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NAHOST/1027: Blair macht Iran für Irakkatastrophe verantwortlich (SB)


Blair macht Iran für Irakkatastrophe verantwortlich

Sonderbotschafter des Nahostquartetts stellt Iran als böse Kraft dar


Mit ernster Miene erklärte Barack Obama seinen Landsleuten am Abend des 31. August bei einer Rede aus dem Oval Office heraus den Kampfeinsatz der US-Streitkräfte im Irak, der das Zweistromland völlig destabilisiert und desolat zurückgelassen hat, für beendet. Am nächsten Tag läutete er den Beginn einer neuen Runde von Verhandlungen zur Beilegung des Nahost-Konflikts ein. Zu diesem Zweck hatte er die Anführer der beiden Streitparteien, den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, die beiden Vermittler, den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und den jordanischen König Abdullah, und Tony Blair, den Sonderbeauftragten des Nahost-Quartetts, bestehend aus den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und Rußland, nach Washington eingeladen.

Der Auftakt der Nahost-Verhandlungen stand unter keinem guten Stern. Am 26. September läuft der Baustopp für jüdische Siedlungen im besetzten Westjordanland aus. Aus Rücksicht auf die wenig kompromißwilligen Kräfte in seiner ohnehin stark rechtsnationalistischen Regierungskoalition in Israel will Netanjahu den Baustopp nicht verlängern. Die Palästinenser haben ihrerseits bereits für den Fall, daß der Ausbau der jüdischen Siedlungen wieder aufgenommen wird, einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen angekündigt. Hinzu kommen Signale, wonach sich die Israelis von Obama zur Teilnahme an den Gesprächen mit den Palästinensern nur deshalb haben drängen lassen, weil sie im Gegenzug vom US-Präsidenten eine härtere Haltung Washingtons im "Atomstreit" mit dem Teheran bzw. von ihm Rückendeckung erwarten, sollten sie sich zu einem Überraschungsangriff auf die iranischen Nuklearanlagen entschließen.

Vor diesem Hintergrund erschreckt es nicht wenig, was an diesem Tag aus dem Munde Blairs anläßlich der Veröffentlichung von dessen Memoiren, die den Titel "A Journey" tragen und unter großem medialen Tamtam beiderseits des Atlantiks am 1. September erschienen, zum Thema Iran zu hören und zu lesen war. In den Memoiren selbst, aus denen zahlreiche Zeitungen rund um die Welt zitierten, erklärt Blair offen heraus, er könne "die Entscheidung, in den Krieg [gegen den Irak - Anm. d. Red.] zu ziehen, nicht bereuen". Er behauptet "niemals den Alptraum, der sich entfaltet hat, erahnt" zu haben. Dagegen stehen die Aussagen von Elizabeth Manningham-Buller, der damaligen Chefin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, und von Blairs langjährigem politischen Weggefährten Peter Mandelson, die beide den britischen Regierungschef im Vorfeld ausdrücklich vor einem Aufflammen des "islamischen Terrorismus" und einem Chaos im Irak im Zuge des angloamerikanischen Einmarsches gewarnt haben wollen.

In seinen Memoiren macht Blair die Anhänger Osama Bin Ladens und die Iraner für die jahrelange Gewaltwelle, die den Irak nach dem Sturz Saddam Husseins erfaßte, verantwortlich. Sich selbst und George W. Bush macht er lediglich den Vorwurf, daß sie "die Rolle von Al Kaida oder dem Iran nicht antizipiert" hätten. Das Perfide an dieser Aussage ist die Tatsache, daß, während zahlreiche religiöse Fanatiker aus dem salafistischen Milieu nachweislich am Aufflammen des Bürgerkrieges zwischen Sunniten und Schiiten im Irak beteiligt waren, weder die Amerikaner noch die Briten bis heute einen stichhaltigen Beleg für ihre Dauerbehauptung bezüglich einer Verwicklung staatlicher iranischer Stellen in das Gewaltinferno im Nachbarland vorgelegt haben. Ihre Bezichtigungen in dieser Frage sind daher in etwa so glaubhaft wie die schon Ende 2002, Anfang 2003 durchsichtigen, inzwischen längst diskreditierten Gründe für den Irakeinmarsch - nämlich Saddam Husseins ABC-Waffen bzw. seine Verbindungen zum Al- Kaida-"Netzwerk".

Dessen ungeachtet kommt uns Blair in seiner gewohnten, von der eigenen moralischen Rechtschaffenheit völlig überzeugten Manier mit der alten Leier von "Massenvernichtungswaffen" in den Händen von "Schurkenstaaten" bzw. "Terroristen" als "fundamentale Sicherheitsherausforderung des 21. Jahrhundert". In einem Interview, das Blair einige Tage zuvor mit Martin Kettle vom Guardian geführt hat und das am 1. September, rechtzeitig zum Erscheinen der Memoiren in Großbritanniens wichtigster linksliberaler Zeitung abgedruckt wurde, führte der frühere britische Regierungschef, der bereits 1999 an der Seite Bill Clintons in den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zog, seine Bereitschaft zur Teilnahme am Anti-Saddam-Feldzug der neokonservativen Kamarilla um George W. Bush auf die Flugzeuganschläge auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington zurück - um gleich im nächsten Atemzug eine Begründung für einen weiteren präventiven Angriffskrieg, diesmal gegen den Iran, zu liefern:

... meiner Meinung nach war das Erschreckende am 11. September nicht allein, daß sie 3000 Menschen an einem Tag getötet haben, sondern daß es 300.000 hätten sein können, wäre ihnen alles geglückt. Das ist der springende Punkt ... Ich habe damals den Entschluß gefaßt, daß man in solchen Sachen kein Risiko eingehen darf. Deswegen muß ich leider sagen, daß ich, was den Iran betrifft, nicht das Risiko eingehen würde, daß sie die nukleare Waffenfähigkeit erlangen. Ich würde es nicht eingehen. Nun, andere Leute könnten sagen: "Moment mal, die Konsequenzen, sich mit ihnen anzulegen, sind zu verheerend. Sie müssen vorsichtig sein. Sie werden einfach alle aus der Fassung bringen. Sie werden die Lage destabilisieren." Ich verstehe alle diese Argumente. Doch ich würde das Risiko eines Irans mit einer Nuklearwaffe nicht hinnehmen.

Der Iran ist Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrages. Seine zivile Nuklearanlagen werden regelmäßig von den Inspekteuren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) kontrolliert, die bis heute auf keine Hinweise auf die Abzweigung spaltbaren Materials zu militärischen Zwecken gestoßen sind. Den Iranern steht daher völkerrechtlich die friedliche Nutzung aller Aspekte des nuklearen Kreislaufs zu, selbst wenn dies sie in den technologischen Stand versetzt, im Notfall eine Atombombe bauen zu können. Dem Iran dieses Recht, das Länder wie Deutschland, Japan und Brasilien selbstverständlich in Anspruch nehmen, abzusprechen, läuft auf eine internationale Zweiklassengesellschaft hinaus. Die Regierung in Teheran hat wiederholt klargemacht, daß sie nicht bereit ist, eine solche Herabstufung hinzunehmen.

Die von Blair postulierte Bedrohung "eines Irans mit einer Atomwaffe" stellt in mehrfacher Hinsicht eine böswillige und rassistisch begründete Unterstellung dar. Was der frühere Vorsitzende der britischen Sozialdemokraten damit sagen will, ist erstens, daß man den Iranern nicht trauen kann, angeblich weil sie unter dem Vorwand der Nutzung der Kernenergie heimlich nach der Atombombe streben, und zweitens, daß sie so durchgeknallt sind, daß sie, hätten sie eine solche Waffe, mit den herkömmlichen Mitteln der Abschreckung nicht an irgendwelchen selbstmörderischen Untaten zu hindern wären. Beide Argumente sind in Großbritannien und dem restlichen Westeuropa nicht mehrheitsfähig. In den USA und Israel dagegen sieht es anders aus. In beiden Ländern gibt es noch starke Kräfte, die seit der Ausschaltung Saddam Husseins auf einen "Regimewechsel" in Teheran und ein Ende der "Mullahkratie" dort drängen. Das sind die finanzkräftigen, militaristischen Kräfte, die Blair über Geschäftsverbindungen und lukrative Vortragsreihen seit dem Rücktritt als Premierminister vor drei Jahren zum Multimillionär gemacht haben und denen er mit seinem jüngsten Gefasel vom "Risiko Iran" zuarbeitet.

2. September 2010