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NAHOST/1218: Rebellen in Syrien sollen Chemiewaffen sichern (SB)


Rebellen in Syrien sollen Chemiewaffen sichern

Das zunehmende Chaos in Syrien birgt jede Menge "Blowback"-Potential



Auch nachdem die NATO-Außenminister am 4. Dezember vor dem Hintergrund eines inszenierten Medienrummels um syrische Massenvernichtungswaffen die Verlegung von Patriot-Abwehrraketen an die südosttürkische Grenze beschlossen haben, sorgt das Thema einer von chemischen Kampfstoffen in Syrien ausgehenden Gefahr oder Bedrohung weiterhin für Schlagzeilen. Der Fernsehnachrichtensender CNN meldete am 10. Dezember unter Verweis auf einen "ranghohen US-Regierungsbeamten und mehreren ranghohen Diplomaten", die USA und ihre europäischen Verbündeten "benutzen private Rüstungsunternehmen, um syrische Rebellen auszubilden, wie sie chemische Waffenbestände in Syrien sichern sollen". Die von den USA finanzierte Ausbildung findet laut CNN nicht nur in den Nachbarländern Jordanien und Türkei, sondern auch in Syrien selbst statt und "umfaßt, wie man Waffenbestände unter Beobachtung hält, sichert und mit den entsprechenden Materialien umgeht."

Wenn das mal gut geht.

Die bisherigen Erfahrungen mit privaten Dienstleistungsunternehmen in Afghanistan und im Irak sind katastrophal. Trotz Milliardenaufwand haben sie in den seit dem 11. September 2001 von der NATO "befreiten" Ländern Afghanistan, Irak und Libyen weder die neuen Sicherheitskräften vernünftig ausgebildet, geschweige denn die eroberten Waffendepots der Taliban, Saddam Husseins und Muammar Gaddhafis vollständig gesichert. Ganz im Gegenteil, schleust die NATO seit Ende vergangenen Jahres unzählige Al-Kaida-Extremisten aus Libyen mit größeren Mengen erbeuteter Waffen nach Syrien ein, damit sie auch dort für einen "Regimewechsel" sorgen.

Am 7. Dezember haben 500 Vertreter verschiedener syrischer Rebellengruppen bei einem Treffen in der Türkei einen Obersten Militärrat und einen Generalstab gewählt. Ungeachtet der Tatsache, daß bei dem Treffen auch Militärattachés und Diplomaten aus den größten NATO-Staaten anwesend waren, haben sich die säkularen Gruppen nicht durchsetzen können. Das neue Oberkommando erhielt der als "gemäßigt" geltende Brigadier Abdelkader Saleh, die anderen Kommandeursposten wurden jedoch zumeist von Islamisten besetzt.

Die ursprünglichen Gründer der Freien Syrischen Armee, Oberst Rial Assad und Brigadier Mustafa al Scheich, der sich in der Vergangenheit durch Kritik an der Moslembruderschaft hervorgetan hatte, wurden bei der Reorganisation, welche die militärische Zusammenarbeit mit der NATO beflügeln soll, links liegen gelassen. Da muß man sich schon die Frage stellen, um welche Rebellen es sich da eigentlich handelt, die die Bestände der syrischen Streitkräfte an Sarin- und VX-Gas sichern sollen.

Wie man weiß, hat sich die salafistische Al-Nusra-Front, deren Reihen mit ausländischen Dschihadisten, die vor Selbstmordanschlägen und Massakern an gefangenen Soldaten und Zivilisten nicht zurückschrecken, gefüllt sind, im syrischen Bürgerkrieg einen besonderen Ruf erworben. In einem Artikel der New York Times vom 10. Dezember wurde die Al-Nusra-Front, die sich die Errichtung eines weltweiten Kalifats zum Ziel hat und bereits vor Wochen im Raum Aleppo ein erstes "islamisches Emirat" ausrief, als die "effektivste Streitmacht auf Seiten der Rebellen" bezeichnet.

Wie "effektiv" die Al-Nusra-Front gegen ihre Gegner vorgeht, davon kann man sich derzeit im Internet anhand eines besonders brutalen Videos selbst überzeugen, über das am 10. Dezember der Blog Pukhtunkhwa Times berichtete. Auf dem Video ist zu sehen, wie ein etwa zehnjähriger Junge von einer Gruppe arabischsprechender Männer dazu gedrängt wird, mit einem Schwert einem gefangenen syrischen Soldaten den Kopf abzuhacken. Daß die Enthauptung durch Kinderhand nicht gleich mit dem ersten Schlag erfolgt, versteht sich von selbst.

Der Vorfall soll sich vor kurzem in der umkämpften Stadt Homs, 160 Kilometer nördlich von Damaskus, ereignet haben. Auf dem Video sollen auch die Rümpfe und abgetrennten Köpfen von weiteren syrischen Soldaten zu sehen sein. Nach Angaben von Pukhtunkhwa Times sprechen die im Video unter anderem "Gott ist Groß" rufenden Rebellen kein Arabisch, wie man es üblicherweise in Syrien kennt. Einige von ihnen sprechen mit einem Akzent, der sie eindeutig als Untertanen des Königreichs Saudi-Arabien ausweist. Zusammen mit Katar gilt Saudi-Arabien bekanntlich als wichtigster Finanzier und Waffenlieferant der syrischen Aufständischen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Dokument, das Christof Lehmann am 9. Dezember auf dem Blog No Spin News als Facsimile präsentierte und kommentierte. Laut Lehmann handelt es sich um ein amtliches Schreiben aus Saudi-Arabien, aus dem hervorgeht, daß die Behörden in Riad seit Monaten Schwerstverbrecher, darunter verurteilte Mörder und "Terroristen", aus dem Gefängnis entlassen, sofern sich diese dazu bereit erklären, sich am "heiligen Krieg" gegen das gottlose "Regime" Baschar Al Assads in Syrien zu beteiligen. Zu den bisher Freigelassenen gehörten demnach 253 Syrer, 203 Pakistaner, 212 Saudis, 194 Ägypter, 105 Jemeniten, 82 Jordanier, 68 Somalier, 44 Kuwaiter, 32 Afghanen, 23 Iraker und 21 Palästinenser. "Vor dem Einsatz in Syrien werden die Gefangenen in der unkonventionellen Kriegsführung, dem Terrorismus ausgebildet", so Lehmann. Sollten die Rebellen, die für die NATO die syrischen Chemiewaffen sichern sollen, aus diesen Kreisen stammen oder der Al-Nusra-Front angehören, kann sich die Welt auf einen "Blowback" (Jargon für einen unerwarteten Effekt, bei dem frühere geheimdienstliche Destabilisierungaktivitäten im Ausland, wie etwa der CIA während des Afghanistankriegs, auf deren Ursprungsland zurückfallen - bestes Beispiel 9/11) ganz besonderer Art gefaßt machen.

11. Dezember 2012