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NAHOST/1357: Beilegung des Bürgerkrieges in Libyen gescheitert (SB)


Beilegung des Bürgerkrieges in Libyen gescheitert

Nach Erstürmung der Zentralbank nehmen die Kämpfe wieder zu



Seit dem Frühsommer tobt in Libyen ein offener Bürgerkrieg. Die verschiedenen Milizen, die 2011 mit Hilfe der NATO Muammar Gaddhafi gestürzt hatten, haben sich in verfeindete Lager gespalten. In der Hauptstadt Tripolis hat die Allianz Libysche Morgendämmerung, bestehend aus Kräften, welche die nach dem Ende des "Regimes" Gaddhafi eingerichtete provisorische Volksversammlung, den Allgemeinen Volkskongreß - General National Kongreß (GNC), unterstützen, darunter die islamistische Ansar Al Scharia, das Sagen. Das im vergangenen Juni gewählte Parlament unter der Leitung von Premierminister Abdullah Al Thani hat sich in die östliche Stadt Tobruk zurückziehen müssen, wird aber vom westlichen Ausland sowie den großen Nachbarländern Ägypten und Algerien als legitime Vertreterin des Staats Libyens angesehen. Im ganzen Land wird gekämpft, während der Staat immer mehr zerfällt. Der Ölexport, die wichtigste Einnahmequelle Libyens, ist von 1,7 Millionen Faß pro Tag - der Wert vor der NATO-Intervention vor vier Jahren - auf 250.000 gesunken.

Unter Vermittlung der Vereinten Nationen haben sich Vertreter der beiden Milizenbündnisse Mitte Januar zu zweitägigen Gesprächen in Genf getroffen. Unter der Leitung des spanischen Diplomaten Bernardino León, des Sondervertreters des Generalsekretärs Ban Ki-moon für Libyen, hat man über erste zaghafte Schritte, das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern und den Konflikt deeskalieren zu lassen, diskutiert. Es wurde eine Waffenruhe vereinbart, um Gespräche über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu ermöglichen. Doch die Waffenruhe, die am 16. Januar in Kraft trat, hat nicht gehalten. Am 21. Januar erklärte ein Vertreter des GNC die Kampfpause für beendet und sagte die Teilnahme der Libyschen Morgendämmerung an den geplanten Friedensverhandlungen ab. Als Grund wurden fortgesetzte Militäraktionen der Gegenseite genannt.

Bereits am 19. Januar hatte die Regierung in Tobruk General a. D. Khalifa Hifter und weitere 108 Kommandeure der früheren Gaddhafi-Armee wieder einberufen. Seit vergangenen Mai kämpft der CIA-Verbindungsmann Hifter, der lange Jahre in den USA gelebt hat, mit einer eigenen Miliz gegen die aus seiner Sicht "terroristischen" Kräfte wie die Ansar Al Scharia und die islamistischen Milizionäre aus Misurata. Darum haben sich die Kämpfe in den letzten Monaten besonders auf die Hafenstadt Benghazi, die als Hochburg der Ansar Al Scharia gilt und wo diese 2012 den US-Botschafter Christopher Stevens und drei seiner Mitarbeiter getötet haben soll, konzentriert. Dort haben Hifters Männer am Abend des 21. Januar die Dependence der libyschen Zentralbank mit Waffengewalt unter ihre Kontrolle gebracht.

Die Erstürmung der wichtigsten Zweigstelle von Libyens Zentralbank dürfte den Bürgerkrieg in dem nordafrikanischen Land weiter eskalieren lassen. Schätzungen zufolge lagern dort 100 Milliarden Dollar in Gold und ausländischen Devisen. Aus diesem Schatz hatte bis zuletzt der Chef der libyschen Zentralbank, Sadik El-Kaber, Beamtengehälter und Renten gezahlt und damit Millionen libyscher Familien am Leben erhalten. Durch die Zahlungen an alle Mitarbeiter des Innen- und des Verteidigungsministeriums hat er gleichzeitig den Milizionären beider Bürgerkriegsparteien ihre Gehälter zukommen lassen (nach dem Sturz Gaddhafis waren sämtliche Milizionäre in einer provisorischen Notmaßnahme zu Hilfscheriffs im Staatsdienst erklärt worden). Die Forderung der Regierung in Tobruk, diese Praxis einzustellen, hatte El-Kaber ignoriert. Nun hat er dafür die Quittung bekommen.

Man kann davon ausgehen, daß die Besetzung der Dependence der Zentralbank in Benghazi schwere Folgen haben wird. Sollten, wie erwartet, die Zahlungen an alle, die dem gewählten Parlament nicht treu ergeben sind, eingestellt werden, dürfte dies eine heftige Gegenreaktion seitens des GNC, der Libyschen Morgendämmerung, der Ansar Al Scharia und ihrer Verbündeten, etwa in Misurata, zur Folge haben. Es dürften sich die Kämpfe um Libyens Ölfelder noch weiter verschärfen. Das Marodieren der verschiedenen Banden wird zunehmen. Auch wenn es den Anschein hat, daß die Tobruker Regierung durch die Wiedereinberufung des alten Offizierskorps um Hifter und die Unterstützung des Westens die Oberhand im Bürgerkrieg hat, kann es bis zu einer Befriedung Libyens lange dauern. Während Hifters Armee von Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, bekommen GNC, Ansar Al Scharia und die Misurater finanzielle und militärische Hilfe aus der Türkei und Katar. Solange sich nicht auch die rivalisierenden internationalen Akteure geeinigt haben, wird es kein Ende des Blutvergießens in Libyen geben.

24. Januar 2015


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