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NAHOST/1192: Obama-Regierung erwägt direkte Gespräche mit Teheran (SB)


Obama-Regierung erwägt direkte Gespräche mit Teheran

Die New York Times macht das Ergebnis geheimer Vorgespräche bekannt



Die USA und der Iran haben sich im Rahmen von "geheimen und intensiven Gesprächen" geeinigt, erstmals direkte Verhandlungen miteinander aufzunehmen, um die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung im sogenannten "Atomstreit" auszuloten. Dies meldete die New York Times am 21. Oktober auf ihrer Titelseite exklusiv unter Verweis auf nicht namentlich genannte Mitglieder der Regierung Barack Obamas. Die Nachrichtenagentur Inter Press Service hatte bereits am 17. Oktober und einen Tag später das konservative US-Internetportal WorldNetDaily.com von Hinweisen auf eine sich anbahnende Beilegung des Streits um das iranische Atomprogramm, hinter dem die USA und Israel illegale, geheime Nuklearwaffenforschung vermuten, berichtet.

Die Nachricht von den bevorstehenden ersten direkten Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern aus Washington und Teheran seit dem Sturz des Schahs und der Islamischen Revolution im Iran 1979 ist in den USA wie die sprichwörtliche Bombe eingeschlagen. Das hat nicht nur mit der historischen Bedeutung einer solchen Begegnung, sondern auch mit der Tatsache zu tun, daß der entsprechende Artikel der New York Times gerade ein Tag vor der dritten und letzten Fernsehdebatte zwischen den beiden Präsidentschaftsbewerbern, dem demokratischen Amtsinhaber Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney, erschienen ist. Folglich warfen die Republikaner Team Obama auch gleich vor, die Sicherheitspolitik für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren.

Auch wenn das Weiße Haus in der Person von Präsidentensprecher Tommy Vietor und die Regierung in Teheran bestritten, sich sich auf die Aufnahme von direkten Verhandlungen verständigt zu haben, deutet alles auf die Richtigkeit der im NYT-Artikel enthaltenen Angaben hin. Die seit 33 Jahren von Konfrontationen und Feindseligkeiten gezeichneten Beziehungen zwischen den USA und dem Iran, stehen offenbar an einem Wendepunkt. Indem Obama dies gerade einmal zwei Wochen vor der US- Präsidentenwahl bekannt gibt, will er sich offenbar die Zustimmung der amerikanischen Volkes für sein weiteres Handeln einholen. Man kann davon ausgehen, daß das Thema Iran in der dritten Fernsehdebatte mit Romney eine große Rolle spielen wird.

Seit Monaten werfen die Republikaner Obama vor, die angeblich vom Iran ausgehende nukleare Gefahr auf die leichte Schulter zu nehmen und Israel im Stich zu lassen. Parallel dazu verlangt der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der mit Romney gut befreundet ist, lautstark eine Beseitigung jener "existentiellen Bedrohung", die das iranische Atomprogramm für den jüdischen Staat darstellen soll, und droht seinerseits immer wieder mit einem "Überraschungsangriff" der Israeli Defense Forces (IDF) auf die wichtigsten Kernenergieanlagen in der Islamischen Republik. Obama dagegen hat im Einklang mit der EU schwere ökonomische Sanktionen gegen den Iran verhängt, die der Wirtschaft der islamischen Republik schwer zusetzen. Die Ölexporte und damit die wichtigsten Devisenbringer des Landes sind in den letzten Monaten um etwa die Hälfte zurückgegangen. Der iranische Rial hat gegenüber dem Dollar und anderen Währungen drastisch an Wert verloren. Medikamente, welche die Iraner aus dem Ausland importieren müssen, werden für viele Kranke unerschwinglich.

Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Probleme des Irans kann Obama von sich behaupten, die Führung der Islamischen Republik an den Verhandlungstisch gezwungen zu haben. Er hat sich damit gegen die Giftpfeile derjenigen Hardliner im Kongreß und den US-Medien, die seit Jahren auf einen Sturz der "Mullahkratie" in Teheran drängen, gewappnet. Ein erster Vorgeschmack auf die Reaktion der Regimewechselbefürworter lieferte der Republikaner Lindsay Graham am 21. Oktober bei einem Auftritt im sonntäglichen US-Politfernsehen. Der Senator aus South Carolina, der zusammen mit seinen Kollegen John McCain und Joe Lieberman seit Jahren und bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Namen der US-Legislative in außenpolitischen Belangen das Wort ergreift, sah in Obamas Sanktionsstrategie nur ein "erbärmliches Versagen". Die "Zeit für Verhandlungen" sei "vorbei", sagte Graham. Die USA müßten auf Zugang zu allen iranischen Atomanlagen insistieren und mit Israel die "rote Linie" koordinieren, nach deren Überschreiten der große Militärangriff endgültig zu erfolgen hätte.

Bereits Ende September hatte Saeed Jalili, Teherans Chefunterhändler in Nuklearfragen, bei Gesprächen mit EU-Vertreterin Catherine Ashton das Angebot unterbreitet, der Iran könnte auf die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent Reinheitsgrades verzichten, solange es Liefergarantien für solches Material erhalte, das man zur Herstellung von Isotopen zur Behandlung von Krebspatienten benötige. Jalili schlug zudem vor, die bereits im Iran gewonnene Menge dieses Materials würde man ins Ausland exportieren und sich strengeren Kontrollen durch die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) unterwerfen, um alle Verdachtsmomente geheimer Kernwaffenforschung zu zerstreuen. Im Gegenzug verlangen die Iraner, daß die USA und ihre Verbündeten das prinzipielle Recht des Irans als Unterzeichnerstaat des Nicht-Verbreitungsabkommens auf Urananreicherung zur Herstellung von zivilen Brennstäben anerkennt. Während Obama und die Demokraten hierzu bereit zu sein scheinen, lehnen die Republikaner und mit ihnen Netanjahu ein solches Zugeständnis kategorisch ab, wohlwissend daß ihre Haltung zwingend auf einen Krieg mit dem Iran hinausläuft.

Für die Brenzligkeit der Angelegenheit spricht die Formulierung der New York Times, wonach es sich bei den bevorstehenden Verhandlungen, die erst nach der US-Präsidentenwahl stattfinden sollen, um den "allerletzten diplomatischen Versuch, einen Militärschlag gegen den Iran zu vermeiden", handelt. Es ist sogar nicht auszuschließen, daß Washington die Verhandlungen nur aufnehmen will, um nach einem Scheitern sagen zu können, man sei auch den allerletzten Schritt auf die Iraner zugegangen, doch diese wollten unbedingt den Krieg haben. Millionen einfacher Menschen in den USA, im Iran und in der ganzen Welt werden sich einen Erfolg der Verhandlungen wünschen, denn käme es zu einer Entspannung zwischen Washington und Teheran, ließen sich viele andere Probleme in der Nahost-Region - zum Beispiel der Bürgerkrieg in Syrien, der gerade auf den Libanon überzugreifen droht - lösen.

22. Oktober 2012