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INTERVIEW/163: Spannungsfeld Indien - mit Prof. Betz im Gespräch (SB)


China und Indien: Globaler Aufstieg ohne soziale Gerechtigkeit?

GIGA Forum am 20. Februar 2013 in Hamburg - Interview mit Prof. Dr. Joachim Betz



Prof. Dr. Joachim Betz ist Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg und wissenschaftlicher Mitarbeiter am GIGA Institut für Asien-Studien mit dem Forschungsschwerpunkt politische und soziale Entwicklung in Indien. Auf dem GIGA Forum zum Thema "China und Indien: Globaler Aufstieg ohne soziale Gerechtigkeit?" am 20. Februar in Hamburg hielt Prof. Betz den ersten von drei Vorträgen. Im Anschluß an die Veranstaltung war er bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Porträt des Interviewten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Prof. Dr. Joachim Betz
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Die heutigen Vorträge setzten unausgesprochen ein bestimmtes Entwicklungsmodell voraus. Muß man nicht angesichts der Herausforderungen innerhalb Indiens, aber auch mit Blick auf die globale Ressourcenverfügbarkeit fragen, ob dieses Entwicklungsmodell überhaupt noch seine Gültigkeit besitzt?

Professor Dr. Joachim Betz (JB): Ja, das ist natürlich eine interessante Frage, die relativ wenig thematisiert wird. Da geht es immer um die Endlichkeit der Ressourcen, die begrenzte Aufnahmekapazität der Atmosphäre und ob wir unseren bisherigen Standardkonsum fortsetzen können wie bislang. Wenn man sich überlegt, die chinesischen Bürger hätten genauso viele Autos wie die Amerikaner, dann kämen 700 oder 800 Millionen dazu, und in Indien sähe es nicht viel anders aus. Es ist ja in der Tat so, daß bei Fortsetzung des bisherigen Kurses in Indien, China und anderen Schwellenländern die Erdatmosphäre stark belastet und die globale Erwärmung deutlich zunehmen wird.

Das Wachstum ist sicherlich nicht nachhaltig, obgleich man konstatieren muß, daß die Schwellenländer einige Anstrengungen unternehmen, um ihren Energieverbrauch deutlich zu senken. Dazu werden umfangreiche Programme aufgelegt, was hierzulande wenig wahrgenommen wird. Da die Länder wirtschaftlich so schnell wachsen, nützt es jedoch dem globalen Klima vergleichsweise wenig, wenn sie die Energieintensität ihres Wachstums senken. Die Wachstumsrate ist dann immer noch so groß, daß trotz der Bemühungen die Klimagasemissionen drastisch zunehmen.

SB: Was soll aus den 600 Millionen indischen Bauern werden, wenn die landwirtschaftliche Produktivität eine mit Europa oder Nordamerika vergleichbare Entwicklung vollzieht?

JB: Es würden ja nicht alle 600 Millionen aus der Landwirtschaft weggehen, und so viele sind dort auch gar nicht beschäftigt. Auf die Landwirtschaft Indiens entfallen ungefähr 50 Prozent der Beschäftigten, das macht über den Daumen gepeilt 300 Millionen. Die würden ja nicht alle aus dem Agrarsektor verschwinden. Aber wenn sie dort blieben, verurteilte man sie zu einem Hungerdasein für die nächsten hundert Jahre.

Des weiteren könnte man fragen, wenn auch noch alle Bauern auf den Arbeitsmarkt drängen und für den Export produzieren, wer dann die ganzen Waren aufnehmen soll. Das sind Bedenken, die man häufig hört. Die indische Regierung pflegt darauf zu erwidern: Auf dem Weltmarkt ist Platz für viele. China ist der größte Anbieter, da hat es auch noch Platz für Indien.

Ich halte das Argument für nicht ganz verkehrt, weil Indien ja nicht die Billigproduzenten ersetzen würde, sondern es würde Industrieländer-Exporte möglicherweise im mittleren Bereich der Technologie ersetzen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt: Die Bauern würden nicht alle in die Exportproduktion abwandern, sondern auch für den Binnenmarkt produzieren, in dem Maße, wie der Wohlstand sich dort verbreitet und natürlich auch die Nachfrage. Und wenn man sich die indischen Konsumenten anschaut - es war vorhin von der Mittelschicht die Rede, ich halte die Angaben von 200 oder 300 Millionen für übertrieben -, so stellt man fest, daß sie gemessen an unseren Verhältnissen noch fast gar nichts konsumieren. Von daher bestünde auch noch Aufnahmemöglichkeit für eine zusätzliche Produktion.

SB: Der indische Handelssektor dürfte demnächst eine Wandlung erleben, sobald die ausländischen Supermarktketten ins Land kommen. Dagegen wurde schon massiv protestiert, zumal in Indien der Handel weitreichend auf Kleinhändlern und kleinen Läden basiert. Müssen diese nicht jetzt einen harten Verdrängungswettbewerb befürchten?

JB: Sie sind sicherlich einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Da dreht es sich nicht um kleine Zahlen. In diesem Bereich sind zwei bis drei Millionen Arbeitskräfte beschäftigt. Wenn die durch die Supermärkte verdrängt werden, entsteht natürlich ein gravierendes soziales Problem. Bloß die Kehrseite der Medaille, das muß man ja auch sagen, ist die Ineffizienz dieses Vermarktungswesen. Durch den Kleinhandel entstehen hohe Kosten. Verderbliche Ware, hohe Handelsspannen, sehr kleines Handelsvolumen - für all das bezahlt letztlich der indische Konsument. Wobei man natürlich auch garantieren müßte, daß nicht die Supermarktketten die Gewinne abschöpfen.

SB: Wenn wir die aktuelle Debatte um den Fleischkonsum in der Europäischen Union betrachten, stellen wir fest, daß verschiedene Maßnahmen der EU-Kommission zur Etablierung großer Handelsketten geführt haben. Könnte man die Agrarproduktion in Indien nicht lokal oder regional organisieren, so daß dann die Kleinhändler diejenigen wären, die gewährleisten, das qualitativ hochwertige Produkte hergestellt werden anstatt welche, die aus den verschiedenen Regionen zum billigen Preis zusammengemischt werden?

JB: Da haben Sie sicher recht, daß die Kontrolle der Qualität ein Problem werden wird. Es gibt in Indien sehr wenige Lebensmittelinspektoren, und die entsprechenden Ämter sind unterbesetzt, so daß die Güte der Waren nicht garantiert werden kann. Allerdings bin ich mir auch nicht sicher, ob wir vor 50 Jahren, als ich noch klein war, ständig mit Qualität beliefert worden sind.

SB: Aus China wird in letzter Zeit sehr viel über große Umweltprobleme berichtet. China gilt als wegweisend für Indien. Wie stark treten solche Umweltprobleme dort auf?

JB: Es gibt in Indien eine ziemlich breite Umweltbewegung, die sich vor allem um lokale Probleme wie die Luftverschmutzung, Einleitungen von verschmutztem Wasser, illegale Erz- und Kohleminen und dergleichen Sorgen macht. Das wird durchaus politisch aufgegriffen durch Parteien, manchmal aus opportunistischen Motiven. Das Umweltbewußtsein hat sich in Indien sehr stark entwickelt, und die Gesetzeslage ist vergleichsweise strikt.

SB: Aber ist die Umweltproblematik auch so drängend?

JB: Ja, absolut. Es gibt Berechnungen, wonach man das indische Wirtschaftswachstum zu drei bis vier Prozent reduzieren müßte, wenn man die zunehmenden Umweltschäden einberechnete. Man kann solche Zahlen natürlich schlecht beweisen.

SB: Sogar in hiesigen Medien wurde schon mal über indische Proteste gegen den Wasserverbrauch eines namhaften, weltweit tätigen Getränkeherstellers und über den Widerstand gegen die Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen wie Baumwolle oder Auberginen berichtet. Inwiefern geht die indische Regierung auf solche sozialen Konflikte in Verbindung mit der wirtschaftlichen Entwicklung ein?

JB: Sie können davon ausgehen, daß in Indien alles politisch ausgeschlachtet wird, was irgendwie ausgeschlachtet werden kann. Die Konflikte um Landnahme durch Industrieunternehmen oder durch öffentliche Infrastrukturvorhaben sind politisch sehr stark hochgespielt worden. Das hat dazu geführt, daß ein neues Landerwerbsrecht eingeführt wurde, wodurch wiederum die Bodenpreise deutlich in die Höhe getrieben wurden.

Aufnahme von dem großen Marsch für Land. - Foto: © Herbert Sauerwein

Der große Marsch für Land - gewaltfreie Kampagne der indischen Landlosenorganisation Ekta Parishad im Oktober 2012
Foto: © Herbert Sauerwein

Die Konflikte um Landrechte und Landerwerb haben massiv zugenommen und werden von einzelnen Parteien aufgegriffen. Im intensiven politischen Wettbewerb spielen solche Sachen, die populären Ärger erzeugen - nach dem Motto: man nimmt uns das Land weg zum Billigstpreis -, eine große Rolle und werden gnadenlos ausgenutzt. Darüber ist schon die kommunistische Landesregierung in Westbengalen gestolpert.

SB: Bringen solche Konflikte den Naxaliten[1] Zulauf?

JB: Die Verbreitung der Naxaliten hat aufgrund der repressiven Methoden der indischen Zentralregierung und der einzelnen Unionsstaaten etwas abgenommen. Das sind im wesentlichen Kleinbauern und Landlose gewesen, die Zulauf zu den Naxaliten gefunden und sich natürlich zu Recht über ihre Landenteignung durch alle möglichen Entwicklungsvorhaben geärgert haben. Wobei man sich natürlich fragen könnte, warum die gerade bei einer kommunistischen Splittergruppierung Zulauf suchen. Ich glaube nicht, daß sie von Marxismus-Leninismus so viel verstehen. Das sind natürlich mittelschichtsgeführte, revolutionäre Bewegungen, die sich dadurch einen Anhang verschaffen, daß sie populäre Forderungen stellen wie: 'Wir brauchen ein anderes Landrecht' oder 'diese illegalen Minenaktivitäten müssen aufhören' und dergleichen.

Es sind also berechtigte soziale Beschwerden, die dann natürlich wie immer von politischen Unternehmern aufgegriffen und zugespitzt werden. Die indische Regierung hat darauf zunächst mit Repressionen reagiert und das als ein Problem des Terrorismus definiert. Sie hat dann aber, sozusagen im Nachklapp, doch relativ umfangreiche Entwicklungsprogramme für diese Regionen aufgelegt. Daraus könnte man schließen, daß die berechtigten sozialen Beschwernisse irgendwie eingesehen worden sind. Es dauerte nur eine gewisse Zeit, bis dahin wurde eine Law-and-Order-Politik betrieben.

SB: Kann es dazu kommen, daß als Folge der starken sozialen Disparität der Hindu-Nationalismus größeren Zuspruch erfahren wird?

JB: Der Hindu-Nationalismus ist praktisch ein politischer Ausdruck der aufstrebenden urbanen Mittelschicht und nicht der Armen oder derjenigen, die aus dem Wirtschaftsleben verdrängt wurden. Insoweit betrachte ich ihn auch als ein gefährliches Phänomen. Er ist ja vor allem gegen die Moslems gerichtet und versucht, ethnische, religiöse Differenzen voranzutreiben und dafür dann in spektakulären Aktionen Bevölkerungsmehrheiten zu gewinnen. Das weckt unangenehme Erinnerungen an deutsche Vorbilder der sogenannten Volksgemeinschaft.

SB: Wie beim Hindutva?

JB: Ja, wie beim Hindutva. Man beschwört eine Hindu-Einheit, und die kann natürlich nur gewahrt werden, indem man einen Außenfeind definiert. Das sind dann die Moslems oder die Christen oder wer auch immer. Das führt möglicherweise in einem Land schon dazu - wie zu Anfang des Dritten Reiches -, daß soziale Konflikte durch die Brille rassischer Unterschiede gesehen werden. Das halte ich deswegen für eine mittelfristig gefährliche Tendenz.

SB: In den letzten Tagen ist zum erstem Mal seit längerem wieder der Konflikt in Kaschmir in die Schlagzeilen geraten. Warum gelingt es weder Indien noch Pakistan, die Auseinandersetzung zu beenden, wo sie doch eine Dauergefahr für beide Länder darstellt?

JB: Das ist eine lange Geschichte. Beide Länder brauchen Kaschmir. Pakistan hat sich immer als Staat definiert, der die Heimstatt aller Moslems in Südasien ist. Nun ist Kaschmir dominant muslimisch. Für die pakistanische Staatsideologie stellt es ein Ärgernis dar, daß es da eine Gruppierung gibt, die nicht zu Pakistan gehen will, obwohl die Moslems in Indien angeblich verfolgt werden. Somit kann Pakistan aus Gründen der Staatsraison schlecht auf den Anspruch auf Gesamtkaschmir verzichten.

Indien dagegen vertritt den Standpunkt, daß es ein säkularer Staat ist und daß, wollte man jeder einzelnen religiösen Gruppierung erlauben, sich abzuspalten oder zu einem anderen Staat überzutreten, davon nur noch Bruchstücke übrigblieben. Die Inder betrachten diese Geschichte als erledigt. Sie sagen, mit dem Zugangsbegehren des damaligen Maharadschas zu Indien hat sich die Kaschmirfrage erledigt, Kaschmir ist unser. Diese prinzipiellen Positionen wurden natürlich nicht aufgeweicht, solange sich Indien und Pakistan mehr oder weniger im Kriegszustand miteinander befanden.

In den letzten zehn Jahren kam es zu Annäherungen, die wir vielleicht zu wenig wahrgenommen haben. Beiderseitige Annäherungen, die ausgerechnet in der Zeit der pakistanischen Militärherrschaft fielen.

SB: Sie sprechen von der Regierungszeit Pervez Musharrafs?

JB: Ja, die Militärregierung traute sich mehr als die zivile Regierung, Kompromisse zu schließen, die vielleicht auf eine Art Nordirland-Lösung hinausgelaufen wären mit einer gemeinsamen Verwaltung.

SB: Eine Art gemeinsames Kondominium.

JB: Ja. Gut, man ist mit dieser Idee nicht so richtig weitergekommen, aber es ist in den Köpfen angekommen, daß es abgesehen vom territorialen Streit noch um etwas anderes gehen könnte, nämlich um die Auflösung des Konflikts.

SB: Für Sie hat es also innenpolitische Gründe in beiden Ländern, die den Kaschmirkonflikt aufrechterhalten?

JB: Ja, absolut.

SB: Seit einigen Jahren tritt Indien außenpolitisch viel deutlicher in Erscheinung als früher. Beispielsweise sind der indische Premierminister Manmohan Singh und US-Präsident George W. Bush eine strategische Partnerschaft eingegangen und haben das 1-2-3-Abkommen geschlossen. Einige Überlegungen gehen dahin, daß Indien im Sinne der USA bei der Eindämmung Chinas eine Rolle spielt. Bergen die Sozialkonflikte die Gefahr, daß sie zu einer gewissen außenpolitischen Aggressivität Neu-Delhis führen könnten?

JB: Das könnte man vermuten, dafür gibt es ja in der Geschichte Beispiele. So haben ungelöste Sozialkonflikte in Deutschland beispielsweise in der Flottenpolitik Wilhelm II. Ausdruck gefunden. Obgleich es solche Dinge gibt, würde ich sagen, daß sie in diesem Fall nicht dominant sind, da die außenpolitische Elite Indiens weitgehend von dem Einfluß der Bevölkerung abgeschirmt bleibt. Die Elite macht ihr Ding und läßt sich nicht allzu sehr beeinflussen.

Es ist aber richtig, daß Indien eine größere Rolle in der weltpolitischen Arena spielt. Erstens wird das Land auch so wahrgenommen von den Großmächten, zweitens schließt es sich mit anderen zu Bündnissen wie den G-20-Staaten oder BRICS, das für Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika steht, zusammen. Die Frage, inwieweit Indien sich als Puffer gegen China einspannen läßt, wird von der Regierung in Neu-Delhi sehr zu Recht immer negativ beantwortet. Sie wollen sich nicht einspannen lassen in Allianzen welcher Art auch immer, sondern ihre außenpolitische Unabhängigkeit wahren. Das ist ihr prioritäres Ziel.

Prof. Dr. Joachim Betz im Gespräch mit SB-Redakteur - Foto: © 2013 by Schattenblic

Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Ich möchte noch einmal auf den Vortrag Ihres Kollegen Dr. Neff zurückkommen. Er sprach von den Reformen, die in jüngerer Zeit in Indien gemacht wurden, und von den Rechten, welche die Menschen jetzt haben, beispielsweise auf eine Ausbildung. Erhalten die ärmeren Menschen einen Rechtsbeistand oder wie können sie ihre Rechte wahrnehmen?

JB: Prinzipiell haben sie diese Rechte. Die standen übrigens auch schon in der Verfassung, was man jedoch lange ignoriert hat. Durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wurde die indische Regierung faktisch gezwungen, die Rechte auch in eine Form durchführbarer Gesetze zu gießen. Laut dem ländlichen Beschäftigungsprogramm haben die Menschen einen Rechtsanspruch auf hundert Tage Beschäftigung im Jahr. Wenn ihnen das nicht gewährt wird, haben sie ein Recht auf Arbeitslosenhilfe. Gewährt werden im Durchschnitt nicht diese hundert Tage, sondern viel weniger, ich glaube, es sind um die 43 Tage. Faktisch bleibt die Gewährung unter dem Anspruch, den die Menschen eigentlich rechtlich hätten.

Dem liegen verschiedene Ursachen zugrunde. Es gibt gar nicht genügend Programme, in denen man die Leute schnell beschäftigen könnte; oder die Betroffenen sind nicht in der Lage, zur Behörde zu gehen, um ihre Ansprüche dort auch anzumelden; drittens brauchen sie zunächst einmal eine Karte, die ihnen bescheinigt, daß sie unterhalb der Armutslinie liegen - und so eine Karte ist auch nicht einfach zu bekommen, weil das wiederum mit Behördengängen verbunden ist.

SB: Ein Recht nützt ja wenig, wenn es keine Möglichkeit gibt, es einzufordern.

JB: Ja, es gibt die Rechte auf dem Papier, aber natürlich ist die Durchsetzung des zugestandenen Rechts dann immer noch eine andere Geschichte.

SB: In den Vorträgen wurde auch von der "Ungleichheit" gesprochen. Könnte man sagen, daß in Indien das eher religiös begründete Kastensystem durch eines der Ökonomie ergänzt oder ersetzt wird?

JB: Wissen Sie, zum Kastensystem gibt es viele Vorurteile. Es ist ja nicht mehr so, daß man immer Kloputzer bleibt, wenn man als solcher geboren wird. Wenn Sie eine entsprechende Ausbildung haben, dann können Sie auch als Manager in der Industrie landen. Bei der Berufszuschreibung ist das Kastensystem nicht mehr wichtig. Es dient eigentlich dem privaten Umgang: Mit wem esse ich zusammen, wen heirate ich - da ist es dominant. Sie können sich all die indischen Heiratsanzeigen anschauen. In mehr oder weniger verklausulierter oder direkter Form wird dort ziemlich schnell die Kastenzugehörigkeit genannt. Das hat religiöse Gründe. Wenn Sie jemanden aus einer niedrigeren Kaste heiraten, sinkt Ihr Karma. Dann werden Sie als Ameise oder ein anderes niederes Wesen wiedergeboren.

SB: Herr Professor Betz, vielen Dank für das Gespräch.


[1] Anmerkung der Redaktion:
Naxaliten ist die Bezeichnung für maoistische Rebellen in Indien.


23. Februar 2013