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USA/1195: Obama stellt sich hinter die Folterpraktiken Bushs (SB)


Obama stellt sich hinter die Folterpraktiken Bushs

Der Fall Binyam Mohamed sorgt beiderseits des Atlantiks für Furore


Wer befürchtete, bei den drei von Barack Obama an seinem zweiten Arbeitstag als US-Präsident am 22. Januar vor laufenden Fernsehkameras unterzeichneten Exekutivbefehlen zur schnellstmöglichen Schließung des Sonderinternierungslagers auf dem Gelände des Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba und der Geheimgefängnisse ("black sites") der CIA im Ausland sowie zur strikten Einhaltung der Richtlinien des Armeehandbuchs bei der Vernehmung von mutmaßlichen "Terroristen" handele es sich eher um eine PR-Maßnahme zur Aufpolierung des angekratzten Ansehens Amerikas als um eine prinzipielle und substantielle Abkehr vom "Antiterrorkrieg" George W. Bushs und der damit einhergehenden Ideologie der juristischen und militärischen Allmacht des Weißen Hauses, sieht in den letzten Tagen seinen Verdacht bestätigt.

Im Rahmen des Bestätigungsverfahrens für die Mitglieder des Obama-Kabinetts hat zwar der neue Justizminister Eric Holder "waterboarding" als Folter bezeichnet, doch weigerte sich der neue Geheimdienstdirektor Admiral Dennis Blair kategorisch, das gleiche zu tun, während der neue CIA-Direktor Leon Panetta auf direkte Nachfrage vor dem Geheimdienstausschuß des Senats nicht ausschließen wollte, daß man doch noch Foltermethoden ergreifen könnte, ginge es darum, einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag mit zahlreichen Todesopfern - das altbewährte "ticking bomb"-Szenario, das ungeachtet seiner Realitätsferne Antiterrorkrieger wie Alan Dershowitz immer wieder ins Spiel bringen - zu verhindern.

Am 1. Februar enthüllte der Journalist Greg Miller in einem Artikel für die Los Angeles Times mit der Überschrift "Obama preserves renditions as counter-terrorism tool", daß unter dem Nachfolger von Bush jun. das umstrittene CIA-Programm der "extraordinary renditions", der illegalen Verschleppung von "Terrorverdächtigen" und ihrer Überstellung an befreundete Regime wie dem Hosni Mubaraks in Ägypten zwecks Folter vor der Ausweitung stehe. Laut Miller sieht der eine von den drei bereits genannten Exekutivbefehlen Obamas lediglich vor, daß die CIA künftig gefangengenommene "Terroristen" nicht längere Zeit in irgendwelchen "blacks sites" hält, läßt gleichzeitig aber ausdrücklich die Möglichkeit zu, daß man sie an solchen Orten "kurzfristig" unterbringt, bevor man sie an Länder, deren Regierungen "mit den USA kooperieren", übergibt. "Kurzfristig" ist natürlich ein dehnbarer Begriff, wobei für jemanden, der schweren Mißhandlungen ausgesetzt wird, selbst 24 Stunden eine lange Zeit sind. Die Weigerung Obamas, daß Programm der sogenannten Folterflüge der CIA abzuschaffen, hängt vermutlich damit zusammen, daß diese keine Hinterlassenschaft der republikanischen Vorgängeradministration, sondern der Regierung seines demokratischen Parteikollegens Bill Clinton sind.

Den endgültigen Beweis der grundlegenden Kontinuität der Bush- und Obama-Regierung, was das Primat der "nationalen Sicherheit" und der selbstherrlichen Anwendung illegaler Methoden bei der "Terrorbekämpfung" betrifft, lieferten am 9. Februar vor einem Berufungsgericht in San Francisco Anwälte des US-Justizministeriums. Zur Verhandlung stand die Zivilklage fünfer Guantánamo-Häftlinge gegen die Firma Jeppesen Dataplan an, ein Tochterunternehmen des Flugzeugbauers Boeing. Im Namen der Männer, allesamt Opfer des "extraordinary renditions"-Programms, klagt die American Civil Liberties Union (ACLU) gegen Jeppesen Dataplan und wirft ihr vor, sich durch die Bereitstellung und Wartung der von der CIA verwendeten Flugzeuge wissentlich an der illegalen Verschleppung von Bürgern ausländischer Staaten beteiligt zu haben. Mit der Klage gegen das Dienstleistungsunternehmen will die ACLU die US-Regierung zwingen, die Männer entweder freizulassen oder gegen sie Klage vor einem ordentlichen Gericht zu erheben.

Zu diesem Zweck hat die ACLU einen Antrag auf Einblick in das angeblich vorliegende Belastungsmaterial gestellt. Dieser Antrag war es, der nun vor dem Ninth Circuit Court of Appeals in San Francisco zur Diskussion anstand. Bisher hatte sich die Bush-Regierung unter Berufung auf das "states secret privilege" geweigert, die näheren Umstände der Gefangennahme der ACLU-Mandanten zu erläutern oder die Gründe für die Aktion zu benennen. Im Gegenteil verlangte sie, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird, weil ihre Behandlung vor Gericht die "nationale Sicherheit" der USA gefährden könnte. Mit Spannung erwarteten Prozeßbeobachter zu sehen, welche Position die Obama- Administration in diesem Fall einnehmen würde. Am 9. Februar wurden sie aufgeklärt.

Auf die Frage der Richterin Mary Schroeder, ob das Justizministerium weiterhin auf die Zurückweisung der Klage beharre und ob es vielleicht nicht in den letzten Wochen "etwas Substantielles" gegeben habe, das zu einer Veränderung der offiziellen Position geführt haben könnte, antwortete der Anwalt Douglas N. Letter mit nein. Als Schroeder, leicht irritiert, nachsetzte und direkt fragte, ob nicht der Regierungswechsel in Washington die Position des Justizministeriums geändert habe, antwortete Letter erneut mit nein. Diese "autorisierte Position", die er vor dem Gericht vertrete, sei "mit den zuständigen Beamten der neuen Administration umfassend beraten" worden, erklärte Letter. In einem Artikel über das Prozeßgeschehen, der am 10. Februar in der New York Times unter der überschrift "Obama Backs Off a Reversal on Secrets" erschienen ist, schrieb John Schwartz, über die Antwort Letters seien die drei Richter "entsetzt" gewesen.

Erst recht gilt das für die American Civil Liberties Union, die vom Obama, einem Absolventen der juristischen Fakultät an der Harvard University, der in Wahlkampf gegen den Machtmißbrauch der Bush- Regierung gewettert und eine Rückkehr zu rechtstaatlichen Prinzipien und eine strenge Einhaltung der Verfassung versprochen hatte, etwas Besseres erwartet hatte. In einer ersten Reaktion warf der ACLU-Präsident Anthony Romero Obama vor, das Versprechen nach "Wandel" nicht eingelöst und in einer wichtigen Frage der Bürger- und Menschenrechte sein Wort gebrochen zu haben. Ähnliche Kritik gab es von der New York Times. In einem am 11. Februar erschienen Leitartikel mit den Titel "Continuity of the Wrong Kind" warf die Redaktion von Amerikas einflußreichster Zeitung Obama "klägliches Versagen" vor. Statt mit den beschämenden Praktiken der Bush-Regierung Schluß zu machen, hätten Obama und Justizminister Holder "das Unentschuldbar verteidigt", so die Gray Lady.

Wie unentschuldbar die Haltung der Obama-Regierung tatsächlich ist, zeigt die aktuelle Kontroverse um Binyam Mohamed, eines der fünf Opfer im Falle ACLU gegen Jeppesen Dataplan. Der Äthiopier wohnte jahrelang in Großbritannien, bis er 2001 eine Reise nach Pakistan antrat. Dort wurde er 2002 gefangengenommen, gefoltert und anschließend der CIA ausgehändigt. Die hat ihn nach Marokko geflogen, wo er schwer gefoltert wurde unter anderen durch Messerschnitte in seinem Penis, woraufhin Lösungsmittel auf die Wunden gegossen wurde. Nach einer solchen Folter-Session soll Mohamed seinen Peinigern erzählt haben, er habe früher eine Website aufgesucht, auf der scherzhaft beschrieben worden sei, wie man Uran durch Herumschleudern in einem Eimer "anreichern" könne. Daraus hat später die Bush-Regierung die Geschichte gemacht, Mohamed und der Amerikaner José Padilla hätten einen Anschlag mit einer "schmutzigen Bomben" geplant. Nach einen kurzen Zwischenaufenthalt in Afghanistan landete Mohamed in Guantánamo Bay, wo er derzeit, inzwischen 30 Jahre alt, an einem Hungerstreik teilnimmt und dem Tode extrem nahe sein soll.

Der Versuch von Mohameds Strafverteidigerin Yvonne Bradley, einer Militäranwältin des US-Verteidigungsministeriums, ihren Mandanten über die britischen Gerichte freizubekommen, ist bislang gescheitert. In Großbritannien sorgt der Fall für eine heftige Diskussion, seit am 4. Februar der High Court in London die eigene Regierung dafür kritisiert hatte, eine Behandlung der Angelegenheiten Mohameds durch Verweis auf das offizielle Staatsgeheimnisschutzgesetz unmöglich gemacht zu haben. Vermutet wird, daß eine Teilnahme von Vertretern des MI6 an der Folter Mohameds vertuscht werden soll. Am 11. Februar sollte Bradley extra aus den USA kommen und den Mitgliedern des Geheimdienstausschusses des britischen Unterhauses Rede und Antwort stehen - hinter verschlossenen Türen, versteht sich.

11. Februar 2009