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USA/1402: Trumps Unberechenbarkeit löst Kriegsängste aus (SB)


Trumps Unberechenbarkeit löst Kriegsängste aus

Treibt es Trump mit Nixons "Madman-Theory" zu weit?


Nicht nur außerhalb der USA machen sich die Menschen zunehmend Sorgen, daß Amerikas Präsident, der Politneuling Donald Trump, durch provokative, vielfach über Twitter ausgesandte Bemerkungen und eine konfrontative Haltung gegenüber Nordkorea und dem Iran die Welt in einen Weltkrieg unter Einsatz von Atomwaffen stürzen könnte. Die Sorgen sind begründet, denn mit der wiederholten Ankündigung, die angeblichen Fehler aus der seiner Sicht zu nachgiebigen und damit verfehlten Politik Washingtons gegenüber Pjöngjang und Teheran korrigieren zu wollen, hat sich Trump in eine Ecke manövriert, aus der er ohne entweder einen Krieg oder einen beträchtlichen Gesichtsverlust kaum noch herausfindet.

Seit Trump am 19. September beim ersten Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York den Iran als "Schurkenstaat" dämonisierte und Nordkorea mit der "kompletten Zerstörung" drohte, reißen die undiplomatischen Äußerungen aus dem Weißen Haus nicht ab. Kaum hatte Rex Tillerson am 30. September nach Gesprächen mit der chinesischen Staatsführung in Peking alle Beteiligten in der Koreakrise zur Mäßigung aufgerufen und eine diplomatische Lösung in Aussicht gestellt, da fiel Trump gleich am nächsten Tag dem eigenen Außenminister in den Rücken mit der Twitter-Meldung, wonach zwischen Washington und Pjöngjang die Zeit des Verhandelns vorbei sei, weil angeblich zwecklos.

Auf diesen beispiellosen Vorgang in der Geschichte der US-Diplomatie folgte am 3. Oktober die Meldung des Nachrichtensenders MSNBC, derzufolge Tillerson bereits vor Wochen den Präsidenten einen "fucking moron" genannt habe, weil Trump ständig die Eskalation gegenüber dem Iran und Nordkorea suche und die Möglichkeiten einer Kompromißlösung, mit der alle Seiten leben könnten, kaputt rede. Angeblich steht Tillerson in der Trump-Regierung mit seiner Kritik an der überzogenen Rhetorik des Präsidenten nicht allein da. In der Iran-Frage lehnt auch die komplette Riege der Generäle - Verteidigungsminister James Mattis, Nationaler Sicherheitsberater Herbert McMaster und der Stabschef im Weißen Haus, John Kelly - die Absicht Trumps ab, demnächst den Iran formell der Nicht-Einhaltung des 2015 beschlossenen Atomabkommens zu bezichtigen und somit den damals von Barack Obama und John Kerry beigelegten Streit mit Teheran neu zu entfachen.

Da sich Tillerson auf Journalistenfragen konsequent weigert, den Inhalt des MSNBC-Berichts zu dementieren, kursieren Gerüchte über seinen bevorstehenden Rücktritt. Als potentielle Nachfolgerin im State Department wird Nikki Haley gehandelt. Die ehemalige Gouverneurin von South Carolina, die bis Ende Januar in der Außenpolitik ebenfalls keine Erfahrungen gesammelt hatte, hat sich seitdem als UN-Botschafterin Trumps durch drastische Bezichtigungen an die Adresse Venezuelas, Rußlands, Nordkoreas, Chinas und aller Feinde Israels - allen voran Iran und Syrien - zum Liebling der neokonservativen Kriegstreiberfraktion in Washington gemacht.

Als das zerrüttete Vertrauensverhältnis zwischen Tillerson und Trump öffentlich bekannt wurde, wagte sich am 4. Oktober Bob Corker, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, aus der Deckung. Vor der Presse auf den Stufen des Kapitols bezeichnete der republikanische Senator aus Tennessee Tillerson, Mattis und Kelly als "die Leute, die unser Land vor dem Chaos bewahren". Die Kritik des Parteikollegen an Trumps Führungsstil war kaum mißzuverstehen. Die drei genannten Männer "arbeiten sehr gut zusammen, damit die Politik, die wir gegenüber der restlichen Welt vertreten, fundiert und logisch ist. Es gibt andere Personen in der Regierung, die dies nicht tun. Ich hoffe, daß sie [Tillerson, Mattis und Kelly - Anm. d. SB-Red.] bleiben, denn sie sind für die nationale Sicherheit unserer Nation wertvoll."

Die Querschüsse Corkers, den man wahrlich nicht als Friedenstaube bezeichnen kann, hat Trump dazu veranlaßt, die Berichte über Spannungen zwischen ihm und Tillerson als "fake news" abzutun. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Sara Huckabee Sanders, bemühte sich bei ihrer täglichen Pressekonferenz um eine Korrektur des von Corker erzeugten Eindrucks. Oberbefehlshaber der Streitkräfte Trump sei in der derzeitigen US-Regierung die eigentliche Person, die Amerika und die Welt vor dem Chaos bewahre, so die Tochter des ehemaligen republikanischen Gouverneurs von Arkansas, Mike Huckabee. Auf die wenig glaubwürdige Schutzbehauptung reagierten die Mitglieder des Washington Pressekorps mit Kopfschütteln und rollenden Augen.

Trump selbst rief weitere Ängste wach, als er am 5. Oktober bei einer Fotosession im Weißen Haus anläßlich eines Abendessens des Präsidenten und der First Lady Melania mit den Oberfehlshabern der verschiedenen Teilstreitkräfte und deren Gattinnen gegenüber der Presse kryptisch von einer "Ruhe vor dem Sturm" sprach. Bis heute hat niemand erklärt, was Trump mit der Äußerung gemeint haben könnte. Eine militärische Auseinandersetzung mit dem Iran oder Nordkorea oder beides wäre denkbar. Wir würden es jedenfalls "bald erfahren", so Trump.

Das dauerhafte Spiel mit dem Feuer verfolgen in Washington nicht wenige Menschen mit Überdruß. Am 8. Oktober meldete sich Bob Corker, der Trump bekanntlich 2016 im Wahlkampf unterstützt hatte, erneut zu Wort. Gegenüber der New York Times erklärte Corker, er glaube nicht, daß der New Yorker Baumagnat ein "Kriegstreiber" sei, und dennoch mache ihm sein Verhalten große Sorgen. Manchmal bekomme er, Corker, "das Gefühl", daß Trump immer noch in seiner "Reality-Sendung" sei und schauspielere, wenn er sich zu den "großen außenpolitischen Themen" äußere. "Er scheint nicht zu begreifen, daß wir aufgrund der Bemerkungen, die er macht, in den Dritten Weltkrieg hineinsteuern", so der Republikaner über seine Sorgen. Corker griff Trumps Twitter-Botschaften als "destabilisierend" an und nannte das Weiße Haus eine "Kindertagesstätte für Erwachsene". Dort hätten die Beschäftigen die Hände voll zu tun, ihren impulsiven Präsidenten einigermaßen unter Kontrolle zu halten, so Corker.

Trump ist bekanntlich ein großer Bewunderer Richard Nixons. Von seinem berühmten Vorgänger hat er offensichtlich dessen "Madman-Theory" übernommen, wonach es Amerika nutzt, wenn potentielle oder echte Kriegsgegner glauben, daß der US-Präsident unberechenbar und zu allem - auch zum unangekündigten Ersteinsatz von Atomwaffen - fähig ist. Auf diese Weise soll die gegnerische Seite zu Zugeständnisse gezwungen werden. Wie man aus den Protokollen weiß, hat Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre Nixon mehrmals unter vier Augen im Oval Office mit seinem Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger über die Verwendung von Nuklearwaffen in Vietnam gesprochen, um den Krieg in Indochina zu beenden bzw. zu gewinnen. Kissinger soll Nixon wegen der Eskalationsgefahr einschließlich einer Intervention Chinas und/oder Rußlands von einem solchen Vorgehen abgeraten haben. Wie es der Zufall so will, hat Trump am 10. Oktober seinen "alten Freund" Kissinger zu einem privaten Meinungsaustausch im Weißen Haus empfangen. Man kann nur hoffen, daß der 94jährige Realpolitiker und Friedensnobelpreisträger seinem New Yorker Nachbarn zu etwas mehr Mäßigung in der Außen- und Sicherheitspolitik geraten hat.

11. Oktober 2017


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