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NAHOST/1625: Jemen - friß oder stirb ... (SB)


Jemen - friß oder stirb ...


Im Jemen verschlimmert sich die ohnehin katastrophale humanitäre Lage mit jedem Tag noch weiter. Im dem seit drei Jahren vom Krieg heimgesuchten Land sind bereits 22 der 28 Millionen Einwohner auf humanitäre Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Mitte September warnte die britische Nothilfeorganisation Save the Children von einer drohenden Hungersnot, der 5,2 Millionen Menschen, darunter mehr als eine Million Kinder, zum Opfer fallen könnten. Am 19. September wartete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Agency of the United Nations - FAO) mit noch alarmierenderen Zahlen auf. Demnach könnten die Zahl der von Hunger bedrohten Jemeniten von derzeit 8,4 Millionen bald um weitere 3,5 Millionen steigen. "Den Hilfsorganisationen im Jemen läuft die Zeit davon, das Land vor dem Abrutschen in eine verheerende Hungersnot zu bewahren", warnte eindringlich David Beasley, leitender Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (World Food Program - WFP).

Hauptverantwortliche für die Notlage sind Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die 2015 an der Spitze einer sunnitischen Staatenkoalition in den Jemen einmarschiert sind unter dem Vorwand, den wenig beliebten, gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi wieder an die Macht zu hieven und dessen Widersacher, die Ansar-Allah-Bewegung der schiitischen Huthi-Rebellen, in die Schranken zu weisen. Mit Hilfe hadi-treuer Kräfte, südlicher Separatisten, Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel sowie ausländischer Söldner ist es Riad und Abu Dhabi gelungen, den Süden mit der strategisch wichtigen Hafenstadt Aden sowie den Osten des Jemens einigermaßen unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch jeder Versuch der ausländischen Interventionisten, in die Huthi-Hochburg im Nordwesten einzudringen und die Hauptstadt Sanaa zu erobern, ist bislang kläglich gescheitert. Weiter als Taiz, die etwa auf halber Strecke zwischen Sanaa und Aden liegt, ist man nicht gekommen. Deswegen haben die Saudis und Emirater letztes Jahr vom Süden her eine Offensive entlang der Küste des Roten Meers gestartet. Seit Juni versuchen sie Hudeida, die mit 600.000 Einwohnern größte Hafenstadt an der jemenitischen Westküste, die auch den letzten Zugang der Huthis zur Außenwelt darstellt, einzunehmen, stoßen dort jedoch auf erbitterten Widerstand.

Seit Beginn des Jemenkriegs haben die Saudis, Emirater und ihre Verbündeten die mangelnde Schlagkraft der eigenen Truppen am Boden durch ihr Monopol in Sachen Luftstreitmacht - die Huthis haben keine - kompensiert. Dabei haben sie jedoch nicht nur militärische, sondern auch zahlreiche zivile Ziele angegriffen und weite Teile der Infrastruktur im Norden und Westen des Jemens, darunter landwirtschaftliche Betriebe, Klärwerke und Wasseraufbereitungsanlagen, zerstört. Deswegen haben nach Angaben von David Miliband, dem ehemaligen Außenminister Großbritanniens und heutigen Direktor des Internationalen Rescue Committee (IRC), 50 Prozent aller Jemeniten keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Experten befürchtet den erneuten Ausbruch einer Cholera-Epidemie wie vor einem Jahr.

Mit Beginn der Operation zur Einnahme Hudeidas schießt auch die Zahl der Kriegsopfer in die Höhe - nach Angaben des Armed Location and Event Data Project (ALEDP) sowie des IRC um 164 Prozent. August 2018 soll der blutigste Monat im ganzen Krieg gewesen sein. Innerhalb von neun Tagen starben 500 Menschen, die meisten von ihnen in und um Hudeida. Für weltweites Entsetzen sorgte der Luftangriff auf den belebten Marktplatz der Stadt Dayhan am 9. August, bei dem 47 Menschen, darunter 29 Kinder in einem vollbesetzten Schulbus, ums Leben kamen. Wegen derlei Tragödien, die sich dauernd wiederholen, sind Riad und Abu Dhabi erheblich in die Kritik geraten. In einem Bericht von Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen, der am 28. September erschienen ist, wurden den saudischen und emiratischen Streitkräften sowie den Huthis wegen unzureichender Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Die Scheichs in Riad und Abu Dhabi wiesen den Bericht als "ungenau" und "parteiisch" zurück. Die Hadi-Regierung hat die Zusammenarbeit mit der UN-Menschenrechtskommission wegen ihrer angeblich einseitigen Parteinahme für die Huthis abgebrochen und die Experten des Gremiums des Landes - jedenfalls des südwestlichen Teils - verwiesen. Zwei Tage zuvor hatte Präsident Hadi beim Auftritt bei der UN-Generalversammlung in New York Friedensverhandlungen mit den Huthis eine Absage erteilt und die Bemühungen des UN-Sondergesandten Martin Griffiths als "sinnlos" abgetan. Bereits am 25. September hatte an derselben Stelle US-Präsident Donald Trump Saudi-Arabien und die VAE in Schutz genommen mit der Behauptung, die absolutistischen Monarchien der Sauds und der Al Nayhans täten alles, was sie nur könnten, den Krieg im Jemen zu beenden und die Zivilisten dort zu verschonen. Gleichzeitig lastete Trump dem schiitischen Iran an, die alleinige Quelle allen Unheils im Nahen Osten zu sein.

Ein entlarvender Bericht des Wall Street Journal vom 20. September läßt die Worte Trumps hohl erscheinen. Demnach hat US-Außenminister Mike Pompeo acht Tage zuvor dem Kongreß in Washington schriftlich bescheinigt, Saudi-Arabien und die VAE legten bei der Kriegsführung im Jemen größtmögliche Vorsicht an den Tag - obwohl seine eigenen Experten im State Department gegenteiliger Auffassung waren, auf die steigende Todesrate verwiesen und auf eine Beschränkung der US-Militärhilfe für Riad und Abu Dhabi gedrängt hatten. Pompeo ließ die Argumente der eigenen Mitarbeiter nicht gelten und belog praktisch den Kongreß in Sachen Jemen, um die Durchführung eines Zwei-Milliarden-Dollar-Waffengeschäfts, den Verkauf von 120.000 Raketen des US-Rüstungskonzerns Raytheon an die Luftwaffen Saudi-Arabiens und der VAE, nicht zu gefährden. Zur Erinnerung: Es war eine Raytheon-Rakete, die einen Bus mit 29 Schulkindern darin im August auf dem Marktplatz Dayhan in ein tödliches Feuerinferno verwandelte. Entsprechend drastisch fiel deshalb die Überschrift des Wall-Street-Journal-Artikels aus: "Living Off The Bodies Of Dead Yemeni Children".

1. Oktober 2018


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