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BERICHT/318: Digitale Vernetzung - neue Dimension alter Konflikte ... (SB)


Der mit Industrie 4.0 beschrittene Weg erfordert dagegen eine, informationstechnisch und organisatorisch herzustellende, Transparenz und Interaktion der Dinge zu jeder Zeit, in jeder Lage und über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Gesellschaftlichkeit der Produktion (...) entfaltet sich so in neue Dimensionen. Das Ensemble der Artefakte nimmt einen Grad der Vergesellschaftung vorweg, von dem die formale Gestalt der Organisationen, die sie herstellen, unterhalten und nutzen, noch weit entfernt ist.
Rainer Fischbach - Mensch-Natur-Stoffwechsel [1]


Wie das berühmte Pfeifen im Wald hört sich mitunter an, was ExpertInnen anläßlich der Eröffnung der größten Industriemesse der Welt in Hannover beschwichtigend von sich geben. Es sei Aufgabe von Ingenieuren und Informatikern, den in der Bevölkerung befürchteten Kontrollverlust durch die umfassende Anwendung Künstlicher Intelligenz (KI) nicht zuzulassen, erklärt Ralph Appel, Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Sein Verband gehe nicht davon aus, daß Roboter künftig den Menschen die Jobs streitig machten, die digitale Transformation könne sich sogar als "Jobmotor" erweisen [2]. Für den Chef der Hannover Messe, Jochen Köckler, ist klar, daß die Digitalisierung die Arbeitswelt in den kommenden zehn Jahren deutlich verändern werde, doch gebe es "keine Anzeichen, dass eine Fabrik ohne den Menschen als Entscheider funktionieren kann" [3]. Man habe mehr Bedarf an hochqualifizierte Leuten, um die Systeme zu betreuen, zu warten und Verbesserungen einzusteuern, je mehr Technik es in einer Fabrik gebe, so der bei Bosch für Connected Industry zuständige Ingenieur Stefan Aßmann [4].

Der in den Berichten zur Hannover Messe immer wieder betonte Fachkräftemangel im IKT-Bereich kann allerdings nicht über das gigantische Rationalisierungspotential informationstechnischer Systeme in Produktion und Verwaltung hinwegtäuschen. Dabei geht es nicht nur um die Zahl der verfügbaren Arbeitsplätze, die in verschiedenen Prognosen als stagnierend bis drastisch schrumpfend eingeschätzt werden, sondern auch um das jeweilige Lohnniveau wie auch die Gefahr der beschleunigten Dequalifizierung überflüssig gemachter Kernbelegschaften. Unter dem Titel "Digitalisierung: Hype oder Drohkulisse? - Die 'vierte industrielle Revolution' bei Licht betrachtet" wollten die TeilnehmerInnen einer Konferenz der Marx-Engels-Stiftung (MES), die am 10. März in Essen stattfand, diesen und anderen Fragen aus der parteiischen Sicht der Lohnabhängigenklasse auf den Grund gehen.

Eine wissenschaftlich begründete und politikfähige Einschätzung der Digitalisierung zu entwickeln, die in Parteien, Gewerkschaften und Belegschaften als Grundlage für ein bewußtes Eingreifen in die Auseinandersetzung dienen könne, so umriß Wolfgang Garbers von der Stiftung das Anliegen der Konferenz. Vor dem Hintergrund der Ankündigungen der Bundesregierung, mit der digitalen Transformation und Industrie 4.0 zusätzliches Wertschöpfungspotential zu schaffen, Wettbewerbsvorteile als Ausrüster der Welt zu erlangen und die strukturelle Stagnation der Weltwirtschaft zu überwinden, erinnerte er an mindestens seit 20 Jahren erodierende Tarifstandards, an die beschleunigte Prekarisierung und an die Denkschrift der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) von 1994, in der damals schon ein Rollback von Arbeiterrechten und sozialen Errungenschaften bis in die Zeit vor 1919 gefordert wurde.

Werde die mit der Digitalisierung eintretende qualitative Veränderung der Produktivkraftentwicklung nicht im Interesse der arbeitenden Bevölkerung gesteuert, dann stehe eine weitere Vertiefung der sozialen Polarisierung an. Einer solchen Entwicklung sei man jedoch nicht ohnmächtig ausgeliefert. Eine technologische Entwicklungslinie, die stark auf die Einbeziehung von Erfahrungswissen und Eigeninitiative von Beschäftigten setzen müsse, könne auf den Menschen im Produktionsprozeß nicht verzichten und bleibe auf dieser Flanke immer angreifbar, so der als Moderator der Konferenz fungierende Garbers.

Auf die materielle Basis der Produkte der Informationsindustrie kam er unter Verweis auf den Medien- und Kommunikationswissenschaftler Christian Fuchs zu sprechen. Zu ihrer Herstellung bedürfe es nicht nur einer Menge körperlicher Arbeit, sondern auch metallischer Rohstoffe, die hauptsächlich in Afrika und China abgebaut und vor allem in asiatischen Ländern verhüttet, veredelt und weiterverarbeitet werden. Sklaverei bei Förderung, Sortierung, Transport und Verkauf seien weit verbreitet, was belege, "daß die Produktivkräfte des Informationskapitalismus, der die digitalen Medien schafft, eng verzahnt sind mit Produktivkräften, die Sklaverei fördern, um Arbeitskosten zu senken und Profite zu maximieren."

Das gelte auch für die Arbeitsbedingungen des in der Volksrepublik China produzierenden Konzerns Foxconn, der frühkapitalistische Methoden zur absoluten Mehrwertsteigerung nutze, was schwerwiegende physische wie psychische Folgen für seine Angestellten habe. Christian Fuchs definiere digitale Arbeit als eine Kategorie, die die ganze digitale Produktionskette umfaßt. Dieses Netzwerk agrarischer, industrieller und informationaler Arbeit mache die Existenz und Benutzung digitaler Medien erst möglich. Dabei setzten sich die meisten dieser digitalen Produktionsbeziehungen aus Lohnarbeit, Sklavenarbeit, unbezahlter, prekärer und selbständiger Arbeit zusammen, um durch die internationale Arbeitsteilung als großes und komplexes Netzwerk von aneinandergeschalteten globalen Prozessen der Ausbeutung in Erscheinung zu treten. Der Blick auf die Produktionsketten zeige, daß der postmodern daherkommende digitale Kapitalismus zu erheblichen Teilen auf ganz altmodischen, längst überwunden geglaubten, häßlichen und brutalen frühkapitalistischen Formen der Ausbeutung, die an die primäre Akkumulation erinnern, basiere.


Digitale Transformation zu mehr Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit

Die Kontinuität des klassengesellschaftlichen Charakters der Arbeit läßt ahnen, daß alle Beschwichtigungen, mit denen das Projekt Arbeit 4.0 und die Etablierung der "allwissenden Fabrik" (Köckler) den Lohnabhängigen schmackhaft gemacht wird, ihren tieferen Sinn in deren Befriedung haben. Das widerständige Element im Antagonismus von Kapital und Arbeit auszuschalten dürfte wenn nicht nur willkommener Nebeneffekt, dann vielleicht sogar wesentlicher Zweck einer Produktivkraftentwicklung sein, die Menschen gerade dort verzichtbar macht, wo sie noch den Schraubenschlüssel ins Räderwerk der großen Maschine werfen und sie damit zum Halt bringen könnten.

Ob das Ausmaß, in dem KI-gesteuerte und damit angeblich selbstlernende Systeme autonom agieren, übertrieben wird oder der die sogenannte Maschinenintelligenz umgebende Nimbus der Realität entspricht, scheint bei der Frage nach der Verzichtbarkeit und Austauschbarkeit menschlicher Arbeit erst einmal nachrangig zu sein. Allein die hochgradige Vereinheitlichung IT-gestützter Arbeitsprozesse, mit der zuvor eigenständige bis disparate Produktionsprozesse integriert, formalisiert und automatisiert werden, steigert den Anpassungsdruck des Menschen an die Maschine massiv. Das hohe und sich weiter beschleunigende Tempo informationstechnischer Innovationen sorgt zudem dafür, daß die Bearbeitung daraus resultierender Widersprüche und die Entfaltung sozialen Widerstandes mit einer immer unangreifbarer erscheinenden Sachzwanglogik konfrontiert ist.

So wird auf der Hannover Messe für mehr Freihandel getrommelt, als habe das Gefälle unterschiedlicher Produktivitätsniveaus und die Allgegenwart weltmarktorientierte Preisbildung nicht längst gezeigt, daß es sich dabei um eine Strategie forcierter Ausbeutung weniger produktiver Volkswirtschaften handelt. Selbst wenn die verstärkte Anwendung der KI in Fabrik und Alltag soziale Risiken mit sich bringt, könne aufgrund der globalen Konkurrenz nicht auf sie verzichtet werden, lautet ein gegen etwaige Bedenkenträger gerichtetes Standardargument. Der Standortnationalismus hat Hochkonjunktur, sei die smarte Fabrik doch weitgehend der Notwendigkeit enthoben, an bestimmten Orten in speziellen Ländern errichtet zu werden. Das ist angesichts der infrastrukturellen und logistischen Bedingungen, auf die auch ein weitgehend automatisierter Betrieb angewiesen ist, zweifellos übertrieben. Dieses auf der Hannover Messe herausgestellte Kriterium digitalisierter Herstellungsprozesse zeigt, daß ihr universaler Charakter kaum dazu beiträgt, die Krieg und Krisen erzeugende Staatenkonkurrenz zu überwunden.

Weitab davon, daß sich der Mensch wichtigeren Dingen zuwenden könne als der von Maschinen eigenständig zu verrichtenden gesellschaftlich notwendigen Arbeit, schafft die für Industrie 4.0 relevante Plattform-Ökonomie auch keine Welt sozialer Gerechtigkeit und ökologisch verträglicher Produktion. Im Bereich sozialer Netzwerke und der Share Economy anfallende Netzexternalitäten, die aus den akkumulierten Daten erwachsen, könnten auch in der güterproduzierenden Industrie bislang unerreichten Konzentrationsprozessen und dementsprechenden Profitraten Vorschub leisten. Werden Konsumartikel aller Art in smarten Fabriken produziert und im Internet der Dinge vertrieben, verbraucht und entsorgt, dann liegt auf der Hand, daß der sogenannte Verbraucher als permanenter Produzent von Daten im Sinne seiner fremdbestimmten Verfügbarkeit vom Plattform-Kapitalismus regelrecht aufgesogen wird.

Die daraus erwachsende Möglichkeit, seine Bedürfnisse, Interessen und Aktivitäten in hochgradiger Auflösung einer gesellschaftlichen Zweck-und-Nutzen-Ratio zu unterwerfen, kann einer individualisierten Sozialkontrolle von nie dagewesener Zugriffstiefe Vorschub leisten. Angesichts dessen, daß der Ordnungsfaktor Erwerbsarbeit für immer mehr Menschen bedeutungslos wird und keine anderen Einkommensquellen an ihre Stelle treten, muß das individuelle Humankapital an dem verbliebenen Nutzen des einzelnen für Staat und Gesellschaft bemessen werden. Die Datenökonomie der sozialen Netzwerke mag kostenlos erscheinen, aber nur deshalb, weil der dafür zu entrichtende Preis an politischem Kontrollverlust kaum zu beziffern ist.

Auch das rechnet sich für eine Industrie 4.0, deren angeblich revolutionärer Charakter weder durch die angewendeten Verfahren noch ihre gesellschaftliche Einbettung gegeben ist. Die bislang eingetretenen Veränderungen der Produktionsweise bewirken zwar eine Vertiefung individueller Kontrolle, doch erzeugen die eingesetzten Mittel vor allem quantitative, an ihrer dynamischen Skalierung abzulesende Effekte. Die qualitative Erweiterung menschlicher Erkenntnishorizonte wie die Schaffung einer sozialen Wirklichkeit, die nicht Marktkriterien unterworfen ist, bleibt demgemäß auf der Strecke absolut gesetzter Normen und Werte.

Das um so mehr, als die Steuerung des Gesamtsystems, so sieht es zumindest das Ideal der großen IKT-Akteure vor, nach Parametern erfolgt, auf die der einzelne weniger Einfluß nehmen kann denn je. Wenn alle individuellen Belange in ihrer Aufbereitung als Big Data vermeintlich exakter und prognosesicherer erkennen lassen, welche Erfordernisse und Entwicklungen für das Funktionieren von Staat und Gesellschaft relevant sind, dann bedarf es des Glaubens an demokratische Freiheit und Rechtstaatlichkeit im Kapitalismus nicht mehr. Sich einen kritischen Blick auf die nach wie vor offene Zukunft zu gönnen, um kritischen Interventionen und widerständigen Initiativen den Weg zu ebnen, ist angesichts der Komplexität und des Tempos, mit dem die gleichen sozialen Konflikte wie vor hundert Jahren in allerdings ganz anderer Gestalt manifest werden, sicherlich eine gute Idee.

(wird fortgesetzt)


Hausfassade mit DKP-Logo und Stadtpanorama - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Haus der DKP" in der Unwirtlichkeit der Finanz- und Industriemetropole Essen
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Rainer Fischbach: Mensch-Natur-Stoffwechsel. Versuche zur Politischen Technologie, Köln 2016, S. 92

[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Kuenstliche-Intelligenz-Job-Killer-oder-Job-Motor-4029725.html

[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Fabrik-der-Zukunft-immer-unabhaengiger-vom-Standort-4012810.html

[4] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Hannover-Messe-Digitaler-Wandel-kann-auch-neue-Jobs-schaffen-3691055.html


25. April 2018


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