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NAHOST/1414: Friedensgespräche für Libyen vor dem Scheitern? (SB)


Friedensgespräche für Libyen vor dem Scheitern?

Zwischen Tripolis und Tobruk läßt sich keine Einigkeit erzielen


Vier Jahre nach dem gewaltsamen, von der NATO forcierten Sturz Muammar Gaddhafis befindet sich Libyen in einem desolaten Zustand. Der Machtkampf zwischen dem General National Congress (GNC) in der Hauptstadt Tripolis, der sich auf die Waffengewalt der Miliz Libysche Dämmerung stützt, und dem gewählten Parlament, dessen Mitglieder sich letztes Jahr aus Sicherheitsgründen in die östliche Hafenstadt Tobruk abgesetzt hatten und dort den Schutz der Armee unter der Leitung des CIA-Verbindungsmanns General Khalifa Hifter genießen, sorgt für einen Zustand der Dauerinstabilität. Laut UN-Angaben sind 2,4 Millionen Libyer - 40 Prozent der Bevölkerung - auf dringende humanitäre Hilfe angewiesen. 435.000 Menschen sind vor den Kämpfen zwischen den rivalisierenden Machtzentren auf der Flucht; mehr als 100.000 von ihnen kampieren in Zelten oder in verlassenen Gebäuden.

Seit über einem Jahr bemühen sich die Vereinten Nationen in Person ihres Sondergesandten Bernardino León um eine Versöhnung zwischen Tripolis und Tobruk und damit um die Rettung des Staates Libyen vor der endgültigen Auflösung in einen Flickenteppich konkurrierender ethnischer und religiöser Gruppen. Im marokkanischen Badeort Skhirat führte León in den letzten Monaten zahlreiche Gespräche mit Vertretern des GNC und des Parlaments, Stammesführern, hohen islamischen Geistlichen, Vertretern der Wirtschaft und verschiedener zivil-gesellschaftlicher Gruppen. Der spanische Diplomat hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum 20. Oktober, dem Datum des Ablaufs des Mandates des Parlaments in Tobruk, eine Einigung über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu erreichen. Derzeit sieht es nicht danach aus, als würden Leóns Bemühungen von Erfolg gekrönt werden.

Am Rande der UN-Generalversammlung in New York Ende September haben US-Außenminister John Kerry und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die zerstrittenen libyschen Bürgerkriegsparteien zur Zusammenarbeit aufgefordert. Ohne eine stabile Regierung lasse sich weder die Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer beheben noch der Ausbreitung des Machtbereichs der Anhänger der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in Libyen Einhalt gebieten, so Kerry und Ban. Vor diesem Hintergrund hat León am 8. Oktober seinen Friedensplan für Libyen einschließlich der Zusammensetzung der eventuellen Regierung der nationalen Einheit veröffentlicht. Dieser stünde Fayez Sarraj, ein Vertreter des GNC, als neuer Premierminister vor. An dessen Seite gäbe es drei Stellvertreter, die jeweils aus dem Osten, Westen und Süden des Landes kommen sollten. Alle Entscheidungen der neuen Regierung sollten von beiden Volksvertretungen in Tripolis und Tobruk abgesegnet werden.

Doch der Druck der "internationalen Gemeinschaft" hat seine Wirkung verfehlt. In einer ersten Reaktion erteilte Abdulsalam Bilaschahir, Abgeordneter des GNC, in einem Interview mit der BBC den Plänen Leóns eine Absage: "Wir beteiligen uns nicht an der geplanten Regierung. Sie hat für uns keine Bedeutung und wir wurden nicht darüber konsultiert." Auch der Abgeordnete Ibrahim Alzaghiat vom Parlament in Tobruk wies den Lösungsansatz der Vereinten Nationen zurück: "Diese geplante Regierung wird zur Aufteilung Libyens führen und es zu einem Witz machen. Die Wahl von Herrn León war nicht klug", sagte Alzaghiat dem britischen Sender.

Während die Friedensverhandlungen offenbar keine nennenswerten Fortschritte zeitigen, tragen die nicht abreißenden Kämpfe in Libyen weiter zum Abbau der verbliebenen Staatlichkeit bei. Wegen der politischen Instabilität befürchten ausländische Beobachter, daß es demnächst zu einem völligen Zusammenbruch der ohnehin lahmenden Wirtschaft des ölreichen Landes kommen könnte. Davon würden vor allem die Anhänger des IS, die auf den Ruinen des libyschen Nationalstaats ein Kalifat errichten wollen, profitieren. Der Versuch von Milizionären aus Misurata im vergangenem August, die IS-Hochburg Sirte zu erobern und die salafistischen Gotteskrieger zu vertreiben, ist nach einer mehrtägigen blutigen Schlacht gescheitert. Inzwischen begnügen sich die IS-Freiwilligen nicht mehr mit Anschlägen in Libyen selbst, sondern wollen von dort aus ihren Dschihad auch in die Nachbarländer exportieren. Das zeigt ein Vorfall vom 30. September, als tunesische Streitkräfte an der Grenze zu Libyen zwei mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge beschlagnahmten und damit schwere Anschläge im eigenen Land verhindern konnten.

10. Oktober 2015


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