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USA/1330: Boston-Anschlag - Tsarnaev-Mutter belastet das FBI (SB)


Boston-Anschlag - Tsarnaev-Mutter belastet das FBI

Die Reihe widersprüchlicher Angaben reißt nicht ab



Eine Woche nach der Festnahme von Dzhokhar Tsarnaev, einem der Verdächtigen im Fall des zweifachen Bombenanschlags auf den Bostoner Marathon, der am 15. April drei Menschen tötete und rund 200 verletzte, und der Tötung seines mutmaßlichen Komplizen und Bruders Tamerlan reißen die widersprüchlichen Angaben der Behörden in den Medien nicht ab. Dies hindert die Politik nicht, den angeblich schwersten "Terroranschlag" in den USA seit dem 11. September 2001 für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. US-Vizepräsident Joseph Biden zum Beispiel hielt am 25. April die Trauerrede für Sean Collier, den am Abend des 18. April in Cambridge erschossenen Wachmann des Massachusetts Institute of Technology (MIT), und verhöhnte die Tsarnaev-Brüder als "zwei verbitterte, pervertierte, feige Möchtegern-Dschihadisten", obwohl es überhaupt nicht feststeht, sondern bisher nur eine Annahme ist, daß sie für diese Bluttat verantwortlich waren.

Fest steht, daß Tamerlan Tsarnaev seit Jahren beim FBI unter Beobachtung stand. Inzwischen wissen wir sogar, daß sein Name in den Datenbanken Terrorist Identities Datamart Environment (TIDE) der CIA und Treasury Enforcement Communications System (TECS) des Ministeriums für Heimatschutz geführt wurde. Wegen dieser Tatsachen ist in den USA eine lebhafte Debatte entstanden, wie Tamerlan 2012 völlig ungehindert nach Rußland, wo er sich in der Kaukasus-Region mit irgendwelchen tschetschenischen Islamisten getroffen haben könnte, fliegen und wieder in die USA einreisen konnte.

Die Berichte über die Festnahme des 19jährigen Dzhokhar und die Erschießung des 26jährigen Tamerlan Tsarnaevs weisen immer noch Rätsel und Widersprüche auf. Die ursprüngliche Angabe, die beiden Brüder seien am Abend des 18. April durch einen Überfall auf eine Filiale der Einzelhandelskette der Firma 7-11 in Cambridge, Massachusetts, ins Visier der Polizei geraten, hat sich als haltlos erwiesen. Es gab keinen solchen Überfall. An der großen Schießerei, welche sich die Tsarnaevs kurz nach Mitternacht am 19. April in Watertown mit der Polizei geliefert haben, scheinen hauptsächlich die Gesetzeshüter beteiligt gewesen zu sein. Für die mehr als 200 Schüsse waren die Polizisten verantwortlich. Wie die New York Times am 26. April berichtete, hatten die beiden Tsarnaevs nur eine einzige Pistole - und keine Handvoll Feuerwaffen, wie es anfangs hieß.

Wie es zu den Schüssen kommen konnte, als der flüchtige Dzhokhar fast einen halben Tag später zwei Häuserblocks vom Ort der Schießerei entfernt in einem Boot im Garten eines Watertown-Bewohners entdeckt und festgenommen wurde, kann auch niemand so richtig erklären. Der jüngere Tsarnaev-Brüder war unbewaffnet. Trotzdem haben die anrückenden Beamten das Boot mit Schüssen durchsiebt und Dzhokhar Tsarnaev fast getötet. Die schwere Halswunde, die ihn derzeit am Sprechen hindert und seine Vernehmung schwierig macht, ist also nicht bei einem verzweifelten Selbstmordversuch, wie einige Medien ursprünglich spekulierten, entstanden.

Am 25. April gab der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg in Begleitung seines Polizeichefs Raymond Kelly eine aufsehenerregende Pressekonferenz, in der er behauptete, die Tsarnaevs seien auf dem Weg in die Stadt am Hudson gewesen, als sie in Watertown von der Polizei aufgehalten wurden. Angeblich wollten sie in derselben Nacht einen Bombenanschlag auf dem Times Square verüben. Es sei eine "spontane Entscheidung" der beiden flüchtigen "Terroristen" gewesen, so Kelly. Das wollten der Leiter der größten Polizeibehörde Amerikas und der steinreiche Bürgermeister von Gotham City von Ermittlern erfahren haben, die derzeit irgendwie mit der Vernehmung des noch im Krankenhaus liegenden Dzhokhar Tsarnaev zu tun haben.

Man darf gespannt sein, ob die spektakuläre Meldung, mit der Bloomberg und Kelly weltweit für Schlagzeilen sorgen und sich als entschlossene Antiterrorkrieger präsentieren konnten, Bestand haben oder sich doch noch als weitere Zeitungsente entpuppen wird. Schließlich hat die Mutter der Tsarnaevs, die als erste die Welt von der jahrelangen FBI-Observation ihres älteren Sohns Tamerlan in Kenntnis setzte, den beiden New Yorker Promis widersprochen. Unter Verweis auf Informationen der Pflichtverteidiger erklärte sie, ihr jüngerer Sohn sei derzeit immer noch zu schwach, um irgendwelche Angaben zu machen. Weder könne er sprechen noch schreiben, so Zubeidat Tsarnaeva. Auf der Pressekonferenz in der dagestanischen Stadt haben Frau Tsarnaev und ihr Mann, Anzor Tsarnaev, beide Anwälte, kurz vor der geplanten Abreise in die USA erneut ihre Überzeugung kundgetan, daß ihre Söhne nicht am Bostoner Anschlag schuld sind und von den amerikanischen Geheimdiensten hereingelegt wurden.

Doch nicht nur das. Wie vor einigen Tagen die in Toronto lebende Tante Maret Tsarnaeva hat Zubeidat Tsarnaeva den nackten, scheinbar unverletzten Mann, dessen Festnahme durch die Polizei von CNN nach der bereits erwähnten, großen Schießerei in Watertown als Teil der laufenden Berichterstattung ausgestrahlt wurde - die Aufnahmen sind weiterhin bei Youtube zu sehen - eindeutig als Tamerlan identifiziert. [1] Das gleiche gilt für die später von der Polizei veröffentlichten Bilder der durch Schüsse schwerverletzten Leiche Tamerlans. Stimmt die doppelte Identifizierung Tamerlans durch seine Mutter, würde das bedeuten, daß der Hauptverdächtige beim Anschlag auf den Boston-Marathon bei seiner Festnahme noch lebte, kurze Zeit danach aber nicht mehr.

Fußnote:

1. "Tsarnaevs' News Conference: A Transcript", New York Times, 26. April 2013 http://www.nytimes.com/2013/04/26/world/europe/tsarnaevs- news-conference-a-transcript.html?pagewanted=9&_r=0

27. April 2013