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NAHOST/1007: Neue UN-Sanktionen gegen den Iran (SB)


Neue UN-Sanktionen gegen den Iran

Diplomatie der Obama-Regierung verschärft Konfrontation mit Teheran


Wie erwartet, hat am 9. Juni der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine vierte Runde von diplomatischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran mit zwölf zu zwei Stimmen bei einer Enthaltung verhängt. Zur Begründung wurde in der entsprechenden Resolution auf die Weigerung der Teheraner Regierung, der Forderung des Sicherheitsrats und der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) nach mehr Transparenz in Bezug auf sein Atomprogramm und nach einer Einstellung der Urananreicherung nachzukommen, verwiesen. Die US-Regierung, die seit Monaten auf die Verhängung der Sanktionen gedrängt hatte, behauptet, sie würden die Iraner zum Einlenken im Atomstreit bewegen. Kritiker der amerikanischen Vorgehensweise befürchten dagegen, daß die jüngste Sanktionsrunde die Iraner noch unkooperativer machen wird und daß dies auch von vornherein die Absicht Washingtons gewesen ist, um in nicht allzu ferner Zukunft den Vorwand für einen Militärschlag zu haben.

Der Druck, mit dem die Regierung Barack Obamas die Sanktionen letztentlich durchbekam, war massiv. Für die Resolution stimmten neben der eigenen Botschafterin Susan Rice, die der NATO-Verbündeten Frankreich und Großbritannien, die von Bosnien-Herzegowina, Gabun, Japan, Mexiko, Nigeria und Uganda sowie der beiden Vetomächte China und Rußland. Gegen die Resolution stimmten lediglich die UN-Botschafter Brasiliens und der Türkei, deren Staats- und Regierungschefs Luiz Inacio Lula da Silva und Recip Tayyip Erdogan noch Mitte Mai in Teheran mit Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad eine Kompromißlösung zur eventuellen Beilegung des Atomstreits - nämlich über den Weg der Auslagerung der Hälfte des iranischen Bestandes an schwach angereichertem Uran in die Türkei - vereinbart hatten. Unter Rücksicht auf die Empfindungen im Libanon, wo die Christen, Maroniten und Sunniten eher pro-westlich eingestellt sind, während sich die Schiiten, viele von ihnen Anhänger der Hisb Allah, bis zu einem gewissen Grad mit dem Iran identifizieren, enthielt sich als einziger der Vertreter Beiruts der Stimme.

Auf die Antwort der Vienna Group - USA, Rußland, Frankreich und die IAEA - die sich im letzten Oktober in Genf mit Teheran prinzipiell auf den Austausch schwachangereicherten iranischen Urans gegen mittelangereicherte Brennelemente geeinigt hatte, mit denen die Iraner Isotopen zur Behandlung von Krebskranken gewinnen könnten, auf die mit Hilfe der Brasilianer und Türken zustandegebrachte Lösung der strittigsten Fragen, wartet man seit mehr als zwei Wochen vergeblich. Statt dessen meldete sich die IAEA, die seit dem Ausscheiden ihres langjährigen ägyptischen Generaldirektors Mohamed Elbaradei Ende letzten Jahres und dessen Ablösung durch den Japaner Yukiya Amano größere Rücksicht auf die Wünsche und Vorstellungen Washingtons zu nehmen scheint, mit einem Bericht zu Wort, der im Grunde genommen dem Iran die ganze Verantwortung für den anhaltenden "Atomstreit" zuschob. Ohne mit einem Wort auf die Teheraner Vereinbarung einzugehen, bemängelte die IAEA die Weigerung der Islamischen Republik, der Forderung des UN-Sicherheitsrats nach Einstellung der Urananreicherung nachzukommen und äußerte sich besorgt "hinsichtlich der möglichen Existenz vergangener oder noch aktueller nuklearer Aktivitäten des Irans, in die militärische Organisationen verwickelt sind, darunter Aktivitäten bezüglich der Entwicklung einer zur Raketenbeförderung fähigen nuklearen Nutzlast".

Zu dem Bericht, der noch dem IAEA-Gouverneursrat vorgelegt werden muß, folglich noch nicht offiziell veröffentlicht worden ist und dennoch in Auszügen der Weltpresse rechtzeitig vor der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat zugespielt wurde, um zusätzlichen Druck im Sinne der USA zu erzeugen, speziell zu der schwammigen obigen Formulierung, muß einiges gesagt werden. Erstens erklären die IAEA-Inspekteure im Bericht, daß im Iran weiterhin keinerlei Beweise für die Abzweigung spaltbaren Materials gefunden wurden. Zweitens ist die Begründung für die von der IAEA vorgetragene Sorge um die etwaige Existenz "vergangener oder aktueller nuklearer Aktivitäten" in Richtung Atombombenbau mehr als dürftig. Sie besteht einerseits in der Existenz einer unterirdischen Urananreicherungsanlage bei Qom, deren Bereitungstellung Teheran zunächst verheimlicht, jedoch letztes Jahr noch innerhalb der vorgesehenen Frist vor der Inbetriebnahme bei der IAEA gemeldet hat, andererseits in einer Dokumentensammlung, die vor einigen Jahren auf einem Laptop aus der Islamischen Republik geschmuggelt worden sein soll und in der technische Arbeiten zum Thema Sprengkopfbau nachzulesen sein sollen. Der sagenumwobene Laptop soll sich inzwischen im Besitz der CIA befinden. Weil sich die USA weigern, den Iranern Einblick in die angeblich belastenden Dokumente zu gewähren, weigern sich letztere natürlich, Fragen über deren Inhalt zu beantworten. Dies legen Präsident Barack Obama und seine Außenministerin Hillary Clinton als mangelnde Kooperation und Beleg dafür aus, daß die Iraner doch noch etwas vor der Weltöffentlichlkeit versteckt halten - ein geheimes Atomwaffenprogramm nämlich.

In einem Artikel, der am 8. Juni und damit am Vorabend der Abstimmung über die Iran-Resolution in der New York Times unter der Überschrift "U.S. Presses Its Case Against Iran Ahead of Sanctions Vote" erschienen ist, berichtete David Sanger von den vertraulichen Präsentationen, mit denen die Obama-Regierung in den letzten Wochen offenbar die meisten Regierungen der derzeit im Sicherheitsrat vertretenen Staaten davon überzeugen konnte, daß der Iran "Teile seines Programms zur Entwicklung von Atomwaffen wiederbelebt hat, das zuvor nach Ansicht der US-Geheimdienste stillgelegt worden war".

Letzterer Nebensatz verweist auf die jüngste National Intelligence Estimate (NIE), in der Ende 2007 sehr zum Ärger der damaligen Regierung George W. Bush alle 16 US-Geheimdienste zu dem Schluß gekommen waren, daß Teheran seit rund vier Jahren keine Schritte in Richtung Entwicklung einer Atombombe unternommen hätte. Offenbar hat man im US-Sicherheitsapparat diese Ansicht revidiert. Und woher Sanger dies weiß? Im Artikel erfährt man es nicht. Als Quellen werden lediglich "ausländische Diplomaten und amerikanische Regierungsbeamte" angeführt, die natürlich namentlich nicht genannt werden. Nichtsdestotrotz zitiert Sanger einen "ausländischen Diplomaten" dahin gehend, daß sich die neuen, in vertraulichen Sitzungen von Vertretern der Obama-Regierung vorgetragenen Beweise für Irans Perfidie deutlich von der berühmt-berüchtigten "Powerpoint"-Präsentation Colin Powells Anfang 2002 vor dem UN-Sicherheitsrat zum Thema der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins - die bekanntlich nicht existierten - abheben. Von Dual-Use-Forschungen der Iraner ist die Rede, die jede allein nichts mit dem Bau von Nuklearwaffen zu tun hätten, aber zusammen... Einem von Sangers "hochrangigen Regierungsvertretern" zufolge bestehen in Verbindung mit den jüngsten US-Geheimdiensterkenntnissen "viele Rätsel". Nach Angaben eines anderen ist die Einschätzung der Gefahrenlage "aufgrund neuer Informationen" sozusagen im Fluß.

Und die "neuen Informationen", woher stammen sie? Laut Sanger - unter Verweis auf einen "Regierungsbeamten, der mit den Präsentationen vertraut" ist - kommen sie zum Teil von dem iranischen Physiker Shahram Amiri, der seit der Teilnahme an der Pilgerfahrt nach Mekka im Juni 2009 als verschwunden gilt. Im Oktober hat der Iran die Behörden Saudi-Arabiens bezichtigt, den 32jährigen Amiri, der zuletzt an der den Revolutionsgarden angeblich nahestehenden Technischen Universität Malek Ashtar in Teheran gearbeitet haben soll, entführt und an die CIA übergeben zu haben. Im März berichtete die Nachrichtenredaktion des US-Fernsehsenders ABC, Amiri sei damals im Rahmen einer länger geplanten CIA-Operation übergelaufen und befinde sich inzwischen in den USA. Am 7. Juni strahlte der iranische Staatssender IRIB Videoaufnahmen, die angeblich aus den USA herausgeschmuggelt worden sind, aus. Auf dem Bild ist eine niedergeschlagene Person zu erkennen, die Amiri sehr ähnlich sieht, er zu sein behauptet und erklärt, er werde in Tucson, Arizona, gegen seinen Willen festgehalten; die Amerikaner wollten, daß er öffentlich erkläre, in Teheran geheime Atomwaffenforschung betrieben zu haben. Etwas später am selben Tag tauchte bei Youtube ein anderes Video auf, in dem ein zweiter, glücklicher Amiri auftrat, der erklärte, er sei freiwillig in den USA und setze dort seine Karriere als Wissenschaftler fort. Die Posse um den verschwundenen Amiri zeigt, wie sehr im sogenannten Atomstreit mit dubiosen Geheimdienstinformationen gearbeitet wird.

Jedenfalls hat mit der Verabschiedung von Resolution 1929 die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran eine neue Eskalationsstufe erreicht. Zwar mag Hillary Clinton behaupten, die neuen Sanktionen würden den Iran zurück an den Verhandlungstisch zwingen, doch das glaubt niemand. Vor der Abstimmung hatte Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad für den Fall der Verabschiedung der Resolution damit gedroht, Teheran würde sich von der Vereinbarung mit Lula und Erdogan zurückziehen. Und weil die neuen UN-Sanktionen so schwach sein sollen - auf die Weise hatte man die Zustimmmung Rußlands und Chinas erkauft -, bereitet der Kongreß in Washington tiefergreifende, unilaterale US-Sanktionen vor, die in den nächsten Wochen verabschiedet werden sollen. In der Zwischenzeit sieht die jüngste UN-Resolution Inspektionen von Schiffen, um den Handel des Irans bezüglich schwerer Waffen, Raketentechnologie und spaltbaren Materials zu unterbinden, vor. Letzterer Aspekt von Resolution 1929 dürfte im Persischen Golf erhöhte Spannungen nach sich ziehen, wenn nicht sogar Schlimmeres verursachen.

10. Juni 2010