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INTERVIEW/233: Weggenossen unverdrossen - Irak auf neuen Füßen ..., Rashid Gewielib im Gespräch (SB)


Eine Leidensgeschichte epischen Ausmaßes

Interview am 29. Juni 2014 auf dem UZ-Pressefest in Dortmund



Rashid Gewielib ist Mitglied der Kommunistischen Partei des Irak. Auf dem UZ-Pressefest im Revierpark Wischlingen in Dortmund beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Lage im Irak und zur Entwicklung, die dorthin führte.

Schattenblick: Herr Gewielib, in welcher Funktion sind Sie heute auf dem UZ-Pressefest?

Rashid Gewielib: Ich bin als Vertreter der irakischen kommunistischen Partei auf dem Pressefest. Ich lebe schon lange in Deutschland und übe in viele Richtungen Aktivitäten aus, wie zum Beispiel in der Linkspartei oder der Friedensbewegung. Allgemein bestand meine Aufgabe immer darin, die Diktatur im Irak unter Saddam Hussein zu beseitigen. Zur Zeit kämpfen wir als KP für einen demokratischen verfassungsgemäßen Staat im Irak, der allen Irakern ohne sektiererische und ethnische Machtspaltung ein freies Leben ermöglicht.

SB: Gibt es für dieses Ziel unter den herrschenden Bedingungen, die stark von äußeren Kräften diktiert werden, eine realistische Aussicht?

RG: Leider ist der regionale und internationale Einfluß sehr stark. Denn mit der Diktatur Saddam Husseins hat sich auch der alte irakische Staat aufgelöst, auf dessen Territorium sich jetzt viele politische Machtzentren wie Saudi-Arabien, Iran und die Türkei bekämpfen. Dabei darf der Einfluß der USA und ihrer Politik nicht vergessen werden. Die Gewalt und Repression von Saddam Hussein, der Krieg, den das Land seit über 30 Jahren erlebt, das 13jährige Embargo - all diese Faktoren haben die Gesellschaft im Irak fast zusammenbrechen lassen. Saddam Hussein hat alle Iraker verfolgt, aber im besonderen litten die Kommunisten, Linken und laizistischen Kräfte unter seinem diktatorischem Regime. Jetzt fegt eine Islamisierungswelle durch den Irak, aber ich bin der Meinung, daß wir das als irakisches Volk überwinden können. Natürlich brauchen wir dazu Zeit. Ohne Zweifel wird es ein schwerer Kampf.

Wir als KP arbeiten daher daran, alle demokratischen und zivilen Kräfte zusammenzubinden. Dazu haben wir eine Liste mit Linken, Demokraten und Laizisten zusammengestellt. Diese Liste hat insgesamt fünf Sitze erhalten; das ist eine sehr kleine Zahl, aber sie ist dennoch wichtig für den Irak, der unter einer sektiererischen und ethnischen Spaltung leidet. In einem Land mit hohem Analphabetismus und stagnierender Wirtschaft, in dem keine Normalität herrscht, bedeutet es einen kleinen, aber wichtigen Schritt, daß im Parlament demokratische und linke Kräfte vertreten sind, um eine Politik für die Menschen im Irak zu machen. Wir versuchen zudem, mit den fortschrittlichen Kräften in den Anrainerstaaten wie auch auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten. Dazu dient auch das Pressefest heute. Die KP Iraks pflegt mit verschiedenen linken Gruppen Kontakte. Als Partei durchlaufen wir im Moment einen Erneuerungsprozeß und sind daher für alle linken Gedanken offen, die soziale Gerechtigkeit, Frieden und Fortschritt fördern.

SB: Ist die konfessionelle bzw. sektiererische Spaltung erst mit der Eroberung des Iraks eingetreten oder gab es sie schon früher in der irakischen Gesellschaft?

RG: Es gab sie schon immer, aber sie war nicht politisiert. Mit dem Putsch der Baath-Partei gegen die demokratische Republik am 8. März 1963 hat sich die konfessionelle Spaltung vertieft und mit der Zeit die ganze Gesellschaft durchdrungen. Von 1963 bis 1991 war die Ausgrenzung der Schiiten ein Wesenselement der Politik Saddam Husseins. 1991 gab es einen großen Volksaufstand, der brutal niedergeschlagen wurde und in der Bombardierung schiitischer Städte und der Kurden in Kurdistan gipfelte. Das heißt nicht, daß Saddam Hussein die Sunniten nicht verfolgt hat. Auch unter ihnen gab es viele Opfer. Die Spaltung ist unter Saddam Hussein jedenfalls tiefer geworden und hat sich politisiert.

Die iranische Revolution und die Herausbildung des Mullah-Systems hat in Verbindung mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sozialistischen Republiken später eine nicht unwesentliche Rolle bei der Islamisierung der ganzen Region gespielt. Denn der Rückgang der linken Kräfte in diesem Gebiet hat ein politisches Vakuum hinterlassen, das den Einzug islamischer Kräfte erst ermöglicht hat. Daran, daß die konfessionelle Spaltung nach dem Sturz Saddam Husseins politisch hochgekocht ist, hatten die Amerikaner ein starkes Interesse. Die USA verfolgten das Konzept der Teilung des Irak in sunnitische, schiitische und kurdische Gebiete.

Wir als KP haben die konfessionelle und ethnische Spaltung bereits in den 90er Jahren abgelehnt und sind auch später nicht davon abgerückt. Aber die politischen islamischen Kräfte und die kurdischen Nationalisten hatten dank der Spaltung leichtes Spiel, ihre eigene Macht zu festigen. Leider haben bei diesem Spiel alle auf Kosten der demokratischen Strömungen, die durch Linke, Liberale und Laizisten repräsentiert wurden, mitgemacht. Die Alternative der demokratischen Kräfte ist ein einheitlicher demokratischer Staat mit föderalem Statut, aber föderal auf der Basis der Verfassung. Wir sind keineswegs gegen eine föderale Republik im Irak, denn dieses Projekt haben wir Kommunisten noch vor den Kurden ins Leben gerufen, aber eben auf demokratischer Grundlage.

SB: Saddam Hussein hat ein autokratisches Regime geführt, das eine in hohem Maße verstaatlichte Industrie kontrollierte. Damit hat er, zumindest nach außen hin, eine relative Stabilität im Irak erreicht, wenngleich er nach innen mit starker Repression regiert hat. Der Krieg mit dem Iran, die Embargojahre und die Eroberung des Landes durch die amerikanische Militärmaschinerie haben das Leben der Iraker zunehmend verschlechtert. Wie beurteilen Sie das Verhältnis von äußerer Einflußnahme und innerer Unterdrückung durch Saddam Hussein?

RG: Für mich und auch für die KP trägt Saddam Hussein die Hauptschuld an dieser Dauerkrise. Seine Diktatur hat die demokratischen Kräfte liquidiert und die Mittelschicht durch seine Kriege zerrüttet. Die Gewerkschaften, Studenten-, Jugend- und Frauenorganisationen sind unter ihm zu Organen der Baath-Partei geworden. Damit hat er die demokratische Gesellschaft auf Null gestellt und die Arbeiterklasse per Gesetz abgeschafft. Indem er zum Beispiel alle Arbeiter im öffentlichen Sektor zu Beamten erklärt hat, sollte die Gewerkschaftarbeit ausgehebelt werden. Ohne die falsche katastrophale Kriegspolitik von Saddam Hussein hätten die USA kein Embargo verhängen und 1991 in den Irak einmarschieren und schließlich 2003 das Regime von Saddam Hussein stürzen und damit den irakischen Staat auflösen können. Das waren alles Ergebnisse seiner Politik.

Viele sagen heute, laßt uns aufhören, über Saddam Hussein zu sprechen, aber das finde ich falsch, denn ohne die Hintergründe zu kennen und die Geschichte kritisch zu analysieren, kann man die heutige Situation nicht richtig einschätzen. Die im Nordirak agierende ISIS besteht nicht nur aus islamischen Kräften, sondern sie arbeitet Hand in Hand mit verschiedenen Fraktionen der Baath-Partei. Ohne eine gesellschaftliche Basis könnten sie eine Provinz von 14.000 Quadratkilometern niemals erobern. Allein und ohne Unterstützung ist das nicht zu schaffen. Wie sollen 400 Männer aus dem Ausland zwei Provinzen im Irak unter ihre Kontrolle bringen? Militärisch und politisch ist das undenkbar. Nach der Auflösung des irakischen Staates hat die Baath-Partei in verschiedenen Formen weitergearbeitet. Den Titel Rückkehr-Partei hat sich der eine Teil des Baath-Systems gegeben. Der andere Teil hat mit dem Naqshbandi-Orden ein Bündnis geschlossen, das von Izzat Ibrahim Al-Duri, dem einstigen Stellvertreter Saddam Husseins, angeführt wird. Seit 2003 haben sie unter verschiedenen islamischen Titeln wie Mohammed-Armee, Islam-Armee, 1920-Revolution-Armee oder Mustafa-Armee gegen die US-Besatzung gekämpft. Das sind alles Begriffe mit islamischen Inhalten. Diese verbrecherischen Militanten, die im Grunde nichts anderes sind als alte Offiziere, Geheimdienstler und Mitglieder der Baath-Partei, haben später mit Al Kaida und jetzt mit der ISIS kollaboriert. Wir sehen in ihnen eine Gefahr für das zivile Leben im Irak, für die Zukunft des Landes und natürlich auch für uns Linke.

SB: Wie bewerten Sie die Gefahr, daß der Irak tatsächlich auseinanderbricht?

RG: Das hoffen wir nicht. Es gibt Möglichkeiten, dieses Schicksal abzuwenden, wenn sich die politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte zusammenfinden und sich auf eine nationale Lösung verständigen. Die Gefahr besteht natürlich. Das kann man nicht verleugnen, aber es muß kein Schicksal sein.

SB: Herr Gewielib, vielen Dank für das Gespräch.


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1. August 2014