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SOZIALES/2101: Explodierende Mietpreise in den Metropolen (SB)



Mietpreisbremse bleibt ohne Wohnungsbaupolitik zahnlos

Weltweit zeichnet sich eine wachsende Konzentration der Bevölkerung in Städten ab, inzwischen lebt die Menschheit bereits zur Hälfte in urbanen Räumen, oftmals gigantischen Megacities, deren explodierende Einwohnerzahl allenfalls geschätzt werden kann. Mit Immobilien wird weltweit sehr viel Geld verdient, in Wohnraum wird Kapital investiert, dessen Möglichkeiten der Reinvestition in der Produktion schwinden, während sich in der Wohnwirtschaft ansehnliche Renditen erwirtschaften lassen. Da man als Mensch wohnen muß und einen Großteil des Lebens in Wohnungen verbringt, sind der Zugang zu Wohnraum wie auch dessen Kosten, Lage und Beschaffenheit von unabweislicher Bedeutung.

Wohnungskosten sind existentiell und müssen bezahlt werden, wobei man das Wohnen zur Miete in gewisser Weise als eine kulturelle Errungenschaft bezeichnen könnte. Bezogen auf die Lebenszeit eines Menschen unter kapitalistischen Bedingungen sind die Mietkosten vielleicht nur halb so hoch als wenn man Wohneigentum anschaffen würde. Es bleiben daher mehr Mittel für den gesamten übrigen Lebenszusammenhang übrig, so daß man größere Autonomie über sein Leben behalten kann. Steigende Mieten schmälern indessen zwangsläufig nicht nur den Konsum, sondern schränken die gesamte Lebensführung bis hin zu zwischenmenschlichen Kontakten, Bildung und Reisen ein.

Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum und das Zusammenleben im Stadtteil sind daher nicht minder wichtige Felder des Widerstands wie der Produktionsbereich, zumal der Verlust des Arbeitsplatzes oder der schlechte Job im Niedriglohnsektor wiederum die Wohnproblematik verschärft. Die Wohnung zu verlieren ist für viele Menschen keine ferne Bedrohung, sondern findet jetzt statt. Sozialverbände wie die Caritas oder der Paritätische Wohlfahrtsverband gehen von ungefähr 350.000 wohnungslosen Menschen in Deutschland aus, in den nächsten fünf Jahren werden es vielleicht schon 500.000 sein. Nicht alle diese Menschen leben als Obdachlose auf der Straße, aber sie müssen über Unterkünfte und Heime mit staatlicher Finanzierung versorgt werden. Sie leben in sehr ungünstigen Bedingungen und können sich nicht am Wohnungsmarkt mit einer Wohnung versorgen, weil das zu teuer oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht möglich ist.

Inzwischen führt nahezu jeder Wohnungswechsel dazu, daß man erheblich mehr Geld für Miete ausgeben muß, sofern man sich nicht mit deutlich weniger Quadratmetern zufriedengeben oder in eine entlegene Gegend ziehen will. Nach Angaben des Forschungsinstituts Empirica in Bonn, das dafür "die mit Abstand größte Sammlung von Immobilieninseraten in Deutschland" ausgewertet hat, sind die Mieten hierzulande zwischen 2012 und 2016 um durchschnittlich 15 Prozent gestiegen, in Ballungszentren sogar noch wesentlich mehr. Besonders drastisch war der Anstieg in Berlin, wo eine Mietwohnung heute im Schnitt 28 Prozent mehr als vor fünf Jahren kostet. Mit einem Preis von 9,29 pro Quadratmeter spielt die lange Jahre eher günstige Bundeshauptstadt jetzt in einer Liga mit traditionell teuren Städten wie Düsseldorf, wo Mieter 9,87 Euro pro Quadratmeter bezahlen müssen.

Das wiederum wird von München weit übertroffen, wo die Mieter im Jahr 2016 im Durchschnitt 16 Euro pro Quadratmeter zahlen mußten, ein Anstieg um 21 Prozent gegenüber dem Jahr 2012. Auf Platz zwei der teuersten Orte folgt der Landkreis München (12,80 Euro), dann kommen Frankfurt am Main (12,70 Euro), Starnberg (11,94 Euro) und Stuttgart (11,31 Euro). Den stärksten Zuwachs hatten jedoch einige mittelgroße Städte wie zum Beispiel Ingolstadt, das einen Anstieg von 26 Prozent gegenüber 2012 verzeichnete. Im Landkreis Eichstätt nördlich der Stadt stiegen die Mieten sogar um 44 Prozent, der zweitstärkste Anstieg in Deutschland. Noch rasanter kletterten die Angebotsmieten nur in Wolfsburg, nämlich um 46 Prozent binnen fünf Jahren. Dieses Phänomen erklärt sich mit der Abhängigkeit beider Standorte von den Autokonzernen Audi und VW. In Wolfsburg ist etwa die Hälfte der Einwohner beim VW-Konzern beschäftigt. Solche Städte sind zwangsläufig unmittelbar von Wohl oder Weh dieser dominierenden Unternehmen betroffen. Während die Preise in Ballungsgebieten oder an ausgewählten Industriestandorten seit Jahren steigen, stagnieren sie auf dem Land wie auch in ostdeutschen Städten wie Jena (minus 1,2 Prozent), Frankfurt an der Oder (minus 0,7 Prozent) oder in der Uckermark (minus 0,4 Prozent). [1]

Bemerkenswert an diesem Anstieg der Mieten ist nicht zuletzt, daß die Mietpreisbremse in den Metropolen kaum Spuren hinterläßt. Ganz im Gegenteil sind zwei der vier deutschen Millionenstädte die Mieten seit Inkrafttreten des Gesetzes vor zwei Jahren noch stärker gestiegen als vor der Gesetzeseinführung. In Berlin und München sind die Mieten ungebremst in die Höhe geschnellt: So stiegen sie in der Hauptstadt seit dem 1. Quartal 2015 um 18 Prozent, während die Steigerungsrate in den zwei Jahren vor der Einführung der Mietpreisbremse bei 16 Prozent gelegen hatte. Ein ähnliches Bild zeigt sich in München, wo der Anstieg von 12 auf 14 Prozent gewachsen ist.

Dieser enorme Preisanstieg verdankt sich boomenden Mietmärkten in München und Berlin. Der Zuzug in die beiden Metropolen ist ungebrochen, und die Bevölkerung wächst von Jahr zu Jahr. Allein nach Berlin ziehen jährlich rund 40.000 Menschen, während dort neuer, bezahlbarer Wohnraum kaum geschaffen wird. Stattdessen werden viele Neubauten zu Höchstpreisen verkauft oder vermietet. Zudem fressen sich Luxussanierungen durch die Quartiere und treiben die Mieten weiter in die Höhe. Die dramatischen Folgen liegen auf der Hand: Immer mehr Menschen konkurrieren um immer weniger freie, bezahlbare Wohnungen. Das Nachsehen haben wie so oft die Geringverdiener.

Gestiegene Baukosten, höhere Auflagen und mehr baurechtliche Vorgaben machen den Bau neuer Wohnungen zudem immer kostenintensiver. Neubauten sind für viele Mieter kaum noch bezahlbar, es fehlt an geförderten, bezahlbaren Sozialwohnungen. Daß diese Entwicklung in den Ballungsgebieten in den nächsten Jahren weiter eskaliert, ist nur dadurch abzuwenden, daß bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird. Das wiederum könnte unter den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen nur gelingen, wenn der soziale Wohnungsbau für Investoren so rentabel wie der frei finanzierte wird. Folglich müssen die Städte und Kommunen für entsprechende Anreize sorgen.

Offenbar haben die Metropolen Köln und Hamburg mit entsprechenden politischen Entscheidungen das Problem der steigenden Mieten besser in den Griff bekommen. Wenngleich auch in diesen beiden Großstädten die Mietpreise seit Einführung der Mietpreisbremse gestiegen sind, scheint der Anstieg mit 3 Prozent in Köln (zuvor 10 Prozent) und 2 Prozent in Hamburg (zuvor 8 Prozent) doch eher gebremst worden zu sein. Die Hansestadt hatte bereits 2011 mit dem "Bündnis für das Wohnen" den Grundstein für den Kampf gegen die steigenden Mietpreise gelegt. Seitdem entstehen pro Jahr mehrere tausend und vor allem bezahlbare Wohnungen in der Hansestadt. Das ist zwar bei weitem nicht genug, weist aber zumindest die Richtung, in der städtische Wohnungspolitik gehen könnte. In Köln wurde 2014 das Stadtentwicklungskonzept Wohnen beschlossen, wonach in Zukunft jedes Jahr 3.400 Wohnungen entstehen sollen.

Daß die Mietpreisbremse, die in 313 Städten und Gemeinden gilt, für sich genommen ein zahnloses Instrument bleibt, liegt in Teilen aber auch an ihrer Konstruktion. Seit dem 1. Juni 2015 können die Länder für Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt die Mietpreisbremse verhängen. Bei Wiedervermietung von Bestandsimmobilien darf die Miete höchstens auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zuzüglich 10 Prozent angehoben werden, wovon es allerdings Ausnahmen gibt, die es in sich haben. Ganz abgesehen von einem Bestandsschutz, dem zufolge kein Vermieter die Miete senken muß, selbst wenn er die Wohnung neu vermietet, sind Neubauten sowie umfassend sanierte Wohnungen grundsätzlich von der Mietpreisbremse ausgenommen. [2]

Hinzu kommt das Problem, daß jeder Mieter Verstöße gegen die Mitpreisbremse selbst geltend machen muß - zunächst auf dem Wege einer direkten Einigung mit dem Vermieter, und wenn diese scheitert, durch einen Gang vors Gericht ziehen. Daß viele Mieter eine Auseinandersetzung mit dem Vermieter nach Möglichkeit meiden, ist kein Geheimnis. Hinzu kommt, daß sie oftmals die Vormiete nicht kennen und somit auch keinen Vergleichsmaßstab haben. Justizminister Heiko Maas plant inzwischen eine Offenlegungspflicht für Vermieter, die bislang noch nicht besteht.

Der Mieterbund hat vorgeschlagen, die Mietpreisbremse bundesweit flächendeckend einzuführen. Mieten, die mehr als 20 Prozent über der Vergleichsmiete liegen, sollen als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit einem Bußgeld belegt werden können. Zudem sollen Bund und Länder mehr Sozialwohnungen bauen. Wie nicht anders zu erwarten, weisen die Wohnung- und Immobilienbesitzer solche Forderungen rigoros zurück. Sie sind für eine Abschaffung der Mietpreisbremse und führen zur Begründung an, daß das Angebot durch eine staatlich begrenzte Miete nicht größer werde, so beispielsweise der Verband Haus & Grund. Statt dessen solle die Politik verstärkt für private Investitionen in neuen Wohnraum sorgen. Außerdem könne der Staat den einzelnen Mieter ja auch mehr fördern, etwa mittels eines höheren Wohngelds. [3] Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren - an dieser Devise der Kapitalinteressen hat sich natürlich auch bei der Verwertung von Wohnraum nicht ein Jota geändert.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/interaktive-mietpreiskarte-wo-die-mietpreise-am-staerksten-steigen/19632040.html

[2] http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/mietpreisbremse-hinterlaesst-keine-spuren-in-den-millionenstaedten-steigen-die-mietpreise-weiter-5498768

[3] http://www.focus.de/immobilien/mieten/wohnungsmarkt-wohnungen-10-prozent-teurer-warum-die-mietpreisbremse-versagt_id_7161051.html

27. Mai 2017


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