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USA/1320: Israels Premier greift in die US-Präsidentenwahl ein (SB)


Israels Premier greift in die US-Präsidentenwahl ein

Beziehungen zwischen Tel Aviv und Washington auf dem Tiefpunkt



Bis zur Präsidentenwahl am 6. November sind es nur noch sieben Wochen. Die Parteitage der Demokraten und Republikaner sind inzwischen vorbei, ohne daß sie nennenswerte Auswirkungen auf die Umfragen gehabt hätten. Nach wie vor liefern sich Amtsinhaber Barack Obama und der republikanische Kandidat Mitt Romney ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die kränkelnde Wirtschaft und die hohe Arbeitslosigkeit gefährden Obamas Wiederwahl. Zum Glück für die demokratische Lichtgestalt erscheint den meisten Wählern Romney als Alternative nicht besonders attraktiv. Der neokonservative Kurs des ehemaligen Gouverneurs von Massachusetts in der Außen- und Sicherheitspolitik erinnert fatal an den Hubris George W. Bushs, während Romneys Vergangenheit als Finanzjongleur, der aus der feindlichen Übernahme und Zerschlagung überlebensfähiger Unternehmen ein riesiges Vermögen schöpfte, viele Mittelschichtswähler befürchten läßt, daß die Sanierung des US-Staatshaushaltes ausschließlich auf ihre Kosten in Angriff genommen werden soll.

Schützenhilfe bekommt Romney nun aus einer nicht gänzlich unerwarteten Ecke - nämlich vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, seinem Freund aus früheren gemeinsamen Tagen beim Investmenthaus Boston Consulting Group (dazu kommt, daß Romneys größter Wahlkampfspender, der steinreiche Kasinomagnat Sheldon Adelson, seit Jahren zu den wichtigsten Gönnern Netanjahus gehört). In einer noch niemals dagewesenen Form hat sich der Likud-Chef massiv in die Präsidentenwahl eingemischt. Anlaß waren die anhaltenden Meinungsunterschiede zwischen Washington und Tel Aviv zum Stand der angeblich vom iranischen Atomprogramm ausgehenden Bedrohung. Netanjahu behauptet, das "Mullah-Regime" in Teheran stünde kurz bevor, in den Besitz der Atombombe zu gelangen. Die Obama-Regierung bestreitet dies und setzt auf Wirtschaftssanktionen und diplomatischen Druck, um die Iraner zum Einlenken zu bewegen.

Vor rund einer Woche traten die unterschiedlichen Positionen der USA und Israels im sogenannten "Atomstreit" mit dem Iran mehr als deutlich zutage. Bei einem Zwischenstopp in London erklärte Amerikas oberster Militär, Generalstabschef Martin Dempsey, am 31. August vor Journalisten, die USA hätten keinerlei Interesse daran, durch einen israelischen "Überraschungsangriff" auf die iranischen Atomanlagen in einen Krieg mit dem Iran hineingezogen zu werden. Am selben Tag meldete das Nachrichtenmagazin Time, das Pentagon hätte ein für Oktober geplantes, großangelegtes Militärmanöver zur gemeinsamen Erprobung der amerikanischen und israelischen Raketenabwehrsysteme im Nahen Osten auf Kleinformat zurückgestuft. Am 2. September berichtete Yedioth Ahronoth, die auflagenstärkste Zeitung Israels, Washington hätte Teheran über zwei europäische Staaten die Botschaft zukommen lassen, daß sich die US-Streitkräfte aus einem Konflikt zwischen Israel und dem Iran heraushalten würden, solange amerikanische Objekte - Stützpunkt, Botschaften usw. - von den Vergeltungsmaßnahmen der Islamischen Republik auf einen israelischen Überfall verschont blieben.

In den Tagen darauf ließ das Säbelrasseln aus Israel spürbar nach. Am 4. September trat der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak dafür ein, daß Washington und Tel Aviv ihre Differenzen "hinter verschlossenen Türen" austragen sollten. "Wir dürfen nicht vergessen, daß die USA die wichtigste Quelle der Unterstützung sind, was die Sicherheit Israels betrifft", so der Ex-General. Auch wenn Romney Obama ständig bezichtigt, in der Hoffnung auf einen demokratischen Wandel in der arabischen Welt Israel vernachlässigt zu haben, hat sich der Demokrat mehrmals explizit zur Sicherheitsgarantie der USA für den jüdischen Staat bekannt.

Die Worte Obamas reichen Netanjahu offenbar nicht. Nachdem US-Außenministerin Hillary Clinton am 10. September Netanjahus tagelang vorgebrachte Forderung nach der Festlegung einer "roten Linie", nach deren Überschreitung unbedingt militärische Maßnahmen gegen den Iran erfolgen müßten, als wenig hilfreich bezeichnete und für die Fortsetzung diplomatischer Bemühungen zur Beilegung des "Atomstreits" plädierte, ging der israelische Premierminister am 11. September in die Offensive. Bei einem Besuch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia erklärte Netanjahu: "Diejenigen, die sich weigern, dem Iran die rote Linie aufzuzeigen, haben nicht das moralische Recht, Israel die rote Ampel zu zeigen." Der Rückgriff auf die Moral ist als Seitenhieb gegen Dempsey zu verstehen, der wörtlich erklärte hatte, er wolle sich nicht "mitschuldig" an einem israelischen Krieg gegen den Iran machen.

Pikanterweise wurde am selben Tag in der Presse bekannt, daß beim kommenden Besuch Netanjahus in den USA Obama keine Zeit für ein Treffen mit ihm haben wird - weder in Washington, noch am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, wo beide Staatsmänner auftreten sollen. Als Grund für die Nicht-Begegnung führte das Weiße Haus die Wahlkampfverpflichtungen Obamas an. Doch das glaubt niemand. Nach vier Jahren, in denen Netanjahu durch den forcierten Bau neuer jüdischer Siedlungen in Westjordanland alle Bemühungen Obamas um einen gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern gezielt torpediert und damit Amerikas ersten schwarzen Präsidenten dem Spott freigegeben hat, kann man verstehen, warum dieser nicht sonderlich daran interessiert ist, sich ein weiteres Mal von dem undankbaren Verbündeten vorführen zu lassen.

Es stellt sich nun die Frage, ob und wenn ja, welche Auswirkungen die offensichtliche Animosität zwischen Obama und Netanjahu auf die US-Präsidentenwahl haben wird. Die meisten jüdischen Wähler Amerikas sind liberal eingestellte Demokraten, die eher zum eigenen Präsidenten als zum rechtsgerichteten Premierminister Israels halten dürften. Die zionistischen Großspender wie Adelson setzen sich ohnehin seit Monaten für Romney ein. Zusätzliche Motivation brauchen sie nicht. Eher könnte der Streit mit Netanjahu bisher unentschlossene Wähler für Obama mobilisieren, die sich keine weiteren Verstrickungen der USA in Kriege im Nahen Osten wünschen. Laut einer Umfrage, die vom Chicago Council on Global Affairs landesweit durchgeführt und deren Ergebnisse am 10. September veröffentlicht wurden, lehnten 70 Prozent der Befragten Bürger einen unilateralen amerikanischen Angriff auf die iranischen Atomanlagen ab.

In Israel selbst stehen Präsident Shimon Peres, Oppositionsführer Schaul Mofaz von der Kadima-Partei, weite Teile des Sicherheitsapparates und laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung der Idee eines militärischen Alleingangs Israels im "Atomstreit" mit dem Iran skeptisch bis ablehnend gegenüber. Folglich wird sich Netanjahu in den nächsten Wochen mit Herumpoltern und Windmachen begnügen müssen. Mit einer "October Surprise" ist nicht zu rechnen - es sei denn, Amerikas Neokonservative und ihre zionistischen Gewährsmänner entscheiden, daß sich Amerika und die "freie Welt" keine weiteren vier Jahre mit Obama als US-Präsident leisten können. Dann kann natürlich vieles passieren.

12. September 2012