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NAHOST/1600: Syrien - Hauptstadt- und Stammeskriege ... (SB)


Syrien - Hauptstadt- und Stammeskriege ...


In Syrien schreitet die Syrische Arabische Armee (SAA) bei der Aufstandsbekämpfung mit Riesenschritten voran. Seit 2015 Rußland und der Iran die Regierung in Damaskus militärisch unterstützen, verlieren die verschiedenen Rebellengruppen in Syrien immer mehr an Boden. Inzwischen stehen der größte Teil des Landes und alle größeren Städte wieder unter der Kontrolle des syrischen Staats. Präsident Bashar Al Assad hat am 2. Juni im Interview mit dem russischen Nachrichtensender RT die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols in ganz Syrien einschließlich des Abzugs aller ungebetenen ausländischen Streitkräfte als Endziel erklärt. Gegen das Vorhaben sträuben sich die USA, ungeachtet aller anderslautenden Töne von Präsident Donald Trump.

Nach der Rückeroberung von Ostghouta, der letzten Rebellenhochburg nahe Damaskus, im April setzt die SAA nun an, die Provinzen Deraa und Quneitra, die südlich an Jordanien respektive westlich an die von Israel besetzten Golan-Höhen grenzen, von Rebellen zu befreien. Dort herrscht ein einst von Rußland, den USA und Jordanien vermittelter und garantierter Waffenstillstand. Des weiteren genießen die gewaltbereiten Islamisten im syrischen Südwesten, darunter Kämpfer der Al-Kaida-nahen Al-Nusra-Front, inoffiziell den militärischen Schutz Israels. Seit Jahren werden verletzte Aufständische aus Syrien in Feldlazaretten der israelischen Armee im besetzten Teil der Golanhöhen behandelt. Immer wieder haben Mitglieder der internationalen UN-Friedenstruppe auf dem Golan beobachten können, wie an der Grenze syrische Rebellen Kisten aus Israel in Empfang genommen haben, die vermutlich voller Waffen und Munition waren.

Vor diesem Hintergrund ist es in den letzten Tagen zu einer offenen und geheimen Diplomatie unter Beteiligung der Vertreter Syriens, Rußlands, des Irans, der USA und Israels um die Rückeroberung Deraas und Quneitras gekommen. Das Pentagon drohte mit "Gegenmaßnahmen", sollte die SAA gegen die Waffenstillstandvereinbarungen verstoßen, während Israel erklärte, unter keinen Umständen eine iranische Militärpräsenz in unmittelbarer Nähe der Golanhöhen hinzunehmen. Nach der Erklärung des russischen Außenministers Sergej Lawrow, alle ausländischen Militärs müßten über kurz oder lang Syrien verlassen, kamen in Israel Hoffnungen auf, einen Keil zwischen Moskau und Teheran treiben zu können. Doch diese sind scheinbar nicht in Erfüllung gegangen.

Am 1. Juni wurde Ali Shamkhani, Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats in Teheran, in der iranischen Zeitung Shargh Daily dahingehend zitiert, daß die Islamische Republik "die russischen Bemühungen, Terroristen von der syrisch-jordanischen Grenze zu vertreiben und die Region dort unter die Kontrolle der syrischen Streitkräfte zu bringen" unterstütze. Shamkhani wies den Vorwurf der Anwesenheit iranischer Truppen in Syrien zurück und erklärte, Teheran steht dem Verbündeten Syrien lediglich mit Militärberatern bei. Shamkhani machte geltend, daß sich die iranischen Militärs in Syrien ähnlich ihren russischen Kameraden auf Einladung der legitimen Regierung dort aufhielten und ließ die Möglichkeit eines Abzugs solcher Berater offen.

Interessanterweise hatte am 28. Mai die Onlinezeitung Middle East Eye unter Verweis auf die saudische Website Elaph von Geheimverhandlungen in einem Hotel in der jordanischen Hauptstadt Amman zwischen dem iranischen Botschafter Mostafa Moslehzadeh und dem Stellvertretenden Leiter des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad berichtet. Herausgekommen soll dabei eine Vereinbarung sein, derzufolge Israel einer Offensive der SAA in Deraa und Quneitra tatenlos hinnehmen werde, solange es dabei zu keiner Beteiligung der iranischen Revolutionsgarde oder der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz komme. In den letzten Monaten hatte die israelische Luftwaffe mehrfach Ziele in Syrien angegriffen, auf denen iranisches Militärpersonal vermutet wurde. Womöglich deutet sich hier eine Deeskalation zwischen Tel Aviv und Teheran in der Syrien-Frage an.

Auf einer Pressekonferenz am 1. Juni hat Syriens Außenminister Walid Moallem die bevorstehende Befriedung von Deraa und Quneitra mit dem Abzug amerikanischer Truppen aus Al Tanf, das im Osten Syriens am Länderdreieck zu Jordanien und dem Irak liegt, sowie türkischer Streitkräfte aus Nordsyrien, wo diese nach eigenen Angaben "Antiterrorkampf" gegen die kurdische Arbeiterfront PKK und deren syrischen Ableger YPG betreiben, in Verbindung gebracht. Die Tatsache, daß die Volksverteidigungseinheiten (YPG) unter dem Nom de Guerre Syrische Demokratische Kräfte (SDF) die wichtigsten militärischen Verbündeten der USA im Syrienkrieg darstellen, hat zu erheblichen Spannungen zwischen Ankara und Washington geführt. Um die Gemüter in der Türkei zu beruhigen, erwägt man im Pentagon angeblich die Stadt Manbidsch, die den westlichsten Punkt des von den SDF kontrollierten Gebiets im syrischen Norden markiert, unter gemeinsame türkisch-amerikanische Verwaltung zu stellen.

Ein solcher Schritt, der eine Zusammenarbeit der Türken und Amerikaner im gesamten syrischen Norden implizierte, könnte zum Bruch zwischen SDF und US-Streitkräften führen. Ohnehin sehen sich diese beiden mit wachsendem Widerstand seitens der arabischen Bevölkerung im syrischen Osten konfrontiert. In der Stadt Rakka, welche 2017 SDF und US-Luftwaffe bei der Vertreibung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) praktisch zerstörten und wo Tausende von Menschen getötet wurden, kommt es seit Wochen zu Demonstrationen gegen die kurdische YPG. Inzwischen ist es zu ersten tödlichen Zusammenstößen zwischen SDF-Freiwilligen und Mitgliedern der vor kurzem gegründeten Al-Rakka-Brigade gekommen.

Wie das pro-syrische Nachrichtenportal Al Masdar (Die Quelle) berichtet, haben am 2. Juni Vertreter von siebzig arabischen Stämmen bei einem Treffen in der Stadt Deir Hafer die Aufstellung eigener Milizen beschlossen, welche der SAA helfen sollen, SDF und US-Streitkräfte aus Ostsyrien zu vertreiben. Am 4. Juni wurde eine gewaltige Explosion nahe einem von amerikanischen und französischen Truppen verwendeten Stützpunkt unweit der Stadt Ain Issa in der Provinz Rakka gemeldet. Womöglich handelt es sich bei beim spektakulären Vorfall um den Auftakt jener angedrohten Erhebung der Einwohner Ostsyriens gegen die ungebetenen Eindringlinge.

4. Juni 2018


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