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INTERVIEW/148: Kapitalismus final - Nur der Bote? (SB)


Guenther Sandleben zur Rolle des Finanzsektors in der Krise

Interview am 6. November 2012 in Hamburg-Eimsbüttel



Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" hatte die DKP den Ökonomen und Politikwissenschaftler Guenther Sandleben am 6. November ins Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg-Eimsbüttel eingeladen. Dort sprach er zum Thema "Ursache, Motor, Endzweck? Die Rolle des Finanzsektors in der aktuellen Krise" [1]. Der Referent ging in seinem Vortrag unter anderem auf die Fragen ein, ob der Finanzsektor der Auslöser oder der Motor der Krise sei und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der vielfach geforderten Regulierung des Finanzsektors beizumessen ist. Nach seinem Referat und einer angeregten Diskussion beantwortete Guenther Sandleben dem Schattenblick einige Fragen.

Sitzend im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Guenther Sandleben
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Wie hat dir der Abend sowohl von der Resonanz als auch von der Diskussion her gefallen?

Guenther Sandleben: Mir hat der Abend sehr gut gefallen. Die Beteiligung war großartig. Meiner Meinung nach war es eine sehr lebendige und kritische Diskussion, mit der ich auch gerechnet habe. Immerhin habe ich den Mainstream der Linken kritisiert. Daß da auch kritische Töne gegen mich kommen würden, war mir von vornherein klar. Ich selber habe auch von der Diskussion profitiert, denn viele Fragen bringen auch mich weiter, weil ich über sie nachdenken kann. Ich freue mich auch darüber, daß hier so tolle Räumlichkeiten für solche Diskussionen existieren.

SB: Wie siehst du deine eigene Rolle innerhalb der Linken? Bist du aus deiner Sicht eher der Vertreter einer Minderheitenposition in dieser Frage oder gibt es eine Mehrheit dafür?

GS: Zur Zeit ist es noch eine Minderheitenposition, aber eine recht starke, würde ich sagen, weil die gesamte Linke im Grunde genommen - mit wenigen Ausnahmen - die Rolle der Banken überschätzt, wenn sie in ihnen die Krisenursache sieht. Das widerspricht natürlich meiner Position. Insofern bin ich schon in der Minderheit, aber ich hoffe, daß die besseren Argumente sich allmählich durchsetzen werden.

SB: Wo kommt diese Position historisch gesehen her? War Rudolf Hilferding der Schöpfer dieser Position, derzufolge das Finanzkapital eine Sonderstellung genießt?

GS: Na ja, es sind erst einmal empirische Erkenntnisse. Rudolf Hilferding fand eine Welt vor, die so ähnlich gewesen ist wie bei uns in den 90er Jahren. Ich meine jetzt die Welt von der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Auch damals hat es einen starken expandierenden Finanzmarkt gegeben. Lenin hat übrigens in seiner Imperialismustheorie mit Zahlen belegt, daß der Handel mit Wertpapieren außerordentlich zugenommen hatte. Hilferding hatte also eine Welt vor Augen gehabt, die unserer heute gar nicht so unähnlich war. Er hat versucht, die damaligen Verhältnisse zu theoretisieren, wobei dann natürlich immer die Gefahr besteht, daß man eine aktuelle Entwicklung in die Zukunft verlängert und ihr die Qualität einer neuen Etappe zumißt. Meines Erachtens ist er damit ein bißchen zu weit gegangen. Andererseits kann man nicht behaupten, daß die heutigen Verwirrungen in der Diskussion über das Finanzkapital von Hilferding verursacht worden sind. So weit würde ich nicht gehen, weil seine Theorie dazu nicht stark genug gewesen ist. Hilferding war ja weitgehend in Vergessenheit geraten, und erst jetzt wird er allmählich wieder hervorgeholt. Aber es ist schon so, daß ähnliche Phänomene ähnliche Diskussionen hervorbringen.

SB: Könnte man in der aktuellen Entwicklung den Versuch sehen, das Finanzkapital aufzuwerten, um den Kapitalismus zu retten, ohne eine fundamentale Kritik leisten zu müssen?

GS: Ja, ich habe herauszuarbeiten versucht, daß die Liberalisierung und damit auch die Aufblähung der Finanzmärkte durch das Bedürfnis des akkumulierenden Kapitals verursacht wurde. Jetzt ist das Finanzkapital in einer sehr krisenbeladenen Phase. Die Staaten mußten massenhaft intervenieren und haben sich hoch verschuldet. Das ist eine schlechte Situation für das Kapital, denn der Staat dient schließlich dazu, die Standortbedingungen herzurichten. Wenn dem Staat das Geld ausgeht, weil er das Geld für andere Dinge ausgeben muß, um zum Beispiel Banken zu retten, dann ist das ein schwerer Verlust für das Gesamtkapital. Der Staat versucht im Augenblick, das Bankensystem, bezogen auf die jetzigen Verhältnisse, zu optimieren. Insofern verwundert es mich nicht, daß versucht wird, die Banken zurückzustutzen, so daß sie möglicherweise nicht mehr so krisenanfällig sind. Dieses Bedürfnis ähnelt dem der 30er Jahre nach der Weltwirtschaftskrise, wo das gleiche gemacht wurde. Wir sind in einer Phase, die von der Globalisierung weg wieder in Richtung auf eine Nationalisierung der Ökonomien zugeht. Darin sehe ich eine ganz neue Phase. Aber es ist wiederum nur eine Phase, keine ganze Epoche, sondern die Phase einer Korrektur der starken Expansion der Finanzmärkte und der Globalisierung, mithin eine Rückbesinnung auf die nationalen Standorte.

SB: Wie würdest du in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Staat und Ökonomie bewerten?

GS: Meiner Ansicht nach existiert das Primat der Ökonomie. Die Politik ist das Vollzugsorgan der Bedürfnisse des Kapitals, und damit wird die Politik durch die Interessen des Kapitals bestimmt, wobei die Demokratie jene Form ist, in der die Interessen des Kapitals zum Ausgleich gebracht werden. Die einflußreicheren Kapitale setzen sich stärker durch als die kleineren Kapitale, aber auch die kleineren Kapitale werden in diesem Ausgleichsmechanismus, den wir Demokratie nennen, berücksichtigt. Sie haben ebenfalls Verbände und Interessenvertretungen. Die Demokratie hat für das Kapital den Vorteil, daß es eine sehr offene Angelegenheit ist, in die sich die verschiedenen Kapitale hineindrücken und die Politik bestimmen können.

SB: Wir haben jetzt die Phase, in der die Verschuldung auf eine Staatsverschuldung übergegangen ist. Siehst du darin eine neue Phase der Entwicklung, jenseits derer es kaum noch eine Möglichkeit zur Kurskorrektur gibt?

GS: Es ist auf jeden Fall eine neue Phase der Entwicklung, daß die Entwertungsrisiken des Kapitals in die Staatshaushalte und auch in die Notenbanken gewandert sind. Es ist eine Situation, in der die letzten Anker des kapitalistischen Systems brüchig geworden sind. Das heißt nicht, daß ich davon ausgehe, daß der Kapitalismus zusammenbricht und damit aufhört zu existieren. Das passiert auf keinen Fall. Er kann zwischenzeitlich durch einen Staatsbankrott gelähmt werden, was natürlich sofort bedeuten würde, daß auch der nationale Kredit samt den Banken zusammenbricht und die Unternehmen zumindest vorübergehend stillgesetzt werden. Ich halte das für möglich, und insofern haben wir eine neue Phase, weil nämlich der Anker, der in der letzten Krise gehalten hat, jetzt brüchig geworden ist. Bei der nächsten Krise kann der Anker möglicherweise reißen, was in eine größere Krise führen würde.

SB: Wir haben jetzt auf europäischer Ebene die Situation, daß im Euroverbund die Frage diskutiert wird, ob Staaten wie Griechenland aussteigen sollten oder nicht. Hälst du es überhaupt für realistisch, die Eurozone aufrechtzuerhalten, und wenn ja, aus welchen Gründen?

GS: Die Eurozone ist eine sehr spannende Frage unter dem Gesichtspunkt: Hat das Kapital auch ein nationales oder nur ein globales Gesicht? In den Debatten der letzten Jahre ist immer nur die Globalität in den Vordergrund gerückt worden. Der Kapitalismus schafft den Weltmarkt, das ist ganz selbstverständlich, und man kann diesen Weltmarkt als Globalität verstehen, aber das Kapital hat auch ein nationales Gesicht, das sich in den Standortinteressen zeigt. Das Kapital, das in Deutschland fungiert, hat andere Interessen als das Kapital in Frankreich. Zwischen beiden Ländern existieren Konkurrenzgegensätze. Wir erleben sogar, daß in einigen Ländern regionale Kapitale, die eine gewisse Eigenständigkeit besitzen, in Richtung nationale Souveränität drängen wie zum Beispiel das Baskenland oder auch Schottland. Das sind neuralgische Punkte. Diese Nationalität des Kapitals kommt dadurch zustande, daß in einer Region oder gar in einem Land ziemlich homogene Verwertungsbedingungen existieren, die sich von anderen Regionen oder Staaten unterscheiden.

Wir sehen, daß bestimmte Kennziffern an der Oberfläche sehr verschieden sind. Deutschland und Griechenland sind dafür beispielhaft. So sind die Lohnstückkosten in Griechenland stärker gestiegen als in Deutschland, wenn wir das seit dem Jahr 2000 vergleichen. Und auch die Produktivitätsentwicklungen waren unterschiedlich, also kurzum: Das Kapital hat relativ homogene Verwertungsbedingungen innerhalb eines Landes. Wir haben so etwas wie eine nationale Mehrwertrate bzw. eine nationale Profitrate, und wir haben normalerweise auch so etwas wie eine nationale Zinsrate. Dieser Gegensatz zwischen den homogenen Bedingungen der Länder untereinander, die letztlich Konkurrenzgegensätze darstellen, hat zur Folge, daß Leistungsbilanzdefizite auftreten, wie wir sie in der Eurozone in starkem Maße erleben. Diese Gegensätze treten inzwischen immer stärker hervor und sind ein Sprengsatz für die Eurozone. Insofern bin ich sehr skeptisch in Hinsicht auf die Zukunft der Eurozone.

SB: Was würde denn mit Ländern wie Griechenland nach deinem Dafürhalten passieren, wenn sie austreten würden?

GS: Na ja, die griechische Bourgeoisie will das nicht, weil sie weiß, daß damit ein Staatsbankrott verbunden wäre. Ein Staatsbankrott würde eine Lähmung des Staates mit großen Risiken für den Bestand der kapitalistischen Ordnung bedeuten. Das wollen sie verhindern, und insofern wollen sie in der Eurozone bleiben. Staatsbankrott bedeutet nicht automatisch eine sozialistische Revolution. Wir haben in Argentinien erlebt, daß ein Staat sich wieder berappeln kann. Allerdings ist die Situation in Europa anders. Argentinien hatte seinerzeit von der boomenden Ökonomie in Lateinamerika und weltweit profitiert. Das ist in Griechenland und seinem Umfeld nicht mehr der Fall. Insofern wäre es für die Griechen schon eine sehr tiefe Krise. Man weiß nicht, wie es ausgeht, und die Bourgeoisie will das daher möglichst vermeiden. Gut, jetzt kann man das noch einmal nach Kapitalinteressen sortieren. Es gibt sicherlich eurolandbezogene Kapitalinteressen, die den Euro behalten wollen, und es gibt andere, die ihn nicht so benötigen und davon profitieren würden, wenn Griechenland eine eigenständige Währung hätte. Aber das geht dann kreuz und quer. Diese unterschiedlichen Kapitalinteressen finden wir auch in Deutschland.

SB: Beim tendenziellen Fall der Profitrate betrachtet man oft nur die Industrienationen. Wenn man sich einmal anschaut, daß Produktionsstätten immer mehr ausgelagert werden, nach China und auch in andere Länder, müßte man dann in der Frage der Verwertung von Arbeitskraft nicht das gesamte Ausmaß der Ausbeutung berücksichtigen, bis hin, daß heute sehr viele Menschen, vielleicht mehr als je zuvor, unter sklavenähnlichen Verhältnissen arbeiten?

GS: Das Marxsche Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate besagt, daß die Profitrate fällt, wenn die organische Kapitalzusammensetzung steigt, also lebendige Arbeit durch tote ersetzt wird. Kurzum, daß das konstante Kapital im Verhältnis zum variablen Kapital zunimmt. Diese Tendenz setzt im großen und ganzen mit der Produktivkraftentwicklung ein, aber es gibt auch Gegentendenzen dazu. Eine solche ist, daß die Arbeitszeit verlängert und damit der Arbeit eine größere Profit- oder Mehrwertmenge abgepreßt wird. Der Anstieg der Mehrwertrate stellt eine Gegentendenz zum Fall der Profitrate dar. Wir haben von den 80er bis in die 90er Jahre hinein erlebt, daß die Profitrate vorübergehend wieder gestiegen ist. Es gibt jedenfalls Zahlenmaterial, welches das bestätigt. Der Fall der Profitrate kennt also durchaus Phasen, in denen sie vorübergehend wieder steigt. Das ändert aber nichts an dem Gesetz, daß die Profitrate tendenziell fällt und damit die Krisen in ihrer Tendenz stärker hervortreten.

SB: Wir befinden uns schon seit Jahren in einer Phase permanenter Kriegführung. Könnte der Ausbruch von Kriegshandlungen vielleicht auch eine der maßgeblichen Strategien von Kapitalseite sein, der Krisenentwicklung entgegenzuwirken?

GS: Krieg bedeutet Vernichtung von Kapital, und auch Krise bedeutet Vernichtung von Kapital. Wenn die USA einen Weg sehen, die Produktionsstätten von Konkurrenten zu zerstören, ohne selbst größere Schäden zu erleiden, dann werden sie ein solches Vorgehen natürlich in Erwägung ziehen. Der Krieg entsteht aus dem Verwertungsdrang des Kapitals, aber es gibt immer wieder auch Momente der eigenen Vorsichtnahme, denn jeder Krieg stellt immer auch ein Risiko für das kriegführende Land dar. Man weiß nie, wie das ausgeht, weil da sehr viele Unwägbarkeiten hineinspielen. Die Tatsache, daß wir in einem permanenten Kriegszustand sind, beschleunigt auf der einen Seite die Krise, hilft auf der anderen Seite jedoch auch, sie zu vertagen.

Ein ganz einfaches Beispiel dazu: Wenn die Rüstungsproduktion kreditfinanziert wird, heißt das erst einmal, daß die Nachfrage nach Rüstungsgütern steigt, die ansonsten aus dem Kreislaufprozeß des Kapitals nicht entstanden wäre, weil sich der Staat verschuldet und vielleicht sogar noch die Notenpresse angeworfen hat. Der Krieg wirkt erst einmal verzögernd auf die Krise und lindert sie. Andererseits stellt die Staatsschuld jedoch einen Risikofaktor dar. Das heißt, die Krise wird nur vertagt. Man hat jetzt gesehen, daß der Staat einen recht großen Einfluß auf solche Verzerrungsprozesse der Krise hat. Der Staat kann die Krise nicht beseitigen, aber er kann sie hinauszögern und vorübergehend abmildern, aber stets um den Preis, daß die Krise später stärker hervortritt und der Staat dann selbst handlungsunfähig wird. Indem er die gegenwärtige Krise mildert, verstärkt der Staat die Krise der Zukunft.

SB: Oder er versucht, die Krisenfolgen auf andere Staaten umzulasten.

GS: Richtig, das passiert sehr oft.

SB: Am Ende der Diskussion hat jemand gesagt, im Grunde arbeiten die chinesischen Arbeiter für die Amerikaner und deren Lebensstandard. Wie ist dieses Verhältnis überhaupt möglich und was ist die Grundlage dafür?

GS: Die Grundlage dafür ist, daß ein Land mehr importiert als exportiert. Das heißt, ein Land verbraucht mehr Waren, als es selbst produziert, und dann lebt es auf Kosten auswärtiger Arbeiter. Das sind in diesem Fall die chinesischen Arbeiter. Aber es gibt auch Leistungsbilanzdefizite gegenüber anderen Ländern wie Japan, so daß auch japanische Arbeiter den Lebensstandard der Amerikaner sichern. Das passiert immer, wenn ein Leistungsbilanzdefizit vorliegt.

SB: Wie ist es deiner Ansicht nach möglich, daß die USA dieses Verhältnis über Jahrzehnte aufrechterhalten konnten, und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Streitkräfte der Vereinigten Staaten?

GS: Ich glaube, sie spielen keine so große Rolle, wie man vielleicht auf den ersten Blick denkt. Die USA sind sicherlich die stärkste Militärmacht, aber ökonomische Gesetze besitzen eine gewisse Eigenständigkeit. Die Politik kann nur begrenzt auf sie einwirken. Tatsache ist jedoch auch, daß die USA eine sehr große Ökonomie sind, die für eine gewisse Zeit auch dieses Leistungsbilanzdefizit mittragen konnte. Man darf nicht vergessen, daß die starke Stellung der USA - und jetzt spielt das Militär wieder hinein - mit dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut und anschließend fortgesetzt und vorübergehend noch gestärkt worden ist. Jetzt ist es eher rückläufig. Diese starke Stellung hat dazu geführt, daß der Dollar so etwas wie Weltgeld geworden ist, und zwar in dem Sinne, daß beispielsweise Rohstoffe - bei Öl ist das bekannt - über Dollar abgewickelt werden. Das wird mehr und mehr umgestellt, aber viele Waren werden immer noch auf Dollarbasis abgerechnet. Für die USA bedeutet dies, daß ihr Dollar weltweit ein Kaufmittel ist, was die US-Währung stärkt.

Insofern ist die USA als Schuldnerland immer noch vertrauenswürdig und deswegen ist es überhaupt möglich, daß China und andere Länder über Jahrzehnte hinweg hohe Devisenbestände in US-Dollar aufgebaut haben, ohne sich Sorgen machen zu müssen, daß die USA pleite gehen könnten. Aber man darf auch nicht vergessen, daß die Chinesen dies inzwischen durchaus thematisieren. Deshalb bauen sie ihre Goldbestände auf und versuchen, Unternehmen und Land in aller Welt aufzukaufen, um, wie sie sagen, zu diversifizieren. Das ist ihre Gegenmaßnahme, aber sie hängen natürlich am Dollar dran. Weil sie so hohe Dollarbestände haben, müssen sie den Kurs des Dollars auch irgendwo pflegen. So sind sie Gefangene ihrer eigenen Situation.

SB: Wenn man in ökonomischen Zusammenhängen den Begriff Vertrauen verwendet, ist damit keine psychologische Kategorie gemeint, sondern daß die Voraussetzungen für den Vertrauensvorschuß sehr solide sind. Aber kann Vertrauen überhaupt zwischen Konkurrenten entstehen oder braucht es dazu doch so etwas wie eine übergeordnete oder staatliche Gewalt, die das Vertrauen zum Beispiel in eine Währung garantiert?

GS: Ja, das Vertrauen ist in erster Linie ein Vertrauen der Warenbesitzer, die sich überlegen müssen, welches Geld sie akzeptieren, damit sie selbst die Waren ihres Bedarfs kaufen können. Denn die Waren sind ja nicht Gebrauchswerte für die Besitzer, sondern Gebrauchswerte für ihre Nichtbesitzer. Die Waren müssen die Metarmophose in Geld vollziehen, und das Geld muß werthaltig sein, denn die Warenbesitzer verkaufen ihre Ware nur gegen werthaltiges Geld. Das ist ein ökonomisches Gesetz. Die Politik kann dieses Gesetz stärken, aber durch unsachgemäße Maßnahmen auch schwächen. Die hohe Verschuldung der Staaten stellt eine große Gefahr für dieses Vertrauen dar. Staaten können dieses Vertrauen nicht aus sich selbst heraus schaffen, sondern sind auf die Warenproduzenten angewiesen. Vertrauen kann lange Zeit halten, aber plötzlich auch in Mißtrauen umschlagen. Wir sind immer noch in der Situation, daß die Staaten hohes Vertrauen genießen und damit auch gewisse Währungen wie der US-Dollar und das britische Pfund, die sehr stark belastet sind. Das Problem ist, daß Vertrauen sehr schnell erschüttert werden kann.

SB: Guenther, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

Gegenübersitzend im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Guenther Sandleben mit SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnote: [1] Siehe dazu:
BERICHT/131: Kapitalismus final - Beliebigkeitsökonomie (SB)
Plädoyer für die Rekonstruktion der Marxschen Geld- und Kredittheorie
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0131.html

12. Dezember 2012