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BERICHT/090: John Holloway - Im eisernen Gefüge des Kapitalismus brechen Risse auf (SB)


Vortrag im Centro Sociale in Hamburg am 8. Dezember 2011

John Holloway - Foto: © 2011 by Schattenblick

John Holloway
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wie schafft man eine andere Welt in Anbetracht eines Kapitalismus, der sich unbeirrt aller krisenhaften Entwicklungen scheinbar unbegrenzt reproduziert? Wie setzen sich Menschen, die weder über nennenswerte materielle Mittel noch über institutionelle Macht verfügen, gegen die Behauptung durch, daß es keine Alternative zum herrschenden System gebe? Was tun sie dagegen, daß jeder revolutionäre Aufbruch Gefahr läuft, sozusagen von innen heraus für die Sache der Herrschenden assimiliert zu werden? Wie schaffen es in die Ohnmacht ihrer sozialen und gesellschaftlichen Nichtigkeit gebannte Menschen, den auf allen Ebenen übermächtigen Sachwaltern des kapitalistischen Weltsystems nicht nur zu widerstehen, sondern ihnen eine eigene Welt entgegenzustellen? Können Menschen überhaupt miteinander sprechen, ohne einander in der Sprache der Sklaven und Herren fremd zu bleiben?

"Fragend schreiten wir voran" - dieser dem Kampf der mexikanischen Zapatistas um ein selbstbestimmtes Leben jenseits von Staat und Kapital entlehnte Satz ist ein Leitmotiv des neomarxistischen Politikwissenschaftlers John Holloway, der am 8. Dezember in Hamburg Station machte, um sein jüngstes Buch "Kapitalismus aufbrechen" vorzustellen. Der aus Irland stammende und in Mexiko lehrende Autor und Aktivist löste das Problem, einem heterogenen Publikum seine theoretisch umfassend ausgearbeiteten Gedanken zu einem widerständigen Leben inmitten widriger gesellschaftlicher Bedingungen in nur anderthalb Stunden nahezubringen, denn auch ganz im Rahmen der mit diesem Motto umschriebenen Reichweite menschlichen Vermögens. Fragen zu stellen, die Antworten nicht zwingend zur Folge haben müssen, sondern in ihrer lebenspraktischen und streitbaren Präzisierung neue Möglichkeiten des Tuns gerade deshalb erschließen, weil sie keine abgeschlossenen, die anzugreifenden Mißstände in ihrer positivistischen Affirmation fortschreibenden Lösungen präsentieren, ist eine weithin unterschätzte Möglichkeit individueller wie kollektiver Entwicklung - diese Erkenntnis konnten die Holloways Worten aufmerksam zuhörenden Gäste des Centro Sociale im Hamburger Schanzenviertel allemal mit nach Hause nehmen.

Fragt man sich als Besucher mancher politischer Veranstaltungen mitunter, ob es die Lektüre des vom Blatt abgelesenen und dabei jeglicher rhetorischen Emphase verlustig gehenden Vortrags nicht auch getan hätte, so gewann Holloway das Publikum schon durch seine zugewandte, mit selbstironischen Scherzen gewürzte Einleitung für sich. Entspannt auf der Kante des Podiumstisches sitzend sprach er eher, als daß er referierte, und machte dem subjekivistischen Charakter seiner Herangehensweise an das Problem antikapitalistischer Gesellschaftsveränderung durch den nur scheinbar introvertiert wirkenden Duktus seiner Rede alle Ehre. Einander zuhören und miteinander sprechen sind für Holloway nicht nur praktische Alternativen zum technischen Charakter auf die verwertungseffiziente Übertragungssicherheit von Informationen geeichter Kommunikationsmodelle. Es handelt sich um ein Kernelement jeder Lebenspraxis, die soziale Verhältnisse herrschaftskritisch zu transformieren beansprucht, Hören und Sprechen von fremdbestimmter Kontrolle zu befreien, ist der Mensch doch in seiner kognitiven und sozialen Praxis durch die ihm zur Verfügung stehende Begrifflichkeit maßgeblich bestimmt.

John Holloway - Foto: © 2011 by Schattenblick

Abstrakte Arbeit greifbar gemacht
Foto: © 2011 by Schattenblick
So ließ Holloway schon in Art und Weise seines Auftretens erkennen, daß er sein Publikum nicht als passive Konsumenten begreift, sondern als Partner in einem Gespräch, dessen übergreifender Charakter schon durch die Verwendung der kollektivistischen Subjektkategorie des "Wir" antizipiert wurde. Nach der Ankündigung, den Vortrag selbst auf deutsch zu halten, es sich in der anschließenden Diskussion jedoch leichter zu machen und auf englisch Stellung zu beziehen, nahm Holloway die vielfältigen Aufstands- und Protestbewegungen des Jahres 2011, ihren großartigen Aufbruch und ihre bereits in Angriff genommene Unterdrückung, zum Anlaß, zur zentralen Frage dieser durchaus in große Widersprüche und Probleme verstrickten Bewegung vorzustoßen: Das gegenwärtige System ist eine Katastrophe für die Menschheit und wir müssen es zerbrechen. Dies ist der tatsächliche Ausgangspunkt für das Denken, und ich glaube, die einzige wissenschaftliche Frage, die uns jetzt bleibt, lautet: Wie können wir ein System zerbrechen, das dabei ist, alle zu töten?

Eine neue, die vielen Risse und Brüche im Gewebe der Herrschaft vergrößernde Grammatik des antikapitalistischen Kampfes und Denkens ist Gegenstand seines jüngsten Buches. Es knüpft an die Thesen und Forderungen seines vieldiskutierten, 2002 erschienenen Werks mit dem programmatischen Titel "Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen" an und verschärft insbesondere die Analyse des Widerspruchs zwischen selbstbestimmtem Tun und fremdbestimmter Arbeit in Richtung auf die vollständige Aufhebung abstrakter Arbeit. Stellte Holloway damals noch die Unterwerfung lebendiger Arbeit unter die vom Warencharakter des kapitalistischen Verwertungszwangs bestimmte tote Arbeit in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Antagonismus, so radikalisiert er seine Position nun dahingehend, daß er unter Verweis auf den Doppelcharakter der Arbeit nach Karl Marx diese selbst als unvereinbar mit nützlichem Tun und daher zum Ausdruck kapitalistischer Totalität erklärt. Nur die Negation der abstrakten, gegenüber den Ergebnissen ihrer der Kapitalakkumulation gewidmeten Produktivität gleichgültigen Arbeit mache eine andere, die strukturellen und identitären Imperative des Verwertungsprimats nicht mehr befolgende Welt möglich, so Holloway heute.

Damit wird auch seine 2002 geleistete Staatskritik insbesondere hinsichtlich der reformerischen wie revolutionären Konzepte, die Gesellschaft über das Erringen der Staatsmacht zu verändern, zugespitzt. Was Kritiker Holloways als unzureichende Auseinandersetzung mit der Herausforderung politischer Herrschaft und Abkehr vom Klassenkampf als zentraler gesellschaftlicher Konfrontation monieren, führt dieser dadurch, daß er diese Herrschaft per se als vom Zwang zur Unterwerfung unter abstrakte Arbeit bestimmtes Verhältnis verwirft, auf eine Ebene prinzipieller Negation, in der das Tun als Primat nicht nur materieller, sondern auch sozialer und geistiger Lebenspraxis in ausschließender Weise wirksam wird.

Die im Vortrag aufgeworfene Frage, wie wir die Welt verändern können, ohne die Staatsmacht zu übernehmen, entwickelt Holloway in einer Parteilichkeit radikaler Subjektivierung, die die Objektivierung kapitalistischer Sach- und Verwertungszwänge über sich hinauszutreibt, weil sie diesem Angriff nichts entgegenzusetzen hat außer der interessegeleiteten Anpassung an den Fetischcharakter der Warenwelt. "Crack Capitalism" - der englische Titel gefalle ihm eigentlich besser, so Holloway unter lautmalerischer Betonung des daraus resultierenden Bruchs. Wie kann man Risse im Kapitalismus erzeugen, anstatt sich die Veränderung der Welt als Resultat von Reformen mit einem Zeithorizont von 50 Jahren vorzustellen, nach denen es endlich, wenn überhaupt, zu einer grundlegenden Überwindung herrschender Verhältnisse käme, fragt Holloway. Ein Riß sei ihm eine Negation und eine Erschaffung, ein Raum und ein Moment, in dem wir Nein sagen und uns der Regeln, die diese Welt zerstören, verweigern. Verweigern nicht nur als Form des passiven Widerstands, sondern des Eröffnens anderer Lebenspraktiken und Erkenntnismöglichkeiten. Holloway illustriert dies anhand des Schildes, das der Besucher beim Zutritt zum Gebiet der Zapatistas passiert: "Schlechte Bedingungen, bleibe draußen, hier herrschen die Menschen". In diesem Gebiet hätten die Zapatistas eine andere Art zu leben entwickelt, sie verfügten über eigene Schulen, ein eigenes Gesundheitswesen und seien in autonomen Gemeinden organisiert.

Auch wenn sich dieses Beispiel kaum auf die administrativ hochgradig regulierten Regionen Westeuropas übertragen läßt, so hält Holloway die Schaffung antikapitalistischer Lebensformen innerhalb des Kapitalismus durchaus für möglich. Im Kern geht es darum, nicht die Organisationsformen und Verhaltensmuster des Kapitals zu produzieren, sondern sie zu unterbrechen, was durchaus im Kleinen des kapitalistischen Alltags möglich wäre. Damit meint Holloway, wie er anhand einiger Beispiele ausführt, jede Form selbstorganisierter, sich den herrschenden Verhältnissen entziehender Gemeinschaftlichkeit als auch die individuelle Verweigerung, die darin besteht, gezielt Dinge zu tun, die sich dem im Zeittakt, der Identitätszuweisung und der Logik des Geldes verankerten Verwertungszwang widersetzen.

Mit diesen Formen, diesen No-go-Zonen, in denen das Kapital draußen bleiben muß, mit diesen Träumen, die Bezeichnungen wie Kameradschaft, Freundschaft, Liebe oder auch Anstand tragen, fangen wir an, eine Art Anti-Geographie zu schaffen, eine Landkarte, die nicht vollständig in den Farben der Herrschaft eingefärbt ist, sondern die Spalten und Brüche, Räume und Momente der Rebellion aufweist. Zweifellos ließe sich Holloway vorhalten, mit der topographischen Verortung von Freiräumen in der Totalität des Kapitalismus dem bloßen Wunschtraum vergeblicher, da von den herrschenden Gewalten immer wieder eingeholter Ausbruchsversuche nachzuhängen. Auch weist die Möglichkeit einer individuellen Verweigerung die Ambivalenz eines Rückzugs in die Bescheidenheit kleiner Fluchten auf, die im Ergebnis zur Schwächung antikapitalistischer Kampfkraft beitragen.

Holloway ist sich dieses Problems bewußt und tritt ihm mit der Forderung entgegen, Verbindungslinien zwischen den einzelnen Akten des widerständigen Potentials zu ziehen, anstatt sich in einer ghettoähnlichen Situation einzumauern. Wir müßten verstehen, daß der Antikapitalismus Teil des Alltagslebens ist, und in diesem Sinne sei die Parole der Occupy-Bewegung von den 99 Prozent völlig zutreffend, so Holloway zur verbreiteten Kritik, dabei handle es sich um eine Idealisierung gesellschaftlicher Widersprüche. Auch diese Bewegung ist in den Augen des antikapitalistischen Autoren mit zahlreichen Widersprüchen geschlagen, gleichzeitig jedoch Ausdruck eines sich öffnenden Risses, den zu Lasten der systemimmanenten Anteile dieses bürgerlichen Aufbruchs zu verbreitern in jedem Fall förderlich sei. Normale Leute sind für Holloway insofern Aufständige, als sie inmitten dieser Widersprüche leben und daher über das Potential ihrer Überwindung verfügen. Dabei macht sich Holloway über das Ausmaß staatlicher Gegenmaßnahmen, die in Griechenland und Ägypten auf besonders brutale Weise manifest wurden, nichts vor. Neben dieser Repression ist ihm die Kooptierung durch den Versuch, den sozialen Widerstand in das System, gegen das er sich richtet, einzubinden, von besonderer Bedeutung, rutscht doch die politische Linke selbst immer wieder auf den Angeboten und Versprechungen kapitalistischer Partizipation aus.

Übersetzer Lars Stubbe, John Holloway - Foto: © 2011 by Schattenblick

Hören und Sprechen unterschiedslos konzentriert
Foto: © 2011 by Schattenblick
Der Staat sei eigentlich eine Integrationsbewegung, eine Reformulierung der Organisationsformen kapitalistischer Reproduktion, doch die größere Herausforderung, die die Risse im System wieder schließe, sei das Geld als wesentliche Form gesellschaftlichen Zusammenhalts im Kapitalismus. Dies sei die Fessel, die uns in das System einbindet und uns den Zugang zu menschlicher Kreativität verwehrt. Geld sei das Mittel, mit dem die kapitalistische Herrschaft alles durchdringt, es sei die Schneide, mit der der kapitalistische Angriff auf die Gesellschaft geführt wird.

Vor allem jedoch untergrabe Geld die Risse und Brüche der dagegen gerichteten Bewegung, indem es den Menschen gerade noch ermöglicht, nicht den Hungertod zu erleiden, indem es widerständige Initiativen mit Stipendien, Subventionen und anderen Bemittelungen ruhigstelle. Damit legt Holloway den Finger in die Wunde einer unter Linken verbreiteten Professionalisierung, die nicht nur den Lebenserwerb sichert, sondern auch die Radikalität notwendiger Kritik und Aktion entschärft. Gerade dort, wo sich die Herrschenden mit symbolpolitischer Kritik larvieren wie im derzeit beliebten Präsentieren kapitalismuskritischer Beiträge in den Feuilletons bürgerlicher Zeitungen, beweist sich die hochentwickelte Fähigkeit des Kapitalismus, ihm zuwiderlaufende Entwicklungen aufzugreifen und zu neutralisieren.

Holloway hat keine Antwort auf den Angriff des Geldes, verzichtet aber nicht darauf, das Ziel zu formulieren, seine Herrschaft zu brechen. Was unmöglich erscheint, ändert nichts daran, daß wir uns wahrscheinlich bewußter denn je sind, daß der Kapitalismus eine Katastrophe ist, die möglicherweise die Menschheit vernichten wird. Um so mehr begrüßt er den Versuch widerständiger Bewegungen, die Grammatik oder Anti-Grammatik des antikapitalistischen Kampfes zu verändern und damit neue Verständnisformen zu eröffnen. Dies stehe in direktem Zusammenhang mit der Krise der abstrakten Arbeit, um die es in seinem Buch in erster Linie geht. Dort nimmt Holloway einige Mühe auf sich, um verständlich zu machen, daß es sich dabei nicht nur um Lohnarbeit handelt, sondern um jede Arbeit, die von ihrem Inhalt abstrahiert oder ihm gegenüber gleichgültig ist. Dies sei die Arbeit, die den Kapitalismus erschafft, der sich in der Krise befindet und den wir brechen müssen, so Holloway.

Diese Krise habe zwei Seiten: Zum einen die Unfähigkeit des Kapitals, große Teile der Bevölkerung in die gesellschaftliche Reproduktion mittels kapitalistischer Arbeit einzubinden, da der Wert der Arbeit immer mehr verfalle. Zum andern lehnten immer mehr Menschen diese Form von Arbeit ab und wendeten sich Aktivitäten zu, die sie einfach deshalb tun, weil sie notwendig oder wünschenswert sind. Die Krise der abstrakten Arbeit ist für Holloway deshalb zentral, weil die Art und Weise, wie Arbeit im Kapitalismus organisiert ist, über die konkrete Unterwerfung des Menschen unter den fremdbestimmten Arbeitsprozeß hinaus die Grundlage staatlicher Verfügungsgewalt, der Objektwerdung der Natur, der Zweigeschlechtlichkeit, der Homogenisierung der Zeit und anderer sozialer und kultureller Postulate von höchst destruktiver Wirkung sei.

Daher reiche es nicht aus, die Forderung nach Lohnarbeit zu erheben und die Übernahme einer Staatsmacht anzustreben, die dann etwa mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel eine gerechtere Form der Verteilung vornimmt. Aus seiner Sicht legt abstrakte Arbeit den Keim eines Widerspruchs, dessen gesellschaftliche Synthese das Kapitalverhältnis einschließt, so daß der eigentliche Kampf gegen die Arbeit als solche und nicht nur das Kapital geführt werden müsse. Das solle nicht bedeuten, daß dieser Kampf außerhalb der Fabriken stattfindet, sondern daß der Kampf innerhalb wie außerhalb der Fabriken in erster Linie als Kampf gegen die Arbeit zu verstehen sei.

Besonders hervorzuheben an der Anti-Grammatik des Widerstands sei, die Revolution nicht als ein in der Zukunft liegendes Ereignis zu begreifen, sondern als etwas zu verstehen, das gegenwärtig und permanent wirke. Der Bruch im linearen Charakter der Kausallogik von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mache verständlich, daß der Kapitalismus nicht existiert, weil er in einer fernen Vergangenheit geschaffen wurde, sondern daß er immanent wieder und wieder erschaffen werde. Die Frage der Revolution laute nicht mehr, wie dieses ungeheuerliche System abzuschaffen ist, sondern wie wir aufhören können, es zu erschaffen. Diese veränderte Frage gebe zwar keine Antwort auf das Problem, eröffne jedoch neue Möglichkeiten, über antikapitalistisches Tun nachzudenken.

Beim Versuch, die Totalität des Kapitalismus in einer Revolution durch ein anderes System zu ersetzen, stoße man auf das Problem, daß staatliche Totalität eng mit der Organisation menschlicher Arbeit als abstrakte Arbeit in Verbindung steht. Wie frühere Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, gezeigt haben, sei die institutionelle Einheit des revolutionären Kampfes an der Aufhebung der abstrakten Arbeit gescheitert, habe also keine sozialen Verhältnisse hervorgebracht, in denen Selbstbestimmung umfassend möglich geworden wäre. Heute erscheine es sehr viel hilfreicher, die einzelnen Kämpfe zusammenfließen zu lassen, Resonanzen zu erzeugen, die sie weitertragen und unterstützen. Ob dies über das Internet erfolge oder andere Wege der Kommunikation und Organisation nimmt, es gehe auch weiterhin um die zentrale Frage, wie wir die Welt ändern können, ohne die Staatsmacht zu übernehmen. Dazu gelte es, viele Risse und Brüche zu schaffen, sie zu vervielfältigen und zusammenfließen zu lassen, so Holloway, um der Kodifizierung dieser Aussage zur universalen Antwort sogleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die besten Antworten sind natürlich Fragen, oder, wie die Zapatisten sagen, "Fragend gehen wir voran".

Auch wenn es aberwitzig erscheinen mag, von einem Buch und einer neben Hamburg nach Berlin und Frankfurt am Main führenden Vortragsreihe wesentliche Impulse für die Veränderung eines weltbeherrschenden Gewaltverhältnisses zu erwarten, so bietet John Holloway gerade dadurch, daß er den Horizont dieser Veränderung auf das tätige Subjekt zurückbricht, anstatt sich der unterstellten Alternativlosigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung zu ergeben, Handhabe für das Überschreiten vermeintlich unabänderlicher Bedingungen. Die propagierte Methodik der Negation all dessen, was die subjektive Handlungsfähigkeit zugunsten fremder Verfügtheit einschränkt - laut Holloway die durch alle Formen materieller, institutioneller und kultureller Gesellschaftlichkeit wirkende abstrakte Arbeit -, greift die Suggestion, die durch staatliche Verfügungsgewalt und ökonomischen Reproduktionszwang zugefügte Ohnmacht sei so groß, daß das Arrangement mit den herrschenden, in ihrer Verächtlichkeit und Unterwerfung eigentlich inakzeptablen Zwängen die beste aller Optionen sei, zentral an. Dem durch das eigene Tun zu entsprechen und nicht von einer Widerspruchsfreiheit ausgehen zu müssen, die das Ideal der Befreiung so unerreichbar macht, daß man der Machbarkeit konkreter Schritte gar nicht erst auf die Spur kommt, ist ein wichtiger Beitrag zum Aufnehmen all jener losen Fäden, die bereits aus den Rissen und Brüchen früherer Kämpfe ragen und nur ergriffen werden müssen.

(wird fortgesetzt)

Zuhörer und Podium - Foto: © 2011 by Schattenblick

Aufmerksames Publikum im Centro Sociale
Foto: © 2011 by Schattenblick

19. Januar 2012