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NAHOST/1056: Arabischer Frühling läßt Verschwörungstheorien sprießen (SB)


Arabischer Frühling läßt Verschwörungstheorien sprießen

Ägyptens Demonstranten lüften Hosni Mubaraks schmutzige Geheimnisse


Die Turbulenzen, die seit Ende Januar die arabischen Staaten erschüttern, stellen für Politiker und Medienkommentatoren, was die Deutung der Ereignisse betrifft, eine Herausforderung dar. Während Beobachter vor Ort die sozialen Probleme wie Arbeits- und Perspektivlosigkeit hervorheben, meint man vom Westen her, einen "demokratischen Aufbruch" zu erkennen, den die unterdrückten Massen in der Region letztlich der Technologie der Industrienationen - Facebook, Twitter et cetera - zu verdanken haben. Auffällig ist auf jeden Fall, wie einige Akteure auf der politischen und medialen Bühne auf sogenannte Verschwörungstheorien zurückgreifen bzw. die Erklärungsmuster ihrer Gegner als solche zu diffamieren versuchen.

Am deutlichsten macht sich dieses Phänomen im Falle Libyens bemerkbar. Als Oberst Muammar Gaddhafi in den ersten Stellungnahmen zum Aufstand gegen seine Regierung die Oppositionellen als Handlanger von Osama Bin Ladens Al Kaida beschimpfte, wurden diese Äußerungen von den westlichen Medien als Beleg dafür ausgelegt, daß der libysche Revolutionsführer unter Verfolgungswahn und Realitätsverlust leidet. Als vor zwei Tagen Gaddhafi angesichts der anhaltenden Kämpfe und der Kriegsrhetorik aus Europa und Nordamerika behauptete, die USA, Großbritannien und Frankreich trachteten nach der Kontrolle über die gigantischen libyschen Energiereserven, wurde dies von den politisch Verantwortlichen im Westen ebenfalls als abstruse Vorstellung belächelt.

Doch der angeblich "verrückte" Gaddhafi ist nicht der einzige, der sich in den letzten Wochen bei Verschwörungstheorien bedient. Bereits am 2. Februar zog Justin Raimondo in seiner Kolumne "Behind the Headlines" bei der US-Website Antiwar.com einerseits über die pro-israelischen Neokonservativen in den USA wie John Bolton, einst George W. Bushs Botschafter bei den Vereinten Nationen, die hinter der "demokratischen Revolution" in Ägypten die Moslem-Bruderschaft wähnten, weshalb sie vergeblich von Präsident Barack Obama den Schulterschluß mit Hosni Mubarak forderten, und andererseits über die britische Zeitung Daily Telegraph her, die wenige Tage zuvor mit der angeblichen Enthüllung aufgewartet hatte, die Umwälzungen am Nil gingen von jungen Aktivisten aus, die nach der Pfeife der CIA und des US-Außenministeriums tanzten.

Nach wochenlangen, zum Teil gewaltsamen Demonstrationen im Jemen gegen das Regime von Ali Abdullah Saleh verlor am 1. März der langjährige Präsident die Fassung und erklärte bei einem öffentlichen Auftritt an der Universität in der Hauptstadt Sana'a, es gebe "in Tel Aviv" einen "Operationsraum", der "vom Weißen Haus" "mit dem Ziel der Destabilisierung der arabischen Welt" gesteuert werde. Saleh rief die USA zur Einstellung derlei Umtriebe mit den Worten auf: "Herr Obama, Sie sind Präsident der Vereinigten Staaten, nicht Präsident der arabischen Welt." In einer ersten Reaktion Washingtons gab am selben Tag Philip Crowley, Sprecher des Außenministeriums, eine Twitter-Meldung heraus, in der er erklärte, daß "die Proteste im Jemen nicht das Ergebnis äußerer Verschwörungen" seien und daß "Präsident Saleh es besser wissen" müsse. Das Machtwort aus den USA, deren umfangreiche Finanz- und Militärhilfe für die Regierung des bitterarmen Jemens lebensnotwendig sind, saß. Wie die New York Times berichtete, rief der gebeutelte, seit 32 Jahren im Amt befindliche, jemenitische Präsident am 2. März im Weißen Haus an, um sich für das "Mißverständnis" zu entschuldigen und "Reformen" zu versprechen.

Wie der Zufall es will, griff am selben Tag Hillary Clinton bei einem Auftritt vor dem haushaltspolitischen Ausschuß des Senats in Washington ebenfalls in die Trickkiste der Verschwörungstheorien, um die innenpolitischen Spannungen nicht nur im Jemen, wo sich die Zentralregierung mit Sozialunruhen sowie Aufständen von schiitischen Houthi-Rebellen im Norden und Separatisten im Süden konfrontiert sieht, sondern praktisch in allen Ländern zwischen Persischem Golf und der Straße von Gibraltar zu erklären. Laut Obamas Chefdiplomatin tut die Regierung des Irans "alles, um den Ausgang in diesen Ländern zu beeinflussen", und nutzt "die Hisbollah, um mit Verbündeten bei der Hamas zu kommunizieren, die wiederum mit Verbündeten in Ägypten kommunizieren". Die ehemalige First Lady und einstige Senatorin von New York behauptete weiter, die Iraner würden "ihre Fühler in Richtung Opposition in Bahrain ausstrecken" und seien "in die oppositionellen Bewegungen im Jemen sehr involviert". Interessanterweise stellt letztere Aussage wiederum genau das Gegenteil dessen dar, was Clintons eigener Sprecher nicht einmal 24 Stunden zuvor zum Thema Jemen hat vertweeten lassen.

Als Verschwörungstheoretiker wird seit Jahren jeder diffamiert, der der Meinung ist, hinter der für die menschliche Zivilisation angeblich von Al Kaida und Konsorten ausgehenden, "existentiellen" Bedrohung steckten vor allem die despotischen arabischen Regime und ihre Verbündeten bei den westlichen Geheimdiensten. Doch siehe da, die demokratischen Revolutionäre in Ägypten, die am 5. und 6. März die wichtigsten Zentralen des Inlandsgeheimdienstes in Alexandria und Kairo stürmten, um dort Dokumentenvernichtung zu verhindern, haben faktische Belege für die Richtigkeit dieser These gefunden. Aus den sichergestellten Papieren geht hervor, daß unter Hosni Mubarak Ägyptens Polizei und Geheimdienst seit Jahren systematisch Anschläge von "Islamisten" gegen Touristen oder christliche Mitbürger geschehen ließen oder selbst initiierten. Auf diese Weise sollte das Bild des Mubarak-Regimes als Garant gegen die Islamisten ständig erneuert und gefestigt werden.

In Ägypten hofft man nun, daß sich die sichergestellten Dokumente gegen den ehemaligen Innenminister Habib Al-Adly und dessen Schergen gerichtlich verwerten lassen. Der ehemalige Mubarak-Vertraute, der vor kurzem entlassen wurde und derzeit wegen Korruption unter Anklage steht, hatte noch in Januar behauptet, im Besitz von "unwiderlegbaren Beweisen" dafür zu sein, daß die "Armee des Islam", eine kaum bekannte, angeblich mit Al Kaida im Verbindung stehende Gruppe, für den Bombenanschlag verantwortlich sei, der in der Silvesternacht 21 Besuchern eines christlichen Gottesdienstes in Alexandria das Leben kostete und 100 weitere verletzte.

10. März 2011