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NAHOST/1526: Begehen die Saudis et al im Jemen Völkermord? (SB)


Begehen die Saudis et al im Jemen Völkermord?

Humanitäre Krise auf der arabischen Halbinsel nimmt rapide zu


Bei dem Krieg, mit dem seit März 2015 Saudi-Arabien und seine sunnitischen Verbündeten den Jemen überziehen und der mindestens 12.000 Menschen das Leben gekostet und mehr als 20.000 schwer verletzt zurückgelassen hat, müßte man inzwischen von Völkermord sprechen. Das vermeiden Politik und Medien des Westens jedoch deshalb, weil die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland die wichtigsten Rüstungslieferanten der wahhabistischen Monarchie in Riad sind. Die politisch Verantwortlichen in Washington, London, Paris und Berlin winken die Exporte der hochmodernen und extrem teueren Waffensysteme, mit denen die Saudis das Armenhaus Arabiens zurück in die Steinzeit bombardieren, einfach durch.

Beim Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 30. Mai nannte Stephen O'Brien, der Stellvertretende UN-Generalsekretär für humanitäre Angelegenheiten, den Jemen als das Land mit der aktuell größten Hungersnot weltweit. Während die internationale Politik tatenlos zusehe, würden den Jemeniten "Entbehrung, Seuche und Tod aufgezwungen"; der Jemen steuere dem "völligen sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Zusammenbruch entgegen", so O'Brien. Laut UN-Angaben sind 18 Millionen der insgesamt 28 Millionen Einwohner des Landes akut von Hunger bedroht. UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, erwartet, daß die Anzahl der Menschen, die im Jemen an Cholera erkrankt sind, in den kommenden Wochen von derzeit 70.000 auf mehr als 300.000 anwachsen wird. Nach einem mehrtägigen Besuch im Jemen bezeichnete Geert Cappelaere, UNICEF-Regionaldirektor, am 2. Juni gegenüber der New York Times die Lage dort als "unglaublich schlimm". So einen verheerenden Cholera-Ausbruch habe er in seinem ganzen Leben nicht gesehen, so Cappelaere.

Inzwischen weist die von Riad angeführte Allianz, die den gestürzten Interimspräsidenten des Jemens, Abd Rabbu Mansur Hadi, zur Macht verhelfen will, schwere Risse auf. Am 4. Juni haben Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar abgebrochen und von Doha den Abbruch der Kontakte zum Iran, die Ausweisung sämtlicher Exilpolitiker der palästinensischen Hamas-Bewegung sowie eine deutlich weniger kritische Berichterstattung seitens des Nachrichtensenders Al Jazeera verlangt. Unklar ist, ob in Reaktion auf diese Entwicklung die Kataris inzwischen ihre Soldaten aus der Interventionsstreitmacht im Jemen abgezogen haben.

Ende Mai war es am Flughafen von Aden zu schweren Kämpfen zwischen VAE-Soldaten und Milizionären Hadis gekommen, die von Saudi-Arabien unterstützt werden. Hadi, der sich nach wie vor aus Sicherheitsgründen in einer Villa in Riad aufhält, wirft Abu Dhabi offen vor, die Bestrebungen separatistischer Kräfte, welche die Unabhängigkeit Südjemens auf ihre Fahne geschrieben haben, zu unterstützen und die Einheit des Landes zur Disposition zu stellen. Tatsächlich verfolgen die Emiratis einen ganz eigenständigen Kurs im Jemenkrieg. Ungeachtet aller UN-Waffenembargos arbeiten sie offen mit Eritrea zusammen. Auf dem Territorium des nordafrikanischen Pariah-Staates haben sie inzwischen mindestens einen Militärstützpunkt eingerichtet. Gegen finanzielle Hilfe Abu Dhabis hat Asmara eigene Truppen nach Jemen entsandt, die dort dem Befehl der VAE-Militärs unterstehen. Offenbar wollen sich die VAE langfristig als Schlüsselmacht am Horn von Afrika und somit an der strategisch enorm wichtigen Meerenge Bab Al Mandab, die das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet, etablieren.

Währenddessen treten die Bemühungen um einen Waffenstillstand auf der Stelle. Um die historisch wertvolle Stadt Taiz, die auf der wichtigsten Verbindungsstraße zwischen der Hafenstadt Aden im Süden und Sanaa, der Hauptstadt in dem von den schiitischen Huthi-Rebellen und den Truppen des Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh kontrollierten Norden, liegt, wird weiterhin erbittert gekämpft. Zu der befürchteten Offensive der Saudis gegen die Hafenstadt Hudeida am Roten Meer, über die Nordjemen weiterhin mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgt wird, ist es noch nicht gekommen.

Um die bevorstehende Operation, die katastrophale humanitäre Auswirkungen haben könnte, abzuwenden, war Ende Mai der UN-Sondervermittler, Ismail Ould Cheikh Ahmed aus Mauretanien, nach Sanaa gereist, wo er Gespräche mit ranghohen Mitgliedern der Ansurullah-Bewegung der Huthis und des Saleh-Klans führte. Über die Übergabe der Kontrolle des Hafenbetriebs in Hudeida an eine neutrale Instanz, um dort Waffenschmuggel auszuschließen, wurde diskutiert. Im Gegenzug verlangten die Huthi-Saleh-Vertreter ein Ende der Luftangriffe auf den internationalen Flughafen von Sanaa, damit dieser wieder geöffnet werden könne, sowie eine Auszahlung der Gehälter aller Beamten im Norden des Jemens, zu der es nicht mehr gekommen ist, seit Hadi die Zentralbank von Sanaa nach Aden verlegt hat. Wegen der Weigerungshaltung Riads in den letzten beiden Punkten konnte jedoch kein Durchbruch erzielt werden. Inzwischen haben die Huthis Cheikh Ahmed wegen der später aufgestellten Behauptung, während der Fahrt vom Flughafen zur Innenstadt von Sanaa sei es zu einem Angriff auf seinen Autokonvoi gekommen, zur Persona non grata erklärt. Beharren die Huthis weiter auf diesen Standpunkt, wird UN-Generalsekretär António Guterres einen neuen Sonderbotschafter ernennen müssen.

10. Juni 2017


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