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NAHOST/1642: Libyen - Kriegswirren wachsen aus ... (SB)


Libyen - Kriegswirren wachsen aus ...


Die Lage in Libyen zeichnet sich mehr als sieben Jahren nach dem gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis durch die NATO und islamistische Milizen durch Chaos aus. Das nordafrikanische Land hat zwei verfeindete Administrationen, die von der Moslembruderschaft unterstützte Regierung der Nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) um Premierminister Fayiz Al Sarradsch in der Hauptstadt Tripolis im Westen und die des seit 2014 im östlichen Tobruk sitzenden Repräsentantenhauses (House of Representatives - HoR). Libyens Politiker finden nicht zuletzt deshalb keinen Ausweg aus der Dauerkrise, weil sie von verschiedenen ausländischen Kräften unterstützt werden. Während die GNA Italien, die Türkei und Katar im Rücken hat, arbeitet das HoR mit Frankreich, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zusammen.

2018 sollte es nach dem Willen aller Parteien und mit Hilfe des libanesischen UN-Sondergesandten Ghassan Salamé zu Parlaments- und Präsidentenwahlen kommen. Wegen der instabilen Lage und immer wieder aufflammenden Kämpfen konnte dieses Ziel nicht erreicht werden. Auch 2019 stehen die Chancen für einen politischen Durchbruch schlecht. Die geplante Verfassungskonvention zur Ausarbeitung eines neuen Grundgesetzes kommt allen Appells Salamés zum Trotz nicht zustande. Das HoR beklagt den Einfluß der Moslembruderschaft nicht nur bei der GNA, sondern behauptet, der UN-Sondergesandte sei von "Absolventen von Tora Bora" - gemeint sind Mitglieder des Al-Kaida-"Netzwerks" Osama Bin Ladens - "umgeben". Über der Abhaltung der für März geplanten Kommunalwahlen steht ein großes Fragezeichen. Nach eigenen Informationen verfügt die GNA in Tripolis lediglich über ein Drittel der erforderlichen 30 Millionen Euro, um die Wahlen in den 120 Kommunen durchführen zu können.

Währenddessen reißt die Gewaltwelle in Libyen nicht ab. Am 5. Februar meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO), in den vergangenen zwölf Monaten habe die Zahl der Angriffe auf Ärzte und Krankenschwestern sowie Überfälle auf medizinische Einrichtungen erheblich zugenommen. Bei solchen Vorfällen kamen 2018 sechs Mediziner und Patienten ums Leben, während weitere 26 Menschen verletzt wurden. Nach Angaben der WHO sind wegen der anhaltenden gesellschaftlichen Krise Dreiviertel aller Gesundheitseinrichtungen in Libyen entweder geschlossen oder arbeiten nur in beschränkten Ausmaßen. Das UNHCR schätzt die Zahl der Binnenflüchtlinge derzeit auf 200.000, die der Migranten und Geflohenen aus anderen Staaten Afrikas und des Nahen Ostens, die nach Europa wollen, auf 40.000 ein. Bekanntlich stecken viele Kriegsflüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen in irgendwelchen Lagern fest oder sind bereits von kriminellen Banden in die Sklaverei verkauft worden.

Mitte Januar kam es in Tripolis nicht zuletzt wegen der militärischen Schwäche der GNA erneut zu tagelangen Kämpfen zwischen rivalisierenden Milizen. Der Gewaltausbruch, der nach einer Woche durch die Vermittlungen von Stammesältesten beigelegt werden konnte, kostete 16 Menschen das Leben. Weitere 65 Personen wurden verletzt. Das HoR verfügt in Form der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA) über eine ordentliche Streitmacht. Unter dem Oberbefehl von "Feldmarschall" Khalifa Hifter ist die LNA Mitte Januar in den Süden Libyens aufgebrochen, um die Region dort von "Terroristen" zu befreien. Gleich nach Beginn der Operation meldete die LNA die Tötung von Abu Talha Al Libi, einem ranghohen Kommandeur von Al Kaida im Islamischen Magreb (AQIM), bei Kämpfen nahe Sabha, der größten Stadt und Verwaltungszentrum Südlibyens.

Am 6. Februar meldeten Hifters Soldaten die Einnahme von El Scharara, dem größten Ölfeld Libyens, das Anfang Dezember von Regionalaktivisten und Wachleuten, die Entwicklungsgelder respektive ihre seit Monaten nicht gezahlten Löhne verlangten, besetzt worden war. Offenbar erfolgte die Rückeroberung von El Scharara, dessen Anlage am Tag 315.000 Barrel Öl fördern kann, friedlich. Demonstranten, Schutzpersonal und die LNA haben sich vorerst gemütlich auf dem weitläufigen Areal eingerichtet. Demnächst wollen Vertreter des staatlichen libyschen Ölkonzerns nach El Scharara kommen, um den Betrieb dort wieder hochfahren zu lassen und sich die Klagen der Besetzer anzuhören. Auch die GNA will eine Delegation nach El Scharara schicken, um die eigenen Hoheitsansprüche wenn nicht durchzusetzen, so doch immerhin anzumelden.

Wie sehr Libyen insgesamt zur Unruhequelle Nordafrikas geworden ist, zeigt eine Meldung von Reuters vom 6. Februar, wonach die französische Luftwaffe seit Tagen Angriffe auf Fahrzeugkonvois in Tschad fliegt, die aus Südlibyen kommen und deren Insassen - Mitglieder der Rebellenformation Vereinigte Widerstandsräfte - Präsident Idriss Deby stürzen wollen. Zur Anzahl der Toten und Verletzten bei der Aktion gab es keine verläßlichen Angaben.

11. Februar 2019


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