Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1041: Ismail Haniya stellt einige Positionen der Hamas klar (SB)


Hamas-Regierung zu Referendum über Friedenslösung bereit


Wenn Platzhirsche der US-amerikanischen Presselandschaft wie die New York Times hochrangige Repräsentanten der Hamas zu Wort kommen lassen, muß ein besonderer Grund vorliegen. Nicht, daß man es versäumte, der Hamas bei jeder sich bietenden Gelegenheit Ideologien, Positionen und Erklärungen in den Mund zu legen, die sich bei näherer Überprüfung allzu oft als einer objektiven Berichterstattung unwürdige Verdrehungen, Verfälschungen und Verleumdungen erweisen. Propagandafeuer ist unverzichtbar, will man der Leserschaft doch die Verteufelung dieser palästinensischen Fraktion unablässig einhämmern, bis sie zum Allgemeingut verfestigt ein Musterbeispiel perfektionierter Denkkontrolle abliefert.

Demgegenüber geht es im aktuellen Fall jedoch offenbar darum, die Hamas mehr oder minder im Originalton zu zitieren, weil man sich davon einen Zugewinn auf dem Feld dieser Auseinandersetzung verspricht. Worin dieser bestehen könnte, scheint dem Autor des kurzen Berichts allerdings selbst nicht recht klar zu sein, denn es mischen sich Erstaunen über ein unerwartetes Einlenken der Hamas-Führung und weitere Aussagen, die auf Vernunft, Mäßigung und guten Willen schließen lassen, mit pflichtschuldig eingestreuten Statements, die zentrale Elemente aus dem Arsenal der Bezichtigung abarbeiten, ohne die das US-amerikanische Leitmedium einen Artikel zur Hamas nun einmal nicht publizieren mag. Unter dem Strich kommt - ob absichtlich oder unfreiwillig sei dahingestellt - ein für die New York Times eher seltener weil fast schon wohlwollender Bericht zu besagtem Thema heraus. So sei es denn dem Leser überlassen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Wie der Verfasser Fares Akram schreibt, habe der Führer der Hamas-Regierung in Gaza, Ismail Haniya, im Rahmen eines eher seltenen Treffens mit Journalisten ausländischer Presseagenturen in seinem Büro in Gaza-Stadt eine bemerkenswerte Stellungnahme abgegeben. Er sei der Auffassung, daß jeglicher Lösungsvorschlag im Konflikt mit Israel allen Palästinensern weltweit in einem Referendum vorgelegt werden sollte, dessen Ergebnis die Hamas zu akzeptieren bereit sei, selbst wenn es ihrer Politik und ihren Überzeugungen widersprechen sollte. Dieses Signal Haniyas kam insofern überraschend als die Hamas bislang Überlegungen des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas, ein solches Referendum abzuhalten, kritisch gegenüberstand. Die Hamas erklärte bislang Prinzipien wie das Rückkehrrecht der Flüchtlinge und die Grenzen eines Palästinenserstaats als zu fundamental, um in einem solchen Verfahren zur Abstimmung gestellt zu werden. [1]

Der Autor läßt offen, ob er der Ansicht ist, die Hamas sei um des Friedens willen durchaus zu wesentlichen Zugeständnissen bereit. Er beeilt sich jedoch, an dieser Stelle einzuschieben, daß die Charta der Hamas zur Zerstörung Israels aufrufe und das gesamte palästinensische Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan zur heiligen islamischen Erde erkläre, die aufzugeben niemand das Recht habe. Die Autonomiebehörde kontrolliere das Westjordanland, sei jedoch im Jahr 2007 nach einem kurzen Bürgerkrieg mit der Hamas nach deren Wahlsieg von 2006 aus dem Gazastreifen vertrieben worden. Die Führung der Hamas sei zwischen Gaza und Damaskus geteilt, wobei erstere zumeist als pragmatischer eingeschätzt wird.

Dieser Schnellschuß über das Verhältnis der Hamas zu Israel, zur Autonomiebehörde und zum Flügel in der syrischen Hauptstadt ist nicht nur extrem verkürzt, sondern auch inhaltlich so fragwürdig bis falsch, wie es der standardisierten Doktrin zur Diskreditierung der Hamas entspricht. Das unvermeidlich ins Spiel gebrachte Existenzrecht Israels wird von der Hamas-Führung schon seit Jahren de facto nicht bestritten, die vielmehr die Anerkennung des Staates Israels von der Klärung der Rückkehrfrage und der Staatsgrenzen abhängig macht, um sich nicht den von Israel völkerrechtswidrig geschaffenen Tatsachen zu unterwerfen. Auch die in der gewählten Formulierung nahegelegte Aussage, die Hamas habe nach ihrem Wahlsieg die konkurrierende Fraktion gewaltsam aus Gaza vertrieben, stellt den tatsächlichen Ablauf auf den Kopf.

Doch kehren wir zum Pressegespräch mit Haniya zurück, der die Gelegenheit zu einigen weiteren Klarstellungen wahrnahm. Seine Regierung sei bereit, den derzeit herrschenden Waffenstillstand mit Israel auch im kommenden Jahr zu wahren. Wohl habe es sich die Regierung für 2011 zu einer ihrer vordringlichen Aufgaben gemacht, den nationalen Konsens in Gaza aufrechtzuerhalten, daß die Fraktionen des palästinensischen Widerstands ihre Arbeit fortsetzen. Man gehe jedoch davon aus, daß keine Raketen auf Israel abgefeuert werden, sofern Gaza nicht angegriffen wird. Mit dieser Stellungnahme unterstreicht Haniya, daß die Hamas den seit dem durch die israelischen Streitkräfte vor nahezu zwei Jahren verübten Massaker im Gazastreifen nicht offiziell erklärten Waffenstillstand wahren will.

Zudem versicherte Haniya, daß sich keine Zellen der Al Kaida in Gaza befinden, und er verurteilte die israelischen Angriffe, bei denen im November drei Männer getötet wurden, die der Army of Islam angehört haben sollen. Militante Gruppierungen in Gaza würden nur innerhalb der nationalen Grenzen aktiv, erklärte Haniya, der damit israelische Berichte zurückwies, die Getöteten hätten Anschläge auf israelische Touristen auf dem Sinai geplant.

Haniya kritisierte auch die europäischen Diplomaten, die bei ihren Besuchen im Gazastreifen weder Mitglieder seiner Regierung noch der Hamas-Bewegung treffen. Man könne nicht verstehen, warum diese Besucher einer Begegnung mit der legalen Regierung aus dem Weg gehen. Daher habe man mit den UN-Organisationen, die das Programm der ausländischen Gäste organisieren, Kontakt aufgenommen und darauf gedrängt, daß eine Absprache mit der Hamas auch dann erforderlich sei, wenn man sie nicht treffen wolle: "Sie sollten an die Tür klopfen und hören, daß man ihnen Einlaß gewährt, bevor sie das Haus betreten."

Und nicht zuletzt dementierte Haniya die verbreitete Auffassung, Israel habe die Blockade des Gazastreifens wesentlich gelockert. Nach der internationalen Kritik am Angriff der israelische Streitkräfte auf die Gaza-Flottille im Mai, bei dem neun Menschen getötet wurden, seien lediglich einige randläufige Änderungen an der Abriegelung vorgenommen worden. An dem Charakter des Belagerungszustands habe sich hingegen nichts wesentliches geändert.

Anmerkungen:

[1] Hamas Leader in Gaza Softens on Vote (01.12.10)

New York Times

2. Dezember 2010