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NAHOST/1457: Libyen auf dem Weg zum Afghanistan am Mittelmeer? (SB)


Libyen auf dem Weg zum Afghanistan am Mittelmeer?

Geplante ausländische Militärintervention will gut überlegt werden


In Libyen laufen die Bemühungen um eine Beilegung der politischen Krise äußerst schleppend. In Tripolis hat sich die neue Regierung der nationalen Einheit (Government of National Accord - GNA) zunächst gegen den dort seit dem Sturz Muammar Gaddhafis herrschenden, von Islamisten dominierten Allgemeinen Volkskongreß (General National Congress - GNC) durchgesetzt, doch wie lange dessen Miliz namens Libysche Dämmerung stillhält, muß sich noch zeigen. Bis heute hat sich das 2014 vom Volk gewählte, in Tobruk tagende Repräsentantenhaus (House of Representatives - HoR) nicht durchringen können, die GNA anzuerkennen. Angeblich blockiert der Ex-CIA-Verbindungsmann Khalifah Hifter die Abstimmung des HoR aus Angst, ihm könnte den Oberbefehl über das, was von der libyschen Nationalarmee übriggeblieben ist, abgenommen werden.

Seitens der "internationalen Gemeinschaft" fehlt es jedenfalls nicht an Unterstützung für die GNA um den neuen Premierminister Fadschez Al Sarradsch. Mitte April haben die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, Al Sarradsch demonstrativ in Tripolis besucht und mit ihm über Maßnahmen, den Flüchtlingsstrom über Libyen zum Erliegen zu bringen, beraten. Inzwischen haben Al Sarradschs Leute die Kontrolle über alle Ministerien in der libyschen Hauptstadt übernommen. Auch die meisten ausländischen Botschaften in Tripolis einschließlich der Vertretung der Vereinten Nationen unter der Leitung des UN-Sondervermittlers, des deutschen Diplomaten Martin Kobler, arbeiten dort wieder normal.

Derzeit laufen die Beratungen über die Entsendung einer multinationalen Interventionstruppe, welche die Libyer im Kampf gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) militärisch unterstützen soll, auf Hochtouren. Nach offiziellen Angaben des Pentagons hat sich die Zahl der IS-Kämpfer in Libyen in den letzten zwölf Monaten von 3000 auf 6000 Mann glatt verdoppelt. Von ihrer Hochburg in Sirte aus greifen die Kalifatsanhänger die libyschen Ölfelder an, organisieren Anschläge in Tunesien und Algerien und gewinnen ständig an Einfluß. Im östlichen Benghazi liefern sie sich Kämpfe mit Hifters Männern. Gerade in den letzten Wochen geht IS in Libyen verstärkt gegen die westliche Stadt Misrata vor, die zwischen Sirte und Tripolis liegt. Die Misrata-Miliz gilt als eine der schlagkräftigsten in Libyen und stand dem GNC lange Zeit zur Seite. Die Bereitschaft der libyschen IS-Dependence, es mit den Milizionären aus Misrata aufzunehmen, zeugt von Vertrauen in die eigene Stärke.

Innerhalb der NATO wird aktuell über die Entsendung einer 6000 Mann starken Eingreiftruppe nach Libyen beraten, deren Mitglieder sich hauptsächlich auf Ausbildung und Beratung beschränken sollen. Um dies zu ermöglichen, bemüht sich Al Sarradsch aktuell um die Bildung eines Oberkommandos für alle "gemäßigten" Milizen in Libyen einschließlich der von Hifter geführten Nationalarmee. Zu diesem Zweck hat sich der libysche Premierminister am 7. Mai in Kairo mit dem ägyptischen Präsidenten, General Abdel Fatah Al Sisi, getroffen. Zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört Ägypten zu den wichtigsten Verbündeten des HoR in Tobruk und damit auch von Hifter. Bei dem Treffen sprach sich Al Sisi für eine Aufhebung des UN-Waffenembargos gegen Libyen sowie für eine Versöhnung und Zusammenarbeit zwischen GNC, HoR und GNA aus.

Um die innenpolitische Versöhnung in Libyen voranzutreiben und der geplanten Militärintervention zum Erfolg zu verhelfen, ist für den 16. Mai in Wien ein Treffen der Außenminister aus Nordamerika, Europa und Nordafrika geplant. Dies gab am 9. Mai in Rom der italienische Chefdiplomat Paolo Gentiloni bekannt. In der österreichischen Hauptstadt könnte es unter anderen darum gehen, der internationalen Truppe durch die Einbeziehung von Militärs zum Beispiel aus Ägypten oder Algerien ein muslimisches Gesicht zu verleihen. Denn bestünde die ausländische Interventionsarmee ausschließlich aus Amerikanern, Briten, Deutschen, Franzosen und Italienern, wäre das Wasser auf die Mühlen des IS, dem nichts gelegener käme, als die ganze Unternehmung als weiteren christlichen Kreuzzug in der islamischen Welt brandmarken zu können.

Bereits im Vorfeld haben namhafte Experten die Befürchtung geäußert, daß die geplante ausländische Mission in Libyen mindestens so desaströs und langwierig wie diejenigen im Irak und Afghanistan verlaufen könnte. Anfang April hat beispielsweise der britische Oberst Rupert Wieloch gegenüber der konservativen Londoner Zeitung Daily Telegraph vor einem "neuen Afghanistan" gewarnt. Wieloch weiß, wovon er spricht, war er doch 2011 Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Libyen, die Gaddhafis Sturz mitbetrieben haben.

Welche ungeheure, vielleicht sogar unlösbare Herausforderung auf die NATO in Libyen wartet, zeigt ein mysteriöser Vorfall vom 27. April. Den spärlichen Nachrichten, die bisher darüber an die Öffentlichkeit gelangt sind, zufolge ist an diesem Tag irgendwo in Libyen eine Gruppe britischer und italienischer Spezialstreitkräfte, die auf Erkundungstour war, in einen Hinterhalt des IS geraten und von Selbstmordattentätern angegriffen worden. Mehrere italienische Soldaten sollen dabei ums Leben gekommen sein. Über die Zahl der Toten seitens der Briten bzw. des IS ist nichts bekannt.

10. Mai 2016


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