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INTERVIEW/242: Marshall-Inseln klagen an - Vertragsbruch beweisbar ...    Phon van den Biesen im Gespräch (SB)


Anwalt der Marshall-Inseln zur Klage gegen die Atommächte

Interview mit Phon van den Biesen am 24. Oktober in Berlin



Am 24. April haben die Marshall-Inseln beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen die fünf UN-Vetomächte, China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA, sowie Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel eingereicht. Die kleine Inselrepublik im Südpazifik wirft allen neun genannten Staaten vor, ihre Atomwaffenarsenale zu modernisieren, statt sie abzuschaffen und damit ihren Verpflichtungen nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag nicht nachzukommen. Am 24. Oktober fand in der Technischen Universität (TU) Berlin eine Infoveranstaltung der deutschen Sektion der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) zu diesem Thema statt, an der Phon van den Biesen, der Amsterdamer Anwalt der Republik der Marshall-Inseln bei der Klage, teilnahm. Im Anschluß an die Veranstaltung stellte sich Herr van den Biesen den Fragen des Schattenblick zur Verfügung.

Podiumsteilnehmer beantworten die Fragen des Publikums - Foto: © 2014 by Schattenblick

Alex Rosen, Dieter Deiseroth, Otto Jäckel und Phon van den Biesen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Die Klage der Republik der Marshall-Inseln beruht auf dem Vorwurf, daß die Nuklearmächte ihren Verpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag nicht nachkommen und damit keine ernsthaften Schritte zur Abrüstung unternehmen. Ihr Anwaltskollege Professor Francis Boyle aus den USA, der sich in den letzten Jahrzehnten als Rüstungsgegner auf dem Gebiet der Massenvernichtungswaffen verdient gemacht hat, geht in seiner Einschätzung der Lage weit über diesen Vorwurf hinaus. Er vertritt den Standpunkt, daß der Besitz von Atomwaffenarsenalen, mit denen man die Menschheit auslöschen könnte, die Verneinung des Rechts an sich beinhaltet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit die RMI und Sie als deren Anwalt mit der Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag über den Tatbestand der Vertragsverletzung hinaus die ethischen und moralischen Aspekte ins Spiel zu bringen beabsichtigen?

Phon van den Biesen: Wir konzentrieren uns auf die Nicht-Einhaltung internationaler Verpflichtungen nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag. Dies gilt zunächst für die fünf UN-Vetomächte, die Unterzeichnerstaaten des Abkommens sind. Es gilt aber nicht für Indien oder Pakistan, denn sie sind dem Abkommen niemals beigetreten. Dennoch finden wir im Gutachten des Internationalen Gerichtshofs von 1996 Unterstützung für die Idee, daß Artikel VI des Nicht-Verbreitungsabkommens die Verpflichtung zur atomaren Abrüstung nicht erst kreiert, sondern lediglich den Beleg für ihre bereits vorhandene Existenz nach dem internationalen Gewohnheitsrecht liefert. Das ist der Leitsatz unserer Klage, und wir müssen uns stets davor hüten, ihn noch weiter aufzufächern. Denn wir wollen auf keinen Fall die Diskussion um die Themen neu eröffnen, die bereits im Gutachten zugunsten der Atomwaffengegner entschieden wurden. Wir erkennen also das damalige Gutachten als wichtiges Grundsatzurteil an und nutzen es als Ausgangspunkt unserer Argumentationslinie, hinter die wir keinen Millimeter uns zurückzuziehen bereit sind. Als Anwälte besteht für uns die wesentliche Aufgabe, aus dem Gutachten die rechtliche Grundlage einer Klage auf der zwischenstaatlichen Ebene zu schaffen oder herzuleiten.

Der Rechtsgelehrte aus den Niederlanden hält seinen Vortrag - Foto: © 2014 by Schattenblick

Phon van den Biesen
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Inwieweit werden Sie die Schwächung der strategischen Rüstungskontrolle - Stichwort einseitiger Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag im Jahr 2002 - als Beleg für den Mangel an "guten Glauben" von seiten der Atommächte in ihre Argumentationslinie aufnehmen?

PvdB: Alles, was in Richtung Wettrüsten und Modernisierung vorhandener Atomwaffenarsenale geht, stellt aus unserer Sicht ganz klar einen Verstoß gegen die Verpflichtung nach Artikel VI des Nicht-Verbreitungsvertrages, im guten Glauben für die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen weltweit zu arbeiten und sich an entsprechenden Verhandlungen zu beteiligen, dar. Um Ihre Frage zu beantworten, werden wir schon solche Negativentwicklungen auf dem Feld der Abrüstung und der Rüstungskontrolle in der Klageschrift berücksichtigen. Unserer Meinung nach ist die Modernisierung von Atomwaffen mit der Verpflichtung, im guten Glauben auf die Abschaffung aller Atomwaffen hinzuarbeiten, nicht zu vereinbaren.

SB: Die offiziellen Atommächte setzen sich seit mehr als 40 Jahren über den Atomwaffensperrvertrag hinweg, achten jedoch strengstens darauf, daß die anderen Vertragsparteien ihre Seite des Abkommens, keinen militärischen Nutzen aus der Kernkraft zu ziehen, einhalten. Ein besonders frappantes Beispiel dieser Doppelzüngigkeit ist der sogenannte "Atomstreit" mit dem Iran, einschließlich der Verhängung schwerer Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen die Islamische Republik wegen vermeintlicher Verstöße gegen den Nicht-Verbreitungsvertrag. Die fünf ständigen Mitgliedstaaten des UN-Sicherheitsrats, China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und die USA, spielen sich im Grunde genommen als Sachwalter des Abkommens auf und verlangen dessen Einhaltung von allen anderen, während sie die eigenen Verpflichtungen ignorieren. Wäre es vor diesem Hintergrund sinnvoll, wenn die Nicht-Atomstaaten mit dem Rücktritt vom Abkommen drohen würden, sollten die Atommächte nicht endlich ernsthafte Abrüstungsschritte unternehmen, um sie vielleicht hierzu zu zwingen?

Interviewszene am Tisch vor laufendem Aufnahmegerät - Foto: © 2014 by Schattenblick

SB-Redakteur und Phon van den Biesen
Foto: © 2014 by Schattenblick

PvdB: Ein solcher Vorstoß ist weder von IALANA noch von der Republik der Marshall-Inseln zu erwarten. Unser Handeln beruht auf der Annahme, daß der Atomwaffensperrvertrag und das internationale Gewohnheitsrecht ernst genommen werden sollen - und dafür setzen wir uns mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln ein. Ein Staat kann sich zwar von einem internationalen Abkommen zurückziehen, so wie es Nordkorea mit dem Atomwaffensperrvertrag 2003 gemacht hat, aber das enthebt ihn nicht von seinen Verpflichtungen nach dem internationalen Gewohnheitsrecht. Sie bleiben so oder so bestehen. Eine solche Drohung würde den Standpunkt der RMI in der aktuellen Klage nur schwächen und käme daher nicht in Betracht.

SB: Von der Frage des Besitzes oder der Modernisierung einmal abgesehen, gibt es starke Hinweise darauf, daß Atomwaffen bei mehreren Kriegen der USA und ihrer Verbündeten im letzten Vierteljahrhundert tatsächlich eingesetzt worden sind. Im ehemaligen Jugoslawien, im Irak und in Afghanistan weisen erhöhte Radioaktivitätswerte und gehäufte Strahlungskrankheiten insbesondere bei Kindern und Neugeborenen auf die Verwendung von Uranmunition oder Schlimmeres hin. Werden Sie diese Fälle in Ihrer Klageschrift dokumentieren bzw. benutzen?

PvdB: Nein, das werden wir nicht tun. Die Vorfälle, von denen Sie hier sprechen, spielen für unsere Argumentationslinie keine Rolle. Sie würden eher von unserer Hauptstoßrichtung ablenken, als sie zu verstärken. Also werden wir nicht darauf zurückgreifen.

SB: Vorhin bei der Diskussion wurde die Frage einer Beteiligung Deutschlands an der Klage in Den Haag bzw. einer die RMI unterstützenden Stellungnahme der Bundesrepublik erörtert. Muß Deutschland bzw. muß jeder NPT-Unterzeichnerstaat bei diesem Rechtsstreit Position beziehen oder kann er sich durch Schweigen einfach heraushalten?

PvdB: Jeder Mitgliedstaat der Vereinten Nationen, der sich für diesen Fall interessiert, kann sich in die Verhandlungen in Den Haag einbringen. Er muß es aber nicht. Die Entscheidung liegt bei der jeweiligen Regierung. Man kann das Ganze einfach den unmittelbaren Streitparteien überlassen. Wegen Deutschlands Position als Nicht-Atomstaat, der dennoch über die "nukleare Teilhabe" einen gewissen, wenn auch begrenzten Zugriff auf Kernwaffen hat, würde es mich wirklich überraschen, würde sich Berlin für die eine oder die andere Seite in diesen juristischen Disput einschalten.

Phon van den Biesen und SB-Redakteur im leeren Hörsaal der TU - Foto: © 2014 by Schattenblick

Beim Vier-Augen-Gespräch geht man in die Details
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Glauben Sie, daß die Klage der RMI gegen die neun Atommächte irgendwelche Auswirkungen, ob negative oder positive, auf die nächste Prüfungskonferenz zum Nicht-Verbreitungsvertrag, die 2015 im UN-Hauptquartier in New York stattfinden soll, haben könnte?

PvdB: Das hängt von den Beteiligten der Konferenz ab, würde ich sagen. Dennoch kommt man um die Erkenntnis nicht herum, daß die Tatsache, daß sich die Marshall-Inseln gezwungen sahen, den Fall in Den Haag anzustrengen, erhebliche Fragen bezüglich der Effektivität der alle fünf Jahre stattfindenden Konferenz aufwirft. Als ich und der Außenminister der Marshall-Inseln, Tony de Brum, Ende April in New York am ersten Tag des dritten und letzten Vorbereitungstreffens zur NPT-Prüfungskonferenz 2015 die Klageschrift vorgestellt haben bzw. er sie den versammelten Diplomaten vorlas, gab es im Anschluß stehende Ovationen. Das zeigt, daß die große Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten unsere Initiative, obwohl sie für die meisten von ihnen überraschend kam, begrüßen. Hoffentlich wird diese Zustimmung auf der Prüfungskonferenz im kommenden Jahr ihren Niederschlag finden.

SB: Mit der Klage gegen die Atommächte betritt die RMI juristisches Neuland. Vorhin in der Diskussion haben Sie die Frage, ob die Marshall-Inseln aufgrund diplomatischen Drucks etwa seitens der USA dazu bewegt werden könnten, die Klage fallenzulassen, mit einem kategorischen Nein beantwortet. Besteht nicht vielleicht dennoch die Gefahr, daß Indien, Pakistan und/oder Großbritannien dazu veranlaßt werden könnten, ihre Teilnahme am Verfahren aufzukündigen, um den Präzedenzfall, den ein negatives Urteil gegen sie darstellen würde, zu verhindern?

PvdB: In meinem Referat habe ich darauf hingewiesen, daß die USA und Frankreich die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs nicht mehr anerkennen. Washington tat dies 1986 nach der Verurteilung wegen der Verminung der Häfen Nicaraguas und der Unterstützung der rechtsgerichteten Contras, Paris, um sich aus der Verantwortung für den tödlichen Bombenanschlag auf das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior 1985 im Hafen von Auckland zu stehlen. Doch eine rückwirkende Zurückziehung der Zustimmung zur Entscheidungsfindung des Gerichts zieht keinen Verfahrensabbruch nach sich. Selbst wenn Islamabad, Neu-Delhi und London ihre Mitwirkung bei dem vorliegenden Fall aufkündigten, müßte der internationale Gerichtshof das angefangene Verfahren bis zum Ende führen. Also ist der Präzendenzfall schon da und läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Im Gegenteil werden sich seine Auswirkungen in den kommenden Monaten und Jahren immer mehr bemerkbar machen.

SB: Wir bedanken uns sehr, Phon van den Biesen, für dieses Gespräch.

IALANA-Transparent mit der Aufschrift 'Frieden durch Recht - Peace & Law' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Foto: © 2014 by Schattenblick


Bisheriger Beitrag zur IALANA-Infoveranstaltung unter
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BERICHT/189: Marshall-Inseln klagen an - Gebrochene Versprechen (SB)

1. November 2014