EU und Rußland zwecks Befriedung der verschiedenen Krisenherde auf der Welt zu verzichten? Wenn es nicht bald gelingt, den Einfluß der neokonservativen Militaristen in Washington zu reduzieren, ist ein Atomkrieg dann nicht unvermeidlich?

RMcG: Ich glaube, daß der Einfluß der Neocons bereits nachläßt. Mit dem Putsch in der Ukraine im Frühjahr 2014 ist diese zweifellos mächtige Gruppe über das Ziel hinausgeschossen. Weder die USA noch ihre NATO-Partner in Westeuropa können sich einen Dauerstreit mit Rußland in der Ukraine-Frage leisten. Das wissen alle, auch die Russen. Darüber hinaus ist Putin viel zu gerissen, um sich vom Westen in einen offenen Konflikt hineinziehen zu lassen. Also wird man in dieser Angelegenheit zu irgendeinem Arrangement kommen müssen, mit dem alle leben können. Durch das Abkommen von Minsk und die Waffenruhe in der Ostukraine scheint man bereits auf dem besten Weg zu sein. Hinzu kommt, daß die Neokonservativen Anfang September eine ganz schwere Niederlage im US-Kongreß erlitten haben, als es ihnen nicht gelang, dort genügend Stimmen zusammen zu bekommen, um eine Ratifizierung des Atom-Abkommens mit dem Iran durch Präsident Obama zu verhindern.

SB: Stimmen Sie dem zu, Frau Murray, läßt der Einfluß der Neokonservativen auf die US-Außenpolitik bereits nach?

EM: Ich bin nicht so optimistisch wie Herr McGovern. Ich befürchte, daß wir erst an den Rand eines richtig großen Konflikts mit Rußland oder China werden geraten müssen, bevor allgemeinen erkannt wird, wie selbstmörderisch und unverantwortlich das Streben der Neocons nach der unbedingten Durchsetzung des globalen Führungsanspruchs der USA ist. Solange die Neocons in Washington das Sagen haben - und das haben sie sowohl in der Politik als auch bei den Medien - ist unser aller Leben auf dieser Welt gefährdet. Die Containment-Strategie Washingtons gegenüber China und der ständige Ausbau der militärischen Kapazitäten der USA im asiatisch-pazifischen Raum erfüllen mich mit Sorge. Ich hoffe nur, daß der Einfluß der Neocons nachläßt, bevor es zu einem nuklearen Schlagabtausch kommt.

SB: Herr McGovern, 2011 wurden Sie von der Polizei verhaftet und schwer mißhandelt, nur weil Sie bei einer Rede der ehemaligen US-Außenministerin und First Lady Hillary Clinton im Washingtoner Press Club demonstrativ den Rücken gedreht hatten. [3] Im vergangenen Oktober wurden Sie ebenfalls verhaftet, als Sie eine öffentliche Veranstaltung, bei der Ex-CIA-Chef General a. D. David Petraeus einen Vortrag halten sollte, besuchen wollten. Nach dem jüngsten Kriegsrecht des Pentagons gelten Sie und Frau Murray in Ihrer Funktion als Pressevertreter als "nicht-privilegierte Kriegsteilnehmer". Aufgrund dieser Klassifizierung könnte man mit Ihnen genauso verfahren wie mit den sogenannten "feindlichen Kombattanten", die seit Jahren ohne Anklage im Sondergefängnis auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden. Was sagen Sie dazu?

RMcG: Was soll man dazu sagen? Auf jedem Fall wirft es ein ganz schlechtes Licht auf den Stand der Rechtsprechung und der Rechtspflege in den USA. Was ist mit unseren Juristen los? Besitzen sie kein Schamgefühl? Wollen sie sich wirklich die Rechtspraxis der deutschen Richterschaft während der Nazi-Diktatur zu eigen machen? Vielleicht hatte der gute alte William Shakespeare die richtige Idee, als er eine seiner Figuren in Heinrich VI erklären ließ, man sollte "als erstes all die Rechtsanwälte töten". (lacht)

EM: Dazu kann ich nur hinzufügen, daß alle historischen Persönlichkeiten, die ich bewundere, mindestens einmal im Laufe ihres Lebens im Gefängnis gesessen haben. Eine positive Bewertung unseres Gesellschaftssystems ist das nicht.

SB: In der vorangegangenen Diskussion haben Sie beide kritisiert, wie ideologisch einseitig die Berichterstattung der großen Medien in den USA ist. Sie haben sogar moniert, daß es in den USA keine freie Presse mehr gibt, die diesen Namen verdient. Seit langem hört man immer wieder Behauptungen, denen zufolge die meisten Redaktionsräume Amerikas von der CIA unterwandert sein sollen. [4] Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen oder werden die Verhältnisse verzerrt dargestellt?

RMcG: Es gibt die berühmte Aussage des früheren CIA-Direktors William Colby, wonach die Agency 90 Prozent der wichtigsten Leute bei den US-Medien unter ihrer Kontrolle hat. Früher hielt ich das für eine Übertreibung. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es spricht jedenfalls Bände, wie dieser Tage die ehemalige CIA-Führungsriege um George Tenet, Porter Goss, Michael Hayden, José Rodriguez et al mit ihrem Buch "The Rebuttal", in dem sie die Vorwürfe im Folter-Bericht des Senats [5] von sich weisen und die brutalen Mißhandlungen gefangengenommener, mutmaßlicher "Terroristen" zu rechtfertigen versuchen, [6] von den Medien hofiert wird.

EM: Eine großflächige Kontrolle auf der individuellen Ebene ist heutzutage gar nicht erforderlich. Die Medienkonzerne, die vielfach über Beteiligungen mit dem Rüstungssektor und anderen Teilen des kapitalistischen Wirtschaftssystems verbunden sind, wissen selbst ihre Mitarbeiter auszusuchen und auf Linie zu halten. Allein das führt zu einer Selbstzensur bei den Journalisten und Redakteuren, die höchst effektiv funktioniert.

SB: Recht vielen Dank, Frau Murray und Herr McGovern, für dieses Gespräch.


Ray McGovern lächelt, während Elizabeth Murray etwas zweifelnd blickt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Lockere Atmosphäre
Foto: © 2015 by Schattenblick



Fußnoten:

1. BERICHT/211: Amerikas Machenschaften - außer Kontrolle ... (SB)
http://www.schattenblick/infopool/politik/report/prbe0211.html

2. REZENSION/496: Tim Shorrock - Spies for Hire (US-Spionage)
http://www.schattenblick/infopool/buch/sachbuch/busar496.html

3. USA/1277: Kritiker Hillary Clintons von Polizei mißhandelt (SB)
http://www.schattenblick/infopool/politik/redakt/usa1277.html

4. REZENSION/436: Tim Weiner - CIA. Die ganze Geschichte (SB)
http://www.schattenblick/infopool/buch/sachbuch/busar436.html

5. REZENSION/640: Wolfgang Neskovic (Hg.) - Der CIA-Folterreport (SB)
http://www.schattenblick/infopool/buch/sachbuch/busar640.html

6. HISTORIE/320: Erlogene Gründe zum Irakkrieg stammten aus Folter (SB)
http://www.schattenblick/infopool/politik/redakt/hist-320.html

27. September 2015


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