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USA/1295: Ex-Juraprofessor Obama verfestigt Willkürherrschaft (SB)


Ex-Juraprofessor Obama verfestigt Willkürherrschaft

Von einer Rückkehr zu Gesetz und Verfassung ist nichts zu merken


Anläßlich des bevorstehenden zehnten Jahrestages der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 bemühen sich die Medien um ein Fazit des nach einer Dekade des damals von US-Präsident George W. Bush vom Trümmerberg des zerstörten New Yorker World Trade Center aus erklärten "globalen Antiterrorkrieges". Aus Sicht des Schattenblicks fällt die Antwort auf die Frage nach der Art der Veränderung, die dieser Tag mit sich brachte, leicht. Die USA haben den spektakulären Massenmord an rund 3000 Menschen - darunter auch zahlreiche Nicht-US-Bürger - zum Anlaß genommen, sich vom bisherigen Rechtsstaat zu verabschieden und eine Willkürherrschaft zu etablieren. Auch wenn ersterer formell noch fortbesteht, dient diese Formalität in erster Linie der abschreckenden und einschüchternden Wirkung der neuen (Un)Ordnung.

Während der achtjährigen Regierung des konservativen Republikaners Bush jun. wurden folglich "Terroristen" meistens nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern verschleppt, gefoltert und entweder offen - per Drohnenangriff - oder heimlich - in irgendwelchen Geheimgefängnissen der CIA oder Kerkern irgendwelcher arabischer Vasallenstaaten Washingtons - liquidiert. Aufgrund dürftiger bzw. vorgetäuschter Grundlagen wurden zwei Angriffskriege, der eine 2001 in Afghanistan und der andere 2003 im Irak - begonnen, die bis heute Hunderttausenden von Soldaten, Aufständischen und Zivilisten das Leben kosteten. Gleichzeitig haben die CIA und die US-Spezialstreitkräfte durch geheime Aktionen eine Reihe von Staaten, darunter den Jemen und Pakistan, destabilisiert.

Daheim hat Bush die US-Verfassung, für deren Einhaltung zu sorgen eigentlich die Hauptaufgabe eines jeden amerikanischen Präsidenten ist, praktisch außer Kraft gesetzt, als er 2001 an die National Security Agency (NSA) die Anweisung zum großen Lauschangriff auf sämtliche elektronische Kommunikationen der eigenen Bürger erteilte. Dazu kam das drakonische, im Eilverfahren im Herbst 2001 verabschiedete Antiterrorgesetz mit Namen USA-PATRIOT-Act. Daß das alles nichts mit dem Schutz der Bürger vor Terrorismus zu tun hatte, zeigt der ausführliche Bericht "The Informants" von Trevor Aaronson in der September/Oktober-Ausgabe der linken US-Politzeitschrift Mother Jones. Aaronson hat die mehr als 500 "Terror"-Ermittlungen des FBI seit 9/11 untersucht und nachgewiesen, daß in mehr als der Hälfte der Fälle Informanten oder "Agent provocateurs" der US-Bundespolizei die Hauptinitiatoren der betreffenden "Verschwörungen" waren.

Millionen von Menschen haben sich von dem liberalen Demokraten Barack Obama eine Rückkehr zum Rechtsstaat erhofft, hatte doch der damalige Senator aus Illinois 2008 beim Wahlkampf um die Präsidentschaft den Unilateralismus der Bush-Administration kritisiert und versprochen, Gesetz und Verfassung der USA wieder zur ihnen zustehenden Geltung zu verhelfen. Daß Obamas Wahlkampfversprechen gar nicht ernst gemeint waren, sondern nur Elemente des politischen Showgeschäfts enthielten, wurde bereits vier Monate vor dem Urnengang offensichtlich, als Amerikas erster schwarzer Präsident in spe im Senat für die umstrittene Novellierung des FISA-Gesetzes votierte und ihm damit zur Mehrheit im Kongreß verhalf. Seit dem Einzug ins Weißes Haus hat Obama seine Kapitulation gegenüber den tonangebenden neokonservativen Kräften im Militär, Geheimdienst, Kongreß und in den Medien fortgesetzt. Seine Pläne zur Schließung des Sonderinternierungslagers Guantánamo Bay auf Kuba hat er lange aufgegeben, während die "außergewöhnliche Überführung" von "Terrorverdächtigen" weitergeht. Die "black sites" der CIA hat er zwar schließen lassen, nur um sie durch ähnlich grausame Einrichtungen des Joint Special Operations Command (JSOC) in Afghanistan und im Irak ersetzen zu lassen.

Unter Obama ist auch die Anzahl der per Drohne durchgeführten Raketenangriffe auf mutmaßliche "Terrorziele" in Pakistan drastisch in die Höhe gestiegen, ungeachtet aller Spannungen, die sie zwischen Washington und Islamabad ausgelöst haben. Auch wenn CIA und Pentagon behaupten, solche Angriffe töteten fast ausschließlich militante Gegner der NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan, deuten die zahlreichen Berichte von Augenzeugen und Menschenrechtsorganisationen in der betroffenen pakistanischen Grenzregion zu Afghanistan daraufhin, daß es sich bei den meisten Opfern um Zivilisten handelt. Offenbar nutzen die Amerikaner ihre Drohnen als Mittel der Aufstandsbekämpfung, um die paschtunische Zivilbevölkerung beiderseits der Durand-Linie wegen ihrer Unterstützung für die Taliban zu bestrafen.

Nichts demonstriert dies besser als der Raketenangriff, der am 17. März dieses Jahres 38 Teilnehmer einer Dorfversammlung in Nordwasiristan tötete. In Pakistan vermutete man schon damals, daß die Operation ein Racheakt für die zweimonatige Inhaftierung des CIA-Auftragsarbeiters Raymond Davis war, denn er geschah einen Tag, nachdem der ehemalige Elitesoldat, der in Januar auf offener Straße zwei Pakistaner erschossen hatte, gegen die Bezahlung einer Entschädigung an die Opferfamilien das Land verlassen durfte. Eine Bestätigung für die Vermutungen der Pakistaner lieferten Kathy Gannon, Kimberly Dozier und Sebastian Abbot in einem am 2. August erschienenen Bericht der Nachrichtenagentur Associated Press mit der Überschrift "AP Exclusive: Timing of US drone strike questioned". Was das Motiv für den Angriff, auf den der damalige CIA-Chef und heutige US-Verteidigungsminister Leon Panetta "insistiert" haben soll, betrifft, so wird im AP-Bericht ein nicht namentlich genannter Mitarbeiter des US-Außenministeriums mit den Worten zitiert: "Es war Vergeltung für Davis - bei der CIA war man verärgert".

Daß mit dem US-Sicherheitsapparat nicht zu spaßen ist, zeigt ein Artikel, den David Swanson am 3. September auf seiner Website War is a Crime veröffentlicht hat. Darin berichtet der Journalist und Kriegsgegner von einer Podiumsdiskussion, die vor wenigen Tagen zum Thema 9/11 an der kalifornischen Universität Berkeley stattfand und an der unter anderem Christopher Edley jun., Dekan der dortigen, renommierten Law School, teilnahm. Auf die Frage aus dem Publikum, warum nach dem Machtwechsel 2009 in Washington Justizministerium und Staatsanwaltschaft nicht gegen die Mitglieder der Bush-Regierung wegen zahlreicher Gesetzesübertretungen vorgegangen seien, hätte Edley, der beim Amtswechsel an den Beratungen der künftigen Obama-Administration beteiligt war, eine interessante Antwort gegeben. Erstens wollten Obama und sein Stab nicht die Republikaner dermaßen gegen sich aufbringen, daß sie alle Gesetzesinitiativen des Weißen Hauses blockierten (was sie trotzdem taten und bis heute erfolgreich tun) und zweitens "fürchtet man sich vor einer Revolte seitens der CIA, der NSA und des Militärs".

Zweieinhalb Jahre später ist Obama, dessen Sorge um das eigene Leben sowie das seiner Frau und beiden Töchter seinen Handlungsspielraum offenbar stark einschränkt, auf dem besten Weg, die von Bush und Konsorten verfochtene Praxis der präsidialen Allmacht - "unitary exekutive" - nicht nur zu zementieren, sondern noch weiter auszubauen. An der Seite des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und des britischen Premierministers David Cameron hat er die USA in einen Krieg gegen die libyschen Streitkräfte Muammar Gaddhafis geführt und dabei die von Gesetz und Verfassung erforderliche Zustimmung des Kongresses einfach ignoriert. Als Rechtfertigung für sein selbstherrliches Handeln, von dem selbst die Rechtsabteilung des Pentagons abgeraten hatte, ließ er von Harold Koh, einem Anwalt in Hillary Clintons Außenministerium, eine Expertise anfertigen, in der es hieß, der Präsident brauche die Zustimmung von Repräsentantenhaus und Senat in Sachen Libyen nicht, denn wegen der rüstungstechnologischen Überlegenheit der US-Luftwaffe bestünde auf amerikanischer Seite keine Gefahr vor Verlusten, also könne man nicht von "Krieg" oder "Feindseligkeiten", sondern lediglich von einer "kinetischen Aktion" sprechen. Die Angehörigen der durch NATO-Bomben und Raketen getöteten Libyer dürften da anderer Meinung sein.

Die Tatsache, daß die Westalliierten des Zweiten Weltkrieges Bürgerproteste in Libyen gegen Gaddhafi benutzt haben, um in Tripolis einen "Regimewechsel" herbeizuführen und sich dazu einschlägig bekannter Islamisten aus dem Dunstkreis von Al Kaida und den mutmaßlichen Verantwortlichen für die Anschläge des 11. September bedienten, spricht Bände hinsichtlich der hier vertretenen These von einer qualitativ neuen, in ihrer Offensichtlichkeit drastischen Willkür im politischen Handeln nach dem "Tag, der die Welt veränderte". Da bieten die jüngst aufgetauchten dokumentarischen Belege für die Zusammenarbeit zwischen dem Gaddhafi-"Regime" und der CIA sowie dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 bei der Folterung von islamischen "Extremisten" keinen Anlaß für Empörung oder Entsetzen. Das wäre inzwischen blauäugig.

Einen tiefen Einblick in das derzeit herrschende Denken der Verantwortlichen von Politik und Militär in den USA lieferten die beiden Journalisten und Militärexperten Dana Priest und William Arkin am 2. September in der Washington Post mit einem langen Artikel über das Joint Special Operations Command, das seit dem 11. September 2001 von 1800 auf inzwischen 25.000 Mitglieder angewachsen ist und nicht nur überall auf der Welt "extralegale" Hinrichtungsoperationen wie die gegen Osama Bin Laden am 2. Mai im pakistanischen Abbottabad durchführt, sondern auch Tausende "Terrorverdächtige" in den bereits erwähnten Sonderinternierungslagern im Irak und in Afghanistan gefangen hält. In dem Artikel zitieren Priest und Arkin einen Navy SEAL vom JSOC mit den vor Arroganz und Selbstüberschätzung nicht zu überbietenden Worten: "Wir sind die dunkle Materie. Wir sind die Kraft, welche das Universum ordnet, aber nicht gesehen werden kann."

7. September 2011