Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1470: Militäraggression Saudi-Arabiens im Jemen nimmt zu (SB)


Militäraggression Saudi-Arabiens im Jemen nimmt zu

Riad deckt sich mit neuem Kriegsgerät für die kommenden Schlachten ein


Nach der offiziellen Aussetzung wochenlanger Friedensverhandlungen in Kuwait, die den Krieg im Jemen beilegen sollten, ist der Konflikt im Armenhaus Arabiens in eine neue und blutigere Phase getreten. Seit dem 6. August fliegen Kampfjets der von Saudi-Arabien geführten Interventionsstreitmacht wieder verstärkt Angriffe auf Ziele im Jemen, ungeachtet der Tatsache, daß sie seit dem Beginn von Operation Entscheidender Sturm Ende März 2015 praktisch alle militärisch relevanten Ziele und weite Teile der staatlichen Infrastruktur längst zerstört haben.

Und so kommt es, wie es kommen muß. Bei einem Luftangriff am 7. August auf ein Lebensmittelladen im Dorf Odhar, nahe der Hauptstadt Sanaa, die von den Huthi-Rebellen und den Anhängern von Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh gehalten wird, starben zwölf Zivilisten. Am 9. August fielen Bomben und Raketen auf eine Kartoffelchipsfabrik in Sanaa und töteten 16 Mitarbeiter des Betriebs. Bei einem weiteren Luftangriff am 13. August auf eine Schule und umliegende Gebäude in einer Wohngegend im Dorf Birken im Norden Jemens, nahe der Grenze zu Saudi-Arabien, kamen 19 Zivilisten, die meisten von ihnen Kinder, ums Leben. Das sind nur die drei flagrantesten Beispiele jener Rücksichtslosigkeit, mit der aktuell das Luftwaffenpersonal aus Saudi-Arabien, Bahrain, Katar, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien und Marokko im Jemen vorgeht. Die schiitischen Huthis, die sich selbst die Ansarullah-Bewegung nennen, und die saleh-treuen Teile der jemenitischen Streitkräfte verfügen selbst über keine Luftwaffenkapazitäten.

Bislang haben rund 8000 Menschen den Krieg im Jemen mit dem Tode bezahlt. 2,8 Millionen Menschen sind infolge der Kämpfe zu Binnenflüchtlingen geworden. Mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung - 21 von 25 Millionen - sind auf dringende humanitäre Hilfe angewiesen. Nach jüngsten Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen sind 370.000 Kinder vom Hungertod akut bedroht. Für diese schreckliche Situation sind nicht nur die Hauptkonfliktparteien verantwortlich, sprich die Huthis, Saleh und dessen Getreuen auf der einen Seite sowie die von Saudi-Arabien geführten Interventionstruppen, südliche Separatisten sowie Anhänger des Anfang 2015 von der Ansarullah gestürzten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi auf der anderen, sondern auch die westlichen Großmächte Großbritannien und die USA.

In den ersten zwölf Monaten des Kriegs hat London Waffen und Munition im Wert von 4,2 Milliarden Dollar an Riad exportiert. Die sunnitische Luftstreitmacht wird von amerikanischen und britischen Verbindungsoffizieren, die im Operationszentrum nahe Riad stationiert sind, unterstützt. Bis Februar 2016 hatte die US-Luftwaffe die Kampfjets der Saudis und der anderen sunnitischen Petromonarchien über den Luftraum von Jemen mehr als 700 Mal aufgetankt. Trotz zwischenzeitlichen Waffenstillstands hat diese Art der Militärhilfe drastisch zugenommen. Nach jüngsten Angaben des Pentagons haben CENTCOM-Maschinen in den letzten sechs Monaten bei 1144 Auftankmissionen in der Luft 5525 Mal die Kampfjets der Huthi-Gegner mit Treibstoff versorgt. Dies berichtete am 8. August die Air Force Times unter Verweis auf offizielle Angaben des US-Verteidigungsministeriums.

Kaum, daß die Saudis et al ihre Militäroffensive gegen die Huthi-Saleh-Allianz formell wieder aufgenommen hatten, gab das Außenministerium in Washington grünes Licht für den Verkauf von 153 Kampfpanzern des Typs Abrams im Wert von 1,3 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien bekannt (Aus den Unterlagen des State Department geht hervor, daß die Bestellung aus Riad unter anderem dazu dient, zahlreiche saudische Panzer, die von den Huthis und den Saleh-Truppen zerstört bzw. erbeutet worden sind, zu ersetzen). Bereits 2015 hatten sich die königlichen saudischen Streitkräfte mit Waffen und Munition Made in USA im Wert von sage und schreibe 20 Milliarden Dollar eingedeckt. Hierzu gehörten Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, Boden-Luft-Raketen sowie größere Mengen Bomben und Raketen, von denen letztere im Jemen besonders zum Einsatz kommen. Inzwischen ist Saudi-Arabien mit Abstand zum wichtigsten Kunden der US-Rüstungsindustrie geworden - eine verheerende Entwicklung unter der vor allem die armen Jemeniten leiden.

Die Friedensverhandlungen in Kuwait sind deshalb gescheitert, weil sich Hadi und die Saudis auf den Rückzug der Ansarullah und der Saleh-Truppen aus allen Gebieten, deren Kontrolle sie Ende 2014, Anfang 2015 übernommen hatten, sowie auf die Abgabe aller schweren Waffen, welche diese aus den staatlichen Depots erbeutet hatten, pochten. Zu einer Erfüllung des Ultimatums, die quasi einer bedingungslosen Kapitulation gleichgekommen wäre, war die Huthi-Saleh-Delegation nicht bereit. Sie warf ihrerseits Ismail Ould Cheikh Ahmed, dem UN-Sondervermittler aus Mauritanien, vor, zu sehr auf die Forderungen aus Riad, wo Hadi nach wie vor als Gast des saudischen Throns residiert, eingegangen zu sein und frühere Vereinbarungen wie die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit über Bord geworfen zu haben.

Nun weiß niemand, wie es im Jemen weitergehen soll bzw. wie der Krieg dort beendet werden kann. Offenbar hoffen die Saudis, daß sie den längeren Atem haben und daß die Huthi-Saleh-Koalition irgendwann einmal einfach aufgibt - was kaum zu erwarten ist. Was als Demonstration der Macht des neuen saudischen Königs Salman und dessen ehrgeizigen Sohn und Verteidigungsminister Mohammed Ende März 2015 begann, hat sich längst zu einem militärischen Fiasko entwickelt. Am 12. August veröffentlichte die US-Zeitschrift Harper's auf ihrer Website den umfangreichen und höchst empfehlenswerten Artikel "Acceptable Losses - Aiding and abetting the Saudi slaughter in Yemen" aus der Feder des Militärexperten Andrew Cockburn. Vor allem ein Absatz des Beitrags stellt den verbrecherischen Charakter des ganzen Kriegsunternehmens von Saudi-Arabien im Nachbarland Jemen bloß und wird deshalb hier in einer SB-Übersetzung wiedergegeben:

In Washington fragte ich einen Geheimdienstvertreter, der mit der Situation im Jemen eng befaßt ist und nicht genannt werden wollte, wie zu Beginn der saudische Plan ausgesehen habe. "Plan?", entgegnete er mit verärgerter Stimme. "Es gab keinen Plan. Überhaupt keinen Plan. Sie haben einfach alles und jedes, was wie ein Ziel aussah, bombardiert. Lastwagen auf der Landstraße - daraus wurde ein Militärkonvoi. Gebäude, Brücken, alles. Wenn sie ein militärisches Ziel ausmachten, bombardierten sie es, und kurze Zeit später kehrten sie zurück und bombardierten es nochmal."

15. August 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang