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INTERVIEW/201: Herrschaft in der Krise - Wo der Mumm fehlt! Wolfgang Erdmann im Gespräch (SB)


Wie kommen die Gewerkschaften aus der Defensive?

Interview am 10. Oktober 2013 im Magda-Thürey-Zentrum, Hamburg-Eimsbüttel



Wolfgang Erdmann, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender und aktiv im Arbeitskreis Staatsumbau der IG Metall Hamburg, referierte in der Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" [1] über Demokratieabbau in der BRD. Nach der Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den Aktivitäten, mit denen die Gewerkschaften gegen die anwachsende soziale Repression in der Bundesrepublik vorgehen, und zu den Widersprüchen zwischen Sozialpartnerschaft und Klassensolidarität.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Wolfgang Erdmann
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wolfgang, wie ist es dazu gekommen, daß der Arbeitskreis Staatsumbau unter dem Dach der IG Metall eingerichtet wurde?

Wolfgang Erdmann: Der Arbeitskreis Staatsumbau in der Hamburger IG Metall wurde vor sechs Jahren durch Beschluß der damaligen Vertreterversammlung aus der Sorge heraus gebildet, daß der Abbau demokratischer Rechte und die zunehmende Militarisierung dann auch gewerkschaftliche Rechte bedrohen könnte. Der Arbeitskreis hat in den sechs Jahren seines Bestehens zum einen Tendenzen der Militarisierung analysiert. Uns ist vor allem wichtig, die Kollegen über unsere Erkenntnisse zu informieren. Dieses Thema kommt in den Gewerkschaften oft wirklich zu kurz, und deswegen versuchen wir immer, ein bis zwei Veranstaltungen jährlich im gewerkschaftlichen Bereich, im Gewerkschaftshaus abzuhalten, um dieses oft vernachlässigte Thema auf die Tagesordnung zu bringen.

SB: Du hattest den chronologischen Verlauf deines Vortrags mit der Notstandsgesetzgebung begonnen. Damals war allgemein bekannt, daß zum Beispiel mit dem Bundesgrenzschutz bewaffnete Kräfte aufgestellt wurden, die auch zur Unterdrückung von Streiks eingesetzt werden sollten. Wie kommt es, daß die Gewerkschaften heute derartige Entwicklungen, die sich seit 1968 ständig verschärft haben, nicht mehr so aufmerksam verfolgen? Sie müßten doch um ihre Kampfkraft fürchten, wenn Streiks leicht unterdrückt werden können?

WE: Ich vermute, daß dieses Thema wegen der Fokussierung auf rein ökonomische Auseinandersetzungen in den Hintergrund gedrängt wurde. Gewerkschaften sind in großen Bereichen unpolitischer geworden, zugleich haben sozialpartnerschaftliche Illusionen einen großen Stellenwert, und zwar nicht nur an der Gewerkschaftsspitze, sondern auch in den Belegschaften. Die Bedrohung demokratischer und damit auch gewerkschaftlicher Rechte wird daher nicht intensiv in den Gewerkschaften thematisiert. Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, gerade weil sich bedrohliche Entwicklungen beschleunigt haben bis hin zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, laut dem die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt werden kann, hierüber aufzuklären und auch Widerstand zu entfalten.

SB: Es gibt ja in diesem Zusammenhang auch Streitpunkte in den Gewerkschaften etwa zur Rüstungsindustrie, in der die Arbeiterschaft auch gewerkschaftlich organisiert ist. Gibt es deiner Einschätzung nach die Möglichkeit, daß man sich besinnt, worin man als Lohnempfänger eigentlich verstrickt ist?

WE: Ich sehe ein wieder erstarkendes Interesse, über Konversionen zu diskutieren, wie es ja schon in den 80er Jahren getan wurde. Die Arbeitsplätze in den Rüstungsbetrieben sind ja heute, nur weil sie Rüstungsgüter produzieren, überhaupt nicht sicherer als im zivilen Bereich. Ich denke, es wäre auf jeden Fall eine wichtige gewerkschaftliche Strategie, hier über Alternativen nachzudenken - nicht nur aus moralischer oder ethischer Sicht oder aus Sicht der ursprünglichen Werte der Gewerkschaften, sondern auch aus ganz harten ökonomischen Überlegungen heraus, wie man eigentlich mittel- und längerfristig Arbeitsplätze und soziale Standards erhält. Mit Sicherheit funktioniert dies nicht, indem man Lobbyarbeit für die Rüstungsindustrie macht.

SB: Auch auf anderen Feldern gibt es Widersprüche zwischen ökonomischen und anderen gesellschaftlichen Interessen. So stehen etwa die Gegner der Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen und die gewerkschaftlich organisierten Belegschaften der Braunkohlekraftwerke auf zwei verschiedenen Seiten der Straße. Wie gehen die Gewerkschaften damit um, daß aufgrund außerökonomischer Fragen die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen nicht immer an allererster Stelle stehen kann?

WE: Hierüber gibt es heftige gewerkschaftsinterne Auseinandersetzungen auf sehr vielen Feldern. Wir haben das in jüngster Zeit hier in Hamburg beim Thema der Elbvertiefung sehr intensiv mitbekommen, denn auch in den Gewerkschaften waren und sind dazu sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten. Als einen weiteren Streitpunkt nenne ich die Rekommunalisierung der Energienetze, bei der Kollegen von Vattenfall eine völlig andere Position einnehmen als betriebsfremde Gewerkschafter, die sich für das Thema engagieren. Öffentliche Versorgung muß in kommunale Hand, das ist die Position und auch der Grundsatzbeschluß der IG Metall. Andererseits vertreten die bei Vattenfall arbeitenden IG-Metall-Mitglieder eine ganz andere Position. Hier werden ähnlich harte Auseinandersetzungen ausgetragen wie vor einigen Jahren beim Streit um die Kernkraft. Ich sehe aber auch nicht, wie es anders sein könnte. Man muß eben versuchen, Arbeitsplätze und soziale Standards zu erhalten, aber gleichzeitig auch ökologische und friedenspolitische Themenbereiche einzubinden. Dies halte ich für die eigentliche Herausforderung an fortschrittliche Gewerkschafter.

SB: Aufgrund der intensivierten Standortkonkurrenz innerhalb Europas kann es geschehen, daß sich die Belegschaften eines transnationalen Konzerns nicht unbedingt solidarisch verhalten, wenn es um die Frage geht, welcher Standort zuerst geschlossen wird. Geht es nicht auch zu Lasten der Kampfkraft der Gewerkschaften, wenn der Internationalismus nicht wieder in die Offensive kommt?

WE: Ich denke auch, daß eine Spaltung immer die Gewerkschaften und Belegschaften schwächt. Und das gilt nicht nur innerhalb der Konzerne, sondern auch innerhalb Europas. Ich erinnere mich an ein Beispiel, damals war ich Betriebsratsvorsitzender in einem Großbetrieb hier in Hamburg, als wir mit der Belegschaft sehr lange darüber diskutiert hatten, ob wir nicht einen bestimmten Produktionsbereich an ein kleines Werk in Frankreich abgeben können, an eine Tochterfirma, bei der die Arbeit ausgegangen war, während bei uns Überstunden beantragt waren. Es ging nicht um kurzfristig angefallene Überstunden, sondern wir hatten aufgrund des Produktspektrums auf längere Sicht viel Arbeit. Und die Belegschaft haben wir in dieser Frage hinter uns gebracht, so daß wir mit der Firma die Verlagerung eines bestimmten Produktionsbereichs an das Tochterwerk organisieren konnten.

Aber das kostete natürlich eine ungeheure Überzeugungsarbeit, einen solchen Schritt zu machen. An erster Stelle steht immer die Angst, und die ist seit Hartz 4 und Agenda 2010 viel größer geworden. Diese Angst vor Arbeitslosigkeit, auch vor dem Absturz in die Armut sowie in all die Zwänge, die mit Hartz 4 verbunden sind, ist überall zu spüren. Und diese Angst zu überwinden, kann eben nur durch viel Überzeugungsarbeit und gemeinsamem Kampf gelingen.

SB: Du hast heute einen Vortrag bei einer kommunistischen Jugendorganisation gehalten, was bei Gewerkschaften, die maßgeblich von SPD-Funktionären geführt werden, eher die Ausnahme zu sein scheint. Wie ist es deiner Ansicht nach um eine Linke in den Gewerkschaften bestellt, die die Antwort auf das ständige Zurückgedrängtwerden im Grunde genommen in der Überwindung herrschender Verhältnisse ansiedeln müßte?

WE: Die Linke in den Gewerkschaften würde ich, so wie die Frage gestellt wurde, als eine politische Bewegung mit einem antikapitalistischen Ziel definieren. Das ist sicherlich ein relativ schwach ausgeprägter Anteil unter den Gewerkschaftern, aber er ist vorhanden, und es wird heftig diskutiert. Ich hatte das große Glück, als Mitglied eines gewerkschaftlichen Vertrauenskörpers, den ich zehn Jahre geleitet habe, mit großem Vergnügen politisch diskutieren zu können. Das ist etwas unschätzbar Wertvolles, wenn man gemeinsam mit den Kollegen Perspektiven ausdiskutieren kann, und zwar nicht nur über kurzfristige betriebliche Kampagnen, sondern auch über die gesellschaftliche Zukunft.

SB: Hast du den Eindruck, daß die Gewerkschaften in der Analyse auf der Höhe der Zeit sind? So ist erstaunlich, wie wenig in der Öffentlichkeit über das Transatlantische Freihandelsabkommen debattiert wird, was es bedeuten könnte für die weitere Liberalisierung und Privatisierung in der EU und der Bundesrepublik. Inwieweit sind Gewerkschaften in der Lage, auf derartige Herausforderungen nicht nur zu reagieren, sondern sie auch zu antizipieren?

WE: Diese Frage muß ich sehr negativ beantworten, weil bei der Einschätzung der heutigen Krise in der Bundesrepublik kaum fundiert argumentiert wird. Das gilt auch für die großen Gewerkschaften wie IG Metall und ver.di, die sonst eigentlich auf dem Gebiet intensiver arbeiten. Doch auch dort findet man fast nichts an fundierten Argumentationen, die aber wichtig wären, um sich für bevorstehende Verschärfungen der Krisenprozesse zu wappnen, insbesondere mit solidarischen Aktionen in Europa. Ich halte es für einen gravierenden Mangel, daß es keine fortschrittliche gewerkschaftliche Position zum Thema Freihandelsabkommen gibt, denn dies ist einer der nächsten Schritte. Wir haben heute über neoliberale Tendenzen gesprochen. Hier geht es um das Niederkonkurrieren und Ausschalten von vorhandenen sozialen Standards, die über Jahrzehnte erkämpft wurden und die über das Vehikel Freihandelsabkommen von oben niedergemacht werden können. Ich halte es für einen gravierenden Mangel, daß wir nicht mit Analysen und Bewegungen wirkungsvoll gegenhalten.

SB: Es gab innerhalb der Gewerkschaften in früheren Jahren immer den Versuch, bestimmte Fraktionen auszuschließen. Warum gibt es euren Arbeitskreis überhaupt noch?

WE: Der Arbeitskreis wurde durch Beschluß der Delegiertenversammlung gebildet. Wir stützen uns auf eine relativ fortschrittliche Beschlußlage des letzten Gewerkschaftstages, der sich vehement gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr, gegen verstärkte Rüstungsexporte und gegen den Abbau demokratischer Rechte ausgesprochen hat. Insofern bewegen wir uns auf einem ganz stabilen Fundament und können von daher sowohl im Gewerkschaftshaus tagen als auch dort unsere Veranstaltungen durchführen. Daß das natürlich nicht von allen gern gesehen wird, ist völlig klar. Wir sind argumentativ gut aufgestellt und auch in einigen Betrieben gut verankert. Insofern sind wir da ganz optimistisch, daß wir daran weiter arbeiten können.

SB: Wolfgang, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

Bisherige Beiträge zur Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)
BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)
INTERVIEW/196: Herrschaft in der Krise - Bündnisse der Arbeit, Hans-Peter Brenner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/197: Herrschaft in der Krise - der Lackmustest, Markus Bernhardt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/198: Herrschaft in der Krise - türkisch-linke Bündnisfragen, Duran Kiymazaslan im Gespräch (SB)
INTERVIEW/199: Herrschaft in der Krise - am linken Schlaf vorbei, Sylvia Brennemann im Gespräch (SB)


23. Oktober 2013