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INTERVIEW/197: Herrschaft in der Krise - der Lackmustest, Markus Bernhardt im Gespräch (SB)


Gegen Faschismus, Kapitalismus und Krieg

Interview am 4. Oktober 2013 auf Hamburg-St. Pauli



Markus Bernhardt ist als Autor und Aktivist seit langem in der radikalen Linken aktiv. Vor Beginn der Hamburger Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" [1], zu deren Auftakt er als Podiumsteilnehmer geladen war, um über einen Antifaschismus auf der Höhe heutiger Herausforderungen zu diskutieren, hatte der Schattenblick Gelegenheit, Markus einige Fragen zu den ideologischen Verwerfungen einer Bewegung zu stellen, die in Anbetracht der restaurativen Tendenz des Feudalkapitalismus und dementsprechend aggressiver auftretender Nazis mehr denn je auf eine eindeutige und einheitliche Positionierung angewiesen wäre.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Markus Bernhardt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Gestern mittag freute man sich im Deutschlandfunk darüber, daß in Stuttgart am Tag des sogenannten Deutschlandfestes keine Proteste stattfanden, was die Moderatorin für mehr als ungewöhnlich befand. Allerdings war das linke Lilo-Herrmann-Zentrum schon morgens von Polizeikräften umstellt worden, und eine ver.di-Jugendsekretärin wurde in Unterbindungsgewahrsam genommen, um die Feierlichkeiten nicht zu stören. Zwar gab es später am Tag noch eine Demonstration, aber muß man angesichts dessen, daß Aktivistinnen und Aktivisten anläßlich einer staatstragenden Veranstaltung präventiv in Gewahrsam genommen oder unter Hausarrest gestellt werden, nicht die Frage stellen, wer überhaupt im Sinne des Antifaschismus der Gegner ist?

Markus Bernhardt: Es ist ein Defizit der politischen Linken in diesem Land oder derjenigen, die sich maßgeblich für autonome Antifaschisten halten, daß sie eine relativ banal anmutende Politik machen. Überall werden böse Nazis vermutet, die es de facto sicherlich auch gibt, aber ich denke mittlerweile, daß das Hauptproblem in der Gesellschaftsform liegt, in der wir leben. Doch zunächst möchte ich positiv hervorstreichen, daß es überhaupt Proteste gegen den sogenannten Tag der Deutschen Einheit gegeben hat. Ich halte diese Feierlichkeit für vollkommen überflüssig und politisch verlogen, dient sie doch dem Großmachtstreben Deutschlands vor allem auch in Kriegsfragen. Bundespräsident Gauck ist darauf eingegangen. Mehr Verantwortung übernehmen lautet offenbar heutzutage die Parole, wenn man imperialistische Angriffskriege und Aggressionen meint.

Ich habe die Proteste begrüßt, weil der Aufruf der Stuttgarter Gruppen - darunter ver.di, einige antifaschistische Organisationen und das linke Zentrum Lilo Hermann - tatsächlich sehr inhaltsreich war. Man hat darauf verzichtet, wie es oft zur Kenntnis genommen werden muß von linken Gruppen, DDR-Bashing zu betreiben, sondern hat die Systemkonkurrenz zwischen DDR und BRD nochmal auf die politische Tagesordnung zurückgeholt und klargestellt, daß sie natürlich auch positive Auswirkungen auf die soziale Situation im Westen hatte. Insofern bin ich sehr zufrieden, daß es überhaupt noch Leute gibt, die sich dem deutschen Imperialismus und seinem Großmachtstreben entgegenstellen. Wenn ich jetzt höre, daß es in Stuttgart zu Repressionen gekommen ist, um Proteste zu unterbinden, zeigt es meines Erachtens umso mehr, wie dringend notwendig sie sind. Schade, daß solche Proteste nur in Stuttgart in dieser inhaltlichen Ausrichtung geplant wurden und daß nicht viele Leute daran teilgenommen haben. Das spricht nicht für die politische Linke in diesem Land.

SB: Bei früheren 3.-Oktober-Feierlichkeiten waren die Aufrufe durchweg antinational gehalten. Eine differenzierte Rückschau auf das Verhältnis zwischen BRD und DDR hat es in diesem Sinne nicht gegeben. Wo sind die Aktivistinnen und Aktivisten geblieben, die ihre kritische Haltung zum Staat am 3. Oktober in größerer Zahl auf die Straße getragen haben?

MB: Die gab es und es gibt sie natürlich auch heute noch. Ich glaube allerdings, daß sich ihre politischen Aktivitäten verschoben haben. Um es ganz klar zu sagen, sind diejenigen, die sich in den letzten fünfzehn Jahren oder in den Jahren nach der Annexion der DDR in den antinationalen Kreisen zusammengefunden haben, heutzutage in ihrer übergroßen Mehrheit einer Meinung mit Kriegstreibern aus der politischen Elite in diesem Land wie einem Herrn Gauck. Es ist daher kein Wunder, daß viele aus dem sogenannten antideutschen Spektrum - was an sich ein falscher Begriff ist, denn es handelt sich bei ihnen um nichts anderes als Neokonservative - bei Postillen wie der Frankfurter Allgemeinen gelandet sind. Diese Personen sind also da angekommen, wo sie hingehören und auch konsequent verortet werden müssen, nämlich auf der politischen Rechten.

Ich hatte übrigens in den 1990er Jahren tatsächlich Sympathien mit der Nie-wieder-Deutschland-Bewegung, weil ich die Sorge vor deutschem Großmachtstreben nachvollziehen konnte und ebenfalls befürchtete, daß von einem wiedervereinigten Deutschland verstärkt Kriege ausgehen würden. Beides hat sich bestätigt, diejenigen die damals jedoch angeblich dagegen auf die Straße gegangen sind, bejubeln eben diese Entwicklung heutzutage. Aus diesem Grund sind sie keine Bündnispartner für mich oder jemand, mit dem ich auch nur in die politische Debatte eintreten möchte.

Ich finde ich es daher besonders bemerkenswert, daß die Stuttgarter bereit waren, ein sehr fundiertes DDR-Bild zu vermitteln und begrüße deren Aktivitäten uneingeschränkt. Die DDR wird ja ansonsten maßgeblich in Metropolen wie Berlin diskutiert. In Nordrhein-Westfalen, beispielsweise in Düsseldorf, wird man eher schräg angeguckt,wenn man sich als Linker politisch positiv auf die DDR bezieht.

Ich will die Versäumnisse und Fehler, die es natürlich auch im real existierenden Sozialismus gab, nicht kleinreden, aber wir brauchen keine politische Rechte und Antikommunisten, die uns erklären, was wir als Linke an Geschichte aufzuarbeiten haben. Das können wir selber. Es ist sicherlich der schmerzhafteste Prozeß für die Genossen und Genosssinnen, die in der DDR Verantwortung getragen haben, ihre eigenen Fehler aufzuarbeiten. Aber es ist ihre ureigene Verantwortung. Da kann man auf Hinweisgeber aus bürgerlichem Hause gerne verzichten. Insofern bin ich froh, daß man in Stuttgart die sozialen Errungenschaften, die es in der DDR durchaus gab, herausgestellt hat. Denn im Gegensatz zum Westen der Republik ist von der DDR niemals Krieg ausgegangen. Man kann sich auf den Kopf stellen, aber was die verantwortlichen SED-Politiker, und auch Erich Honecker, im Rahmen der Wende zum massiven Sozialabbau und zu den Angriffskriegen, die von Deutschland wieder ausgehen würden, gesagt haben, hat sich bestätigt. Überhaupt haben die autonomen antifaschistischen Organisationen in Stuttgart immer ganz klar Stellung bezogen gegen antimuslimischen Rassismus, gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung und gegen Anwerbungsaktionen der Bundeswehr an Schulen.

SB: Die Auseinandersetzung mit der DDR innerhalb der Linken ist ein geschichtspolitisches Thema. Natürlich geht es nicht darum, die DDR in ihrem damaligen Zustand wiedererstehenzulassen, aber sehr wohl soll die außerparlamentarische Linke hier in der Bundesrepublik dazu genötigt werden, sich unter der Last der von bürgerlichen Kreisen vollzogenen Verdammung der DDR auf eine Weise zu positionieren, aus der ihre Gegner politischen Nutzen ziehen können. Wie siehst du das?

MB: Selbstverständlich geht es nicht darum, die DDR wieder neu aufzurichten, wenngleich da natürlich machtpolitische Gesichtspunkte mitspielen, denn eine politische Linke hat es mit dem DDR-Staat im Rücken einfacher gehabt als ohne ihn. Das ist eine Binsenweisheit, egal, wie man die DDR en detail einschätzt. Natürlich berührt die historische Diskussion auch die Frage der zukünftigen Ausrichtung der politischen Linken in diesem Land, und zwar insofern, als die DDR-Diskussion linke Kernthemen klar hervortreten läßt. In meinen Augen ist eine Linke nur dann links, wenn sie mindestens drei Kernthemen hat: offensiver Antifaschismus, offensiver Antikapitalismus und die offensive Ablehnung jeglicher Kriegstreiberei.

Bei den Gruppen, die in der außerparlamentarischen Linken tätig sind, habe ich den Eindruck, daß es derzeit eher um Befindlichkeiten geht, ob beispielsweise Transsexuelle eigene Toiletten kriegen, wie das in Berlin beschlossen worden ist. Ich denke nicht, daß das jetzt die wichtigen Themen sind, die besprochen werden müßten. Mir hilft die beste Gleichberechtigung nicht, wenn Deutschland Krieg führt oder ich nicht weiß, wie ich meine Miete bezahlen soll. Doch diese Themen spielen in weiten Teilen der sogenannten Linken keine Rolle mehr. Dort hat man sich eher dem klein-klein verschrieben, was aber mit den Realitäten der Mehrheit der Leute und ihren Sorgen und Nöten überhaupt keine Verbindung mehr hat.

Insofern muß man den DDR-Bezug herstellen, weil daran klar wird, daß es bei der Kriegsfrage und der Frage der sozialen Absicherung um einen grundsätzlichen Machtkampf geht. Diejenigen, die die DDR von links verteufeln, sind zugleich diejenigen, die diese Kernthemen nicht mehr bearbeiten wollen und tatsächlich schon froh sind, wenn sie ihre vegane Volksküche machen können und sich vor allen Dingen selber moraltriefend erklären können, daß sie die besseren Menschen sind. Das ist eine Politik, für die ich weder stand noch zukünftig stehen werde. So gesehen bin ich gerne bereit, mich von solchen Leuten zu trennen, weil ich sie nicht auf der politischen Linken verorte.

SB: Woher kommt deiner Ansicht nach die starke Beschäftigung mit Identitätsfragen? Im Autonomen Jugendzentrum in Bielefeld durfte vor kurzem eine Punkband nicht spielen, weil deren Drummer mit nacktem Oberkörper auftrat. Wenn dabei eine neue Art von Puritanismus herauskommt, scheint die Frage, was man gesellschaftlich verändern will, offenbar in den Hintergrund getreten zu sein.

MB: Dieses Beispiel, zu dem es diverse andere gibt, macht deutlich, daß selbst die katholische Kirche in Sachen Moral und Prüderie nicht mehr so schlecht aufgestellt ist wie autonome Antifa-Gruppen. Ich wüßte nicht, was daran sündhaft oder nicht statthaft sein sollte, wenn der Drummer einer Punkband mit freiem Oberkörper spielt. Daran zeigt sich die Kleingeistigkeit, mit der wir es mittlerweile in der außerparlamentarischen Linken und vielen autonomen Antifa-Gruppen zu tun haben. Das sind politische Konstruktionen, für die ich nicht stehe und mit denen ich tatsächlich auch nichts zu tun haben möchte. Man wird im Endeffekt, das will ich sehr deutlich sagen, in einer fast faschistoid anmutenden Gesinnungsgemeinschaft von solchen Gruppen bespaßt, die verhindern wollen, daß Leute ein emanzipatorisch selbstbestimmtes Leben führen. Der Irrsinn an der ganzen Geschichte ist, daß sich diese Gruppen ausgerechnet mit Adjektiven wie "emanzipatorisch" schmücken. Dabei ist ihr Denken meines Erachtens kleinbürgerlich bis ins Detail. Da bin ich froh, daß solche Leute in diesem Land niemals über den politischen Einfluß verfügen werden, um die Mehrheit der Menschen mit ihren wirklich absurden Ansichten zu terrorisieren.

Wir haben eine allgemeine Diskussion zur Kenntnis zu nehmen, bei der die Schnöseligkeit junger Aktivisten zunimmt, die sich als das Gute inszenieren und alle, die nicht wie sie ticken, weil sie beispielsweise in der Genderfrage keine Unterstriche machen, weil sie zu Farbigen nicht People of Color sagen und sich diesen PC-gesetzten Begrifflichkeiten nicht beugen, im Endeffekt zu Nazis umdeuten.

SB: Die Tierbefreiungsbewegung und die vegane Lebensweise haben unter manchen Linken einen schweren Stand. Gehört die Frage des Umgangs mit schmerzempfindenden Wesen, auch wenn es sich dabei nicht um Menschen handelt, für dich zu einem linken Selbstverständnis oder hast du damit weltanschauliche Probleme?

MB: Die Themen Tierbefreiung und Veganismus werden gemeinhin bei antiimperialistisch orientierten Kreisen als Spinnerei abgetan. Ich habe das früher auch so gesehen, mußte mich aber eines Besseren belehren lassen und teile inzwischen tatsächlich die Stoßrichtung deiner Frage. Natürlich lassen sich am Umgang mit Tieren auch Schlußfolgerungen zur Entwicklung einer Gesellschaft ziehen. Wenn ich die Bilder und Skandale der letzten Wochen Revue passieren lasse, würde ich sagen, das ist tierverachtend, so geht man mit Lebewesen nicht um. Ich habe mittlerweile verstanden, daß das Konzept des Vegan-Lebens oder Vegetarier-Seins von vielen linken Aktivisten als Einheit gedacht wird. In dieser Sache hat bei mir ein Umdenken stattgefunden, auch wenn ich früher zu den Leuten gehört habe, die das als Nebenkriegsschauplatz gewertet haben. Es gehört zur linken Politik, sich auch für die Rechte von Tieren in diesem Sinne einzusetzen.

SB: Du hast drei Kernfragen genannt, die für linke Politik wesentlich sind. Wie könnte man diese Fragen für Menschen außerhalb der bisweilen doch recht selbstbezüglichen linken Kreise attraktiver gestalten, um den Übertrag auf die Gesellschaft zu befördern?

MB: Ich glaube, daß viele Kreise sehr bemüht sind, den antikapitalistischen Teil der politischen Linken klein zu halten, und ich muß auch sagen, daß das weitestgehend gelungen ist. Die Frage: Ist linke Politik Selbstinszenierung und Luxus oder heißt linke Politik, für die ureigenen, aber auch für die Rechte anderer auf die Straße zu gehen? Das hat vor allem mit der eigenen Sozialisation zu tun. Daß ich also aufgrund meiner eigenen Person nicht in den Krieg ziehen, meine Miete bezahlen und für vernünftige Arbeit ein vernünftiges Auskommen haben möchte. Insofern setze ich nicht nur auf Stellvertreterpolitik. Allerdings bin ich der Überzeugung, daß die Mehrheit der Bevölkerung deutlich weiter ist als das, was sich heute politische Linke nennt. Der Durchschnittsmensch weiß, daß es hier auf St. Pauli zur Verdrängung kommt, Mieter aus ihren Wohnungen fliegen oder ihnen der Strom abgestellt wird, weil sie die Energiekosten nicht mehr tragen können, daß ältere Menschen, auch wenn sie seriös gekleidet sind, darauf angewiesen sind, Pfandflaschen in Mülleimern zu sammeln.

Damit hat dieses studentische Milieu der außerparlamentarischen Linken nichts zu tun, für sie ist es kein Thema. Aber gerade daran entscheidet sich, wofür man politisch steht. Insofern weiß ich nicht, ob ich mich überhaupt noch zur politischen Linken dieser Art dazurechnen möchte. Nicht ich habe mich, sondern die politische Linke hat sich in einer Weise verändert, daß es für mich unerträglich ist, mich in diesem moralverseuchten Inszenierungs-Dschungel noch beheimatet zu fühlen. Der Vorfall im alternativen Zentrum in Bielefeld ist in diesem Sinne sehr beispielhaft. Mehr Kleingeist, mehr Prüderie, als diese Linke gerade bietet, kann man sich kaum mehr vorstellen. Ich glaube wirklich, daß die katholische Kirche mittlerweile fast fortschrittlicher ist.

SB: Markus, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

Bisherige Beiträge zur Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)
BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)
INTERVIEW/196: Herrschaft in der Krise - Bündnisse der Arbeit, Hans-Peter Brenner im Gespräch (SB)

17. Oktober 2013