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INTERVIEW/223: Bündnis breit und gegen ... - Taktik, Strategie und Täuschung ... Firat Celik im Gespräch (SB)


Scheinreformen der AKP-Regierung sollen die Kurden ruhigstellen

Interview am 24. Mai 2014 in Köln



Die Kurdenpolitik des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und der AKP-Regierung zielt nur dem Schein nach auf einen substantiellen Friedensprozeß ab. Soweit ansatzweise geringfügige Reformen eingeleitet wurden, waren sie offensichtlich dem Zweck geschuldet, die Kurden in der Türkei ruhigzustellen, um der Regierung den Rücken freizuhalten. Daß sich der seit über 30 Jahren andauernde kurdische Aufstand nicht allein mit militärischen Mitteln befrieden läßt, hatten eine Guerillaoffensive und ein Hungerstreik Tausender politischer Gefangener im Jahr 2012 deutlich gemacht. Zudem hatte sich die außenpolitische Lage verändert, da im Schatten des syrischen Bürgerkrieges im Norden des Nachbarlandes eine kurdische Selbstverwaltung etabliert worden war. Führende Kraft ist dort mit der Partei der Demokratischen Union eine Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans PKK.

Daraufhin nahm die AKP-Regierung Gespräche mit dem seit 15 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf. Diese Friedensgespräche führten im März 2013 zu dessen Aufruf an die Guerilla, sich aus der Türkei zurückzuziehen. Öcalan erhoffte sich von diesem Schritt eine neue Phase des Kampfes um die Demokratisierung der Türkei und verband damit die Forderung nach einer Freilassung der über 8000 politischen Gefangenen, eine Senkung der Zehnprozenthürde bei Parlamentswahlen, muttersprachlichen Schulunterricht sowie kommunale Selbstverwaltung. Garantiert werden sollen diese Rechte in einer neuen Verfassung, die nicht mehr einseitig das Türkentum betont, sondern der multiethnischen und multireligiösen Realität der Türkei Rechnung trägt.

Dem Waffenstillstand der PKK folgten jedoch keine entsprechenden Schritte der Regierung. Diese stellte zwar ihre Militäroperationen weitgehend ein, trieb aber zugleich den Bau von über 150 Militärstützpunkten im Kurdengebiet voran. Zudem unterstützt Ankara logistisch zu Al Qaida gehörende Gotteskrieger bei ihren Angriffen auf die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Syrien. Die PKK legte daher den Abzug ihrer Kämpfer vorerst auf Eis.

Im November 2013 empfing Erdogan den Präsidenten der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak, Massoud Barzani, zum Staatsbesuch in der PKK-Hochburg Diyarbakir im kurdischen Südosten der Türkei. Der durch lukrative Ölgeschäfte zum engen Verbündeten Ankaras avancierte kurdische Präsident soll der AKP-Regierung als Trumpfkarte im stockenden Friedensprozeß mit der Arbeiterpartei Kurdistans PKK und Gegenpol zu Öcalan in der Frage dienen, wer die über die vier Länder Türkei, Irak, Syrien und Iran verteilten Kurden repräsentiert. [1]

Während sich bei der Großkundgebung gegen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan am 24. Mai in Köln der Demonstrationszug von weit über 60.000 Menschen formierte, traf der Schattenblick den kurdischen Studierenden Firat Celik. Er beantwortete einige Fragen zu den Gründen seiner Teilnahme an dieser Protestaktion, dem Umgang der Bundesregierung mit der Türkei und seinen Erfahrungen als Kurde in der deutschen Gesellschaft.

Vor dem Fahrerhaus eines Transporters - Foto: © 2014 by Schattenblick

Firat Celik
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Würdest du dich eingangs kurz vorstellen und erzählen, was du in Beruf oder Ausbildung machst?

Firat Celik: Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich studiere Germanistik und Geschichte an der Universität Bochum auf Lehramt und versuche so, meinen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.

SB: Was hat dich bewogen, heute hier in Köln an der Großkundgebung gegen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan teilzunehmen?

FC: Ich bin nach Köln gekommen, um gemeinsam mit vielen anderen hier versammelten Menschen ein Zeichen zu setzen. Wir halten die Politik Erdogans und der Regierungspartei AKP in der Türkei für inakzeptabel und treten dafür ein, sie zu beenden.

SB: Welche Kritik hast du insbesondere an dieser Politik?

FC: Meine Kritik bezieht sich nicht nur auf irgendeinen speziellen Punkt, ich kann vielmehr eine ganze Reihe von Kritikpunkten anführen. Das fängt damit an, daß ich Kurde bin und die Kurdenpolitik der AKP-Regierung für gefährlich halte und ablehne. Das geht weiter über die Wirtschaftspolitik in der Türkei, deren Probleme immer deutlicher hervortreten. Und insbesondere ist die Lage der Menschenrechte zu nennen, die es in der Türkei unter dieser Regierung faktisch nicht mehr gibt.

SB: Erdogan hatte zu Beginn seiner Amtszeit zunächst signalisiert oder angedeutet, er strebe im Kurdenkonflikt eine Versöhnung an. Auf einige Lockerungen vor allem in kulturellen Fragen folgten jedoch keine weiteren substantiellen Schritte, und heute ist von einer Aussöhnung so gut wie gar nichts mehr zu erkennen.

FC: Da stimme ich dir uneingeschränkt zu, denn ich kann ebenfalls keine Fortschritte in dieser Hinsicht erkennen. Erdogan wollte zunächst die Politik gegenüber den Kurden ein bißchen auflockern, was teilweise auch schon geschehen ist. Allerdings ist das nichts anderes als ein Mittel zum Zweck, da der Ministerpräsident lediglich versucht, die Kurden ruhigzustellen und kurdische Wählerstimmen für sich zu gewinnen.

SB: Wie würdest du die Position der deutschen Regierungspolitik gegenüber Erdogan einschätzen?

FC: Definitiv zu tolerant. Man schaut einfach weg. Man verhandelt mit der Türkei seit Jahren über den EU-Beitritt, aber man schaut im Grunde durchgängig weg. Als Erdogan in den ersten Jahren seiner Amtszeit seine Scheinreformen auf den Weg brachte, hat die deutsche Regierung meines Erachtens nie ernsthaft geprüft, was es damit auf sich hat. Weder in der Kurdenfrage noch in einem der vielen anderen Konflikte und Probleme, die es definitiv in der Türkei gibt, hat die Bundesregierung nachgefaßt.

SB: Die Bundesregierung arbeitet unter anderem im Bereich der Justiz eng mit der türkischen Regierung zusammen. So werden nicht selten Menschen, die bereits in der Türkei im Gefängnis waren und dort gefoltert wurden, in Deutschland erneut festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. Wie würdest du das bewerten?

FC: Definitiv negativ. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat und sollte Menschen nicht einfach verurteilen. In diesem Land sollte erst einmal hinterfragt werden, warum diese Menschen von der türkischen Regierung verfolgt wurden und warum sie nach Deutschland gekommen sind. In den meisten Fällen haben sie demokratische Rechte wahrgenommen, ihre Meinung geäußert oder die Einhaltung der Menschenrechte gefordert und gegen deren Mißachtung protestiert. Ich finde es nicht fair, daß Deutschland die Demokratie quasi vorlebt, aber zugleich die Regierung Erdogans unterstützt und Menschen, die bereits in der Türkei zu leiden hatten, hier noch einmal strafrechtlich verfolgt.

SB: Wie erlebst du als Kurde in Deutschland das Verhalten der deutschen Bevölkerung dir gegenüber oder gegenüber den Kurden im allgemeinen?

FC: Mir gegenüber eigentlich recht positiv. Mein Freundeskreis ist sehr aufgeschlossen, sehr tolerant und respektiert meine Wurzeln. Ich sage auch nicht, daß ich Türke bin, sondern bestehe darauf zu sagen, ich bin Kurde. Da gibt es absolut keine Berührungsängste.

SB: Hast du persönlich als Kurde gegenüber Türken in Deutschland ein ausgewogenes oder eher ein angespanntes Verhältnis? Gibt es da Konflikte?

FC: Im Grunde genommen nicht. Ich habe ein sehr ausgewogenes Verhältnis zu den türkischen Mitbürgern hier und eigentlich gar keine Probleme mit ihnen. Es gibt natürlich ein paar Gruppierungen, wie zum Beispiel die Grauen Wölfe, eine faschistische Organisation, mit denen es natürlich zu Konflikten kommen kann. Aber die sind eher selten und von kleinerem Ausmaß.

SB: Du selbst hast also als Kurde noch nicht erlebt, daß es dir gegenüber zu Anfeindungen gekommen ist?

FC: Nein, das ist bislang nicht vorgekommen. Ich habe auch türkischen Mitbürgern gegenüber niemals abgestritten, daß ich Kurde bin. Ich habe auch türkische Freunde, und die mich akzeptieren und respektieren. Für sie spielt die Nationalität keine Rolle.

SB: Firat, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/915512.erdogans-symbolische-refoermchen.html


Bisherige Beiträge zur Großkundgebung gegen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln im Schattenblick unter
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