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NAHOST/1547: USA und Rußland ringen um Syriens Öl- und Gasfelder (SB)


USA und Rußland ringen um Syriens Öl- und Gasfelder

Zwischen Deir ez-Zor und Iraks Grenze wird Syriens Zukunft entschieden


Anfang September hat die Syrische Arabische Armee (SAA) mit Hilfe russischer Streitkräfte, iranischer Militärberater sowie der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz die dreijährige Belagerung von Deir ez-Zor, Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements im Osten Syriens, durch die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) aufgehoben. Der Erfolg der SAA bei Deir ez-Zor hat interessanterweise zu erheblichen Spannungen und gefährlichen "Zusammenstößen" zwischen den Streitkräften der USA und Rußland geführt. Im Mittelpunkt der sich verschärfenden Konfrontation zwischen Washington und Moskau, die nach außen hin Verbündete im "Antiterrorkampf" gegen IS sind, stehen die Öl- und Gasfelder Syriens, die zum größten Teil in der Wüstenregion zwischen Deir ez-Zor am Euphrat und der Grenze des Iraks liegen.

Während Mitte September die SAA und ihre Alliierten bei Deir ez-Zor die letzten IS-Positionen beseitigten und den Sprung auf das östliche Ufer des Euphrat vorbereiteten, starteten die Dschihadisten von der Hayat Tahrir Al Sham (HTS) vom Gouvernement Idlib, wo die vormalige Al-Nusra-Front ihre letzte Hochburg hat, eine Großoffensive gegen die SAA im Norden des Gouvernements Hama. Nur mit größter Mühe - unter anderen durch zahlreiche Luftangriffe sowie den Einsatz von Marschflugkörpern, die von russischen U-Booten im Mittelmeer abfeuert wurden - konnte der Vormarsch des HTS gestoppt und in sein Gegenteil verkehrt werden. Bei den mehrtägigen Kämpfen sollen mindestens 142 Aufständische und 42 SAA-Angehörige ums Leben gekommen sein. Rußland sah sich hierbei erstmals gezwungen, im Syrienkrieg die Elitetruppe Spetsnaz einzusetzen. Deren Mitglieder haben 29 russische Militärpolizisten, die den Waffenstillstand zwischen Regierungstruppen und gemäßigten Rebellen in Hama beobachteten und von der HTS eingekesselt worden waren, vor dem Tod bzw. der Geiselnahme gerettet. Bei der spektakulären Aktion wurden drei Spetsnaz-Mitglieder verletzt.

Anschließend hat das russische Verteidigungsministerium in Moskau schwere Vorwürfe gegen das für die US-Streitkräfte im Nahen Osten zuständige Zentralkommando (CENTCOM) mit Sitz auf dem Luftwaffenstützpunkt Al Udaid in Katar erhoben. Aufgrund angeblich abgefangener Nachrichtenkommunikationen behaupteten die Russen, das Vordringen der HTS vom Süden Idlibs in den Norden Hamas sei auf Initiative der Amerikaner erfolgt und habe dem Zweck gedient, den Vormarsch der SAA bei Deir es-Zor zu verlangsamen. Seitdem kommt es im Osten Syriens immer wieder zu Vorfällen, die das Mißtrauen und den Graben zwischen den russischen und amerikanischen Militärs nur noch vertiefen. Einerseits kritisierten die USA die russische Luftwaffe, weil letztere Stellungen der vom Pentagon unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die zum größten Teil aus den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), einer Schwesterorganisation der hauptsächlich in der Türkei aktiven Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), bestehen, angegriffen hätten. Andererseits protestierte Moskau, weil SDF-Kämpfer Positionen der SAA mit Artillerie beschossen hätten.

Am 23. September kam es zum bisher schwersten Vorfall. Bei einem Mörserangriff auf einen SAA-Unterstand bei Deir es-Zor wurde der russische Generalleutnant Waleri Asapow getötet. Asapow ist der ranghöchste Angehörige der russischen Streitkräfte, der seit deren Eintritt in den Syrienkrieg 2015 gewaltsam ums Leben kam. In russischen Militärkreisen herrscht die Ansicht vor, hinter dem erfolgreichen Beschuß der SAA-Stellung stecke nicht der IS, sondern US-Spezialstreitkräfte, welche mit mehreren hundert Mann die SDF unterstützen und beraten. In einer offiziellen Verlautbarung erklärte am 25. September Rußlands Stellvertretende Außenminister Sergej Ryabkow, der Tod Asapows sei "der blutige Preis der doppelzüngigen Politik der USA in Syrien".

Was Ryabkow damit gemeint haben könnte? Nun, unmittelbar nachdem die SAA Deir ez-Zor befreiten, haben weiter nördlich die SDF ihre eigene, wochenlange Belagerung der IS-Hochburg Rakka im gleichnamigen Gouvernement plötzlich aufgegeben und sind in südlicher Richtung am Ostufer des Euphrats entlang marschiert. Auch wenn das US-Militär für sich reklamiert, ausschließlich in Syrien zu sein, um IS zu vernichten, ist der Zweck des SDF-Vorstoßes mehr als offensichtlich. Am 23. September meldete die Nachrichtenagentur Reuters, SDF-Einheiten hätten östlich von Deir ez-Zor und nur vier Kilometer von Stellungen der SAA nach Kämpfen mit IS-Freiwilligen das Gasfeld Conoco - eines der größten in Syrien - samt Anlage erobert.

Ob die SDF Conoco wird behalten können, muß sich noch zeigen. Jedenfalls befinden sich SDF und SAA nun im Rennen um die Einnahme des größten syrischen Ölfelds Al Omar. Um die militärische Präsenz der SAA am Ostufer des Euphrats zu verstärken, haben russische Pioniere bei Deir ez-Zor eine Pontonbrücke errichtet, die täglich bis zu 8000 Militärfahrzeuge, schwere Panzer eingeschlossen, überqueren können. Um die Installierung der Brücke zu erschweren, haben SDF-Angehörige an Dämmen den Euphrat hinauf den Wasserdurchfluß massiv erhöht. Die Maßnahme wurde von der SAA und den russischen Streitkräften zwar als feindlich registriert, hielt sie aber offenbar beim ihrem Vorhaben nicht wesentlich auf.

Über die jüngsten Entwicklungen im Syrienkrieg sind die Russen auf jeden Fall enttäuscht und erbost. Vor wenigen Tagen hat das Verteidigungsministerium in Moskau Luftbilder veröffentlicht, auf denen einige der neuen Stellungen der SDF östlich von Deir ez-Zor samt amerikanischer Militärfahrzeuge zu sehen sind. Von russischer Seite wurde darauf aufmerksam gemacht, daß es auf den Bildern keine Anzeichen für Kämpfe oder neue Befestigungen gibt. Daraus schließt man in Moskau, daß die Übernahme der einstigen IS-Positionen durch die SDF ohne Kämpfe, das heißt in Absprache mit den Gotteskriegern, erfolgt ist. Für die Richtigkeit dieses Verdachts spricht die Tatsache, daß sich am 19. August Brett McGurk, der US-Sonderbotschafter bei der "globalen Koalition gegen IS", mit sunnitischen Stammesführern aus Ostsyrien und Nordwestirak traf, die zuletzt dem Kalifat um "Terrorchef" Abu Bakr Al Baghdadi die Treue geschworen hatten.

27. September 2017


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