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USA/1417: Washington - wird es Zeit für Sanders? ... (SB)


Washington - wird es Zeit für Sanders? ...


Bei der Führung der demokratischen Partei in den USA hat der Sieg von Bernie Sanders bei den ersten drei Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und Nevada Panik ausgelöst (bekanntlich wurde Sanders' Sieg in Iowa mittels Software-Manipulationen bei der Auszählung fälschlicherweise als ein für den Ex-McKinsey-Berater Pete Buttigieg deklariert). Ein selbsternannter Sozialist als demokratischer Gegner Donald Trumps bei der Präsidentenwahl im November ist ein Szenario, das das Partei-Establishment um Al Gore, Bill und Hillary Clinton, Barack Obama, Nancy Pelosi und Chuck Schumer nicht bereit ist zu akzeptieren. Und das ungeachtet der Tatsache, daß laut Umfragen Sanders von allen Bewerberkandidaten die besten Chancen hätte, den von vielen Demokraten seit 2016 als Marionette Wladimir Putins hochstilisieren Trump zu besiegen. Die offensichtliche Präferenz der demokratischen Führung für eine zweite Amtszeit Trumps anstelle der Möglichkeit eines sozialdemokratischen Präsidenten aus den eigenen Reihen im Weißen Haus beweist nur, daß das ganze Gerede der letzten vier Jahre vom Widerstand (#resistance) gegen den windigen New Yorker Immobilienhai nichts anderes als eine Charade war. Am Ende sind die Demokraten genauso wie die Republikaner Erfüllungsgehilfen der Plutokratie. Der einzige Unterschied besteht in der Frage des Stils. Bei den Demokraten zieht man einen weltoffenen Rhetoriker wie Obama einem rassistischen Hetzer wie Trump vor.

Für das Democratic National Committee (DNC), das schon 2016 Sanders um den Sieg bei den Vorwahlen gegen Hillary Clinton nachweislich betrogen hat, sind die großen Hoffnungen, die man in die Kandidatur von Obamas Vizepräsidenten Joe Biden gesetzt hatte, nicht in Erfüllung gegangen. Der langjährige Senator aus Delaware, ein Spendenempfänger der Finanzindustrie, mußte in den letzten Monaten erleben, wie sein Kampf um Stimmen von der Kontroverse um die Verbindungen seines Sohns Hunter zum ukrainischen Energie-Unternehmen Burisma, was den Hintergrund des letztlich gescheiterten Amtsenthebungsverfahrens der Demokraten gegen Trump bildete, überschattet wurde. Des weiteren leistet sich der 78jährige frühere Vorsitzende des außenpolitischen Senatsausschusses bei Wahlauftritten immer wieder peinliche Verbalausrutscher, die ernsthafte Fragen ob seiner geistig-physischen Eignung für das höchste Amt im Staat aufkommen lassen. Jüngster Lapsus Bidens ist die wiederholte Behauptung, er wäre beim Versuch, Nelson Mandela während der Apartheid-Ära zu besuchen, von den südafrikanischen Behörden "verhaftet" worden. Mit dieser Anekdote, die nachweislich jeden Bezug zur Wirklichkeit entbehrt, hofft Biden die Afro-Amerikaner im Bundesstaat South Carolina zu beeindrucken, denn wenn er dort bei der nächsten Vorwahl am 29. Februar nicht gewinnt, kann er praktisch einpacken.

Das weit sichtbare Schwächeln Bidens hat das DNC vor einiger Zeit dazu veranlaßt, den mehrfachen republikanischen Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, als Kandidaten um die demokratische Nominierung zu akzeptieren. Um dies zu ermöglichen und Bloomberg auch noch die Teilnahme an den laufenden Fernsehdebatten zu gestatten, mußten die Parteiregeln schamlos umgebogen werden. Inzwischen gibt der Multimilliardär wahre Unsummen für den Wahlkampf aus und hat sogar 500 Menschen angeheuert, die für ein Gehalt von 2500 Dollar im Monat rund um die Uhr positive Geschichten über ihn bei Facebook und den anderen sozialen Medien posten. Dies alles hat dem einstigen Golf-Partner Trumps nicht besonders viel geholfen. In den beiden letzten Fernsehdebatten machte er einen glücklosen Eindruck, als er mit frauenfeindlichen Äußerungen sowie Muslime und Schwarze diskriminierten Polizei-Taktiken aus seiner Zeit als New Yorker Bürgermeister konfrontiert wurde. Als einzige nennenswerte Erwiderung ob der ganzen Vorwürfe versuchte Bloomberg geltend zu machen, immerhin hätte er mit seinen Millionen den Sieg der Demokraten bei den Zwischenwahlen für das Repräsentantenhaus im vergangenen November "gekauft". Ob eine solche Aussage beim einfachen Wähler gut ankommt, ist zu bezweifeln.

Aufgeschreckt durch den eindeutigen Sieg von Sanders in New Hampshire, wurde am Tag vor der Vorwahl in Nevada in der Washington Post ein Bericht lanciert, die US-Geheimdienste hätte Bemühungen Rußlands, den Wahlkampf des Altlinken-Senators aus Vermont zu unterstützen, "entdeckt". Darauf angesprochen, tat der Veteran der Bürgerrechtsbewegung den Artikel als Räuberpistole aus dem Hause des Amazon- und Post-Inhabers Jeff Bezosa ab, dem wie den meisten seiner Klasse Sanders progressive Steuerpläne für Schwerreiche ein Dorn im Auge ist. Auch die Wahlempfehlung der größten Arbeiterorganisation in Nevada, der Culinary Workers Union, vergleichbar der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten in Deutschland, gegen Sanders, weil dessen Pläne für eine allgemeine staatliche Krankenversicherung die Vorteile des geltenden Tarifvertrages der meisten Bediensteten in der Zocker-Höhle Las Vegas vielleicht schmälern könnte, hat nichts geholfen. Sanders hat am 22. Februar in Nevada haushoch gewonnen; die Gewerkschaftsbasis, die zum guten Teil aus Latinos und Afroamerikanern besteht, hat der Führung die Gefolgschaft verweigert und deren Empfehlung schlicht ignoriert.

Was im kleinen in Nevada passierte, droht der demokratischen Partei nun auf nationaler Ebene. Millionen traditioneller demokratischer Wähler sowie Nicht-Wähler sind von Sanders' Programm nicht nur bezüglich der Gesundheitspolitik, sondern auch wegen seiner Weigerung, Geld von großen Lobbyisten anzunehmen sowie von seinen Plänen für eine kostenlose Bildung für alle, zur Streichung der horrenden Studiengebührschulden vieler Hochschulabsolventen, zum ökologischen Umbau der Gesellschaft, der Reichensteuer, die den "Green New Deal" finanzieren soll, und nicht zuletzt für das Ende der Dauermilitärinterventionen der US-Streitkräfte im Ausland begeistert und sehen in ihm die einzige ernsthafte Alternative zu Trump sowie zum demokratisch-republikanischen Klüngel in Washington.

Angesichts dieser für sie bedrohlichen Entwicklung reagieren die demokratische Führung und ihre Lobbyistenfreunde mit Panik. Am 28. Februar veröffentlichte die New York Times gleich zwei Artikel, welche das Ausmaß der laufenden Anti-Sanders-Machenschaften in der US-Hauptstadt belegten. Der eine Artikel basierte auf Interviews, welche die einflußreichste Zeitung der Welt seit der Vorwahl in Nevada mit mehr als 93 führenden Demokraten geführt hatte. Die angesprochenen Personen sind ehemalige Kongreßabgeordnete, Senatoren, Richter, Staatssekretäre und Minister und gehören allesamt zu den 771 Superdelegierten, die beim Parteitag im Juli in Milwaukee stimmberechtigt und damit an der Wahl des Präsidentschaftskandidaten oder der Präsidentschaftskandidatin teilnehmen dürfen.

Aus dem Artikel mit der Überschrift "Democratic Leaders Willing to Risk Party Damage to Stop Bernie Sanders" geht klar hervor, daß die Freunde des Großkapitals Sanders im Sommer bei der Kür zum Präsidentschaftskandidaten verhindern wollen, selbst wenn dies die eigene Partei auseinanderreißt. Man geht davon aus, daß am Ende der Vorwahlen im Frühjahr kein Bewerber oder keine Bewerberin eine absolute Mehrheit der mehr als 3000 Delegierten auf sich vereinigen können wird. Gleichwohl sieht es so aus, als könnte Sanders in Milwaukee mit Abstand die meisten Delegierten - möglicherweise mehr als 40 Prozent - bei der ersten Runde auf seiner Seite haben. Im Falle einer solchen Situation wollen DNC und Superdelegierten einen "Kompromißkandidaten" aus dem Hut zaubern und diesen oder diese bei der zweiten Runde der Abstimmung durchdrücken.

Das scheint das Ergebnis einer Krisensitzung der demokratischen Führung, die am 27. Februar unter der Leitung von Nancy Pelosi, der amtierenden Mehrheitsführerin der Demokraten im Repräsentantenhaus, hinter verschlossenen Türen am Washingtoner Kapitol stattfand. In der New York Times wird Mark Warner, Senator aus Virginia und stets lautstarker Interessensvertreter der Rüstungsindustie, als mögliche Galionsfigur der Partei-Leitung - und zwar im Doppelpack mit Michelle Obama als "running mate" und Vizepräsidentschaftskandidatin - genannt. Die NYT zitiert William Owen, DNC-Mitglied aus Tennessee, mit folgender pathetischer Aussage über Frau Obama, die nie ein politisches Amt bekleidet hat, dafür lediglich 2018 dank guter PR mit ihrer Biographie einen weltweiten Bestseller erzielen konnte, wie folgt: "Sie ist die einzige Person, die mir einfällt, welche die Partei einen und uns helfen kann zu gewinnen. Bei dieser Wahl geht es darum, das amerikanische Experiment als Republik zu retten. Es geht auch darum, die Welt zu retten. Es handelt sich hier um keine übliche Wahl." Hinter diesen pathetischen Sätzen steckt nichts anders als der pure Klassenkampf.

28. Februar 2020


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