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BERICHT/011: Zehn Jahre Bolivarische Revolution in Venezuela (SB)


Vortrag in der Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik Deutschland am 4. Februar 2009 in Berlin.


Zehn Jahre Bolivarische Revolution in Venezuela - während Präsident Hugo Chávez in Caracas im Beisein zahlreicher befreundeter Staatschefs vor einer unübersehbaren Menschenmenge die Feiern zum zehnten Jahrestag eines Werkes gesellschaftlicher Umgestaltung eröffnete, das ganz Lateinamerika inspiriert, ergingen sich Politik und Medien in Deutschland angesichts dieses Ereignisses weithin in Ignoranz, säuerlichen Seitenhieben gezielter Desinformation oder gar offener Feindseligkeit. Man diskreditiert es als Populismus, wenn eine Regierung auf breiter Front in die soziale Entwicklung investiert, als sei es reine Geldverschwendung, den Lebensstandard in Armut lebender Bevölkerungsmehrheiten entscheidend zu verbessern. Man diffamiert einen Präsidenten als verkappten Diktator, weil er es dem Volk überlassen will, ihn so lange in freien Wahlen in seinem Amt zu bestätigen, wie es ihn für den besten Garanten des eingeschlagenen Weges hält. Man wittert zutiefst suspekte Umtriebe, wo die Menschen ermutigt und unterstützt werden, ihr Geschick solidarisch in die eigenen Hände zu nehmen.

Angesichts dieser Voraussetzungen obliegt der Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela in der Bundesrepublik Deutschland eine wahre Herkulesaufgabe an Information und Gegendarstellung, gilt es doch eine Mauer des Schweigens zu durchbrechen, einer Flut anbrandender Propaganda zu trotzen und Menschen im Gastland zu erreichen, deren Sicht des gesellschaftlichen Prozesses in Venezuela von Unkenntnis und Irreführung geprägt ist. Als die venezolanische Botschaft am 4. Februar zu einer Vortragsveranstaltung einlud, stand dieser feierliche Abend in Berlin natürlich im Zeichen einer Zwischenbilanz, auf die man mit Recht stolz sei kann. Rückwärtsgewandt oder beschaulich war dieser Start ins Jubiläumsjahr aber keineswegs, wehte doch der belebende Wind einer Aufbruchstimmung durch die Räume der diplomatischen Vertretung. Die dezidiert präsentierten Errungenschaften der Bolivarischen Revolution sollten nicht zuletzt zum Anlaß genommen werden, noch weitreichendere Aufgaben ins Auge zu fassen.

Gut besuchter Vortragssaal in der Botschaft - © 2009 by Schattenblick

Gut besuchter Vortragssaal in der Botschaft
© 2009 by Schattenblick


Ein Jahrzehnt des nicht selten turbulenten und stets umkämpften bolivarischen Prozesses in einem gut einstündigen Vortrag zusammenzufassen und dabei für die Zuhörer die Wesensmerkmale zu bündeln, ohne auf die Illustration einer facettenreichen Vielfalt der Umgestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche Venezuelas zu verzichten, war ein anspruchsvolles Vorhaben, das Sachkompetenz, Vermittlungsfertigkeit und persönliches Engagenent erforderte. Bei der Botschafterin der Bolivarischen Republik Venezuela in Deutschland, Frau Dr. Blancanieve Portocarrero, war diese Aufgabe in besten Händen. Als langjährige Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität von Carabobo war die Präsentation eines inhaltlich dichten und breitgefächerten Spektrums an Fakten unterstützt durch Veranschaulichung mittels zahlreicher Schaubilder verschiedenster Art natürlich ihr Metier, was nicht minder für die Einblicke in die Motive, Prinzipien und Strategien auf höchster Ebene des gesellschaftlichen Prozesses in ihrem Heimatland gilt. Portocarrero gehörte 1999 der Verfassungsgebenden Nationalversammlung in Caracas an und wurde 2000 von Präsident Chávez zur Ministerin für Arbeit ernannt, worauf ihr ab 2002 die Leitung der Ständigen Vertretung Venezuelas bei den verschiedenen UN-Organisationen in Genf oblag, bis sie schließlich am 1. März 2005 ihr derzeitiges Amt als Botschafterin ihres Landes in der Bundesrepublik Deutschland antrat.

Dr. Blancanieve Portocarrero - © 2009 by Schattenblick

Dr. Blancanieve Portocarrero
© 2009 by Schattenblick


Wer meinen mochte, ein Botschaftsvortrag über die Leistungen des eigenen Landes müsse zwangsläufig trocken, hölzern und formal in Inhalt und Präsentation sein, wurde von Dr. Blancanieve Portocarrero rasch eines Besseren belehrt. Die bunt gemischte deutsch-venezolanische Zuhörerschaft im gut gefüllten Salon Venezuela der Botschaft hatte die Referentin des Abends kaum mit Beifall am Rednerpult begrüßt, als sie auch schon Kontakt mit ihrem Publikum herstellte und das Feuerwerk eines Vortrags zündete, der des öfteren von Äußerungen begeisterter Zustimmung unterbrochen wurde. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang den Pressesprecher der Botschaft, Herrn André Scheer, dem die Übersetzung der inhaltsreichen und temperamentvoll präsentierten Darstellung ins Deutsche Höchstleistungen abverlangte.

P. Portocarrero und A. Scheer - © 2009 by Schattenblick

P. Portocarrero und A. Scheer
© 2009 by Schattenblick


Obgleich die Fülle der angesprochenen Themen natürlich auch das Interesse der Zuhörer auf die Probe stellte, zumal die Botschafterin aus dem Vollen schöpfte und gewiß nicht früher als ihr Publikum ermüden würde, konnte von Langeweile nie die Rede sein. Im Gegenteil: Wer den Verlauf der Bolivarischen Revolution über die Jahre aufmerksam mitverfolgt und sich angesichts zahlloser Anfeindungen und Angriffe um ihn Sorgen gemacht hatte, konnte sich nach Herzenslust dieser Fundgrube an Fakten und Argumenten bedienen, die aufklärten, vertieften und korrigierten, was man bislang über die Entwicklung in Venezuela in Erfahrung gebracht hatte.

Vom Abbau der Armut und einer reduzierten Spreizung der Vermögensverhältnisse über zahlreiche soziale Leistungen in Gesundheitswesen, Bildung, Ernährung, Wohnraumbeschaffung und Altersversorgung bis hin zu Kultur und Sport reichte das referierte Spektrum der Veränderungen, die insbesondere jenen Teilen der Bevölkerung zugute kommen, die in der Vergangenheit durchweg unter Ausbeutung, Mißachtung und Ausgrenzung zu leiden hatten. Vorgestellt wurden auch die Leistungen beim Ausbau der Infrastruktur wie etwa bei Eisenbahnwesen, Straßenbau, Bewässerung und Wasseraufbereitung, woran sich die Förderung des Tourismus anschloß, der sich insbesondere auf die Reise- und Urlaubsangebote für Venezolaner im eigenen Land konzentriert. Nicht zu kurz kam natürlich die Umgestaltung der Wirtschaft, in der Großunternehmen, deren Gewinne in das Sozialwesen zurückfließen, neben Kooperativen, Genossenschaften, mittleren und kleinen Unternehmen bis hin zu familiären Produktionseinheiten existieren.

Dies leitete über zur Zusammenarbeit mit befreundeten Nationen im Rahmen der ALBA, die auf Grundlage regionaler Souveränität und Integration bei der Kooperation im Energiesektor beginnt, viele weitere Bereiche wie etwa den Zugang zu Informationen einschließt und nicht vor zentralen ökologischen Fragen wie insbesondere der Rettung des Regenwaldes im Amazonasgebiet endet. Angestrebt werden solidarische Beziehungen ohne Marktspekulation und Herrschaft, wie sie nach Jahrhunderten der Ausplünderung und Erniedrigung Lateinamerikas durch imperialistische Mächte heute in zahlreichen Ländern dieser Weltregion aufzublühen beginnen.

 © 2009 by Schattenblick

Eingedenk der Vielzahl an Daten und Fakten ihres Vortrags flocht die Botschafterin über die begleitende Illustration durch Grafiken und Schaubilder hinaus manche Anekdote aus ihrem persönlichen Erleben ein, welche die heutigen Lebensverhältnisse in Venezuela anschaulich unterstrichen und Desinformation widerlegten, wie sie die hiesigen Medien vorzugsweise kolportieren. So berichtete sie von Begegnungen und Erfahrungen bei ihrem ersten Besuch in der Heimat nach einer drei Jahre währender Abwesenheit wie etwa einem Treffen mit einer früheren Lehrerin. Die 90jährige engagiert sich mit wachem Interesse in einem Theater und antwortete auf die Frage, ob sie denn dabei auch etwas verdiene, das spiele für sie keine Rolle. Sie beziehe schließlich drei Renten - als pensionierte Lehrerin, als Witwe und als über 90jährige. Altersrenten für alle Bürgerinnen und Bürger wie insbesondere eine Hausfrauenrente zählen zu den nicht hoch genug einzuschätzenden sozialen Errungenschaften des Landes.

Botschafterin Portocarrero hatte eingangs die Bolivarische Revolution als einen Weg der Ewigkeit ausgewiesen, doch nicht einer Ewigkeit der Macht, sondern einer Erweiterung der Rechte des Volkes. Es gehe nicht darum, Hugo Chávez ewig im Amt zu halten, sondern um die Entfaltung der Handlungsmöglichkeiten aller Menschen. Sie schloß ihren Vortrag mit einem Thema, das ihr besonders am Herzen liegt, nämlich den Leistungen auf dem Feld der Gleichberechtigung der Geschlechter. Will man den bolivarischen Prozeß mit einfachsten Worten charakterisieren, so könnte man eine Entwicklung in Freiheit hin zu besserer Lebensqualität als sein Ziel nennen.

Entscheidend blieb an diesem Abend, daß die Botschafterin ihren Zuhörern etwas vom Geist der Bolivarischen Revolution zuteil werden ließ, der so wenig von ihrem persönlichen und politischen Hintergrund wie von dem Prozeß der Transformation in Venezuela zu trennen ist. Zugewandt, engagiert und entschieden verkörperte sie eine Stimme des dynamischen Veränderungsprozesses in ihrer Heimat, die es wert gewesen wäre, auch von jenen Skeptikern und Kritikern in der deutschen Medienlandschaft wahrgenommen zu werden, deren vollständige Abwesenheit an diesem Abend man ansonsten nicht im geringsten bedauerte.

SB-Redakteur im Gespräch mit André Scheer - © 2009 by Schattenblick

SB-Redakteur im Gespräch mit André Scheer
© 2009 by Schattenblick


Als der Vortrag geendet hatte und der letzte Beifall verklungen war, ging die freundschaftliche Zusammenkunft in der Botschaft ohne Aufhebens in einen Empfang an Ort und Stelle über. Man unterhielt sich in zwanglosen Gruppen und genoß den einen oder anderen gereichten kulinarischen Leckerbissen oder eine Erfrischung, während vorne auf dem Podium bereits die Musiker ihre Instrumente stimmten. Die Schattenblick-Redakteure nutzten diese Gelegenheit, um sich bei Frau Dr. Blancanieve Portocarrero noch einmal für das vorangegangene Interview und den ausgezeichneten Vortrag zu bedanken.

 © 2009 by Schattenblick

Präsident Hugo Chávez
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9. Februar 2009