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BERICHT/333: Dem Karl Liebknecht haben wir's geschworen - von den Künstlern erläutert (SB)



Wir setzen auf das revolutionäre Potenzial der Kunst. Sie kann die Fesseln des Bestehenden ästhetisch sprengen, seine bittere Realität transzendieren und die Vorstellungen einer anderen Welt aufleuchten lassen.
Aus dem Entwurf für ein Manifest für Gegenkultur [1]

Der bürgerliche Kunstbetrieb versteht sich mehr denn je als integraler Bestandteil der von Verwertungsinteressen und Widerspruchsregulation bestimmten Marktgesellschaft. In der "Kreativwirtschaft" fristen zahlreiche Menschen eine prekäre Existenz an der Armutsgrenze, wenn sie nicht zum auserlesenen Kreis international bekannter KünstlerInnen gehören. Welche formalen, inhaltlichen und ästhetischen Kriterien auch immer an ihre Werke angelegt werden, letztlich entscheidet der kommerzielle Verkaufspreis über Erfolg und Ansehen. Das Geschäft der großen Galerien und internationalen Kunstausstellungen wird gerade in Zeiten niedriger Zinsraten und einer von Rezession und Krisen erschütterten Weltwirtschaft davon angetrieben, daß die nach profitablen - oder zumindest den Nominalwert sichernden - Anlagemöglichkeiten suchenden Geldmengen rapide anwachsen.

So erlangen die Namen hoch gehandelter KünstlerInnen, deren Exponate zum Teil in Werkstätten mit Hunderten Angestellten hergestellt werden, einen Markenstatus, der, dem globalen Medien- und Unterhaltungsgeschäft nicht unähnlich, PR-strategisch gesichert und weiterentwickelt werden muß, um kalkulierbar Ertrag abzuwerfen und die jeweiligen Werke als sichere Geldanlagen erscheinen zu lassen. Nie war der über ein halbes Jahrhundert alte Begriff der Kulturindustrie so zutreffend wie heute. Das nicht zuletzt deshalb, weil eine gesellschaftskritische Analyse, die den der Kunst aufgeherrschten Warencharakter zum Gegenstand produktiver Grenzüberschreitungen machte, bestenfalls am Rande künstlerischer Produktion stattfindet.


Menschen sitzen und stehen neben den Bildern Murphy's Law (2013) und Eierlaufen (2017) - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foyer der Rosa Luxemburg Konferenz mit zwei Werken des Münchner Künstlers Klaus Stein
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Befreiung der Kunst von nämlichem Warencharakter erklärte der Geschäftsführer der jungen Welt, Dietmar Koschmieder, folgerichtig bei der Eröffnung der Kunstaustellung auf der 23. Rosa Luxemburg Konferenz zum Ziel einer linken Gegenkultur. Ein dazu entworfenes Manifest soll am 8. Juni auf einer Künstler-Konferenz im Heimathafen Neukölln diskutiert werden, wie auch auf der Hauptbühne der Rosa Luxemburg Konferenz angekündigt. Die am 12. Januar auf dem großen Treffen der marxistischen Linken anwesenden KünstlerInnen trugen das ihre dazu bei, Arbeiten aus ihren Ateliers zu präsentieren, die sich nicht vorwerfen lassen müssen, als bloßes Surrogat kapitalistischer Verwertungsinteressen zu fungieren.


Menschenmenge vor den Bildern Die Welt in der ich wachse (2017), Through the Eyes of a Child (2016), Soviel Fragen (2017) - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dietmar Koschmieder eröffnet die Ausstellung vor drei Werken der Rangsdorfer Künstlerin Alexandra Liese
Foto: © 2019 by Schattenblick

Bereits zum sechsten Mal war die Berliner Gruppe tendenzen dafür zuständig, anläßlich der Konferenz eine Kunstausstellung in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung junge Welt zu organisieren. Unter dem Motto "Für antiimperialistische Solidarität und sozialen Fortschritt - Abrüsten statt Aufrüsten" zeigten 21 KünstlerInnen Bilder, Grafiken und Skulpturen, die auf reges Interesse bei den über 3000 KonferenzteilnehmerInnen stießen. Begünstigt durch den zentralen Ort im Foyer vor dem großen Saal des Mercure-Hotels MOA kamen die vorbeieilenden Menschen nicht umhin, wenigstens einen kurzen Blick auf die großen Wandgemälde zu werfen, die dort für diesen Tag aufgehängt waren. Wer etwas mehr Zeit mitbrachte, konnte sich vor den Stellwänden im angrenzenden Raum in Ruhe in die dort präsentierten Kunstwerke vertiefen oder das Gespräch mit den anwesenden KünstlerInnen suchen.


Künstler neben Skulptur - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Blankenfelder Kunstschmied Werner Mohrmann-Dressel und sein Werk Eiserne Kreuze
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Stahlskulptur Eiserne Kreuze dominierte den Eingangsbereich nicht nur durch seine raumgreifende Dimension. Die hochsymbolische Signalwirkung der verschiedenen Ausformungen dieser als Orden deutscher Aggressoren mit den finstersten Kapiteln der Nationalgeschichte untrennbar verbundenen Form, zudem mit starker christlicher Konnotation versehen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Der Künstler Werner Mohrmann-Dressel hat die Skulptur aus Stahlblech in seiner Schmiede in Blankenfelde gefertigt und möchte mit ihr die klassische Frage aufwerfen, welchen Weg der Mensch auf einer Kreuzung einschlägt. Rechtsherum mutiert das eiserne Heldenlob zum kleinen Schwert und dann folgerichtig zum Grabkreuz. Im Krieg geht es ans Sterben, und wer am Ende in die Grube fährt, ist längst nicht ausgemacht. Die tief ins christlich sozialisierte Bewußtsein eingebrannte Kreuzigung des Sohn Gottes offenbart nicht etwa das Heil einer Erlösung, die einer reprojektiven Fessel entspringt, die so erst recht fest zugezogen wird, sondern bildet das Scheitern als Konsequenz eines Blutflusses ab, deren Gewalt von der dabei erlittenen Ohnmacht ununterscheidbar ist.


Biber mit verbogenem Gewehr im Maul - Skulptur: © 2019 by Werner Mohrmann-Dressel, Foto: © 2019 by Schattenblick

Stahlskulptur Biberfraß von Werner Mohrmann-Dressel
Skulptur: © 2019 by Werner Mohrmann-Dressel
Foto: © 2019 by Schattenblick

Linksherum strebt das organische Leben himmelwärts, dem Licht entgegen. Taube, Baum, Engel - das militaristische Symbol dekonstruiert sich zu einer Signatur des Lebens, die jeden Moment aus der metallenen Starre erwachen und mit ihrem Wildwuchs dem Schrecken der strengen Kreuzmetaphorik ein Ende bereiten könnte. Für den Schmied Werner Mohrmann-Dressel hat jeder Weg Kreuzungspunkte, so auch das zu prinzipieller Positionierung auffordernde Kreuz mit seinen Ablegern und Mutationen. An seiner ablehnenden Haltung zu kriegerischer Gewalt kommt auch bei zwei weiteren seiner Skulpturen kein Zweifel auf. Ein Vogel spreizt seine Schwingen und steht unmittelbar davor, von der Mündung des Gewehrs, auf der er sitzt, abzuheben. Für den Frieden - der Titel des Werkes wird dem Betrachter mit dem Knoten im Lauf der Flinte so sinnfällig vor Augen geführt wie im Falle der Skulptur Biberfraß. Das sich in freier Natur zum Holzfäller eigener Art aufschwingende Tier vergeht sich in diesem Fall an einem Jagdgewehr - nicht nur Dammbaumeister und Staubeckenbepflanzer, der Biber ist auch Jagdsaboteur, ein wehrhaftes Tier, wie es nicht im Buche der Menschen steht, die ihre tierliche Herkunft mit aller Kraft vergessen wollen.


Künstler neben Gemälden Dahinten brennt's (2017), Das Denkmal (2016), Kriegsgespenst (2011) - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Chemnitzer Grafiker und Maler Rudolf Sittner vor seinen Exponaten
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Maler und Grafiker Rudolf Sittner aus Cottbus ist ein politischer Künstler der leisen Töne. Man müsse bei seinen Werken zweimal hingucken, um die politischen Inhalte zu sehen, für Agitationsbilder sei er nicht zu haben. So entdeckt man auf dem Bild Das Denkmal nicht sofort, daß es sich um das Völkerschlachtmonument in Leipzig handelt, auf dem Menschen unter blauem Himmel vor orangeroter Lichtflut stehen. Von oben nähert sich Bedrohliches, und wer das steingewordene Leipziger Bekenntnis zu militaristischer Herrlichkeit einmal im Original erlebt hat, wird sofort verstehen, warum es sich als Anziehungspunkt numinoser Finsternis anbietet. Auch das Gemälde Dahinten brennt's, inspiriert von einem Großbrand im chilenischen Valparaiso, transportiert die eher verstörende Botschaft, was geht es uns an, ist doch weit weg.


Gedicht und Illustration aus El Retorno Die Rückkehr, Pablo Neruda - Aus letzten Gedichten - Grafik: © 2019 by Rudolf Sittner, Foto: © 2019 by Schattenblick

Pablo Neruda spricht - aus der grafischen Werkstatt Rudolf Sittners
Grafik: © 2019 by Rudolf Sittner Foto: © 2019 by Schattenblick

Rudolf Sittner experimentiert auch mit Schriften, spielt mit Aufweichungen ihrer formalen Strenge und verkehrt die Kontraste ihrer Konturen. Auch hier bedarf es eines zweiten Anlaufes, um zu entziffern, was sonst schneller vergessen als gelesen wird. Ein Band mit Illustrationen und grafischen Inszenierungen letzter Gedichte Pablo Nerudas beeindruckt mit dem gelungenen Zusammenspiel von grafischer Imagination und bildgebender Schrift. Der Titel des Bandes - El Retorno Die Rückkehr - erschließt sich auch haptisch - wenn man mit dem Finger an der Außenkante entlangfährt, kommt man wieder am Ausgangspunkt an.


Künstlerin neben ihrem Werk - Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Kölner Objektkünstlerin Clementine Klein vor der Digitalgrafik Freiheit statt Phalanx
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Kölner Objektkünstlerin Clementine Klein ist mit der Digitalgrafik Freiheit statt Phalanx vertreten. Zu sehen sind zahlreiche Menschen, die die strukturelle Symmetrie der kolonnenförmig organisierte Reihen mit ihren eigenwilligen Bewegungen und Formationen durchbrechen. Neben den vielen grafischen Arbeiten, Installationen und Montagen Kleins, die an diesem Ort nur in Form ausgelegter Prospekte gezeigt wurden, präsentierte sie die Dokumentation eines internationalen Mail-Art-Wettbewerbs, der mit eindrucksvollen künstlerischen Visualisierungen des US-Präsidenten im Postkartenformat aufwartete. 74 KünstlerInnen beteiligten sich mit 140 Einsendungen an dem Projekt Kann Kunst als zahnloser Tiger Trump beißen? Mit Moldy Bacon [2] hat die Künstlerin Katja Struif eine Illustration des US-Präsidenten geschaffen, die zu Recht preisgekürt wurde. Der "schimmlige Schinken" enthält alles, was sich an nationalistischem Ertrag aus der fleischigen Kontur des Steak-Enthusiasten Trump erwirtschaften läßt.


Auslage der Broschüre Can Art Be the Toothless Tiger That Bites Trump? - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dokumentation der künstlerischen Annäherung an das so unglaubliche wie reale Phänomen Donald Trump
Foto: © 2019 by Schattenblick

Auf die Idee, einen solchen Wettbewerb mit anschließender Ausstellungstournee zu initiieren, kam sie nach einem Anruf ihrer in den USA lebenden Tochter: Wir haben einen Vergewaltiger als Präsidenten, da muß man etwas gegen machen! Clementine Klein wandte anfangs ein, daß Kunst als zahnloser Tiger dafür nicht geeignet sei, was ihre Tochter insistieren ließ, auch und gerade mit diesem Mittel etwas gegen die patriarchale Selbstherrlichkeit Donald Trumps zu unternehmen. Bis zum Jahrestag der Inauguration des amtierenden US-Präsidenten organisierte die Künstlerin den Wettbewerb und mehrere Ausstellungen mit den dazu gefertigten Illustrationen. Ihr Plan lautet, die Serie von Ausstellungen so lange fortzusetzen, bis Trump wieder von der Bildfläche verschwunden ist.


Künstler blickt auf zwei Gemälde - Foto: © 2019 by Schattenblick

Yiftach Shapira präsentiert Freundschaft und My Papa made a massacre, what did your Papa do?
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der israelische Künstler Yiftach Shapira ist in einem Kibbuz groß geworden und hat dort eine fast ideal zu nennende Kindheit verbracht. Aufgewachsen in einer Familie, die schon in den 1930er und 1940er Jahren zum gegen die britische Mandatsherrschaft kämpfenden Untergrund jüdischer KommunistInnen gehörte, genoß er die Jugend in der Kollektivität des Kibbuz bis zu dem Punkt, als er sich einfach zu behütet fühlte. Er wollte mit den Widrigkeiten des Lebens außerhalb dieser Gemeinschaft zu tun bekommen und bezeichnet sich heute selbstironisch als schlechtes Produkt des Sozialismus, weil er Individualist und nicht mehr Teil eines Kollektives sei.

Die von Shapira präsentierten Bilder wurden dadurch inspiriert, daß sein Vater, der als einfacher Soldat im Libanon-Krieg 1982 kämpfte, seinem Sohn kleine Zeichnungen schickte, auf denen er die Aufgaben darstellte, die er bei der Invasion der israelischen Streitkräfte in das Nachbarland zu erfüllen hatte. Für Shapira war es wie ein Spiel zwischen seinem Vater und ihm. Dieser habe den Krieg auf eine Weise in Szene gesetzt, daß er keine Angst um ihn haben mußte. Seine eigenen Bilder sind zum einen von den Illustrationen seines Vaters geprägt und zum andern vom kolonialistischen Charakter, mit dem dieser Krieg seitens Israels geführt wurde. Es ist die Sprache der Kinder, wenn die Frage lautet: My Papa made a massacre, what did your Papa do? Als Sohn zu jung, um die blutige Realität des Krieges zu begreifen, als Mensch zu alt, um jemals auf eine Weise unschuldig gewesen zu sein, die das gute Leben von den Brüchen und Widersprüchen, die es drohend umlagern, freigehalten hätte - Yiftach Shapira wagt einen künstlerischen Grenzgang mit der eigenen Geschichte, die von der des Landes, in dem er aufwuchs, nicht zu trennen ist.


Skulptur Esurio (2017) und Künstlerin - Foto: © 2019 by Schattenblick

Zur großen Frage Hunger - Simone Zewnik mit Skulptur Esurio
Foto: © 2019 by Schattenblick

Den zweifellos spektakulärsten Beitrag zur Kunstausstellung auf der diesjährigen Rosa Luxemburg Konferenz steuerte Simone Zewnik mit ihrem Exponat Esurio bei. Es bedürfte kaum der Ich-Form des lateinischen Wortes Esuries für Hunger, um zu sehen, daß der kleine, seltsam alterslos wirkende Mann nicht nur hungrig, sondern bis auf die Knochen ausgezehrt ist. Das innere Gerüst der Skulptur besteht aus einem Eisengestänge und aus Tierknochen, die auf seiner Haut hervortreten und den sinnlichen Eindruck eines ausgemergelten Torso verstärken. Gefertigt hat Simone Zewnik ihr Exponat anhand des Vernähens von zwölf Stück Schweinehaut, die sie in einem selbst entwickelten Verfahren für diese Form der Verarbeitung vorbereitet hat.

Im Gespräch mit dem Schattenblick berichtete Zewnik, die zuerst Kunstfotografie betrieb und vor rund fünf Jahren mit Bildhauerei angefangen hat, wie sich ihr die ganz praktische Frage stellte, welches Material der künstlerischen Herstellung von homunculi gerecht würde. Um der menschlichen Physis nahezukommen, sah sie von häufig bei Skulpturen verwendeten Materialien wie Holz, Stein oder Bronze ab, um statt dessen mit Tierhaut zu arbeiten. Daß die Wahl des Materials auf das Schwein fiel, lag nahe, weil es über eine dem Menschen stark verwandte genetische Ausstattung verfügt. Um die Haut von Fett und Blutgefäßen zu befreien und zu konservieren, habe sie eine Methode entwickelt, sie zugleich fettfrei und geschmeidig zu machen. Auch erfahrene Präparatoren hätten ihr dabei nicht helfen können, denn deren Vorschläge zur Entfettung hätten die Schweinehaut so hart gemacht, daß sie nicht mehr zum Vernähen geeignet gewesen wäre. Esurio sei Teil einer von mehreren Serien von homunculi, bei der das Thema Krankheit im Vordergrund stehe, so bei der Skulptur eines alten Mannes am Rollator oder eines Läufers mit Unterschenkelprothese.


Kunstinteressierte betrachten Esurio - Fotos: © 2019 by Schattenblick Kunstinteressierte betrachten Esurio - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Begegnungen der außergewöhnlichen Art ...
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Als Michael Chrapek die Künstlergruppe Tendenzen auf der großen Bühne vorstellte, gestand er, daß einige KollegInnen bei der Einreichung des Werkes von Simone Zewnik ein wenig schockiert gewesen seien. Ob es häufiger zu irritierten Reaktionen des Publikums auf ihre homunculi komme, wollte der SB wissen, was die Künstlerin aus Wernigerode bejahte. Wo ihre plastischen Menschenanmutungen auch ausgestellt würden, ob in London oder Wien, in Holland oder Dänemark, stellten sich fast immer die gleichen Reaktionen ein. Ein Teil des Publikums finde es gruslig und wende sich ab, ein etwa gleichgroßer Teil sei sehr interessiert und begeistert.


Mann schaut auf Esurio - Foto: © 2019 by Schattenblick

... und ein staunender Blick auf die conditio humana
Foto: © 2019 by Schattenblick

Zweifellos hat Simone Zewnik einen relevanten Beitrag zu der um Krieg und Imperialismus kreisenden Thematik der Kunstausstellung auf der Rosa Luxemburg Konferenz geleistet. Was immer gruslig an Esurio sein mag, hat viel mit den BetrachterInnen selbst zu tun, die wie jeder Mensch Pflanzen und Tiere verstoffwechseln, was im Falle des globalen Hungers bedeutet, das eigene Überleben - aus Gründen politischer Machtdisposition wie ökonomischer Verteilung - gegen andere durchzusetzen. Wer auf dieser Welt, in der offiziell über 800 Millionen Menschen hungern und weit mehr mangelernährt sind, über Nahrungsmittel in hoher Qualität und Quantität verfügt, ignoriert das Sterben der anderen auch deshalb, weil es beim Sattwerden an die Substanz existenzieller Notwendigkeit geht. Am Stempel, der dem sogenannten Nutzvieh im Schlachthof bei der veterinärmedizinischen Kontrolle der Fleischqualität aufgedrückt wird, können die BetrachterInnen ablesen, daß der ursprüngliche Zweck dieses homunculus der eines Nahrungsmittels war, so daß dem hungernden Esurio der Tod auch aus diesem Grunde eingeschrieben ist.

Die literarische Tradition berühmter homunculi hat auch die Künstlerin inspiriert und erfreut sich in Zeiten des biomedizinischen Transfers von Körpergeweben, transhumanistischer Lebensexperimente und humanoider Robotik breiter Aufmerksamkeit. Fordert die technische und wissenschaftliche Simulation der menschlichen Physis zur kritischen Auseinandersetzung mit ihrem fremdbestimmten und verwertungstauglich gemachten Charakter auf, so kann auch eine künstlerische Auseinandersetzung, wie Zewnik sie betreibt, dafür wertvolle Ansatzpunkte geben. Sie berührt mit ihren Arbeiten einen Nerv, an dessen Existenz viele Menschen lieber nicht erinnert werden wollen. Die Verletzlichkeit und Flüchtigkeit der Physis, die Grausamkeit ihrer Selbstbehauptung vom Schlachthof bis zum Schlachtfeld, das nackte Leben, das Giorgio Agamben seiner kulturellen und politischen Maskierung entreißt, all das schwingt mit, wenn der Mensch auf ein Abbild seiner selbst trifft, daß ihm fremdartig und vertraut zugleich erscheint, auch und gerade weil seine Existenz dem Tod eines nicht minder schmerzempfindenden und lebensbejahenden Wesens geschuldet ist.


Frau vor Stellwand mit Exponaten - Foto: © 2019 by Schattenblick

Betrachtenswertes für mehr als nur einen Tag
Foto: © 2019 by Schattenblick

Einen Überblick der auf der eintägigen Kunstausstellung gezeigten Werke bietet die Seite der Gruppe Tendenzen [3]. Um die Bedeutung künstlerischer Auseinandersetzung mit Politik und Gesellschaft zu verstärken wären Vorträge und Diskussionen wünschenswert, erschließt sich Kunst doch ganz wesentlich im gemeinsamen Gespräch. Bedarf, den Widersprüchen und Brüchen des kapitalistischen Weltsystems auch anhand der Kritik des bürgerlichen Kunstbetriebs Form und Gestalt zu geben, besteht mehr als genug.


Kapelle mit Trompete und Trommeln zieht durchs Foyer - Foto: © 2019 by Schattenblick

Make some noise! Kunst braucht Aufmerksamkeit
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:



[1] http://www.melodieundrhythmus.com/mr-1-2019/manifest-fuer-gegenkultur/

[2] http://www.clementine-klein.de/awards.htm

[3] http://www.gruppe-tendenzen-berlin.de


Berichte und Interviews zur Rosa-Luxemburg-Konferenz, Liebknecht-Luxemburg-Demo und zum Jahresauftakt Der Linken im Schattenblick unter:
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5. März 2019


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