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NAHOST/1309: Israelischer Experte sieht Atomgefahr Iran überschätzt (SB)


Israelischer Experte sieht Atomgefahr Iran überschätzt

Uzi Eilam sieht Verhandlungen im Atomstreit auf dem besten Weg



Für die Verbreitung der These, hinter dem iranischen Kernenergieprogramm verberge sich der Plan Teherans, sich ein Nuklearwaffenarsenal anzulegen, hat sich kaum jemand stärker eingesetzt als Benjamin Netanjahu. Seit rund zwanzig Jahren warnt der amtierende israelische Premierminister davor, daß die Mullahs in wenigen Jahren, wenn nicht sogar Monaten, über eine eigene Atombombe verfügen werden. Unvergessen bleibt Netanjahus Auftritt im September 2012 vor der UN-Generalversammlung, als er mit einer comicartigen Zeichnung einer primitiven Bombe - samt Lunte! - in den Händen die Welt vor der drohenden Gefahr warnte und sich damit endgültig der Lächerlichkeit preisgab. Viele Beobachter glauben, der Likud-Parteichef spielt die Iran-Gefahr deshalb so hoch, um vom fortgesetzten Ausbau der jüdischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten abzulenken. Eine gewisse Bestätigung für diesen Verdacht liefert nun Uzi Eilam, der ehemalige Leiter der israelischen Atomenergiebehörde, der in einem in der Tageszeitung Yedioth Ahronoth am 8. Mai erschienenen Interview eine nüchterne und weit realistischere Einschätzung des Stands des iranischen Atomprogramms und der dahinter liegenden Absichten präsentierte.

Seit November 2013 verhandelt der Iran mit der P5+1-Gruppe - den fünf ständigen Mitgliedsstaaten des UN-Sicherheitsrats, China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA plus Deutschland über sein umstrittenes Atomprogramm. Bis zum 20. Juli will man den sogenannten Atomstreit beigelegt haben. Die Iraner sollen größtmögliche Transparenz in Bezug auf ihre Atomanlagen und Forschungsaktivitäten schaffen, wofür der Islamischen Republik im Gegenzug die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt wurden. Es sollen zudem konkrete Maßnahmen wie eine Einschränkung der Zahl der Zentrifugen und der Menge des schwach angereicherten Urans eingeleitet werden, damit der Iran nicht ohne weiteres alle Vereinbarungen aufkündigen und sich innerhalb kürzester Zeit eine Atomwaffenkapazität zulegen kann. Gerade diese Möglichkeit des sogenannten "Ausbruchs" aus dem Atomwaffensperrvertrag, zu dessen Unterzeichnerstaaten der Iran gehört, thematisiert Netanjahu seit Jahren. Vor diesem Hintergrund war der Zeitpunkt des Eilam-Interviews von nicht geringer Bedeutung. Das schlagzeilenmachende Gespräch erschien genau an dem Tag, an dem US-Präsident Barack Obamas Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice mit ihrem Stab in Tel Aviv eintraf, um das israelische Kabinett über den Stand der Verhandlungen der P5+1-Gruppe mit Teheran zu unterrichten.

Während Netanjahu das im November beschlossene Interimsabkommen mit dem Iran bekanntlich für einen "historischen Fehler" hält, sieht Eilam die Dinge weit optimistischer: "Ich denke, daß man der Diplomatie, begleitet von Sanktionen, eine ernsthafte Chance geben muß. Ich bin mir nicht einmal sicher, daß die Iraner die Bombe überhaupt wollen. Für sie würde der Status eines nuklearen Schwellenstaates vermutlich reichen, um Regionalmacht zu werden und die Nachbarländer einzuschüchtern." Eilam bezeichnete die in den letzten Monaten im Rahmen des sogenannten Joint Plan of Action (JPA) von den Iranern unternommenen Schritte zur Beseitigung aller Zweifel und Ängste des Westens als "sehr signifikant". Insbesondere hob er die Reduzierung der im Iran vorhandenen Menge des auf 20 Prozent U235 angereicherten Urans hervor. Insgesamt schätzte er die Zeit, welche die Iraner bräuchten, um sich technologisch in einen als "Ausbruch" aus dem Atomwaffensperrvertrag zu bezeichnenden Stand zu versetzen, auf mindestens zehn Jahre.

Eilam, der seit seinem Ausscheiden als Chef der israelischen Atombehörde 1985 als Militärberater und Technologieexperte arbeitet, erklärte, Netanjahu und andere Politiker hätten bei der israelischen Bevölkerung eine "schreckliche und unnötige Angst" vor dem iranischen Atomprogramm erzeugt. Er äußerte sich "zufrieden" darüber, daß die Diskussion um das Thema in den letzten Monaten an Hitze verloren habe. Die mehrmals von Netanjahu geäußerte Drohung eines israelischen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen bezeichnete er als "harsche Worte, die nicht geholfen haben". Aus praktischer Sicht wäre ein solches Unternehmen zum Scheitern verurteilt, so Eilam. "Irans Nuklearanlagen sind im ganzen Land verteilt durch meterdicken Beton und Stahl geschützt und zudem tief in die Erde eingegraben. Sie mit einem einzigen Schlag zu vernichten, wie 1985 beim Überraschungsangriff der israelischen Luftwaffe auf den irakischen Atomreaktor Osirak geschehen, wäre seiner Meinung nach heute gar nicht mehr möglich. Die Militäroperation, die im Falle des Irans erforderlich wäre, hätte ein solches Ausmaß, daß sie unweigerlich einen Krieg auslösen würde; das würde wiederum das "Regime" in Teheran stärken und erst recht zur Schaffung einer eigenen iranischen Atombombe führen, was angeblich das Gegenteil dessen sei, was Israel wolle, gab Eilam zu bedenken.

9. Mai 2014