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USA/1278: Arizona erneut Vorreiter rassistischer Ermächtigung gegen Migranten (SB)


Gesetzesentwurf sieht Beschneidung fundamentaler Rechte vor


Bei seinem Amtsantritt hatte Präsident Barack Obama versprochen, er werde das "desolate Einwanderungsrecht" rasch reformieren und die sogenannten Illegalen - Migranten ohne Aufenthaltsrecht in den Vereinigten Staaten - "aus dem Schatten" führen. In den USA leben Schätzungen zufolge bis zu zwölf Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung, die zu zwei Dritteln aus Mexiko stammen. Seit der Ankündigung Obamas ist jedoch auf Bundesebene nichts Nennenswertes geschehen, weshalb die Regierung in Washington zunehmend unter Druck gerät. Auf Ebene der Bundesstaaten, Distrikte und Kommunen wurden Hunderte Gesetze verabschiedet, die fast ausnahmslos repressive Maßnahmen gegen Einwanderer vorsehen und sich zugleich mit der Ermächtigung staatlicher oder kommunaler Institutionen zu verschärfter Kontrolle und Strafverfolgung letztlich gegen die gesamte Bevölkerung richten.

Bundesstaaten wie Arizona, wo unter 6,5 Millionen Einwohnern schätzungsweise 460.000 Einwanderer ohne Aufenthaltsrecht leben, beklagen die Untätigkeit der Administration und handeln auf eigene Faust. Dort wurde am 23. April 2010 das Gesetz SB1070 beschlossen, das nach 90 Tagen in Kraft treten sollte. Es verpflichtet die Polizei unter anderem, bei "begründetem Verdacht" jede Person zu kontrollieren, bei der es sich um einen "illegalen Einwanderer" handeln könnte. Dieser heftig umstrittene Vorstoß könnte zu massenhaften Abschiebungen führen und darüber hinaus müßten auf Grund seiner repressiven Stoßrichtung Millionen Menschen mit Migrations- und indigenem Hintergrund rassistische Diskriminierung in ihrem Lebens- und Arbeitsalltag fürchten.

Gegner des Gesetzes bezeichneten es als Anstiftung zum Rassismus und fundamentalen Angriff auf Grundrechte und Würde aller Menschen. Es diene dazu, Einwanderer mürbe zu machen, bis sie total erschöpft seien und den Bundesstaat und das Land verließen. Gegen das Gesetz SB1070 wurden sieben Klagen eingereicht, darunter auch eine der Regierung Präsident Barack Obamas, der es als "fehlgeleitet" bezeichnete. Das Justizministerium vertrat die Auffassung, der Bundesstaat Arizona habe seine Befugnisse überschritten, da die Zuständigkeit für die Gesetzgebung zum Umgang mit Einwanderern in Washington liege. Die Regierungen von zwölf lateinamerikanischen Ländern sprachen sich mit Nachdruck gegen das Gesetz aus und unterstützten die Klage der Obama-Regierung.

Sowohl in den USA als auch in Mexiko warnten Nichtregierungsorganisationen vor den verhängnisvollen Konsequenzen für die Betroffenen. Der Präsident der Weltorganisation von Mexikanern im Ausland, Carlos Villanueva, wies auf den hohen sozialen Schaden hin, der entstünde, wenn Familien tagtäglich mit der Angst vor einer erzwungenen Trennung leben müßten. Darüber hinaus würden Einwanderer alles verlieren, wofür sie gearbeitet haben, ob sie nun seit einem oder 20 Jahren im Land leben. Die mexikanische Regierung beauftragte Anwälte in Arizona, den Migranten Rechtsbeistand zu leisten und Menschenrechtsverletzungen im Falle einer Verhaftung entgegenzuwirken.

Ende Juli 2010 schränkte ein Bundesgericht in Phoenix wenige Stunden vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in Arizona die geplante Regelung in entscheidenden Punkten ein. So sollten ausschließlich Angehörige der Einwanderungsbehörde die geplanten Kontrollen durchführen. Damit wurde vorerst verhindert, daß die gesamte Polizei des Bundesstaats bei jeder Verkehrskontrolle oder Razzia gehalten wäre, mögliche "Illegale" aufzuspüren und damit Menschen ausländischen Erscheinungsbilds unter Generalverdacht zu stellen. Zudem wurden zwei weitere Kernpassagen ausgesetzt, die es zum Straftatbestand erklären wollten, als Einwanderer keine Papiere bei sich zu tragen oder ohne Aufenthaltsrecht öffentlich eine Arbeit zu suchen.

Arizonas Gouverneurin Jan Brewer berief sich auf Umfragen im Bundesstaat, bei denen eine deutliche Mehrheit das Gesetz befürwortete, und setzte auf einen entsprechenden Trend auch in anderen Bundesstaaten. Das "Recht des Staates Arizona, seine Bürger zu schützen", werde sich durchsetzen, erklärte Brewer. Sie bezeichnete die Einschränkung des Gesetzes als "Schlagloch in der Straße" und kündigte weitere Schritte an: "Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende."

Wie sehr sie mit ihrer Prognose Recht behalten sollte, repressive Maßnahmen würden in Arizona weiterhin angestrebt, unterstreicht die jüngste gesetzgeberische Initiative im Parlament des Bundesstaats. Abgeordnete haben ein Paket restriktiver Verfügungen eingebracht, das die heftige Kontroverse um das Gesetz SB1070 im vergangenen Jahr als bloßen Vorboten erscheinen läßt, dem der eigentliche Sturm erst noch folgen soll. Der republikanische Senator Arizonas, Russell Pearce, faßte das Vorhaben mit den bezeichnenden Worten zusammen: "Wenn man diese Invasion jemals aufhalten will - und es handelt sich um eine Invasion - muß man aufhören, Gesetzesbrecher zu belohnen." [1]

Die geplanten Maßnahmen sehen vor, "illegalen" Einwanderern zu verbieten, in Arizona ein Fahrzeug zu führen, eine Schule zu besuchen und von wenige Ausnahmen abgesehen soziale Leistungen in Anspruch zu nehmen. Überdies sollen für ihre Kinder spezielle Geburtsurkunden ausgestellt werden, aus denen hervorgeht, daß der Bundesstaat Arizona sie nicht als seine Bürger betrachtet. Würde der Entwurf Gesetzeskraft erlangen, wären Schulen gezwungen, den Aufenthaltsstatus aller Schüler zu überprüfen, müßten Krankenhäuser Patienten ohne gültige Papiere die Behandlung verweigern, soweit es sich nicht um Notfälle handelt. "Illegale" dürften nicht heiraten, Hausbesitzer müßten ganzen Familien kündigen, sofern auch nur eine Person ohne Aufenthaltsrecht in der Wohnung lebt, und wer aus diesem Personenkreis am Steuer eines Fahrzeugs angetroffen wird, müßte mit dessen Beschlagnahme sowie einer Haftstrafe von 30 Tagen rechnen.

Da wesentliche Teile dieses Gesetzesentwurfs zweifelsfrei gegen geltendes Bundesrecht verstoßen, zielt die Initiative offensichtlich darauf ab, einen Rechtsstreit bis vor den Obersten Gerichtshof auszutragen, um ein höchstrichterliches Urteil zugunsten Arizonas zu erwirken. Allerdings ist ungeachtet der republikanischen Mehrheit im Parlament des Bundesstaats noch nicht sicher, daß der Entwurf gebilligt wird. Widerspruch war auch aus Wirtschaftskreisen zu hören, da Boykottaufrufe im vergangenen Jahr unter anderem dazu geführt haben, daß die Zahl von Kongressen und Tagungen in Arizona deutlich zurückgegangen ist. Die Handelskammer lehnt jede weitere Verschärfung mit der Begründung ab, diese würde Arizona erneut an den Pranger stellen und "unschuldigen Geschäftsleuten schaden, die einfach nur versuchen, über die Runden zu kommen".

Heimatschutzministerin Janet Napolitano, die früher selbst Gouverneurin des Bundesstaats war, verwies beschwichtigend auf statistische Daten, denen zufolge der illegale Grenzübertritt nach Arizona in Folge aufgestockter Bundesmittel für die Grenzsicherung deutlich abgenommen habe. Dies konnte jedoch die reaktionäre Fraktion jener Abgeordneten nicht besänftigen, welchen die letztjährige Klage der Obama-Regierung die Zornesröte auf die Stirn treibt. Gouverneurin Jan Brewer kündigte eine Gegenklage mit der Begründung an, die Regierung in Washington verhelfe dem Einwanderungsrecht nicht zur Durchsetzung. Man rechnet mit Unterstützung aus anderen Bundesstaaten, da die Vorreiterrolle Arizonas von Hardlinern im ganzen Land in den höchsten Tönen gelobt wird und die Musterbeispiele längst Nachahmer finden.

Wem Migranten nicht gleichgültig sind oder wer auch nur die Verfassung ernst nimmt, schlägt hingegen die Hände über dem Kopf zusammen. Hielt man SB1070 für einen Ausbund fremdenfeindlicher Gesinnung und rassistischer Tendenzen, dem unbedingt Einhalt geboten werden müsse, so geht der jüngste Gesetzesentwurf noch weit darüber hinaus. Er bedroht fundamentale Rechte aller im Land lebenden Einwanderer und zielt auf ein beispielloses Kontrollregime ab. Will man Menschen grundlegende Sozialleistungen, Bürgerrechte und Bildungsmöglichkeiten verweigern, ihren im Land geborenen Kindern die von der US-Verfassung garantierte Staatsbürgerschaft absprechen und sowohl in der Öffentlichkeit, als auch am Arbeitsplatz und in ihrem häuslichen Umfeld Jagd auf sie machen, setzt man nicht nur das lange schon begonnene Werk der Drangsalierung fort. Die aktuelle Entwicklung zeugt darüber hinaus von einem dramatischen Verfall traditioneller Werte und Rechtsgüter, der die US-amerikanische Gesellschaft von Grund auf erodiert und in ein offen repressives Regime für eine dramatisch wachsende Zahl der im Lande lebenden Menschen zu verwandeln droht.

Anmerkungen:

[1] Arizona Lawmakers Push New Round of Immigration Restrictions (23.02.11)
New York Times

24. Februar 2011