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USA/1286: Umstrittenes PATRIOT-Gesetz um vier Jahre verlängert (SB)


Umstrittenes PATRIOT-Gesetz um vier Jahre verlängert

Barack Obama tritt das Erbe von George W. Bush und Dick Cheney an


Medial überschattet vom verheerenden Wirbelsturm in Joplin, Missouri, dem Rummel um die Abschiedssendung von Fernsehbeichttante und Selbsthilfeguru Oprah Winfrey und der Berichterstattung über die Europareise von US-Präsident Barack Obama - einschließlich eines Grillabends im Garten des Amtssitzes des britischen Premierministers David Cameron in der Londoner Downing Street Nummer 10 und einer Begegnung mit dem frischverheirateten englischen Königspärchen, Prince William und Kate Middleton - hat am Abend des 26. Mai in Washington der Kongreß wichtige Teile des umstrittenen USA-PATRIOT-Gesetzes um weitere vier Jahre verlängert. Nichtdestotrotz hat der angeblich wichtige, in der Fernsehberichterstattung fast untergegangene Schritt im Kampf gegen den "internationalen Terrorismus" eine historische Aufwertung erfahren. Als erstes Gesetz in der Geschichte der USA hat es am 27. Mai der Präsident vom Ausland aus - als er sich in der französischen Hauptstadt Paris befand - mittels eines elektronischen Kugelschreibers unterzeichnet und damit in Kraft gesetzt.

Das rund 1000seitige USA-Patriot-Gesetz, ein Sammelsurium diverser polizeistaatlicher Maßnahmen, war am 26. Oktober 2001 unter dem Eindruck der Flugzeuganschläge vom 11. September und der kurz darauf einsetzenden, per Brief erfolgten Anthrax-Angriffe vom Kongreß verabschiedet worden. Wie man inzwischen erfahren hat, haben die meisten Abgeordneten des Repräsentantenhauses und Senatoren das gesetzliche Mammutpaket der Regierung George W. Bush und Dick Cheney entweder nur kursorisch oder gar nicht erst gelesen. Das Gesetz stattet Polizei und Geheimdienste der USA mit weitreichenden Befugnissen aus, um die elektronischen Kommunikationen verdächtiger Personen laufend zu überwachen und sich Zugang zu Informationen aus ihren verschiedensten Lebensbereichen zu verschaffen.

Während bereits damals der größte Teil des Gesetzes dauerhaft in Kraft trat, gab es einige Bestimmungen, die einer Vielzahl der Mitglieder der Legislative dermaßen drastisch erschienen, daß eine Mehrheit ihrer Verabschiedung nur unter der Maßgabe der zeitlichen Begrenzung zustimmte. Nach Verlängerungen in den Jahren 2005, 2006 und 2010 wären diese Bestimmungen am 27. Mai um Mitternacht ausgelaufen, hätten nicht beide Häuser des Kongresses sozusagen in letzter Minute für ihre Fortsetzung votiert - das Repräsentantenhaus mit 250 zu 153 und der Senat mit 72 zu 23 Stimmen - und wäre Präsident Obama nicht extra um 5.45 Uhr MEZ (ein Viertelstunde vor Mitternacht Ostküstenzeit in den USA) aufgestanden, um ihnen per "Auto-pen" Gesetzeskraft zu verleihen. Bei den drei fraglichen Bestimmungen handelt es sich erstens um eine, die "roving wiretaps", das heißt das Abfangen und die Auswertung sämtlichen Telefon- und Internetverkehrs eines Verdächtigen erlaubt, zweitens um die "library provision", auch "section 215" genannt, die Zugang zu Bankverbindungsdaten, Krankenakten sowie zu Informationen über Kauf-, Reise-, Lese- und Schreibverhalten ermöglicht, und drittens, die sogenannte "lone wolf" provision, welche die Überwachung von Personen gestattet, die in keinerlei Verbindung mit irgendwelchen "terroristischen" Organisation stehen, deren politische Ansichten jedoch als problematisch betrachtet werden.

Entgegen anderslautender Versprechen hat die Führung der Demokraten und Republikaner im Repräsentantenhaus und Senat dafür gesorgt, daß es zu keiner inhaltlichen Diskussion über die drei Gesetzespassagen kommen konnte. Unter Verweis auf die Warnungen des FBI-Chefs Robert Mueller und des Director of National Intelligence James Clapper, wonach das Versäumnis, das PATRIOT-Gesetz in seiner Gesamtheit rechtzeitig zu verlängern, unweigerlich zur Unterbrechung laufender Ermittlungen und damit zu einer inakzeptablen Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA führte, wurde die Abstimmung in beiden Kongreßhäusern durchgedrückt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Republikaners Rand Paul und des Demokraten Patrick Leahys, des Vorsitzenden des Justizausschusses im Oberhaus des Kongresses, wurden vom demokratischen Mehrheitsführer Harry Reid mit dem Hinweis beiseitegewischt, die drei Gesetzespassagen müßten erneut verabschiedet werden, sonst drohten Amerika "schreckliche Konsequenzen", "Terroristen" würden "unentdeckt ihre Komplotte ... aushecken können".

In den letzten Jahren hat es zahlreiche Hinweise gegeben, daß die Sicherheitsbehörden in den USA, allen voran der Inlandsgeheimdienst FBI, das PATRIOT-Gesetz mißbrauchen, um gegen Friedensaktivisten, Tierrechtler und Umweltschützer zu ermitteln, sie einzuschüchtern und die Inanspruchnahme ihres demokratischen Rechts auf Protest gegen gesellschaftliche Mißstände als "terroristisch" zu kriminalisieren. Anders, als man es vielleicht erwartet hätte, hat seit dem Einzug des ehemaligen Juraprofessors Obama ins Weiße Haus die Drangsalierung progressiver, linker Kräfte in den USA eher zugenommen als nachgelassen. Hatte sich 2007 der afroamerikanische Juniorsenator von Illinois noch gegen sogenannte "national security letters" ausgesprochen, hat sich die Anzahl jener vom Justizministerium verhängten Verfügungen zur Ausspionage einer bestimmten Person in den beiden ersten Amtsjahren Obamas als Präsident von 6114 Fällen auf 14.212 mehr als verdoppelt.

In einem Bericht über die Verabschiedung des PATRIOT-Gesetzes zitierte die Zeitschrift Time am 27. Mai in ihrer Onlineausgabe Michelle Richardson, Rechtsbeistand der altehrwürdigen American Civil Liberties Union (ACLU), dahin gehend, daß das FBI inzwischen häufig ohne konkrete Verdachtsmomente gegen einfache, politisch aktive Bürger ermittelt. Unter Hinweis auf "provision 215" schilderte Richardson ihre Erfahrungen mit den Vertretern der US-Bundespolizei wie folgt: "Sie sagen, 'Wir wissen nicht, wer die Terroristen sind, bis wir an die Informationen herankommen'." Es kommt jedoch noch schlimmer. Nach Angaben von Ron Wyden aus Oregon und Mark Udall aus Colorado, die im Geheimdienstausschuß des Senats sitzen, wird das PATRIOT-Gesetz vom Justizministerium auf eine geheime Weise angewendet, die dermaßen weitreichend ist, daß es die meisten Bürger der USA zutiefst empören würde. Zwar sind Udall und Wyden selbst zum Schweigen verpflichtet und können nicht einfach ausplaudern, was ihnen im Geheimdienstausschuß vor Augen und zu Ohren gekommen ist. Dennoch hat Wyden im Senat vor der fraglichen Abstimmung Andeutungen auf frühere Staatsaffären wie den Iran-Contra-Skandal gemacht. Langsam, aber unerbittlich verschlingt der amerikanische Imperialismus die letzten Reste republikanischer Werte.

30. Mai 2011